Das Antichristentum der Humanität

Das Antichristentum der Humanität und ihr Prinzip

Das absolute Menschentum ruht, wie wir gesehen haben, auf dem Grundirrtum, daß der Mensch, wie er jetzt geboren wird, gut sei und sich selbst vollkommen genüge. Damit fällt jede Repression des Schlechten, jede Gewalt Gottes über sein Geschöpf weg. Und wenn man selbst inkonsequenter Weise noch irgendwie das Christentum gelten lässt, so ist es höchstens noch eine matte Theorie, keine Erlösungsanstalt mehr, Christus eine Art von Menschheits-Lehrer, nicht mehr der Weltheiland.

Das Geschöpf aber überhebt sich in grenzenloser Überschätzung der menschlichen Persönlichkeit, in Vernachlässigung, ja Verachtung Gottes und der Religion, in der Leugnung jeder kirchlichen und staatlichen Autorität, und langt endlich beim Satanismus an, d. h. bei der Anbetung seiner selbst, dem Hass gegen Gott, der allseitigen und permanenten Revolution. Dieses aber ist das eigentliche Antichristentum.

Das antichristliche Prinzip

Wenn wir von Antichristentum sprechen, haben wir zweierlei zu unterscheiden: das Prinzip und den persönlichen Träger desselben. Letzterer geht uns vorderhand nichts an.

Das antichristliche Prinzip im weiteren Sinn besteht in der Leugnung Christi als des wahren Messias und Erlösers. Deshalb sagt die hl. Schrift: „Wie ihr gehört habt, wird der Widerchrist kommen; ja schon jetzt sind viele Widerchriste. Wer ist der Lügner anders, als Jener, welcher leugnet, daß Jesus der Christus (Messias) sei? Der ist der Widerchrist, wer den Vater und den Sohn leugnet‘ (1. Joh. 2, 18. 22). Dieser Geist des Widerspruchs gegen das Christentum war schon von den apostolischen Zeiten an bemerkbar, weshalb der hl. Johannes in seinem ersten Brief (4, 3) geradezu sagt: „Jeder Geist, welcher Jesum nicht bekennt, ist nicht aus Gott; und dieser ist der Widerchrist, von dem ihr gehört habt, daß er kommt, und er ist schon jetzt in der Welt.“

Unter diesen christusfeindlichen Mächten ist besonders das antiquierte Judentum mit seinem Hass gegen das Kreuz, das Heidentum mit seiner Verachtung des Kreuzes und die Ketzerei mit ihrer Verdrehung der Wahrheit verstanden. (1)

(1) Das Heidentum als antichristliches Babylon: Off. 17, 1—18; 18, 1—24; 11, 1—19. Das Judentum als verworfenes Jerusalem: Mt. 23, 37; 24, 1 f.; 15 ff. Mk. 13, 1 ff. Luk. 19, 41 ff. Die Ketzerei als Antichristentum: 2. Joh. 7: „Es sind Verführer in die Welt ausgegangen, welche nicht bekennen, daß J. Chr. im Fleisch gekommen sei (Doketen); ein solcher ist der Verführer und Widerchrist.“

Das Antichristentum im engeren Sinn

Aber von dem antichristlichen Prinzip im weiteren Sinne, gegen welches die Kirche immerfort zu ringen hat, und woher sie den Namen der „streitenden“ erhielt, ist wohl zu unterscheiden das Antichristentum im engeren und formellen Sinn. Dieses letztere nun besteht

1. in der Auflehnung gegen Alles, was Gott und Christus heißt, also gegen das ganze übermenschliche übernatürliche Gebiet, nicht bloß gegen die gottmenschliche Person und das Erlösungswerk des Sohnes;

2. In der Substituierung des göttlichen Menschen (Geschöpfes) an die Stelle Gottes. –

Fast wörtlich beschreibt uns dies der hl. Apostel Paulus im zweiten Brief an die Thessalonicher (2, 3 ff.) mit den klassischen Worten: „Offenbar wird werden der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, welcher sich

1. widersetzt und sich erhebt über Alles, was Gott heißt oder göttlich verehrt wird, so daß er

2. sich in den Tempel Gottes setzt und sich für Gott ausgibt.“ (1) — Aus dieser hoch wichtigen Stelle ergeben sich folgende Kennzeichen des antichristlichen Prinzips:

1. Es ist ein schuldhaftes Vorgehen des vernünftigen und freien Geschöpfes (revelabitur ille iniquus, V. 8), und zwar in der christlichen Zeit, wie aus allen bisher angeführten Stellen erhellt.

2. Die Menschen der Sünde wollen sein und bleiben, was sie sind; sie leugnen also ihren gefallenen Zustand, halten diesen für den einzig menschlichen und erstrebenswerten (Homo peccati, filius perditionis, V. 3).

3. Der Mensch verwirft alles, was über ihm ist, alles, was Gott heißt und billiger Weise verehrt wird.

4. Insbesondere wollen die Betörten, und es ist ihrer eine große Anzahl, von ihrem übernatürlichen Endziel Nichts wissen, so dringend und liebreich sie auch zu dessen Erreichung eingeladen werden: „sie wollen die liebevolle Wahrheit des Christentums behufs ihrer Erlösung nicht annehmen“ (Charitatem veritatis non receperunt, ut salvi fierent, BV. 10).

5. Deshalb klammern sie sich verhängnisvoll fest an der Lüge mit Vorzug. (Ideo mittet illis Deus operationem erroris, ut credant mendacio, BV. 10.)

6. Diese Massenverirrung wird schon geraume Zeit vor der letzten Katastrophe eintreten, ja sie hat ihre Wurzeln bereits in der apostolischen Zeit; nur konnte sie damals noch nicht wirken, da das Christentum erst seinen Siegeslauf begann, und die Schuld der Verirrung noch kleiner war. (Mysterium jam operatur iniquitatis, V. 7.)

7. Der Hass gegen den Gott der Offenbarung und die Selbstüberhebung des Menschen ist so grenzenlos, daß sich das Menschentum für absolut, für unverantwortlich und unabhängig, für Gott erklärt und nur noch den Kultus seiner selbst zulässt. (In templo Dei sedet ostendens se, tanquam sit Deus.)

(1) Vgl. Isaj. 11, 4.

Dies Prinzip unter dem Namen der Humanität

Wir fragen nun unsere Leser: Ist dieses antichristliche Prinzip, wie es vom hl. Apostel geschildert wird, nicht in seiner vollen Wahrheit unter dem Namen der Humanität zur Tatsache geworden? Ist eine abgründlichere Entfernung der vernünftigen Kreatur von Gott denkbar, als der souveräne Mensch mit seiner freien Moral, mit seiner Verwerfung des gesamten Glaubens; der Mensch, welcher nicht etwa aus Überrumpelung oder Schwachheit sündigt, sondern alles Menschliche für gut und heilig hält; welcher nicht bloß einmal das Joch abwirft, um es bald wieder desto freudiger zu tragen, sondern welcher jeden Gehorsam versagt, keine Autorität mehr kennt, sondern Souverän in jeder Beziehung sein will; der seinen Staat ohne Gott, seine Ehe ohne Sakrament, seine Schule ohne Religion, seine Gesellschaft ohne Glauben, die Christen ohne Freiheit, seine Legislative als einzige Quelle des Gesetzes, seine Exekutive ohne Gewissen als Ideale unserer menschlichen Gesellschaft feiert und die Vollgewalt über diese Welt den atheisierten Massen in die Hand gibt?

Das Prinzip des Antichristentums wandelt unter uns, es hat Fleisch und Blut angenommen und freut sich über Erfolge, daß sogar die Auserwählten, wenn es, möglich wäre, irre werden könnten. Und aus diesem Prinzip wird einst der persönliche Träger des Antichristentums aufsteigen, mit dem blendenden Glanz äußeren Glückes und weltlicher Herrlichkeit umstrahlt, bis ihn der Sieger Jesus Christus zermalmen wird.

Es gibt nur ein Entweder – Oder

Man missverstehe uns nicht! Noch ist das Gegengewicht der Kinder Gottes übergroß, wenn sie auch überall unter dem Sklavenjoch des halben und ganzen Humanismus gebückt gehen. Eine katholische Reaktion kann in Europa nicht ausbleiben, denn jeder Druck erzeugt Gegendruck. Mit wunderbarer Elastizität wird sich der bessere Teil unseres Geschlechtes aufraffen, und der Sieg noch einmal dem Kreuz gehören. Somit scheint es mit dem persönlichen Widerchrist noch Zeit zu haben (1). Aber klar müssen wir uns werden, was und wo das antichristliche Prinzip ist, damit wir auch im Geringsten keine Zugeständnisse machen. Es gibt nur ein Entweder — Oder: Die Tage der halben Wahrheit sind vorüber; ein mattherziger Liberalismus ist Rückschritt und stilles Einverständnis mit dem Feind. „Denn ein anderes Fundament (für die menschliche Gesellschaft) kann Niemand legen, als jenes, welches bereits gelegt ist, und welches ist Christus Jesus.“ (1 Kor. 3, 11.)

(1) Jedenfalls wird dies vor der zweiten Ankunft Christi sein, 1 Joh. 2, 18; 4, 3; 2 Thess. 2, 8—11. In Zeiten der Bedrängnis, wie z. B. in der Verfolgung durch Diokletian, glaubten mitunter die Christen, den persönlichen Widersacher des Christentums bereits inmitten ihrer Zeitgenossen zu haben. –
aus: Georg Michael Pachtler SJ, Der Götze der Humanität, 1875, S. 31 – S. 35

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