Der Erzmärtyrer Stephanus an der Krippe Jesu
Die glorreiche Reihe der Märtyrer des Sohnes Gottes beginnt nun mit dem heiligen Stephanus; er glänzt dort mit seinem schönen Namen, welcher der Gekrönte heißt, gleichsam eine göttliche Vorbedeutung seines Sieges; er befehligt unter Christus dies weiße Heer, er war der erste, der aufgerufen wurde, selbst vor den Aposteln, und hat der Ehre dieses Rufes würdig geantwortet. Stephanus hat ein starkes und mutiges Zeugnis der Göttlichkeit des Emmanuel vor der Synagoge der Juden abgelegt; er hat ihre ungläubigen Ohren dadurch erzürnt, daß er die Wahrheit verkündigte; und bald wurde ein Hagel mörderischer Steine von den Feinden Gottes, die auch die seinigen geworden, auf ihn geschleudert. Er duldete den schmählichen Tod ohne Wanken. Der heilige Gregor von Nyssa sagt so schön, daß ein sanfter stiller Schnee in leichten Flocken auf ihn gefallen wäre, Andere sagen von dem Märtyrer, daß es Rosen um sein Haupt geregnet habe. So viel steht sicher, während die Steine auf ihn geschleudert wurden, die ihm den bringen sollten, kam ein göttliches Leuchten über ihn: Jesus, für den er starb, offenbarte sich seinen Augen; und ein letztes Zeugnis für die Göttlichkeit des Emmanuel ging kräftig aus dem Munde des Märtyrers hervor. Bald darauf, gleich seinem göttlichen Meister, sendete der Märtyrer, um sein Opfer vollkommen zu machen, sein letztes Gebet für seine Henker zum Himmel; er beugt die Knie und bittet, daß ihnen die Sünde nicht angerechnet werde. So ist denn alles vollendet; das Vorbild des Martyriums auf Erden ist aufgestellt, um nachgeahmt und alle Geschlechter hindurch bis zur Vollendung der Zeiten; bis der letzte Märtyrer die bereits voraus bestimmte Zahl derselben erfüllt, befolgt zu werden. Stephanus entschlummert im Herrn. Er ruht in Frieden, bis sein heiliges Grab aufgefunden sein wird und in dieser wunderbaren Auffindung wie durch eine vorzeitige Auferstehung sein Ruhm sich neuerdings in der ganzen Kirche verbreitet.
Wohl hat es daher Stephanus verdient, als Hüter an der Wiege seines Königs zu stehen, als der Führer der kühnen Kämpen für die Göttlichkeit des himmlischen Kindes, das wir anbeten. Bitten wir ihn mit der Kirche, daß er uns das Nahen zu dem niedrigen Lager, auf welchem unser höchster Herr ruht, erleichtern wolle. Flehen wir ihn an, daß er uns die Geheimnisse dieser göttlichen Kindheit offenbaren möge, die wir alle erkennen und in Christo nachahmen sollen. Und er, der in seiner Einfalt neben der Krippe steht, er hat mitnichten die Zahl seiner Feinde gezählt. Er zitterte nicht vor ihrer Rache, er floh nicht vor ihren Schlägen, er schwieg nicht einmal vor ihrem Dräuen, er verzieh ihrer Wut und sein letztes Gebet war eine Bitte um Gnade für sie.
O treuer Nachahmer des Kindes von Bethlehem! Auch Jesus hat keinen Blitzstrahl auf die Einwohner seiner Stadt geschleudert, welche der jungfräulichen Mutter eine Unterkunft in dem Augenblick verweigerte, wo sie den Sohn Davids gebären wollte. Er gebot der Wut des Herodes, der ihn bald suchen wird, um ihn töten zu lassen, nicht Halt; lieber wollte er vor dem Angesicht dieses gemeinen Tyrannen einem Geächteten gleich nach Ägypten fliehen; und gerade durch diese anscheinenden Schwächen wir er seine Gottheit beweisen, wird er zeigen, daß das göttliche Kind auch der starke Gott sei. Herodes wird vorüber gehen samt seiner Tyrannei; Christus aber wird bleiben, größer in seiner Krippe, von wo aus er einen König zittern ließ, als dieser dem Römer tributpflichtige Fürst unter seinem Purpur; größer als Cäsar Augustus selbst, dessen ungeheures Reich bestimmt war, als Schemel jener Kirche zu dienen, welche dieses in der Zählungsliste der Stadt Bethlehem so niedrig eingetragene Kind eben aufgerichtet hatte.
Die Märtyrer sind der Welt geschenkt
Die Märtyrer sind der Welt geschenkt, um auf Erden die Sendung Christi fortzusetzen; sie legen Zeugnis von seinem Wort ab und besiegeln dies Zeugnis mit ihrem Blut. Die Welt hat sie nicht erkannt, gleich ihrem Meister; sie leuchteten in der Finsternis und die Finsternis hat sie nicht begriffen. Mehrere indes haben ihr Zeugnis aufgenommen und erwiesen sich als fruchtbares Erdreich und aus dem Samen, der dort ausgestreut wurde, keimte der Glaube. Die Synagoge wurde verworfen, weil sie nach dem Blut Christi das Blut des Stephanus vergossen. Wehe dem, wer immer das Verdienst der Märtyrer mißkennt. Beherzigen wir vielmehr die eindringliche Lehre, die ihr Opfer uns gibt; zollen wir ihnen unseren Dank für das erhabene Amt, das sie erfüllt haben, und das sie noch fortwährend alle Tage in der Kirche erfüllen. Denn in Wahrheit ist die Kirche nie ohne Märtyrer, wie sie auch nie ohne Wunder ist: das nämlich sind die beiden Zeugnisse, welche sie bis ans Ende der Zeiten beglaubigen und durch welche sie das von ihrem Stifter in sie gepflanzte göttliche Leben offenbart. –
aus: Dom Prosper Guéranger, Die heilige Weihnachtszeit, 1892, S.274-276; S. 281 – S. 282