P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
§ 1. Von dem Gebet des Herrn
Erklärung der sechsten Bitte im Vater Unser
Teil 3
Wie überwinden wir die Versuchungen?
Was müssen wir tun, um die Versuchungen zu überwinden?
Wir müssen wachen und beten, wie Christus der Herr sagt: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet.“ (Matth. 26,41)Die Mittel zur Überwindung der Versuchungen sind bereits an verschiedenen Stellen zur Sprache gekommen. Im allgemeinen sind es dieselben, welche zur Bewahrung der Keuschheit und zur Verhütung des Rückfalles angegeben wurden. Der Heiland selbst faßt sie alle kurz zusammen in die Worte, die er am Ölberg an seine Jünger richtete: „Wachet und betet.“ Beides ist notwendig, wenn man nicht in der Versuchung unterliegen will, Wachsamkeit und Gebet; denn mag auch „der Geist willig“ sein, „das Fleisch ist schwach“. Nicht umsonst fügte der Herr diese letzteren Worte seiner Mahnung bei. Gar oft geschieht es nämlich, daß man sich auf seinen guten Willen verläßt, ohne zu bedenken, wie schwach da Fleisch ist, daß man infolge dessen Wachsamkeit und Gebet vernachlässigt und so zum kläglichen Fall kommt. Auf diese Weise erging es den Aposteln und namentlich dem Petrus, der im Vertrauen auf seinen redlichen Willen sich für treuer und entschlossener hielt als alle übrigen. Wir dürfen also niemals sorglos schlummern, als hätten wir nichts zu fürchten; denn unser Feind ist listig, und unser Fleisch ist schwach.Wir müssen zunächst wachen, wachen über alle Regungen unseres Herzens, über unsere Gedanken, Vorstellungen und Begierden, wachen über unsere Sinne, auf der Hut sein vor unsern innern und äußern Feinden. Zu dieser Wachsamkeit gehört die Meidung der bösen Gelegenheiten, die Sittsamkeit und Eingezogenheit im geselligen Verkehr, die Bescheidenheit der Augen, der öftere Einblick in unser Inneres durch Gewissens-Erforschung, die Übung der Abtötung und nicht an letzter Stelle eine ernste Beschäftigung.
Wachsamkeit allein reicht jedoch nicht hin, um uns vor dem Fall zu bewahren; wir müssen auch beten. Es ist eine Glaubens-Wahrheit, daß wir des göttlichen Beistandes bedürfen, um den Sieg über schwere Versuchungen davon zu tragen. „Wenn der, durch dessen Hilfe wir siegen, uns nicht beisteht, so werden wir notwendig besiegt“, sagt Papst Innozenz I. und nach ihm Papst Cölestin I. (Coelestini I. ep. 25. ad. epp. Gall. n. 9) Diesen Gnadenbeistand müssen wir aber demütig erflehen; darum lehrt uns Christus beten: „Führe uns nicht in Versuchung“. „Sobald du demnach irgend eine Versuchung verspürst“, sagt der hl. Franz von Sales (Philothea, Bch. 4, Kap. 7), „so mache es wie die kleinen Kinder, die, wenn sie einen Stier oder einen großen Hund im Felde erblicken, gleich in die Arme des Vaters oder der Mutter laufen oder wenigstens zu ihnen um Schutz und Hilfe rufen. Nimm deine Zuflucht zu Gott und flehe um seine Erbarmung.“ Zum Gebet gehört auch die Betrachtung der vier letzten Dinge, die sehr geeignet ist, unsern Willen zu stählen, ferner die Anhörung des göttlichen Wortes, der Empfang der hl. Sakramente, der Gebrauch des Weihwassers und anderer Sakramentalien und insbesondere die Anrufung der Heiligen, vor allen der allerseligsten Jungfrau Maria.Wenn wir diese Mittel fleißig anwenden, so dürfen wir uns der zuversichtlichen Hoffnung hingeben, daß wir den Sieg über alle Feinde unseres Heils erringen und dereinst zur seligen Schar derjenigen gehören werden, zu denen der Herr spricht: „Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, gleichwie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe.“ (Offb. 3, 21)
„Manche empfehlen“, sagt der hl. Alphons von Liguori (Anhang zu den Belehrungen für die Mission), „den von Versuchungen Gequälten, gute Vorsätze zu machen und Gott zu versprechen, ihn nicht wieder beleidigen zu wollen, versäumen aber, ihnen begreiflich zu machen, daß, wenn sie zu irgend einer Sünde (vor allem aber zur Unreinigkeit) versucht werden, alle guten Vorsätze und alle gemachten Versprechungen nur wenig nützen, wenn man alsdann nicht auch Gott wirklich um seinen Beistand anruft. Ist die Versuchung heftig, so muss die Seele sich also gleich mit großem Eifer dem Herrn anempfehlen, und hört die Versuchung nicht auf, so muss auch sie nicht aufhören, Gott um Gnade anzuflehen, damit sie nicht unterliege, bis die Versuchung aufgehört hat oder wenigstens schwächer geworden ist. Aus Erfahrung weiß man auch, daß die Anrufung der heiligsten Namen Jesus und Maria in den Versuchungen ein kräftiges Mittel sei, um nicht in dieselben einzuwilligen. Ich behaupte, daß viele, die in der Beichte von Herzen zerknirscht waren, wiederum rückfällig werden, weil man ihnen nicht genug eingeschärft, in den Versuchungen des bösen Feindes sofort zu Gott ihre Zuflucht zu nehmen.“
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 3, 1912, S. 444-445
Der erste Teil der Erklärung zur sechsten Bitte im Vater Unser: Und führe uns nicht in Versuchung
Die siebte Bitte im Vater Unser: Erlöse uns von dem Übel