Das „Glück“ ungläubiger Koryphäen
Aus dem Vorwort:
Wer im katholischen Glauben aufwuchs, würdigt oft nur zu wenig das Glück, welches ihm hierdurch zuteil ward. Er gleicht einem gesunden, welcher, da er nie krank war, das Glück der Gesundheit kaum beachtet. Nichtkatholiken aber schätzen wohl noch weniger das Glück des katholischen Glaubens; denn sie kennen es nicht, ihnen ward ja vielfach nur ein Zerrbild des Katholizismus gezeigt!
Der Wechsel auf den Himmel
Hast du denn ganz den Verstand verloren? sagte Direktor W. seinem Jugendfreund, dem Präsidenten v. K.
Präs.: Das scheint mir nicht; ich glaube vielmehr, meinen gesunden Menschenverstand noch einigermaßen zu besitzen.
Dir.: Nun freilich! Gescheit genug bist Du im Übrigen das beweisen Deine Schriften. Trotzdem aber scheint mir, es ist nicht ganz richtig bei Dir.
Präs.: Und weshalb nicht?
Dir.: Weil Du so dumm warst, katholisch zu werden.
Präs.: Und weshalb war das dumm?
Dir.: Weil Du hierdurch Dein Glück verscherzt hast.
Präs.: Mein Glück? Wie so das?
Das „Glück“ ungläubiger Koryphäen
Die wiederholten Briefe des Präsidenten hatten den Direktor etwas gestört in seiner behaglichen Alltagsruhe und Alltagsgeschäftigkeit. In Bezug auf Religion hatte er sich die Dinge ein für alle Mal so zurecht gelegt, daß es mit dem Katholizismus jedenfalls nichts sei, und daß die übrigen positiven Konfessionen nicht viel mehr Beachtung verdienten, als der Katholizismus. Der Katholizismus aber erschien ihm als ein Gemisch von Aberglauben und als ein finsteres, mönchisches Wesen.
In derartigen Anschauungen war er nun etwas gestört durch die Darlegungen des Präsidenten. Er suchte sich gegen dieselben zu waffnen, insbesondere auch sich selbst und den Präsidenten zu überzeugen, daß man ein volles und ungetrübtes Glück auch außerhalb des gläubigen Christentums und um so mehr außerhalb der katholischen Kirche finden könne.
Lieber K., so schrieb er seinem alten Freund! Es ist ja alles recht gut und schön, was Du schreibst. Indes wiederhole ich: wenn der Katholizismus im Stande wäre, den Menschen glücklich zu machen, warum sind denn nicht die größten Geister unserer Nation, wie ein Goethe, ein Alexander von Humboldt, ein Schopenhauer, katholisch geworden? Glücklich will doch ein Jeder sein, und intelligent waren diese Männer gewiß, um beurteilen zu können, wo wahres Glück sich finde!
In diesem Sinne schrieb er dem Präsidenten. Dieser aber entgegnete ihm:
Mein lieber, guter W.! Du fragst: warum sind Goethe, v. Humboldt und Schopenhauer nicht katholisch geworden? Auf diese Frage kann ich Dir nur mit einem „vielleicht“ antworten; vielleicht wollten sie die Opfer nicht bringen, welche der Glaube von ihnen verlangt haben würde. Aber eines sage ich Dir, nicht mit einem „vielleicht“, sondern mit voller Gewissheit: Wenn diese Männer ohne den christlichen Glauben aus dem Leben geschieden sind, dann ist ewige Qual ihr Los. Das sage nicht bloß ich, das sagt auch Jesus Christus, indem er spricht: „Wer da glaubt und sich taufen läßt, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (Mark. 16, 16).
Dies für das Glück im Jenseits. Für das Diesseits aber sage ich Dir mit ähnlicher Bestimmtheit: glücklich waren auch für das Diesseits weder v. Humboldt, noch Goethe, noch Schopenhauer.
Um zu sehen, welche Unzufriedenheit, welche Öde z. B. im Herzen des alternden Humboldt herrschte, genügt es, zu lesen, was Janssen in seinen „Zeit- und Lebensbildern“ von ihm erzählt. Am 6. Februar 1852 schrieb ein gewisser August Grau aus Ohio an Humboldt: „Sonderbar ist, daß die größten Naturforscher, Philosophen und Astronomen, die den größten Teil ihrer Lebenszeit mit neuen Erfindungen und mit der Erforschung der Naturkräfte zugebracht haben, oft ganz gleichgültig sind in Beziehung auf ihr seliges oder unseliges Schicksal in der anderen Welt. Goethe, Schiller, Wieland und Kant und so viele andere … führten mehr oder weniger ein sogenanntes moralisches Leben, so daß sie sich vielleicht des Kartenspiels, der Kegelbahn, des Schauspielhauses und Tanzsaales enthielten, aber ihr Wirkungskreis ging nicht in die Ewigkeit hinein, und das Schicksal ihrer Nebenmenschen in der anderen Welt, ihre Seligkeit lag denselben nicht am Herzen… Ach, Herr Geheimer Rat, ohne ihm, der auf Golgatha starb, sind wir doch bei all` unsern Kenntnissen, bei all` unserer hoch gepriesenen Gelehrsamkeit höchst unglücklich. Goethe sagt bei einer gewissen Gelegenheit, daß er während seiner Lebenszeit noch nicht vier glückliche Wochen erlebt hätte.“ Mit Verachtung schrieb Humboldt an den Rand des Briefes: „Ein Bekehrungsversuch aus dem Staat Ohio“. Dann übersandte er ihn als „psychologisches Kuriosum“ an Barnhagen für dessen Autographen-Sammlung und bemerkte dazu: „Das Alter hat unter vielen Unbequemlichkeiten auch die, daß man Versuchungen der Bekehrung ausgesetzt ist“. In anderen Briefen spricht Humboldt von den „Verwirrnissen seines öden Lebens“; er klagt über sein Leben „in der buddhistischen kalten Hölle“ zu Potsdam. Am 13. April 1854 schreibt er: „Ich lebe monoton und trübe et mourant, avant le pricipe … Was mir das Leben mehr erschwert, als die Gebrechen des Alters, ist der Kontakt mit der Menschheit! … Es ist nicht bequem, den Phosphor des Gedankens schwinden und das Gewicht des Hirns abnehmen zu sehen, wie die neue Schule sagt.“ (Janssen, Zeit- und Lebensbilder, Freiburg, 1879, S. 82, 83)
Was sagst du, lieber W., zu diesem „Glück“ eines Humboldt und eines Goethe?
Und nun zu Schopenhauer. Schopenhauer starb am 20. September 1860. Über sein Ende lesen wir: „Während seiner letzten Krankheit rief, er, von heftigen Schmerzen gefoltert, mehrmals aus: „O Gott, mein Gott!“ Als ein Arzt, der dabei zugegen war, ihn fragte: „Existiert denn noch ein Gott für Ihre Philosophie?“ erwiderte er: „Sie reicht ohne Gott in den Schmerzen nicht aus; es soll damit, wenn ich wieder gesund bin, anders werden.“ Sein Zustand besserte sich, und derselbe Arzt traf ihn, von Schmerzen befreit, an einem schönen Septembertage am Fenster sitzen. Er erinnerte ihn an die frühere Unterredung, sprach von der Ewigkeit und nannte den Namen: Christus. Da geriet der Philosoph in die größte Aufregung: „Bleiben sie mir mit solchen Schreckbildern vom Leibe, solch Alfanzereien (= Gaukeleien, Schwindeleien) sind für Kinder gut, der Philosoph bedarf keines Christus“. An demselben Tage noch war der Philosoph eine Leiche.“ (Janssen, a.a.O. S. 238, 239)
Zu den von Dir genannten drei Koryphäen der ungläubigen Wissenschaft, lieber W., füge ich noch eine vierte, nämlich David Strauß, welcher bekannt ist durch sein Zerrbild des Lebens Jesu. Ihm war die Welt eine große Maschine, die gelegentlich den Menschen zermalmt; denn das Walten einer göttlichen Vorsehung in der Welt existierte für Strauß nicht. Und welches war der Trost, wenn jenes Räderwerk ihn zermalmte? Nichts, als der Umstand, daß sich hieran eben nichts ändern lasse.
Nochmals frage ich Sich, lieber Freund: waren diese Koryphäen des Unglaubens glücklich? Ich aber sage Dir: wo kein Glaube ist, da ist auch keine Hoffnung, da ist nichts, was einen Schimmer von Glück hinein tragen könnte in das irdische Diesseits. Für das Jenseits aber bleibt das Wort der ewigen Wahrheit bestehen: „Wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“ –
aus: von Hammerstein SJ, Das Glück katholisch zu sein in: Ausgewählte Werke Bd. 1, 1898, S. 294 – S. 295; S. 419 – S. 422