Welche Bedeutung die heiligen Märtyrer haben
Der heilige Stephanus wird in der Kirche Erzmärtyrer genannt und hoch verehrt, weil er zuerst, selbst vor den Aposteln berufen wurde, für die Göttlichkeit Jesu Christi und seines Evangeliums Zeugnis abzulegen, weil er der Erste war, der den Tod für Christus litt, nachdem Christus für ihn am Kreuz gestorben war; weil er die endlose Reihe der ruhmgekrönten Streiter und Sieger des Christentums eröffnet hat. Der Tod der Märtyrer aber ist das klarste Zeugnis, welches für die Fülle der von Gott uns geschenkten Gaben abgelegt werden kann. Um die Bedeutung dieses Zeugnisses klar zu verstehen, betrachte den Plan, den Gott zum Heile der Welt entworfen hat:
1. Jesus, der Sohn Gottes, nahm die menschliche Natur an, um die Menschen zu unterrichten und zu erlösen. Er verkündete seine göttlichen Lehren, und seine Werke legten Zeugnis von Ihm ab. Nach seinem Opfertod aber fuhr Jesus auf in den Himmel, wo Er sitzt zur Rechten seines Vaters. Damit nun auch diejenigen Menschen, welche Jesus selbst weder gesehen noch gehört haben, seine Lehre und sein Zeugnis aufnehmen, bedarf es für sie eines neuen Zeugnisses für Jesus und seine Lehre, und dieses neue Zeugnis sind eben die heiligen Märtyrer: sie legten und legen es nicht einfach durch das Wort ihres Mundes ab, sondern zugleich durch das blutige Opfer ihres Lebens; sie sind der Welt geschenkt, um auf Erden die Sendung Christi fortzusetzen. Die katholische Kirche baut sich demnach auf dem Wort und dem Blut Jesu Christi auf; aber ihre Stütze in den Stürmen, ihre Erhaltung durch alle Zeitalter, ihren Sieg über alle Hindernisse gewinnt sie durch das Blut der Märtyrer, – der Glieder Christi – indem sich dieses Blut mit dem ihres göttlichen Hauptes in einem und demselben Opfer vereint. Die Kirche ist in Wahrheit nie ohne Märtyrer, wie sie auch nie ohne Wunder ist; und das sind die beiden klarsten Zeugnisse, welche sie bis an das Ende der Zeiten beglaubigen, und durch welche sich das von ihrem Stifter in sie gepflanzte göttliche Leben offenbart. Die heiligen Märtyrer verdienen daher hohe Verehrung und den lautesten Dank für das so wichtige und erhabene Amt, welches sie schon erfüllt haben und noch fortwährend alle Tage erfüllen.
2. Die heiligen Märtyrer gleichen in Allem ihrem obersten König, dessen glaubwürdigste Zeuge sie darum sind. Wie Jesus es voraus gesagt hat, sind sie Schafen unter Wölfen ähnlich, und arm geworden, um Alle reich zu machen. Die hassende Welt ist stark und tyrannisch wider sie, sie hingegen schwach und wehrlos; aber in diesem so ungleichen Kampf ist der Sieg der Märtyrer nur um so glorreicher und göttlicher. Gleich als ob sie Gotteslästerer wären, werden sie zum Tode verdammt; aber weder die Schmach dieses Todes, noch die Grausamkeit der Todesart vermag ihre große Seele zu erschrecken, ihrem Munde Klagen zu erpressen; sie tragen Christus in ihrem herzen, und darum sind sie stärker als alle ihre Feinde. Der hl. Paulus sagt: „Der gekreuzigte Christus sei Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ (1. Kor. 1) Die geopferten und gleichwohl welterobernden Märtyrer legen in einer selbst für die Welt begreiflichen Weise Zeugnis davon ab, daß Christus, den sie bekennen und der ihnen Standhaftigkeit und Sieg verleiht, wahrhaftig „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ ist; ihr letztes Gebet ist gleich dem ihres göttlichen Meisters für ihre Henker zum Himmel gerichtet, daß ihnen die Sünde nicht angerechnet werde. Die katholische Kirche ehrt sie mit besonderer Auszeichnung und gesellt sie allen Triumphen des Gottmenschen bei: sie legt ihre heiligen Gebeine unter den Altarstein und feiert nie das Opfer ihres triumphierenden Hauptes, ohne daß sie auch ihre Leiber in der Einheit des mystischen Leibes Jesu Christi dem himmlischen Vater darbringt, an dessen Thron sie die mächtigen Fürbitter für ihre auf Erden noch leidenden und kämpfenden Brüder sind. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 965 – S. 966