Die Weissagung Jesu vom Ende der Welt
(Mt. 24, 1-51; Mk. 13, 1-37; Lk. 21, 5-36)
„Sogleich (1) aber nach der Trübsal jener Tage wird die Sonne verfinstert werden und der Mond sein Licht nicht mehr geben; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels (die Gestirne) werden erschüttert werden; und auf der Erde wird eine große Angst sein unter den Völkern wegen des ungestümen Rauschens des Meeres und der Fluten, und die Menschen werden verschmachten vor Schrecken und Erwartung der Dinge, die über den ganzen Erdkreis kommen werden. Alsdann wird das Zeichen des Menschensohnes (2) am Himmel erscheinen, und alle Geschlechter der Erde (3) werden wehklagen; und dann werden sie den Menschensohn kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit. Er wird seine Engel aussenden unter mächtigem Posaunenschall (4), und sie werden seine Auserwählten zusammen bringen von den vier Weltgegenden, von einem Ende des Himmels bis zum andern. Wenn dies zu geschehen beginnt, dann erhebt eure Häupter; denn es naht die Erlösung!“
„Vom Feigenbaum aber lernt das Gleichnis: Wenn seine Zweige schon zart geworden und die Blätter hervor gesproßt sind, so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist. (5) Ebenso erkennt auch, wenn ihr dies alles seht, daß das Reich Gottes nahe vor der Türe ist. Wahrlich, sage ich euch, dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. (6) Himmel und Erde vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“
„Aber jenen Tag und die Stunde weiß niemand, auch nicht die Engel des Himmels und nicht der Sohn (7), sondern der Vater allein. Wie es aber in den Tagen des Noe war, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Denn wie sie vor der Sündflut aßen und tranken, zur Ehe nahmen und zur Ehe gaben bis zu dem Tage, da Noe in die Arche ging, und nicht achteten (8), bis die Sündflut kam und alle hinweg raffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. (9) Dann werden zwei auf demselben Feld sein: der eine wird aufgenommen, der andere verlassen werden; zwei werden an derselben Mühle mahlen: die eine wird wird aufgenommen, die andere verlassen werden.“ (10)
„Hütete euch aber, daß eure Herzen nicht etwa belastet werden mit Völlerei, Trunkenheit und den Sorgen dieses Lebens und jener Tag euch nicht plötzlich überrasche; denn wie eine Schlinge wird er kommen über alle, die auf dem ganzen Erdboden wohnen. Darum wachet und betet allezeit, damit ihr würdig erachtet werdet, all dem zu entgehen, was da kommen wird, und zu bestehen vor dem Menschensohn; denn ihr wisset nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommen wird, ob abends oder um Mitternacht, beim Hahnenschrei oder morgens; damit er nicht, wenn er plötzlich kommt, euch schlafend finde. Was ich euch aber sage, das sage ich allen: Wachet!“ (11)
Anmerkungen:
(1) Die vorher gehenden Sätze (siehe den Beitrag: Die Weissagung über die Zerstörung Jerusalems) haben offenbar schon ihre Hauptbeziehung auf die Vorgänge vor dem Weltgericht. „Sogleich“ nun nach jenen Tagen der Trübsal, die „um der Auserwählten willen verkürzt werden“, treten die schrecklichen Naturerscheinungen ein, die den Untergang der Welt einleiten und herbei führen. Der Heiland schließt sich in der Beschreibung dieser Erscheinungen an die kosmischen Vorstellungen der damaligen Zeit an.
(2) Das Kreuz, von welchem der Heiland im Gespräch mit Nikodemus wie auch mit den Juden gesprochen. (Joh. 3, 14. 15; 8, 28; 12, 32 ff) Dieses Zeichen des Heiles und der Erlösung, das allen Feinden Christi eine Torheit oder ein Ärgernis war, wird strahlend am Himmel erscheinen und denen, die das Kreuz geliebt haben, zu unaussprechlichem Trost, denen aber, die es gehaßt haben, zu unbeschreiblichem Schrecken die Ankunft des Richters verkünden. „Dieses Zeichen des Kreuzes wird am Himmel erscheinen, wenn der Herr zum Gericht kommen wird“, singt die Kirche.
(3) Alle Menschen werden in Schrecken und Angst sein ob des unmittelbar bevorstehenden Gerichtes. Doch die Jünger des Herrn mögen nicht bangen; denn sie, „die einst gebeugt und gedrückt durch die Welt gingen und als Kopfhänger verlacht wurden“, dürfen an jenem Tage das Haupt erheben. Naht doch für sie die „Erlösung“, der Abschluss des ganzen Erlösungswerkes Christi, dieVerklärung im vollendeten Gottesreich.
(4) Denn „die Posaune wird erschallen“ (1. Kor. 15, 52; vgl. 1. Thess. 4, 16), ähnlich wie sie einst am Sinai erschallte; vielleicht steht auch der Ausdruck bildlich für das allen vernehmliche und unwiderstehliche Aufgebot zum Gericht.
(5) Wie man, wenn der Feigenbaum ausschlägt, weiß, daß bald und sicher der Sommer kommt, so mögen die Gläubigen aus den genannten Zeichen erkennen, daß bald und sicher das Reich der Vollendung kommt. Wie sich der Mensch aber freut bei den Anzeichen der nahenden Sommerszeit, so mögen die Gläubigen sich freuen bei den Anzeichen ihrer baldigen seligen Vollendung.
(6) Das gottesmörderische Geschlecht, welches das Blut Jesu über sich und seine Kinder rief, soll die Zerstörung Jerusalems noch erleben, und das in aller Welt zerstreute Judenvolk soll nicht vergehen, bis der jüngste Tag gekommen. Wie vollkommen sehen wir beides erfüllt! Und wie wunderbar muss uns das letztere vorkommen, da so viele Nationen seitdem verschwunden sind, nur die jüdische nicht, obwohl ihr so ziemlich alles genommen wurde, wovon sonst das Bestehen der Nationen abhängt.
(7) Mt. 13, 32. Der Sohn weiß diese Stunde so gut wie der Vater, da er mit dem Vater eines und desselben göttlichen Wesens ist; und auch als Mensch betrachtet, weiß er alles, wegen der Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in der einen, göttlichen Person des Wortes. (Vgl. Kol. 2,3) Er weiß sie aber nicht, sofern es sich um seine Sendung an die Menschen handelt; d. h. es liegt nicht im göttlichen Heilsratschluß, daß durch den Sohn diese Stunde den Menschen mitgeteilt werde. (Vgl. Joh. 12, 49; auch Apg. 1, 7) Ähnlich sagte der Heiland, daß es nicht ihm zukomme, das Sitzen zu seiner Rechten und Linken zu verleihen. Aus diesen Worten Jesu ergibt sich auch, daß jede Weissagung falsch ist, die die Zeit des Weltendes bestimmt.
(8) Trotzdem, daß das Strafgericht so bestimmt angekündigt wurde und Noe vor aller Augen an der Arche baute und Buße predigte.
(9) Die große Masse der Menschen wird auch dann trotz aller so schrecklichen und unzweideutigen Vorzeichen sorglos in üppigem Wohlleben verharren.
(10) In jedem Stande gibt es Auserwählte und Verworfene; das wird dann offenbar werden, wenn selbst die nächsten Nachbarn, ja die Glieder einer Familie durch Jesu Richterspruch auf ewig voneinander getrennt und die einen in die ewige Seligkeit aufgenommen, die andern dem ewigen Verderben übergeben werden. Tief ergreifend spricht über diese Trennung W. Schneider (Das andere Leben) im Anschluss an den hl. Ephräm und Mac Carthy. (siehe den Beitrag: Das Wiedersehen und die Scheidung am jüngsten Tag)
(11) Die Stunde der Ankunft des Herrn bedeutet hier wie in den folgenden Gleichnissen offenbar neben dem allgemeinen Gerichtstag am Ende der Welt zugleich den besondern Gerichtstag jedes einzelnen Menschen unmittelbar nach seinem Tode. Beide fallen auch insofern in eins zusammen, als das Urteil, das der Mensch im besondern Gericht empfängt, dasselbe ist, das im allgemeinen Gericht öffentlich vor aller Welt über ihn ergehen wird. Drum sagt der hl. Augustinus (Epist. 80): „In welchem Zustand einen jeden sein letzter Tag finden wird, in diesem wird ihn auch der letzte Tag der Welt treffen, weil jeder, wie er stirbt, so auch am jüngsten Tage gerichtet werden wird.“ – Hier fügt der hl. Matthäus (24, 42-51) jene Gleichnisse vom wachsamen Hausvater und vom wachsamen Knecht bei, die der Herr schon bei einer früheren Gelegenheit vorgetragen. –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 428 – S. 431