Heiligenkalender
26. Dezember
Der heilige Stephanus Erzmärtyrer
Von der Feier der Geburt Jesu lenkt der hl. Petrus Damian die Aufmerksamkeit auf das Fest des heiligen Stephanus mit den herrlichen Worten: „Noch halten wir den Sohn der Jungfrau in unsern Armen, noch verehren wir mit den Ergüssen unserer Liebe die Kindheit eines Gottes. Maria hat uns zur erhabenen Wiege geführt: sie, die Schöne unter den Töchter der Menschen, die Gebenedeite unter den Weibern, hat Ihn uns gezeigt, der da schön ist unter den Menschenkindern und mit größerer Fülle des Segens umgeben, als sieAlle zusammen. Sie lüftet uns den Schleier der Weissagungen und zeigt uns die bereits erfüllten Absichten Gottes. Wer von uns könnte seine Augen von dem Wunder einer solchen Geburt abwenden? Und doch, während der Neugeborene sich noch unseren zärtlichen Küssen überläßt, ja sogar dieselben erwidert, während unser Geist noch von dem Anblick dieser geheimnisreichen Ereignisse befangen ist, sehen wir plötzlich Stephanus auftreten, einen Mann, wie die Apostelgeschichte sagt, voll der Gnade und Kraft, der Wunder und große Zeichen unter dem Volk wirkte. Werden wir nun den König verlassen, um unsere Blicke auf einen seiner Krieger zu richten? Gewiß nicht: es sei denn, daß der Fürst selbst es befiehlt. Nun aber, macht der König, der Sohn des Königs, sich auf, um dem Kampf seines Dieners beizuwohnen. Eilen wir daher zu einem Schauspiel, zu welchem Er selbst eilt, und betrachten wir Ihn, der in seiner Rechten die Fahne der Märtyrer schwingt.“ (siehe auch Beitrag: Der Märtyrer Stephanus an der Krippe Jesu)
Stephanus, von griechischer Abkunft, gehörte der ersten Christengemeinde zu Jerusalem an und war durch die Freudigkeit seines Glaubens, durch die Macht seiner Beredsamkeit und durch das Feuer seiner Liebe zu Jesus ausgezeichnet. Auf diesen hochherzigen Jüngling fielen daher die meisten Stimmen, als es sich darum handelte, die Armenpflege vom Dienst der Apostel auszuscheiden und in andere Hände zu legen, und die Apostel weihten ihn durch Händeauflegung und Gebet zum Diakon. Sein Amt beschäftigte ihn zunächst mit den Almosen der Gläubigen, aus denen die Bedürfnisse des Gottesdienstes, der Kirchendiener und der Armen bestritten wurden. Zugleich war er auch als Prediger des Evangeliums tätig und bewirkte so zahlreiche Bekehrungen, selbst unter den jüdischen Priestern, daß die Juden den gänzlichen Untergang der Synagoge befürchteten. Denn ihm hatte Gott eine außerordentliche Wunderkraft verliehen, durch welche seine erbarmende, heilende und rettende Liebe, wie die heilige Schrift bezeugt, vorzüglichen Einfluß auf das Volk ausübte. Die Erfolge seiner Wirksamkeit strahlten in solcher Größe, daß die ratlosen Juden es für nötig hielten, mehrere Synagogen: die römische, die afrikanische und die asiatische, d. h. die berühmtesten Lehrer des Gesetzes, die glühendsten Eiferer für die Überlieferungen der Väter, die gelehrtesten Rabbiner dieser Schulen, zum vereinigten Kampf wider ihn zusammen zu rufen. Allein die eingeleitete Disputation fiel zu ihren Ungunsten aus, weil sie der Weisheit und dem Geist, der aus ihm redete, nicht widerstehen konnten.
Die ergrimmten Gegner griffen nun, wie es allemal in solchen Fällen zu geschehen pflegt, zu den unehrenhaften Waffen der Hinterlist und Gewalt, verleumdeten den Stephanus und kauften falsche Zeugen, welche aussagten, sie hätten ihn Lästerworte reden hören wider Moses und wider Gott. Sie zogen ihn dann vor den Hohen Rat, daß er sich verantworte über die wider ihn bezeugte Anklage.
Stephanus stand vor seinen Anklägern und Richtern mit dem Ausdruck so vollkommener Unschuld und Reinheit in Angesicht und Haltung, da „Alle, die ihn ansahen, einen Engel zu sehen glaubten“, und widerlegte in seiner Verteidigungsrede, welche der hl. Lukas in der Apostelgeschichte (Kap. 6) aufbewahrt hat, alle gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen mit vernichtender Schärfe. Angeklagt: 1. daß er Gott gelästert habe, pries er die Herrlichkeit Gottes und seine gnadenvollen Erbarmungen gegen das auserwählte Volk Israel; angeklagt: 2. daß er lästernde Worte gegen Moses ausgestoßen habe, sprach er mit beredter Ehrfurcht von dessen Geburt, Rettung, Erziehung, Berufung zum Retter der Israeliten aus Ägyptens Knechtschaft und von seiner Weihe zum Propheten; angeklagt: 3. daß er den Tempel gelästert habe, erklärt er tiefsinnig die hohe Bedeutung der Stiftshütte, aus welcher später der Tempel entstand, und führte ihren Ursprung auf Gott zurück; angeklagt 4. daß er der Lehre Jesu gemäß das Gesetz verachte und die mosaischen Satzungen abändern wolle, beleuchtete er in kurzer Übersicht über die jüdische Geschichte die verschiedenen Entwicklungs-Stufen der göttlichen Offenbarung und zeigte, daß der Alte Bund in Christus zu seiner wahren Erfüllung und wirklichen Vollendung gekommen ist.
Diese begeisterte Rechtfertigungs-Rede, gegen die Niemand eine Einwendung wagte, schloß er mit der freimütigen Anklage seiner Gegner: „Ihr Halsstarrigen, ihr rühmt euch der Beschneidung und seid an Herz und Ohren die Unbeschnittenen; immer dar widerstrebt ihr dem heiligen Geist, wie eure Väter, so auch ihr. Eure Väter verfolgten und töteten die Propheten, welche den kommenden Messias verkündeten; ihr aber habt den gekommenen gemordet. Erhalten habt ihr das Gesetz durch die Gnade des heiligen Gottes; aber gehalten habt ihr es nicht.“
Diese vernichtende Rede vermochten sie nicht zu ertragen: „Als sie das hörten, schnitt es ihnen mitten durch die Herzen, und sie knirschten mit den Zähnen wider ihn.“ Er aber blickte aufwärts zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur rechten Gottes stehen. Und er sprach: „Sieh`, ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen!“ Bei diesem Ruf des Heiligen hielten sie sich die Ohren zu und schrieen mit gellender Stimme, daß der Saal widerhallte von ihren Flüchen und Verwünschungen; – so unausstehlich war es ihnen zu hören, daß Jesus von Nazareth dem ewigen Gott gleich sei; sie stürzten sich wütend auf ihn, stießen ihn – ohne weiteres Verhör – zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Stephanus hob Hände und Augen zum Himmel und betete: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ Dann sank er in die Knie und rief mit lauter Stimme: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ und er entschlief im Herrn.
So starb der erste Märtyrer und kühne Streiter für die Göttlichkeit des himmlischen Kindes, das die Christenheit in der Krippe eines Stalles anbetet, im siebenten Monat nach der Himmelfahrt Christi. Fromme Männer bestatteten seine Leiche und hielten große Trauer um ihn: sie sammelten ehrfurchtsvoll die vom Blut des Heiligen geröteten Steine und bewahrten sie sorgfältig auf. Einer derselben wird heute noch zu Rom in der Kirche des hl. Sebastian und ein zweiter in der des hl. Laurentius gezeigt. Seine Reliquien wurden 415, wie der hl. Augustin bezeugt, aufgefunden, kamen nach Konstantinopel und dann 557 nach Rom. Im Jahre 799 brachte Papst Leo III. bei seinem Besuch in Westfalen Reliquien des hl. Stephanus nach Paderborn und weihte in der dortigen, von Karl dem Großen erbauten Domkirche einen Altar zu Ehren dieses Heiligen, dessen Haupt in Pavia verehrt wird. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 963-965