Vater Unser Bitte Erlöse uns von dem Übel

P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung

§ 1. Von dem Gebet des Herrn

Erklärung der siebten Bitte im Vater Unser

 „Erlöse uns von dem Übel“

Was begehren wir in der siebten Bitte: „Erlöse uns von dem Übel“?

In der siebten Bitte begehren wir, daß Gott uns behüten wolle vor allen Übeln der Seele und des Leibes, besonders vor der Sünde und der ewigen Verdammnis.

Bei dem Wort „Übel“ denkt man gewöhnlich an Krankheiten, Nöten und Bedrängnisse, kurz zeitliche Leiden und Widerwärtigkeiten. Das Hauptübel, das uns treffen kann, ist aber ganz anderer Art. Wie Gott unser höchstes Gut ist, so ist unser größtes Übel das, was uns von Gott trennt, die Sünde und namentlich der Tod in der Sünde mit der darauf folgenden ewigen Verdammnis. Darum bitten wir Gott besonders, daß er uns vor diesem allergrößten Übel, mit dem verglichen alle zeitlichen Leiden und Drangsale nicht einmal Übel zu nennen sind, gnädigst behüten möge. Daß dies wirklich der Sinn der siebten Bitte ist, sagt uns das Wörtchen „sondern“, das diese Bitte mit der vorher gehenden verknüpft. Das Übel, in das „der Versucher“, der böse Feind, uns zu stürzen trachtet, ist ja von vor allem die Sünde und deren naturgemäße Folge, die ewige Verdammnis. Nachdem wir also in der sechsten Bitte zu Gott gefleht: Laß nicht zu, daß der Versucher uns allzu heftig angreife, setzen wir in der siebten hinzu: sondern im Gegenteil, mache die boshaften Anschläge desselben zunichte, bewahre uns vor all den Übeln, in die er uns stürzen möchte.

Wiewohl nun die Verhütung eines bösen Todes und der ewigen Verdammnis der Hauptgegenstand der siebten Bitte ist, so lag es doch nicht in der Absicht Christi, dieselbe ausschließlich darauf zu beschränken. Wie wir nämlich in der vierten Bitte auch um das beten sollen, was wir zu unserer zeitlichen Wohlfahrt bedürfen, so dürfen wir gewiß auch hier um Abwendung zeitlicher Übel bitten, insbesondere derjenigen, die im Gefolge der Sünde uns treffen können. Wirklich lehrt uns nicht bloß die Hl. Schrift, sondern auch das Beispiel der Heiligen, Gott zu bitten, daß er die Geißel seines Zornes gnädigst von uns abwenden möge. Die hl. Kirche fleht häufig darum. Sie schreibt zu dem Ende Bußtage vor, stellt Bittgänge an, ersucht alle Heiligen um ihre Fürbitte und ruft mit der ganzen Gemeinde zum Allerhöchsten, daß er uns bewahren möge nicht nur „vor aller Sünde, vor einem jähen und unversehenen Tod, vor dem ewigen Tod“, sondern auch „vor Blitz und Ungewitter, vor der Geißel des Erdbebens, vor Pest, Hunger und Krieg“.

Sollten wir auch aus bloß natürlicher Selbst- und Nächstenliebe um Abwendung zeitlicher Drangsale bitten, so liegt darin nichts Ungeregeltes; denn das christliche Gesetz verbietet solche Liebe nicht. Ungeordnet hingegen wäre es, wenn wir nicht Bereitwilligkeit genug hätten, solche Drangsale, solange es Gott gefällt, mit Geduld zu ertragen; wenn wir vielleicht gar gegen die göttliche Vorsehung klagten, daß unser Gebet unerhört bleibe. Denn sehr oft sind die zeitlichen Drangsale wahre Gnadenerweisungen Gottes. Darum ermahnt der Apostel einen jeden aus uns: „Mein Sohn, achte nicht gering die Züchtigung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst; denn wen der Herr lieb hat, den züchtigt er.“ (Hebr. 12, 5-6) – Anders bitten wir daher um Befreiung von der Sünde und der ewigen Verdammnis und anders um Befreiung von zeitlichen Übeln. Das erstere begehren wir unbedingt, das letztere hingegen nur unter der Bedingung, daß die Ertragung der zeitlichen Übel nicht zu unserem Heil ersprießlicher sei. In diesem Fall schließt aber das Gebet: „Erlöse uns von dem Übel“ die unbedingte Bitte in sich, Gott möge uns die Gnade verleihen, jene Drangsale so zu ertragen, daß sie uns wirklich zum Heil gereichen.

aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 3; 1912, S. 446-447

„Erlöse uns von dem Übel. Amen.“ (Allioli, Joseph Franz Heilige Schrift: Matth. 6,13)

Anmerkung: von der Sünde, welche der Ursprung aller übrigen ist. In einigen griechischen Ausgaben stehen am Schluß des Verses die Worte: denn dein ist das Reich und die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. – Diese Worte sind unecht; die ältesten griechischen Handschriften und Väter haben sie nicht, so wie sie auch bei Luk. 11,4 nicht vorkommen. Sie befanden sich nur in den alten Kirchenbüchern der Griechen, aus denen sie in einige jüngere Handschriften sich eingeschlichen haben.

aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes, 5. Band, 1838, S. 35

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