Der unerschütterliche Fels im Sturm
Einleitung
Sie regierten vom Jahre 440 – 590 und heißen:
Hl. Leo I. der Große 440-461
Hl. Hilarius 461-468
Hl. Simplicius 468-483
Hl. Felix II. 483-492
Hl. Gelasius I. 492-496
Hl. Anastasius II. 496-498
Hl. Symmachus 498-514
Hl. Hormisdas 514-523
Hl. Johannes I. 523-526
Hl. Felix III. 526-530
Hl. Bonifatius II. 530-532
Hl. Johannes II. 532-535
Hl. Agapet I. 535-536
Hl. Silverius 536-537
Vigilius 537-555
Pelagius I. 555-561
Johannes III. 561-574
Benediktus I. 575-579
Pelagius II. 579-590
Wir stehen in der Papstgeschichte bei jenem Zeitpunkt, da das mächtige Römerreich zusammen stürzte. Es glich im fünften Jahrhundert einem mächtigen Schiff, das auf dem offenen Meer von einem vernichtenden Sturm überrascht wird. Es ging unter im furchtbaren Sturm der Völkerwanderung im Jahre 476 nach der Geburt Christi. An seine Stelle trat die heilige Kirche, die den Sturm zu überstehen vermochte, weil sie auf einen Felsen gebaut war, der nicht wankt und weicht. Darum können wir diesem Zeitabschnitt mit vollem Recht die Überschrift geben: „Der unerschütterliche Fels im Sturm.“
Ohne religiöse Grundlage hat ein Reich, mag es auch noch so fest gegründet sein, keinen dauernden Bestand. Das sehen wir recht augenscheinlich am Römerreich. Dasselbe sah ein Jahrtausend an sich vorüber ziehen; das römische Volk hing fest an seiner hergebrachten Religion; als aber die Römer sich nicht mehr von den Grundsätzen der alten Religion leiten ließen, als die Dichter die Götter und die Religion verspotten und in den Kot ziehen durften, begann der Verfall des Reiches. Allerdings trat das Christentum in der Zeit auf, da die alte heidnische Götterlehre ihre Achtung verlor, allein das Volk nahm das Christentum nicht an. Wenn ein Erdbeben die Städte zerstörte, oder eine Überschwemmung die Felder vernichtete, oder Pest und Hungersnot die Menschen hinweg rafften, dann riefen die Heiden: „Die Christen sind an diesen Unglücksfällen schuld, sie achten nicht die alten Götter; die Regierung ist schuld an unsern Leiden, weil sie uns verbietet den Göttern Opfer darzubringen!“ Das war also die erste Ursache der Schwäche des römischen Weltreiches; es fehlte ihm die lebendige und einheitliche religiöse Überzeugung.
Ein weiterer Umstand, welcher den tiefen Fall des Reiches förderte, waren Leichtsinn, Müßiggang und Lasterhaftigkeit der Römer. Das Land, auf dem einst Sittenreinheit geblüht hatte, verödete, die Städte aber, in denen das Laster triumphierte und sich breit machte, wuchsen. Man floh sogar die Ehe, die Reichen aus Bequemlichkeit, die Armen aus Not. Die alte Kraft des römischen Volkes erlosch, so daß niemand mehr imstande war, das Vaterland zu schützen.
Das römische Volk verbrachte seine Zeit in müßiger Unterhaltung und saß im Theater, obwohl die Feinde des Vaterlandes bereits vor den Toren der Städte standen. So gleichgültig gegen das Unglück des Vaterlandes machte die Römer der Leichtsinn, während Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit sie immer tiefer ins Verderben stürzten. Auch die Regierung selbst trug viel dazu bei, die Vaterlandsliebe in den Herzen der Untertanen zu ersticken. Werden die Untertanen gedrückt und übermäßig belastet, so kann ihnen ein Vaterland nicht mehr teuer sein, das ihr Wohl nicht befördert. Die Verwaltung des Römischen Reiches war eine gewissenlose, in der es keine Gerechtigkeit mehr gab. Die Reichen trugen die wenigsten Lasten, während das niedrige Volk schrecklich gepreßt wurde. Die Beamten wirtschafteten in den Provinzen wie wahre Blutsauger, die sich in einem Jahr für ihr ganzes Leben bereichern wollten. Die Steuern wurden verpachtet. Die Zöllner oder Steuerpächter wollte sich auch bereichern, was ihm nur durch unmenschliche Erpressungen gelingen konnte. Über die Steuerpächter oder Zöllner bemerkt der römische Geschichtsschreiber Livius: „Wohin ein solcher mit seinem Fuß tritt, verschwindet das Recht, von der Freiheit ist keine Spur mehr vorhanden.“
Es kam so weit, daß es keinen eigentlichen Bauernstand mehr gab, die ausgedehnten Ländereien unbebaut lagen und sich entvölkerten, während das Getreide des einst so fruchtbaren Landes aus Afrika bezogen werden musste.
Es kam so weit, daß die Römer die notwendigen Arbeiten und Gewerbe als entehrend betrachteten, welche nur die Sklaven besorgen durften, während die freien Bürger sich dem Müßiggang und Laster hingaben. Einst zogen die Römer selbst in den Krieg; nun aber trugen fremde Söldner die Waffen, weil die Kaiser ihren eigenen Untertanen nicht mehr trauten. Das vermehrte noch die Schwäche des ohnehin schon kraftlosen römischen Weltreiches.
Während die Sklaven und die Landbewohner im Elend schmachteten, kaum genügend Nahrung und Kleidung hatten, um das Leben notdürftig zu fristen, besaßen einige Reiche Millionen. Ihnen gegenüber standen viele Tausende von Bettlern. Die Besitzlosen waren in steigender Erbitterung jederzeit bereit gegen die hartherzigen Reichen ihre Dienste einem jeden anzubieten, der ihnen auch nur ein wenig Erleichterung ihrer Lage versprach. Sie sehnten sich nach der Stunde, da sie sich auf die Seite des Feindes stellen und an ihren Unterdrückern Rache nehmen konnten.
An so schweren Übeln litt das Reich, das krank war durch und durch. Und so überraschte es der furchtbare Sturm der Völkerwanderung, die sich von Norden her wie eine mächtige Meereswoge auf Rom stürzte.
Wir haben früher schon bemerkt, daß die Regierung des Römischen Reiches heidnisch blieb, obwohl die Kaiser Christen waren. Die wenigen guten, talentvollen und tief blickenden Herrscher hatten nicht Zeit, die Verwaltung des Staates auf christlicher Grundlage umzugestalten. Die weitaus größere Zahl der Herrscher aber bestand aus Leuten, die gar nicht fähig waren, mit Klugheit und Umsicht die schlimmen Zustände ihres Landes zu verbessern. Sie überließen sich einem unwürdigen Wohlleben und unbeschreiblichen Luxus. Auch regierten sie meistens nicht selbst, sondern überließen die Staatsgeschäfte ihren Günstlingen und wurden willenlose Werkzeuge von Höflingen. Um das Elend noch größer zu machen und die Schwäche des Reiches zu vermehren, mischten sich die meisten römischen Kaiser in die religiösen Streitigkeiten.
Trotz allen Eifers, den die Päpste, als Statthalter Jesu Christi, entwickelten, um die menschliche Gesellschaft, um die Römer durch die Religion Jesu Christi zu erneuern, gelang ihnen das doch nicht vollständig, bis nicht die alten Zustände durch den Sturm der Völkerwanderung beseitigt waren.
Als aber diese das altheidnische Unwesen weggefegt hatte, konnte die Kirche einen Neubau auf christlicher, gesunder Grundlage beginnen. Die unhaltbaren Zustände des Heidentums, der Mangel eines tätigen und arbeitsamen Mittelstandes und die entsetzliche Sklaverei mussten mit Feuer und Schwert ausgerottet werden. Daher kann man mit allem recht sagen, daß die Schrecken der Völkerwanderung notwendig gewesen sind, um dem Christentum den Weg zu bereiten.
Ein Schriftsteller unserer Zeit, Reilly, apostolischer Missionar in Kapstadt, hat den ersten Sturm auf Rom anziehend und belehrend geschildert, wenn er schreibt: „Längst schon hatte die Stunde der Vergeltung für die unbußfertige Stadt Rom geschlagen. Als die Vergeltung für die Römer gekommen war, lenkten gegen 600000 raublustige Krieger ihre Schritte gegen die unglückliche Stadt, und bevor die Römer ihre Gefahr recht erkannten, hatte Alarich schon seinen Weg durch die schönen Ebenen Italiens genommen, und mit Trümmerhaufen und rauchenden Ruinen die Spuren seines siegreichen Marsches bezeichnet.“
Alarich und seine bewaffneten Scharen vollzogen jetzt als Werkzeuge in der Hand Gottes eine furchtbare Rache für die beleidigte Majestät jenes Gottes, dessen heiliger Name zu jener Zeit innerhalb der Mauern Roms nur Lästerung erfuhr.
War die Belagerung der Stadt Rom selbst schon schrecklich, so war der Jammer der Eroberung unbeschreiblich. Ein Geschichtsschreiber sagt: „Man kann die damals verübten Grausamkeiten nicht ohne Tränen mitteilen. Die Stadt war jetzt den raublustigen Völkern auf Gnade und Ungnade preisgegeben.“
Aber während der allmächtige Gott eine so strenge Züchtigung an den verstockten Überresten des Heidentums in Rom vollzog, ließ er seine Gnade zugleich mit seiner Gerechtigkeit offenbar werden. Durch eine wunderbare Äußerung seiner Vorsehung bewahrte er die Christen vor dem hereinbrechenden Unheil. Er flößte den Feinden des Reiches eine solche Achtung und Ehrfurcht gegen die unschuldigen Christen ein, daß diese bei allen Schrecknissen und Wirren der Plünderung von den Feinden selbst in Sicherheit gebracht wurden. Der Gotenkönig Alarich befahl die Kirchen und zu christlichen Zwecken geweihten Orte zu achten; er bezeichnete die beiden großen Kirchen der Apostel als unverletzliche Zufluchtsplätze; dieser Befehl wurde so genau eingehalten, daß die Soldaten nicht allein in ihrem Gemetzel Halt machten, sobald sie bei den geheiligten Bezirken ankamen, sondern, von Mitleid bewogen, viele Christen selbst dorthin führten.
Das Schauspiel der Eroberung durch feindliche Mächte sah die Stadt Rom im Jahre 410, unter der Regierung des heiligen Papstes Innozenz. Es folgten in wenigen Jahren noch blutigere und furchtbarere Strafgerichte des göttlichen Zornes. Am meisten verwüstete Rom der Vandalenkönig Genserich.
Nachdem wir diese allgemeine Betrachtung voraus geschickt haben, wollen wir die Päpste selbst kennen lernen, welche während der unglücklichen Jahre der Völkerwanderung auf dem Stuhl des heiligen Petrus saßen und von diesem Felsen aus dem Sturm trotzten. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 109 – S. 113