Die Humanität in Deutschland

V. Die Humanität in Deutschland

Wenn auch in unserem Deutschland die Orgien von 1793 nicht dramatisch aufgeführt wurden, so war doch die Revolution der Geister nicht kleiner, jedenfalls wegen der Nachäffung fremder „Vorbilder“ noch erbärmlicher, als jenseits des Rheins. Wäre Deutschland zentralisiert gewesen, könnte unser Stammcharakter so leicht entflammt werden, als ‘der keltisch-fränkische, so wären aus den gleichen Ursachen die gleichen Wirkungen hervorgegangen. Nun aber war Deutschland ein Konglomerat von vielen kleinen und größeren Herrschaften, welche durch das schwache Band des Reichs nur locker zusammengehalten waren; ein großer Teil der Regierungen war geistlich und selbst bei etwaiger Verkommenheit des augenblicklichen Würdenträgers doch in der äußeren Erscheinung christlich. Es fand also die Propaganda des humanistischen Schwindels größere Schwierigkeiten. Und war auch die Sittenverderbnis an einzelnen Höfen und Höfchen nicht kleiner, als in den Palästen des vierzehnten und fünfzehnten Ludwig, so konnte sie doch nicht so ungehemmt sich allen Kreisen der tonangebenden Gesellschaft mitteilen. Dagegen wurde auf literarischem Gebiet wo möglich dasselbe geleistet, wenn auch nicht immer mit derselben Formvollendung, als in Frankreich. —

Nicht bloß übersetzte man die französischen Freidenker mit ängstlicher Beflissenheit in’s Deutsche, „sondern ahmte auch die humanistische Oberflächlichkeit und Unsittlichkeit bis herab ins Familienleben nach. Wenn daher auch die gelehrte Welt sich lieber an die gründlicheren Deisten Englands anlehnte, so französelte die höhere und mittlere Gesellschaft mit dem literarischen Tross nach Herzenslust und klimperte zungenfertig die Modewörter und Modegedanken des atheistischen Menschentums unserer westlichen Nachbarn nach.

Übrigens war durch den Protestantismus dem souveränen Menschentum bereits vor anderthalb Jahrhunderten vorgearbeitet gewesen. Denn nach Abwerfung der kirchlichen Lehrautorität und nach Einsetzung des Menschen zum unabhängigen Bibelforscher war bloß noch ein kleiner Schritt zu tun, um auch die hl. Schrift entweder auszulaugen oder ganz abzuwerfen.

Hängt ja doch die Bibel, wenn sie nicht von der kirchlichen Lehrgewalt getragen und erhalten wird, in der Luft. Ja im Grunde ist die heidnische Humanität nichts als die folgerichtige Fortentwicklung des protestantischen Subjektivismus.

Die starre protestantische Orthodoxie war schon durch den Spener’schen Pietismus im Namen der Gottseligkeit bekämpft worden, musste aber bald einen noch stärkeren Gegner erleben in einer freieren theologischen Richtung, welche immer mehr zum englischen Deismus und französischen Materialismus überschlug und desto verheerender wirkte, weil sie hohen Schutz bei protestantischen Fürsten, besonders bei Friedrich II. von Preußen, fand. Schon im ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts bildete sich die Gesellschaft der sogenannten „Conscientiarier“, deren Grundsätze auf die berüchtigte „Naturreligion’ hinausliefen und durch Matth. Knußens Traktätchen eifrig verbreitet wurden. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aber war in einigen deutschen Ländern fast die ganze protestantische Theologie vom humanistischen Rationalismus angesteckt.

Schon um 1735 konnte J. Chr. Edelmann keck dazu auffordern, „mit Verwerfung des christlichen Korans, der ebenso unzuverlässig und mit sich im Widerspruch sei, wie der türkische, sich wie Henoch und Noah allein an die Vernunft zu halten, da das Gewissen nicht eines Einzigen, sondern vieler Verständigen, von der Mutter Natur einen jeden eingepflanzt, lehre, ehrlich zu leben, niemanden zu beleidigen und jedem das Seine zu lassen; wer diese Bibel verachte, der verachte sich selbst. Das Gewissen allein sei der Himmel und die Hölle, es gebe weder Gott noch Teufel, die Geschichte von Christi Geburt, Auferstehung u. s. f. sei eine Fabel; Priester und Obrigkeit müssten aus der Welt gejagt werden.‘‘ Was ist dies Anderes, als das souveräne Menschentum, das aus persönlicher Gefälligkeit noch das Dasein eines apathischen Gottes zulässt, aber im Übrigen jede geistliche und weltliche Autorität, jedes religiöse und bürgerliche Gesetz für Usurpation erklärt?

Wenige Jahre später, 1751, spukte schon der 20. Brumaire 93 mit seinem Menschheits-Idol in deutschen Köpfen! Es erschien das Schandwerk: „Die einzige wahre Religion, allgemein in ihren Grundsätzen, verwirrt durch die Zänkereien der Schriftgelehrten, zerteilt in allerhand Sekten, vereinigt in Christo“ (2 Bde. Frankf. u. Leipz., bei J. C. Fleischer 1751/52). Gewidmet war es „dem allerdurchlauchtigsten und großmächtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich (II.) König von Preußen u. u.s.w.“ Das Titelkupfer zeigt eine kleiderlose weibliche Figur, geführt von der Freiheit mit phrygischer Mütze auf dem hoch erhobenen Stabe, umringt und aufgehalten von den hässlichen Figuren des Geizes, der Hoffart, des Neides, der Dummheit und der Heuchelei (der katholischen Religion), des Wahnwitzes, der Zanksucht und des Aberglaubens (1). Daraus möge man auf den Inhalt schließen!

(1) Offenbar ein Werk der Loge, welches die letzten Endziele zunächst durch Niederkämpfung des positiven Christentums verfolgte. Wer hätte beim Erscheinen des Buches geahnt, daß nach 42 Jahren das scheinbar allegorische Bild zur Tatsache, ja zur Staatsreligion würde?

Reimarus

Als hauptsächlicher Träger der Humanität begegnet uns Herm. Sam. Reimarus (1694—1768). Seine „Abhandlungen über die vornehmsten Wahrheiten der natürlichen Religion“ vom J. 1764 waren Vorläuferinnen dessen, was aus seinem Nachlass später durch Lessing unter dem Titel „Wolfenbüttel’sche Fragmente eines Ungenannten“ herausgegeben wurde. In denselben wurde das Christentum bis auf den Tod bekämpft (2); sie wurden wegen ihrer klassischen Sprache und scheinbar scharfen Logik bald ein Gemeingut der Gebildeten und brachten dem christlichen Glauben unberechenbaren Schaden. Mit titanenhaftem Übermut erhebt sich der Mensch gegen das Wunderwerk der göttlichen Offenbarung, welche seiner Selbstherrlichkeit im Wege steht, und behauptet, daß die reine christliche Religion Nichts enthalte, als eine praktische Vernunftreligion, mit anderen Worten: als was der Mensch aus sich selber weiß. Folgerichtig nimmt man nur soviel Christliches an, als man eben will. Ja die Möglichkeit selbst einer Offenbarung wird geleugnet, Christi Erlösungstod als ein missglückter Aufruhrversuch bezeichnet, und die Geschichte seiner Auferstehung auf’s bitterste als Irrtum, Täuschung und Betrug dargestellt (3).

(2) Für unseren kurzen Überblick über die Geschichte des Humanismus mag uns die Inhaltsangabe der „Fragmente“ genügen: 1. Von der Verschreiung der Vernunft auf Kanzeln, 2. Von der Unmöglichkeit einer göttlichen Offenbarung, 3. Von der Unglaublichkeit des Durchzuges der Israeliten durch’s rote Meer, 4. Daß das A. T. nicht geschrieben sei als Religionsoffenbarung, 9. Die Falschheit der Auferstehung. S. Freib. Kirch.-Lex. u. d. W. Fragmente. Alzog, K.-G. (7. A.), S. 968, Anm.

(3) Dies ist nichts anderes, als der Grundgedanke des 18. schottischen Grades der Freimaurerei, der Ritter vom Rosenkreuz. (Stille Krieg, S. 56 ff.) Wir gehen daher nicht irre, wenn wir die -„Wolfenbüttel’schen Fragmente“ für eine Logenschrift halten.

Während Reimarus den englischen Deismus für Gebildete mundgerecht machte und negativ, zur Bekämpfung des Christentums, gebrauchte, benützte ihn der sittenlose K. Friedr. Bahrdt (1741 bis 1791) (1), um seine Humanitätsreligion darauf zu gründen und dem großen Haufen zugänglich zu machen. Unter Religion sei nichts Anderes zu verstehen, als jene gewissenhafte Menschenliebe, worauf die Lehre Jesu vom Gott der Liebe hinauslaufe; alles Übrige gehöre gar nicht zur Religion; am wenigsten die religiösen Übungen und der sogenannte Gottesdienst, ein armseliger jüdischer Begriff; denn Gott verlange keinen Dienst und sei für einen solchen auch nicht empfänglich. —

Ähnlich erblickte der Jude Moses Mendelssohn (1729 bis 1786) in der Religion nur eine humanisierte Moral, welcher jede menschliche Regung erlaubt und tugendhaft erscheint, vindizierte dagegen dem menschlichen Denken vollste Freiheit gegenüber der Religion (2).

(1) Vgl. „Geschichte seines Lebens“ von ihm selbst, Berl. 1794, 4. Bde. — Freib. K.-Lex. u. d. W. Bei alledem gestand der Mann selbst: „Wenn die Orthodoxen (Protestanten) mich dafür bezahlt hätten, so hätte ich für sie und ihr System geschrieben; nun aber schreibe ich für die anderen.“

(2) Er schrieb unter anderem: „Briefe über die Empfindungen“; „über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften“; „Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele“ (dem gleichnamigen platonischen Dialog nachgebildet); „Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum“‘; „Morgenstunden oder über das Dasein Gottes“.

Wir übergehen der Kürze wegen die Schar gleich denkender Apostel des humanistischen Deismus, wie E. Platner, Christian Garve, S. Steinhart, J. J. Engel, Wünsch, Venturini u. s. w. —

Als gemeinsame Ablagerungsstätte der neuen Weisheit diente die Nicolai’sche Rezensionsanstalt „Deutsche Bibliothek“ (Berlin 1764 bis 1806), von welcher planmäßig alle dem Übernatürlichen und Christlichen feindselige Schriften empfohlen wurden. Ja der Berliner Bibliothekar Biester bildete sogar einen geheimen, mit der Loge verbündeten Verein, „die Gesellschaft zur Verbreitung von Licht und Wahrheit“, welcher die Religion humanistisch gestalten, Tyrannei und Usurpation abwenden, das Dogma verdrängen und die allgemein-menschliche Moral in den Vordergrund stellen wollte.

Geradezu verhängnisvoll für das arme Deutschland ist es geworden, daß unsere größeren Klassiker aus dem achtzehnten und dem ersten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts mit wenigen Ausnahmen gläubige Nachbeter des Humanitäts-Kultus geworden sind. – Während die lateinischen Völker, Italiener, Spanier, Franzosen und Portugiesen, eine vorherrschend katholische Literatur haben, welche selbst in ihren Verirrungen einen christlichen Grundcharakter nicht verleugnen kann, nehmen wir Deutsche kaum einen größeren Meister zur Hand, ohne auf den heidnischen Kultus des Menschentums zu stoßen. So ist die entnervende Krankheit in Fleisch und Blut der Nation übergegangen und eine stete Gefahr für die heranwachsende Jugend unserer Bildungsanstalten.

G. Ephraim Lessing

Lessing ist uns schon als Herausgeber der Wolfenbütteler Fragmente bekannt. In seinen Schriften gegen den Pastor Götze (1) nahm er die humanistische Naturreligion als ein angeborenes Recht des Menschen an; alle positiven Religionen waren ihm gleich wahr und gleich falsch. Darum lässt er seinen Nathan den Weisen, das eigentliche Evangelium des Menschentums, in der Parabel von den drei Ringen sagen: „der echte Ring sei nicht erweislich, fast so unerweislich als der echte Glaube.“ Vorzüglich aber ist sein Werk „Über Erziehung des menschlichen Geschlechts“, eine Apotheose des rein-menschlichen Naturalismus. Die hl. Schrift ist ihm ein bloßes Elementarbuch für Kinder, das in einem späteren Unterrichtsbuch, der menschlichen Vernunft allein, vervollständigt werden muss. Geheimnisse kann es nicht geben, im Gegenteil müssen die geoffenbarten Sätze zu Vernunft-Wahrheiten werden , sobald das Menschengeschlecht durch Erziehung zur höchsten Stufe der Aufklärung gelangt ist. Dann fällt das Elementarbuch Bibel weg, und die Menschheit ist das neue Evangelium. — In eben demselben Sinne wirkten die Pädagogen Basedow und Campe; ferner mehr oder weniger K. Phil. Moritz, Ant. Mart. von Dalberg, Tiedemann, Christoph Meiners, Knigge, Gellert.

(1) „Nötige Antwort auf eine sehr unnötige Frage des Hauptpastor Götze“; „Antigötze““1778.

J. Gottfr. Herder

Als schöngeistiger Anwalt der Humanität trat J. Gottfr. Herder (1744 bis 1803) auf. Ihm war Christus nur der Liebling Jehovahs, und wenn er auch das Christentum von seiner ästhetischen Seite empfahl, so ist es ihm doch nimmer das einzige Mittel zur Emporhebung des Menschengeschlechts aus dem Elend, worein es versunken ist; und daher sagt Joh. von Müller mit Recht über seine sonst geschätzten „Beiträge zur Geschichte der Menschheit“ die Worte: „Ich finde alles darin, nur nicht Christus. Was ist aber die Weltgeschichte ohne Christus?“ Vollends seitdem Herder als General-Superintendent zu Weimar in den Kreis der damals gefeiertsten deutschen Dichter und Schriftsteller kam und mit ihnen als Freimaurer zusammen arbeitete, schwamm er immer williger mit dem Strom der rein-menschlichen Kultur. In seinem Werk „Von dem Unterschied zwischen Religion und Lehrmeinungen“ stellt er den Satz auf, daß die Religion als Sache des Gemütes gar keine Dogmen habe; denn diese seien Sätze, für und gegen welche man disputieren könne.

Die Religion aber wolle kein Disputieren, sondern Befolgung unverletzbarer Pflicht. So sei auch das alte Christentum ohne Dogmen (!) gewesen; erst nachdem es als Menschenreligion unter die Menschen getreten sei, habe man persönliche oder nationale Meinungen als Dogmen fixiert und den Menschen auferlegt. Was Christus gewesen, sei gleichgültig; denn es gelte nur die Regel: „Erkenne Gott als Vater, dich als sein lebendiges Organ; du bist Mensch unter Menschen; wirke dem gleich, der die Regel der Menschheit gegründet und in dich gelegt hat.“ —

Weil also nach Herder der ganze Offenbarungsglaube menschliche Erfindung ist, so leugnet er eben damit alle Offenbarung und verwäscht das Christentum zu einer humanen Zivilisation. Unter Offenbarung versteht er überhaupt nicht die übernatürliche Mitteilung einer Wahrheit von Seiten Gottes, sondern die klare, helle und verständliche Darlegung einer Wahrheit von Seiten eines Menschen, welcher sie durch natürliche Vernunft erkannt hat. Nur so waren Christus und die Apostel Offenbarer (!); sie lehrten menschliche Wahrheit, keinen Kult, welcher ein Unding sei, weil Gott einen solchen weder bedürfe, noch verlange. —

So ist denn alle Religion sauberes Menschentum, und umgekehrt die Humanität Religion. In schwärmerischer Begeisterung verherrlicht er diese Idee als das Alpha und Omega unseres Daseins. So schreibt er in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ (1784) die Sätze: „Ich wünschte, daß ich in das Wort Humanität alles befassen könnte, was ich bisher über des Menschen edle Bildung zur Vernunft und Freiheit, zu feineren Sinnen und Trieben, zur zartesten und stärksten Gesundheit, zur Erfüllung und Beherrschung der Erde gesagt habe: denn der Mensch hat kein edleres Wort für seine Bestimmung, als er selbst ist, in dem das Bild des Schöpfers unserer Erde, wie es hier sichtbar werden konnte, abgedruckt lebt. Vom Anfang des Lebens an scheint unsere Seele nur ein Werk zu haben: inwendige Gestalt, Form der Humanität zu gewinnen und sich in ihr, wie der Körper in der seinigen, gesund und wohl zu fühlen. Humanität ist der Zweck der Menschennatur, und Gott hat unserem Geschlecht mit diesem Zweck sein eigenes Schicksal in die Hände gegeben. Wir reden von der Menschengeschichte überhaupt und vom Beharrungsstand derselben in jeder Form, unter jedem Klima.

Dieser ist nichts als Humanität, d. i. Vernunft und Billigkeit in allen Klassen, in allen Geschäften der Menschen. Nach Gesetzen ihrer inneren Natur muss mit der Zeitenfolge auch die Vernunft und Billigkeit unter den Menschen mehr Platz gewinnen und eine dauernde Humanität begründen.“

So bewährt Herder, daß sein Ideal trotz aller theistischen Färbung, doch im Wesen nichts anderes ist, als die allseitige Unabhängigkeit des auf sich selbst gestellten Menschen, dessen ganzes Lebensendziel darauf hinauskommt, daß er der Menschen-Natur entspreche. Darum sagt Gervinus über ihn: „Herder wollte eine Menschheitsreligion; er sah eine wahre und unsichtbare Kirche durch alle Zeiten und Länder durchgehen, die ihm über die christliche war; in ihr sind ihm die Freimaurer nur eine Sekte, in ihr fallen die Kultusunterschiede weg; in ihr ist kein Jude noch Grieche, kein Knecht noch Freier, kein Mann noch Weib; in ihr sind wir alle Eins. In diesem Sinne hätte er gern ein Christentum gelehrt, das so auf die äußersten Punkte der Allgemeinheit reduziert wäre, daß jede Partikular- oder Sektenansicht davor aufgehen konnte.“

Wir dürfen diesen Abschnitt nicht schließen, ohne unsere beiden Dichterfürsten Goethe und Schiller wenigstens genannt zu haben; denn sie trugen durch ihren mächtigen Einfluss auf die Mit- und Nachwelt zur Ausbreitung der Herder’schen Gedanken über Humanität Ungewöhnliches bei; beugten doch auch sie die Knie vor dem schimmernden Idol, aber nicht vor dem Gottessohn. Goethe begeisterte wohl seine Leser für den Geist des klassischen Griechenlands und für die schöne Wirklichkeit im Kleide der Dichtung, lenkte aber als entschiedener Nicht-Christ die Geister von der wahren Religion und ihrem wahren Endziel ab und zum Naturalismus hin. Und weil er selbst in seinem ganzen Wesen Natur und Genuss als Lebensaufgabe betrachtete, war ihm übernatürliche Religion und besonders das Christentum ein zu trübes Element für die Kunst; „das ewig Weibliche zog ihn hinan“, die Religion des neuen Bundes aber war ihm „widerwärtig wie Knoblauch und Hundegebell.“ Schiller arbeitete nicht bloß in Prosa für die Humanität, sondern auch in seinen Versen; in einem bekannten Distichon gesteht er, daß er „ohne Religion sei aus Religion“, und in seinen nicht so leicht gemeinten „Göttern Griechenlands“ gesteht er, wie ihm griechisches Heidentum wegen seines Naturalismus näher stehe, als das Christentum, und beklagt den Untergang der schönen Götterwelt, die einen einzigen, den Christengott, bereichern musste. „Kehre wieder, holdes Blütenalter der Natur!“ —Human

Ihnen beiden und ihren Nachfolgern ist alles Menschliche gut und edel, ob die christliche Sittenlehre es als schwere Sünde erklärt oder nicht. So ist unsere deutsche Belletristik bis herab auf Heine großenteils eine Pfütze der Unsittlichkeit und eine Schule des emanzipierten Menschentums geworden, bis der Freimaurer Herwegh den Grundgedanken der Meisten in den platten Worten wiedergab:

„Aus versumpften Nationen,
Faulenden Religionen
Steige schön’res Menschentum !“ –
aus: Georg Michael Pachtler SJ, Der Götze der Humanität, 1875, S. 75 – S.84

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