P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
Vom apostolischen Glaubensbekenntnis
§ 4. Die Engel
2. Verhältnis der guten Engel zu den Menschen
Wie sind die guten Engel gegen uns gesinnt?
Die guten Engel lieben uns; darum beschützen sie uns an Leib und Seele, bitten für uns und ermahnen uns zum Guten.
Gott ist unser König, die guten Engel sind die Fürsten seines Reiches, seine Vertrauten, seine Heerscharen, seine Sendboten. Es ist mithin für uns wichtig, zu wissen, welche Gewinnung dieselben gegen uns hegen. Nun, darüber kann kein Zweifel bestehen, die guten Engel lieben uns. Sie lieben uns, weil sie Gott lieben, dessen Ebenbild sie in uns erblicken; sie lieben uns umso mehr, je reiner und unbefleckter wir dieses Ebenbild in uns bewahren. Sie lieben uns, weil Gott uns liebt, indem ihre Willensneigung mit der göttlichen stets vollkommen übereinstimmt; sie lieben uns, weil wir mit ihnen Kinder desselben Vaters sind; sie lieben uns, weil sie in den ewigen Ratschlüssen des Allerhöchsten sehen, daß wir bestimmt sind, dereinst im Himmel die Genossen ihrer Seligkeit zu sein und die Sitze ihrer gefallenen Brüder einzunehmen. Unsere Schwäche, unsere Leiden und Drangsale, die vielen Anfechtungen und Gefahren, welche uns von Seiten Satans drohen, sind ein neuer, mächtiger Beweggrund ihres Wohlwollens gegen uns. Darum erfüllen sie mit der freudigsten Bereitwilligkeit den Auftrag, den ihnen der himmlische Vater gegeben hat, den Auftrag, und „auf allen unseren Wegen zu behüten“. (Ps. 90,11)
Unzählbar sind die Wohltaten, welche die heiligen Engel uns spenden. Dienstleistungen jeder Art erweisen sie uns, wie die Biblische Geschichte sowohl als die Lebensbeschreibungen der Heiligen es bezeugen. War es nicht ein Engel, „Raphael, einer der sieben, die immerdar vor Gottes Thron stehen“, welcher dem jungen Tobias auf der langen Reise als Führer und Begleiter diente, selbst mit Knechten und Kamelen nach Rages zog, um von Gabelus das Geld für Tobias zu begehren, und nach seiner Rückkehr zum älteren Tobias diesen von der Blindheit heilte? War es nicht ein Engel, welcher dem Propheten Elias in der Wüste Speise und Trank brachte (3. Kön. 19,4); ein Engel, welcher dafür sorgte, daß Daniel in der Löwengrube durch den Propheten Habakuk gespeist wurde? (Dan. 4) War es nicht ein Engel, welcher den Tempel zu Jerusalem vor Entweihung schützte und den Heliodor hinderte, dessen Schatz zu rauben? (2. Mach. 3,25) Dieses sind nur wenige aus den vielen Beispielen, welche die Hl. Schrift erwähnt. Insbesondere
1. beschützen uns die guten Engel in zahllosen Gefahren des Leibes.
So führten Engel den Lot samt seiner Familie aus dem lasterhaften Sodoma, bevor das Feuer vom Himmel es mit alle Einwohnern vertilgte. So beschützte ein Engel die drei Jünglinge im Feuerofen zu Babylon. „Er nachte es mitten im Ofen, wie wenn der Wind weht zur Tauzeit, und das Feuer berührte sie nicht im mindesten und war ihnen weder zu Leid noch zur Last.“ (Dan. 3,49. 50) Ein schützender Engel begleitete Judith, da sie ins Lager der Asssyrier ging, und nachdem sie dem feindlichen Oberfeldherrn Holofernes das Haupt abgeschlagen, führte er sie unversehrt in die Stadt Bethulia zurück. (Jud. 13,20) Engel dienten Judas und seinem Heere zu Führern: „Zwei von ihnen nahmen den Machabäern in die Mitte und beschirmten ihn mit ihren Waffen, daß er unversehrt blieb; gegen die Feinde aber schleuderten sie Pfeile und Blitze…, so daß diese in voller Verwirrung dahin fielen.“ (2. Mach. 10,28-31) Ein Engel erschien im Gefängnis dem hl. Petrus, sprengte dessen Ketten und entzog den Gefangenen der Wut des Herodes. (siehe den Beitrag: Das Fest Kettenfeier des hl. Petrus) Und die tägliche Erfahrung, wiederholt sie uns nicht unzählig Mal dieselbe Lehre? Und in wie vielen Lebensgefahren schweben nicht Tag für Tag kleine, unbedachtsame Kinder? Wie viele würden ins Wasser fallen, wie viele von wagen überfahren werden oder auf andere Weise umkommen, wenn nicht schützende Engel sie behüteten?
2. Eine noch weit größere Sorge als für unseren Leib tragen die hl. Engel für unsere Seele.
Das folgt schon daraus, daß die Gründe, warum sie uns lieben, sich hauptsächlich auf die Seele beziehen. Zudem wachen die himmlischen Geister über die Menschen ganz dem Willen Gottes gemäß, der in seinen Anordnungen vor allem das Heil der Seele bezweckt. Eben deshalb heißt es ja auch von ihnen im Hebräer-Brief (1,14), daß sie „ausgesandt sind zum Dienste derer, die die Seligkeit erwerben sollen“. Wir dürfen mithin keinen Augenblick zweifeln, daß die hl. Engel uns besonders nahe sind in der Versuchung, wenn der Höllenfeind auf uns eindringt, um unsere Seele zugrunde zu richten. „Denn“, bemerkt der hl. Hilarius (Üb. Ps. 134, Nr. 17), „unsere Schwäche vermöchte der so großen und vielfachen Arglist der bösen Geister schwerlich zu widerstehen, wenn nicht die guten Engel uns beschützten.“ Dieselben stärken uns im Kampfe, warnen uns vor der Einflüsterungen des Versuchers, decken uns seine Schlingen auf und schrecken uns vom Bösen ab. Als der Prophet Balaam sich aufgemacht hatte, das Volk Israel zu verfluchen, trat ihm ein Engel mit gezücktem Schwert entgegen und sprach zu ihm: „Ich bin gekommen, dir zu widerstehen, weil dein Weg verkehrt und mir zuwider ist.“ (4. Mos. 22) Namentlich in der alles entscheidenden Stunde des Todes, wo der bösen Feind seine Angriffe verdoppelt, um uns ewig zu verderben, stehen die hl. Engel uns schützend zur Seite. Da halten sie den Ansturm des Feindes auf, ermuntern uns zum Kampf, flößen uns Mut und Vertrauen ein und tragen endlich unsere siegreiche Seele frohlockend in den Himmel, wie sie einst die Seele des armen Lazarus in den Schoß Abrahams trugen.
3. Sie bitten für uns, bringen unsere Gebete vor den Thron Gottes und vereinigen ihr Flehen mit dem unsrigen.
Beides lehrt die Hl. Schrift auf unzweideutige Weise. Der Prophet Zacharias führt die flehentliche Bitte des Engels an, der über Jerusalem und die jüdischen Städte wachte: „Der Engel des Herrn sprach: Herr der Heerscharen, wie lange willst du dich nicht erbarmen über Jerusalem und über die Städte Judas?“ (Zach. 1,12) Und Raphael sprach zu Tobias: „Als du mit Tränen betetest, da brachte ich dein Gebet vor den Herrn“, d.i. nach der Bemerkung der Schriftausleger, ich vereinige vor Gottes Thron meine Bitten mit den deinen. In demselben Sinne heißt es auch (Offb. 8,4): „Es stieg auf der Rauch des Rauchwerkes von den Gebeten der Heiligen aus der Hand des Engels vor Gott.“
4. Sie ermahnen uns zum Guten.
Das ist sozusagen die ständige Beschäftigung der Engel, die an unserer Seite weilen, uns zu erleuchten und zu belehren, uns Mut und Kraft einzuflößen, auch durch geistlichen Trost, durch sanfte Einsprechungen, durch Ruhe und erquickenden Frieden jegliche Pflichterfüllung zu erleichtern und alle Hindernisse des Fortschrittes in der Tugend zu entfernen. (Vgl. die Regeln „von der Unterscheidung der Geister“ im Exerzitien-Büchlein des hl. Ignatius) Die Hl. Schrift des Alten sowohl als auch des Neuen Bundes liefert uns hierfür unzählige Belege. „Kehre zurück zu deiner Gebieterin und demütige dich unter ihre Hand“, sprach ein Engel zu Agar, Saras Magd. So erinnerte er sie an ihre Pflicht. (1. Mos. 16,9) Raphael belehrte den jungen Tobias, wie er in heiliger Gottesfurcht den Ehestand antreten, wie er samt seinen Eltern Gott anbeten und loben solle. (Tob. 6 u.12) Engelscharen verkündeten den Hirten von Bethlehem die Geburt des Heilandes und hießen sie zur Krippe des göttlichen Kindes hineilen. Desgleichen war es ein Engel, der den römischen Hauptmann Kornelius ermahnte, den Apostel Petrus aufzusuchen, um sich von diesem im wahren Glauben unterrichten zu lassen. (Apgsch. 10)
Wie nennen wir die Engel, welche dem Menschen eigens zum Schutz gegeben sind?
Heilige Schutzengel.
Daß es eigene Schutzengel gebe, unterliegt keinem Zweifel. Die Hl. Schrift bezeugt es an verschiedenen Stellen; die heiligen Väter lehren es mit größter Übereinstimmung, und die heilige Kirche hat ein eigenes Fest zur Verehrung der heiligen Schutzengel eingesetzt. Dieser Glaube ist in der Kirche Christi von jeher so allgemein fest gehalten worden und so unangetastet geblieben, daß dieselbe sich nie veranlaßt fand, darüber eine ausdrückliche Entscheidung zu geben.
Es können also hier nur die Fragen entstehen,
1. ob aus allen Chören der Engel den Menschen Schutzgeister angewiesen seien;
2. ob jeder Mensch einen Schutzengel habe;
3. ob auch ganzen Reichen, ob Städten und Kircheneigene Engel zum Schutz beigegeben seien.
Was die erste Frage anbelangt, so hielt es selbst Papst Gregor der Große (Homil. 34 über die Evang. Nr. 13) für bedenklich, sie zu entscheiden, weil sich die Hl. Schrift darüber nicht bestimmt genug ausspreche. Denn wiewohl nach der Lehre des hl. Paulus alle Engel „dienende Geister sind, ausgesandt zum Heile der auserwählten“, so dürfe man daraus doch nicht den Schluß ziehen, daß alle Engel unmittelbar zur Überwachung und Beschirmung der Menschen verwendet werden; zumal da aus dem Propheten Zacharias (2,3.4) ersichtlich sei, daß zuweilen Engel bloß mittelbar zum Heile der Menschen mitwirken, daß sie nämlich anderen Engeln Aufträge zum Besten der Menschen erteilen.
Bezüglich der zweiten Frage spricht sich einer der hervorragendsten Gottesgelehrten (Suarez Über die Engel 6, K. 17) also aus: „Daß einem jeden Menschen von der Geburt an ein eigener Schutzengel bestimmt werde, ist katholische Lehre. Obschon sie in der Hl. Schrift nicht bestimmt ausgedrückt oder von der Kirche festgestellt ist, so ist sie doch mit großer Übereinstimmung in der ganzen Kirche angenommen und hat eine so bedeutende Stütze in der Hl. Schrift, wie diese von den Vätern verstanden wird, daß man dieselbe ohne große Verwegenheit und ohne sich fast eines Irrtums (gegen den Glauben) schuldig zu machen, nicht leugnen kann.“ Wirklich findet man obige Lehre in den Schriften der hl. Väter mit den klarsten Worten ausgesprochen „Groß ist die Würde der Seelen“, schreibt der hl. Hieronymus (Üb. Matth. 18,10), „so groß, daß einer jeden gleich beim Eintritt in die Welt ein Engel als Beschützer beigegeben wird“. Ebenso bestimmt drückt sich der hl. Chrysostomus aus. „Jedem aus uns“, sagt er, „steht ein Engel zur Seite.“ (Hom. 14 üb. Hebräerbr.) Und der hl. Gregor von Nyssa (Lebensbeschr. Mos. Bd. 1, S. 338) sagt, daß diese Lehre in der Überleiferung begründet sei. „Es ist“, schreibt er, „eine mehr oder minder geheimnisvolle Überlieferung und wahre Lehre auf uns gekommen, der gemäß wir glauben, unsere menschliche Natur sei nach dem Sündenfall von dem allgütigen Gott nicht gänzlich verstoßen und hilflos gelassen worden, sondern es habe vielmehr jeder einzelne Mensch von ihm einen Engel oder Schutzgeist als Begleiter empfangen.“ Auch der römische Katechismus trägt es als sichere Lehre vor, daß jedem einzelnen Menschen ein Engel zum Schutz beigegeben sei. (Pars IV c. p. n. 4)
Die Frage, ob auch ganzen Reichen, ob einzelnen Städten und Kirchen-Gemeinden eigene Schutzengel angewiesen seien, wird von manchen hl. Vätern und kirchlichen Schriftstellern gleicher Weise bejaht. So spricht Hieronymus in seinem Kommentar über Isaias (15) von Engeln, „die den einzelnen Völkern vorstehen“. Gregor der Große, Basilius und Origenes treten in der Auslegung des Propheten Daniel (10,20) derselben Ansicht bei. Daß auch die einzelnen Kirchen ihre besonderen Schutzgeister haben, lehrt nebst anderen der hl. Gregor von Nazianz in seiner 32. Rede. –
Der hl. Erzengel Michael wird insgemein als der Schutzgeist der ganzen katholischen Kirche verehrt, welcher er im letzten schweren Kampf gegen den Antichrist beistehen werde. Der berühmte Schriftausleger Kornelius a Lapide spricht sich hierüber in der Erklärung des zwölften Kapitels der Geheimen Offenbarung ungefähr folgendermaßen aus: „Alsdann (am Ende der Welt) wird Michael mit seinen Engeln gegen Luzifer und dessen höllisch Scharen kämpfen, wird den Christen hilfreiche Hand bieten und sie stärken, damit sie offen und heldenmütig dem Antichrist sich widersetzen, mit welchem und für welchen Luzifer streiten wird. Aus dieser Stelle (der Offenbarung) entnehmen die Gottesgelehrten, der hl. Michael sei der Sachwalter und Beschützer der Kirche Christi.“
Welch hohen Wert muss unsere Seele in den Augen unseres himmlischen Vaters haben, daß er die Fürsten seines ewigen Reiches beauftragt, uns arme Erdenwürmlein beständig zu begleiten und zu beschützen! Welch neuer Beweggrund des Vertrauens auf seine Liebe und väterliche Fürsorge! Welch mächtiger Antrieb zur Dankbarkeit gegen unsern guten Herrn und Gott! Wenn ein König dieser Erde einem armen Untertanen, der fern von der Heimat unter vielen Gefahren umher irrte, einen seiner vornehmsten Höflinge zuschickte, damit derselbe ihn schütze und an seinen Hof geleite, würde wohl ein solcher Untertan Worte genug finden, dem gütigen Fürsten seinen Dank auszusprechen? Und doch ist dieses nur ein schwaches Bild der Güte des himmlischen Königs gegen uns. Darum sei Lob, Ehre und ewige Danksagung dem Allerhöchsten, daß er jedem aus uns einen Engel zum Beschützer und Wegweiser in sein himmlisches Reich gegeben hat! –
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 1, 1911, S. 208 – S. 212