Genesis Der Mensch im Paradies

Der Mensch im Paradies

(Gen. 2, 8-17)

Der erhabenen Ausrüstung des ersten Menschen sollte sein Wohnplatz auf Erden entsprechen. (1) So herrlich auch Gott die Schöpfung zur Aufnahme des Menschen vorbereitet hatte, so wollte er doch deren Güte und Schönheit noch erhöhen, gewissermaßen verklären, an dem Ort, den er den Menschen zu seinem ersten Aufenthalt bestimmte. „Gott hatte von Anbeginn (2) das Paradies der Wonne (3) gepflanzt und in demselben allerlei Bäume aus der Erde hervor gebracht, schön zu schauen und lieblich zu essen, auch den Baum des Lebens in der Mitte des Paradieses und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.“
Welcher Art diese beiden Bäume waren, ist uns nicht näher bekannt (4) doch waren es Bäume wie die übrigen des Paradieses; nur hatte sie Gott zu übernatürlichen Wirkungen ausersehen, und hierauf deuten ihre Namen. Der Baum des Lebens sollte durch seine Frucht die natürliche Hinfälligkeit und Sterblichkeit des Körpers überwinden, falls der Mensch nicht ungehorsam geworden wäre. Dies sehen wir deutlich aus den Worten, die Gott nach dem Sündenfall Adams sprach: „Nun aber soll er nicht vom Baume des Lebens nehmen und essen und ewig leben usw.“ (5) Der Baum der Erkenntnis aber hieß so, weil an ihm sich zeigen sollte, ob Adam sich für das Gute oder für das Böse entscheide. (6)

„Ein Fluss ging aus vom Ort der Wonne (7), um das Paradies zu bewässern, und teilte sich von da an in vier Ströme. Der Name des ersten ist Phison; das ist der, welcher das ganze Land Hevilath um(durch)fließt, wo Gold gefunden wird; und zwar ist das Gold jenes Landes sehr gut (fein), auch findet sich dort Bdellium und Onyxstein. (8) Der Name des zweiten Flusses ist Gehon; das ist der, welcher das ganze Land Äthiopien (9) (hebräisch Kusch) um(durch)fließt. Der Name des dritten Flusses ist Tigris; der fließt vor Assyrien. (10) Der vierte Fluss aber, das ist der Euphrat.“

Die Lage des Paradieses

… Viel Beifall hat die Meinung gefunden, unter Phison und Gehon seien Flüsse zu verstehen, die ihre Quellen in der Nähe der Quellen des Euphrat und Tigris haben (also etwa den heutigen Kur oder Tschorogh und des Araxes; das Land Hevilath ist dann = dem Kolchis der Griechen und Äthiopien-Kusch = der heutigen persischen Provinz Aserbeidschan), mithin Armenien als die Gegend zu betrachten, in welcher das Paradies sich befand, also dieselbe Gegend, in welcher nach der Sündflut die Arche stehen blieb, und von welcher aus zum zweiten Mal die Menschheit sich über die Erde verbreitete. Die Lage und Beschaffenheit dieses Landes spricht auch sehr für diese Annahme. Es liegt mitten in der Hauptländermasse der Erde, gleich weit vom Kap der guten Hoffnung wie von der Beringstraße, und ebenso wieder gleich weit vom Kap Komorin wie von Island; in der Mitte zwischen dem Atlantischen und dem Stillen Ozean und den einstigen Meeresbecken in Asien und Afrika (Gobi und Sahara), und auch nach deren Austrocknung immer noch zwischen dem Mittelmeer, dem Schwarzen, Kaspischen, Persischen und Roten Meer, d. h. in einer Lage, die auf das aller leichteste die Verbreitung der Menschen in alle Teile der Erde gestattete.

Die neueste Lösung nimmt zum Ausgangspunkt die auf eine assyrische Inschrift (aus dem 9. Jahrhundert) gestützte Deutung des Wortes raschim = Einmündung, Nebenfluss (statt: Hauptströme oder Flussanfänge) und identifiziert den Phison und Gehon mit den beiden größten Nebenflüssen des mittleren Euphrat, die jetzt Chabur und Belich heißen. Dann wäre das Paradies in der Ebene östlich von der großen Euphratkrümmung oberhalb der Einmündung des Belich zu suchen, wozu der urkundlich erwiesene Name Bit-Adini = Land Eden, dem Goldreichtum zugeschrieben wird, stimmen würde. –

Jedenfalls ist die Beschreibung der Paradiesströme mehr als „ein mit den Mitteln einer kindlich naiven Erdkunde unternommener Versuch, die Gegend des Gottesgartens, aus welchem nach Meinung der Völker die großen Segen bringenden Weltströme kamen, den Lesern einigermaßen vorstellig zu machen.“ (Dillmann, Genesis 63) Denn die Vorstellung von den vier Hauptströmen der Welt selbst bedarf der Erklärung; sie ist sicher nicht eine willkürliche Phantasie des Verfassers, sondern eine (uralte) Tradition, die ihre Gründe haben muss.

Der Mensch im Paradies

In diesen Garten der Wonne versetzte Gott den Menschen (11), damit er ihn bebaue und bewahre, nicht mühsam und im Schweiße seines Angesichtes, sondern zur Übung seiner Herrschaft über die Natur, zu deren Veredelung wie zur Entwicklung seiner eigenen körperlichen und geistigen Kräfte, und durch all dies zur Verherrlichung Gottes und zu seiner eigenen Beseligung. Bewahren oder hüten sollte Adam den Garten, nicht etwa gegen feindliche Eindringlinge, wilde Tiere usw., wenigstens nicht mit Mühe und Gefahr; sondern er sollte ihn für sich bewahren, daß er ihn nicht samt den andern übernatürlichen Gaben durch Sündigen verliere (12), vielmehr ein viel herrlicheres Paradies, den Himmel, mit der ewigen, seligen Anschauung Gottes, sich durch seinen Gehorsam sichere.

Sei freier Wille sollte nämlich eine Prüfung bestehen. In dieser konnte er mit freier Liebe sich für Gott entscheiden und dadurch für sich und sein ganzes Geschlecht alle jene erhabenen, natürlichen und übernatürlichen Gaben sichern, um dereinst nach einem glückseligen, an Tugenden und Verdiensten reichen Leben auf Erden in den Himmel einzugehen, ohne den Tod zu kosten. Er konnte aber auch sich von Gott abwenden, und so für sich und seine nachkommen jene übernatürlichen Güter und die Erbschaft des Himmels ganz verlieren und selbst an den natürlichen Gaben Schaden leiden.

Diese Prüfung ward geknüpft an den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, indem Gott das Gebot gab: „Von jedem Baum des Gartens magst du essen. Aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da (d. h. sobald) du davon issest, musst du (des Todes) sterben!“ (13)

Nichts war leichter als die Erfüllung dieses Gebotes. Im Überfluss aller Dinge, die im Bereich des herrlichen Paradieses sich fanden, sollte der Mensch sich des Genusses von den Früchten eines einzigen Baumes enthalten. Überdies war Adam mit einer erhabenen Erkenntnis ausgestattet, sein Wille war gut und vortrefflich, dazu hatte er all die Gaben der Gnade und erkannte und liebte in Gott seinen einzigen Wohltäter. Darum aber auch die schreckliche Strafe, welche Gott für den Fall der Übertretung androhte: sterben sollte alsdann der Mensch des leiblichen Todes durch Trennung der Seele von dem Leibe, des geistigen Todes durch Trennung der Seele von Gott, und infolge dessen des ewigen Todes durch ewige Verdammnis.

Nach den heiligen Vätern und katholischen Schriftauslegern ist das irdische Paradies ein Vorbild sowohl der streitenden als auch der triumphierenden Kirche Gottes (14). In der Kirche steht als Baum der Erkenntnis das Kreuz, an dem der Ungehorsam des ersten Adam durch den Gehorsam des zweiten Adam gesühnt wurde, da „Christus für uns gehorsam wurde bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz“. (15) Dadurch hat er uns den Zutritt zum Baum des Lebens erworben. Dieser Baum des Lebens ist er, die göttliche Weisheit selbst, näherhin das allerheilige Sakrament, in welchem er seinen für uns geopferten Leib, sein für uns vergossenes Blut darreicht als Nahrung unserer Seele zum ewigen Leben und als Unterpfand unserer künftigen Auferstehung. (16) Vom Ort der Wonne, vom allerheiligsten Herzen des Erlösers, oder, wie der Prophet sagt, von der rechten Seite des Tempels (17), ist jener Strom lebendigen Wassers geflossen, der das ganze Paradies der Kirche bewässert, jener heilbringende Strom der göttlichen Lehre, der in den vier Evangelien nach den vier Himmelsgegenden sich ergießt, jener Strom der Gnade, der besonders in den heiligen Sakramenten fließt.

Im himmlischen Paradies aber fließt vom Throne Gottes und des Lammes der Strom himmlischer Seligkeit: der Baum des Lebens ist dort das göttliche Lamm selbst. (18) Einen Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gibt es dort nicht; denn die Zeit der Prüfung ist vorbei. Dafür aber schauen die seligen Gott selbst, das höchste Gut, von Angesicht zu Angesicht und haben in ihm die Fülle aller Erkenntnis, Wahrheit und Weisheit. (19)

Auch im moralischen Sinne finden wir bei den Vätern das Paradies erklärt als ein Bild der Seele, die in der Freudigkeit eines guten Gewissens glückselig ist. (20) Der Baum des Lebens ist dann Christus, welcher der Seele das übernatürliche Leben verleiht und erhält durch die Gnade; der Baum der Erkenntnis ist der freie Wille, der sich Gott unterwirft; der Strom ist die göttliche Wahrheit, welche die Seele stets frisch und fruchtbar erhält; die vier Flüsse sind die vier Kardinaltugenden, aus denen alle Früchte, d. h. Tugenden, ihr Leben und Gedeihen ziehen. (21)

Anmerkungen:

(1) S. Thom., S. th. 1, q. 102, a. 2 ad 4.
(2) D. h. schon früher, vor der Erschaffung des Menschen. Das Hebräische bezieht man auf den Ort: „von Osten her“, also ostwärts vom Standpunkt des Schriftstellers, d. h. von Palästina aus.
(3) Im Hebräischen heißt es: „einen Garten in Eden“, d. i. an dem Ort der Wonne, was dem Sinn nach dasselbe ist. Denn die Gegend, in welcher das Paradies lag, erhielt gerade durch dieses den Namen Eden, d. i. Wonne.
(4) Ob der Baum der Erkenntnis ein Feigenbaum gewesen sei, weil unsere Stammeltern sich gleich nach dem Sündenfall Schürzen von Feigenblättern machten (Gn. 3, 7), oder ein Apfelbaum wegen der Stelle im Hohenlied 8, 5, ist eine nutzlose Frage. Jedenfalls ist die vielfach verbreitete Annahme, der Baum der Erkenntnis werde in der Bibel oder von der kirchlich überlieferten Auslegung als Apfelbaum bezeichnet, gänzlich unbegründet und sind die daran geknüpften Schlussfolgerungen hinfällig. Ob der Hl. 8, 5 erwähnte tappûach unserem Apfelbaum entspricht – dessen Kultur in Ägypten, Palästina und Syrien nicht heimisch gewesen sein soll – ist für unsere Frage ohne jeden Belang.
(5) Gn. 3,22
(6) Über diese Bäume vgl. S. Aug., De civ. Dei 1. 14, c. 26; S. Thom., S. th. 1, q. 102, a. 1 ad 4; q. 97, a. 4; der Baum der Erkenntnis hieße nach dem hl. Thomas so „in Rücksicht auf den erwarteten Erfolg“. Anspielungen auf die Früchte usw. des Paradieses vgl. Hl. 4, 13; Sir. 40, 17 28; Ez. 28, 13; 31, 8. S. Chrysost., In Gen. hom. 13, c. 4; Theodoret., Quaest. In Gen. q. 26. Letzterer erklärt den Lebensbaum für eine Art Kampfpreis, der dem Adam zu Teil geworden wäre, wenn er die Versuchung bestanden hätte.
(7) Im Hebräischen „von Eden“, d. h. der Fluss entsprang in der Landschaft Eden, in der das Paradies lag, und er bewässerte das Paradies. Daß es sich um etwas Vergangenes handelt, dessen Folgen in die Gegenwart herein ragen (es war ursprünglich ein Fluss, der sich später teilte) ergibt sich aus den hebräischen Verbalformen und aus dem Zusammenhang. – Anspielungen auf die Paradiesströme vgl. Gn. 13, 10; Sir. 24, 35ff.
(8) Der Name Hevilath ist mehrdeutig: Gn. 10, 7 bezeichnet er einen Sohn des Kusch; 10, 29 einen Nachkommen Sems; als Ortsbezeichnung steht er 25, 18 und 1. Kg. 15, 7 von einer arabischen Gegend. Als Goldländer können das alte Kolchis (an der Ostseite des Schwarzen Meeres), Arabien, Indien und Afrika in Betracht kommen. Das Bdellium (hebr. Bedolach) wird noch Nm 11, 7 erwähnt; doch läßt sich daraus für die Bedeutung nichts Sicheres entnehmen. Gewöhnlich denkt man an das wohlriechende Harz eines im Orient weit verbreiteten Baumes. Da es hier neben dem Schoham = Stein (Onyx) genannt wird, könnte es sich auch etwa um Perlen handeln. Ob das hebräische schoham genau dem Onyx oder Smaragd entspricht, ist nebensächlich.
(9) Der lateinische Name gilt nicht bloß von dem bekannten afrikanischen Gebiet (Nubien); noch zu christlicher Zeit bezeichnete er auch einen Teil von Armenien, wohin der heilige Apostel Matthäus das Evangelium gebracht haben soll. Das hebräische Kusch bezeichnet Gn. 10, 10 unzweifelhaft ein asiatisches Gebiet, das wohl nördlich von Babylonien zu suchen ist und an das vielleicht noch der Name der Kossäer (bei Herodot?) und die nach griechischen Dichtern an der äußersten Grenze der Welt wohnenden „Äthiopier“ erinnern.
(10) Diese Angabe verrät nach Gunkel (Genesis 7) „sehr alten Sprachgebrauch“, welcher der Tatsache entspricht, daß der Tigris östlich von der alten Hauptstadt Assyriens (Assur) floß; anderseits bildete er im wesentlichen stets die Westgrenze des assyrischen Stammlandes; in späterer Zeit lagen alle Hauptstädte des assyrischen Reiches östlich von Tigris.
(11) Nach einer (unverbürgten) jüdischen Tradition soll Adam auf dem sog. Damaszenischen Acker (aus der roten Erde) bei Hebron erschaffen sein; dort sei auch Abel getötet und Adam begraben (wohl Missverständnis von Jos. 14, 15); die Gebeine Adams habe Noe mit in die Arche genommen und später unter seine Söhne verteilt; Sen als der bevorzugte habe das Haupt erhalten, das nach einer christlichen Legende später auf dem Kalvarienberg beigesetzt worden sein soll.
(12) S. Thom., S. th. 1, q. 102, a. 3; S. Aug., De Gen. ad lit. 1. 8, c. 10, n. 21 sq.
(13) Mit Unrecht wollten manche hieraus schließen, die Früchte des Baumes seien giftig gewesen. Allein davon sagt die Heilige Schrift und die Überlieferung nirgends etwas; im Gegenteil erscheint die Unsterblichkeit als ein übernatürliches Gnadengeschenk, das an den Genuss vom Baum des Lebens geknüpft ward und durch den Ungehorsam des ersten Menschen verloren ging. (Vgl. 2, 9; 3, 22; Weis. 2, 23; Röm. 5, 12; 1. Kor. 15, 21; Trid. Sess. V, c. 1)
(14) Vgl. bes. S. Iren., Adv. Haer. 1. 4, c. 34; 1. 5, c. 2; S. Ambros., Lib. de Paradiso; S. Aug., De civ. Dei 1. 13, c. 21; De Gen. ad lit. 1. 8, c. 1 4 5 6 13 14; 1. 11, c. 25; 1. 12, c. 28. Die Kirche heißt darum auch das „Paradies“ (Lk. 23, 24; 2. Kor. 12, 4; Offb. 2, 7)
(15) Phil. 2, 8; vgl. Röm. 5, 19.
(16) Spr. 3, 18; Lk. 22, 19f; Joh. 6, 50-59; vgl. die schöne Stelle der Nachfolge Christi 4, 11, 4. Bonaventura, Der Lebensbaum, 1888.
(17) Ez. 47, 1f; vgl. Joh. 19, 34ff.
(18) Ps. 1, 3; 91, 13; 16, 15; 35, 9f; Offb. 22, 1f; 2, 7; 7, 17; vgl. Joh. 15, 1ff.
(19) 1. Kor. 13, 9ff; 2. Kor. 3, 18; 1. Joh. 3, 2; vgl. Jb. 19, 25ff; Ps. 15, 11; 38, 8ff u.a.
(20) S. Aug., De Gen. ad lit. 1. 12, c. 34; Nachf. Chr. 2, 1, 1; 4, 2; 15, 4.
(21) Corn. A Lap., Comm. In Gen. 2, 8; vgl. S. Thom., S. th. 2, 2, prol. In fine. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 159 – S. 165

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