Der Immanentismus der Modernisten

Die Irrlehre des Immanentismus der Modernisten

Das System der Modernisten nach der Enzyklika „Pascendi dominici gregis“

Innerhalb der Schranken des Gegebenen bleiben, sei es im Sein, im Denken oder Handeln, das alles könnte Immanentismus heißen; denn es besagt ein manere in, ein Innerhalb-Bleiben. Es gibt eine Immanenz der Tätigkeit. Das Leben ist immanente Tätigkeit. Das Leben vollzieht sich im Lebewesen und wird in ihm vollendet. Die Pflanze nimmt Nahrung auf und gestaltet sie um in das eigene Wesen: das ist eine immanente Tätigkeit. Immanent ist das seelische Leben; denn es spielt sich im fühlenden, denkenden und wollenden Wesen ab. Es gibt eine Immanenz des Seins. Uns immanent sind unsere Empfindungen, Gefühle, Begehrungen, unsere Gedanken und unser Wollen, obgleich sie von außen angeregt und wieder Ausgangspunkt, Ursache äußerer Handlungen werden können. Immanent sind uns unsere Fähigkeiten, unsere natürlichen oder erworbenen Eigenschaften, die wesentlichen Teile und Gebilde unseres eigenen Ich.

Der pantheistische Immanentismus

Der pantheistische Immanentismus behauptet, es gebe nur ein einziges Wesen, das All. Nach ihm ist die Welt Gott immanent und Gott ist der Welt immanent. Was da existiert, was da geschieht und gewirkt wird, ist göttliche Emanation, göttliche Erscheinung, göttliche Affektion, ein Ausfluss der einen göttlichen Substanz, geschieht an ihr und hat nur ein sein in ihr. Von dieser Lehre haben wir zunächst nicht zu reden.
Wer die Wahrheit als ein bloßes Produkt des Menschengeistes hinstellt, wer auch alle religiöse Wahrheit einzig und allein aus dem Menschen entstehen läßt, wer alle sittlichen Verpflichtungen zurück führt auf den Menschen, der erklärt die Quelle aller Wahrheit, aller Sittlichkeit, aller Religion als dem Menschen inne wohnend, immanent, die Wahrheit, die Sittlichkeit, die Religion selber als urständiges, selbstherrliches Wachstum und Besitztum des Menschen, als autochthon und autonom. Das ist der Immanentismus, von dem in den folgenden Ausführungen die Rede sein wird.

Die Kantsche Kritik

Dieser Immanentismus als Lehre wurde angebahnt durch die Kantsche Kritik, welche aus der menschlichen Verstandes-Erkenntnis das objektive Element sozusagen ganz, aus der Sinnes-Erkenntnis zu einem großen Teil eliminierte. Die Außenwelt bietet noch vages, in nichts geordnetes Material von Empfindungen; Raum und Zeit aber, alle Erkenntnis-Formen und Kategorien sind subjektive Zutat des Geistes. Die Brücke zur Erkenntnis der Welt und Gottes war damit so gut wie zerstört und abgebrochen. Das Reale, auf das man sich stützen darf, ist nur mehr die Erscheinungs-Welt im eigenen Innern. Hier nun setzt der Immanentismus der Modernisten ein.

§ 1. Der Immanentismus der Modernisten

Zusammenfassung der Lehre in der Enzyklika Pascendi

„Der Agnostizismus ist indessen in der modernistischen Lehre bloß als der negative Teil zu betrachten; der positive besteht in dem, was sie vitale Immanenz heißen. Der Übergang vom einen zum andern ist folgender: Die Religion, sei es die natürliche oder die übernatürliche, muss, wie jede Tatsache, einer Erklärung zugänglich sein. Eine solche Erklärung aber sucht man, nachdem die natürliche Theologie zerstört und durch Verwerfung der Beweise für die Glaubwürdigkeit der Zugang zur Offenbarung versperrt ist, ja mit jeglicher äußern Offenbarung selbst völlig aufgeräumt wurde, vergebens. Sie muss also im Menschen selbst gesucht werden; und da die Religion eine gewisse Lebensäußerung ist, muss sie sich jedenfalls im Leben des Menschen finden lassen. Daher wird das Prinzip der religiösen Immanenz behauptet. Für jedes Lebensphänomen aber, und ein solches ist, wie schon gesagt, die Religion, geht der erste Anstoß (motio) von einem gewissen Bedürfnis oder Antrieb aus: die Anfänge aber sind, wenn wir vom Leben im engeren Sinne sprechen, in eine gewisse Bewegung des Herzens, das Gefühl zu verlegen. Deshalb ergibt sich einfachhin der Schluß: Da Gott der Gegenstand der Religion ist, so muss der Glaube als der Anfang und die Grundlage einer jeden Religion in ein tief innerliches Gefühl verlegt werden, das aus dem Bedürfnis nach dem Göttlichen folgt.“

Der innere Zusammenhang zwischen Agnostizismus und Immanentismus

Die Enzyklika zeichnet uns in den ersten Worten den inneren Zusammenhang zwischen Agnostizismus und Immanentismus. Der Agnostizismus wird, solange er sich nicht dem Skeptizismus in die Arme werfen will, stets einen Ersatz für das verschmähte Recht der Verstandes-Erkenntnis suchen, und sieht sich dann bei der Begründung der Religion in der einen oder andern Weise auf die Strebeseite im menschlichen Leben hingewiesen. Die Postulate der praktischen Vernunft, das Gefühl, die Lebenswerte, die Betätigung (L`action bei den Franzosen), sie alle sind wirklich angesprochen worden als Quelle der Erkenntnis, der Sittlichkeit, der Religion. Die Modernisten, auch Loisy, haben mit Kant den verhängnisvollen Schritt getan, die theologische Vernunft ihrer Rechte verlustig zu erklären. Skeptiker wollen sie nicht werden, so werden sie Anhänger der Philosophie der Bedürfnisse, der Postulate, der Lebenswerte, der Betätigung. Wahr sein soll, was den Bedürfnissen und Postulaten der Menschennatur entspricht, was das Leben und die menschliche Betätigung fördert. Sie landen bei der Gefühlsphilosophie, beim Pragmatismus in seinen verschiedensten Formen. Es heißt wirklich dem Denken der Modernisten ein Armutszeugnis ausstellen, wenn man behauptet, sie hätten diese naheliegendsten Zusammenhänge zwischen ihrem kritischen Agnostizismus und dem Immanentismus nicht gesehen.

Loisy und das Programm der Modernisten

Das aber behauptet Loisy, denn er schreibt in seinen Simples réflexions (151):

„Ich fürchte mich nicht zu behaupten, kein Modernist habe je diese einfältige (simplet) Raisonement gemacht, weder explicite noch implicite. Aber die Theologen Seiner Heiligkeit haben diesen falschen Weg zustande gebracht, um von meinen Schriften zu denen Tyrrells und der französischen Immanentisten zu gelangen.“

Diese Worte richten sich selber. Loisy wird übrigens vom „Programm“ der Modernisten eines Besseren belehrt.

Das Programm erkennt unter der Kapitelüberschrift „Unser Immanentismus“ an, daß die Hauptgedanken von der Enzyklika richtig gezeichnet seien:

„Obwohl wir den Veränderungen Rechnung tragen müssen, denen unser Gedanke notwendiger Weise in dieser Definition, welche die Enzyklika in scholastischen Kategorien von ihm geben wollte, sich zu unterziehen hatte, anerkennen wir doch, daß im Grunde das unsere Ideen über den Ursprung der Religion sind. Diese offenbart sich als ein spontanes Ergebnis unauslöschlicher Anforderungen des menschlichen Geistes, die ihre Befriedigung finden in der inneren und gemütsvollen Erfahrung der Gegenwart des Göttlichen in uns.“

An einer früheren Stelle schon hatte das Programm den Schlussgedanken zu den Ausführungen über „Kritik und Evolution des Christentums“ in die Worte gefaßt:

„Indem wir so denken, sind wir, es ist wahr, einer der grundlegenden Tendenzen der zeitgenössischen Philosophie begegnet, der immanentischen Tendenz, die sogar als unentbehrliche Vorbedingung der Philosophie betrachtet wird. Nach dieser Tendenz kann nichts in den Menschen eindringen, das nicht einem Expansions-Bedürfnis entspränge und demselben in einer gewissen Weise entspräche; es gibt für ihn keine feststehende Wahrheit und kein annehmbares Gebot, die nicht in irgend einer Weise autonom und autochthon wären.“

Die Grundlage ihrer Lehre

Diese Lehre, daß Wahrheit und Gebote, ja die übernatürliche Religion, Kult und Sakramente ihre Entstehung vitalen Bedürfnissen des Menschen verdanken, ist die Grundlage, auf welcher die Modernisten nicht nur ihre Anschauung von der Entwicklung der Religion und der Kirche aufbauen, sondern sie muss auch die tiefste Grundlage für die sog. Historische Methode der Modernisten abgeben, wie die Enzyklika mit Recht bemerkt.

Wo liegen die Beweise für ihre Lehre?

Und wo liegen die Beweise für den Immanentismus, der ein ganz neues System der Religion tragen soll und den Kampf mit der ganzen Kirche aufzunehmen sich anschickt?

Das „Programm“ der Modernisten versucht einen doppelten Beweisgang. Der eine ist philosophischer, der andere theologischer Natur.

Zunächst behauptet es, die scholastischen Argumente für Gottes Existenz hätten durch die nachkantische Kritik allen Wert eingebüßt; und da man nunmehr erkannt habe, was alles an den abstrakten Begriffen, die wir uns vom Wirklichen bilden, Konventionelles sich finde, so fallen, nicht nur jene scholastischen Beweisgänge, sondern auch alle ähnlichen in Nichts zusammen.

Soweit also stützt sich das Programm ausdrücklich auf den von Kant ausgehenden Kritizismus und ist mit diesem gerichtet.

Dann meint das Programm weiter: Man müsse also auf die Tatsachen des Bewusstseins rekurrieren, um den Glauben an Gott zu rechtfertigen, an innere sittliche Bedürfnisse appellieren; das sei gerechtfertigt, weil der Ursprung der Religion eine Bewusstseins-Tatsache sei und wie eine solche analysiert werden müsse; ein solches Vorgehen sei von den größten Repräsentanten der christlichen Lehre immer als legitim angesehen worden.

Ein verfehltes Unternehmen

Hier verwechselt das Programm zwei Dinge, die durchaus nicht gleichwertig sind. Das eine ist: von Bewusstseins-Tatsachen ausgehen und von ihnen auf das Dasein Gottes schließen. Wie die Außenwelt etwas Gegebenes ist, so auch die geistige Innenwelt. Zu dieser Innenwelt der Bewusstseins-Tatsachen gehören auch die Naturtriebe, die allen Menschen innewohnenden Bedürfnisse und Aspirationen, welche sich von der Menschennatur nicht trennen lassen. Es gibt kein Naturverlangen, ohne daß etwas vorhanden ist, was dieses Verlangen zu stillen vermag. Die höchsten und besten Aspirationen des Menschen aber gehen nach unendlicher Wahrheit, unendlichem Glück und können nur Ruhe finden in Gott, dem unendlichen Wesen. Und so weist gerade dieses höchste Sehnen und Verlangen der menschlichen Natur in doppelter Weise auf Gott hin. Er ist die Wirkursache, die allein dies Sehnen in die Menschenbrust pflanzen konnte, das Ziel, in dessen Besitz es seine Ruhe findet. So empor zu steigen zu Gott, haben allerdings die großen christlichen Lehrer stets als vollgültiges Beweisverfahren angesehen.

Ein anderes aber ist es, von den „moralischen Energien“ des Menschen mir nichts dir nichts einen Sprung in die Theologie hinein machen. Gefühle, Strebungen usw. als ein geheimnisvolles Erfassen der göttlichen Realität hinstellen. Das ist ein verfehltes Unternehmen, Mystizismus gefährlichster Art. Nicht die Analyse der Bewusstseins-Tatsachen wird den Modernismus zum Vorwurf gemacht, sondern der großartige Mangel an derselben, der sich Schritt für Schritt bei ihnen zeigt…

Wie steht es mit dem theologischen?

Da läßt das Programm aufmarschieren das ganze zweite Buch der Stromata des Klemens von Alexandrien, Tertullians De testimonio animae, Origenes Contra Celsum (3, 40), endlich die Confessiones des hl. Augustinus.

Nun muss es etwas nachdenklich stimmen, daß dasselbe Programm, das die Tradition so gründlich verachtet, nun auf einmal mit Väterstellen prunkt. Alle die Väter, die es zitiert, Klemens von Alexandrien nicht ausgenommen, vertreten auch ausgesprochener Weise die Anschauung, daß die Menschen mit Leichtigkeit aus den geschaffenen Dingen, die uns umgeben, aufsteigen zu Gott, dem Schöpfer, der sie gerade dazu geschaffen, daß wir aus ihnen den Werkmeister erkennen. Daß auch die Menschenseele als Gottes Geschöpf Zeugnis von Gott ablegt, daß ein reiner, demütiger Sinn Gott gleichsam ohne Mühe findet, daß Gott sich kund gibt in der liebevollen Führung seiner Providenz im einzelnen Menschenleben, wie jene Väter und Kirchen-Schriftsteller sagen, ist doch wahrhaft keine Instanz gegen die Tatsache, daß der Mensch aus der ihn umgebenden Natur Gott kennen lernen und dessen Dasein beweisen kann.

Das Unglaublichste aber leistet das Programm, indem es den Fürsten der von ihnen so gehaßten Scholastik, den hl. Thomas von Aquin, dessen Gottesbeweise es eben noch feierlich abgelehnt hat, nunmehr als Kronzeugen für den Immanentismus anruft. Thomas von Aquin anerkenne den Wert des moralischen Argumentes und gebrauche dasselbe zum Beweis in den delikaten Fragen über die Willensfreiheit und über die persönliche Unsterblichkeit.

Hier ist nur eines vergessen, das Wichtigste. Der hl. Thomas schafft sich aus den seelischen Tatsachen des Verlangens der Menschen nach vollem, nie endendem Glück, des Gewissens mit seinem bald lobenden bald tadelnden Urteil, seinem gebieterischen „Du sollst“ und „Du darfst nicht“ durch strenge Analyse wahre Argumente, die ihre Beweiskraft dokumentieren vor dem Richterstuhl der Vernunft. Der Modernismus will von der Berechtigung solcher durch die theoretische Vernunft gegründeter Beweise nichts wissen. Der „Intellektualismus“ ist ihm in der Seele zuwider. Da er an der Kraft des Menschenverstandes irre geworden, sucht er neue Erkenntniskräfte da, wo sie sich nimmer finden können, im menschlichen Begehren und Streben.

§ 2. Die Beurteilung des Immanentismus der Modernisten

Wir wollen versuchen, die einzelnen Momente, welche in der eben gezeichneten Lehre liegen, gesondert zu beurteilen.

Die Abneigung gegen die Scholastik

Schon das muss bedenklich scheinen, daß man behauptet, nur von den Bewusstseins-Tatsachen aus lasse sich der Weg zu Gott finden. Jahrtausende haben Gott erkannt aus der den Menschen umgebenden Natur, aus dem Werden und Vergehen, aus dem Kommen und Schwinden der Dinge, aus der wundervollen Harmonie in der sichtbaren Schöpfung. Es ist ein starkes Stück, die ganze christliche Überlieferung bis auf Kant des Irrtums zu zeihen. Ist aber eine solche Erkenntnis Gottes aus den geschaffenen Dingen möglich, dann läßt sich dieselbe auch in eine wissenschaftliche Form bringen, und damit stehen wir vor den Gottesbeweisen. Daraus kann man zunächst urteilen, was von den folgenden Worten des Programms zu halten ist:

„Es ist vor allem notwendig, anzuerkennen, daß die Beweise, welche die Scholastik sich eingebildet hatte, um die Existenz Gottes zu beweisen, und die von der Bewegung, von der Natur der endlichen und zufälligen Dinge, von den Graden der Vollkommenheit, von der Teleologie des Universums hergenommen werden, alle Kraft verloren haben.“ (Le programme des modernistes 118f)

Verurteilung der scholastischen Gottesbeweise

O nein, sie haben so wenig ihre Kraft verloren, daß sie in ungeschwächter Stärke fortbestehen, und jeden zu überzeugen vermögen, der noch ein offenes geistiges Auge hat und nicht durch die Kantsche Kritik am gesunden Menschenverstand sich hat irre machen lassen.

Wer von der ihn umgebenden Natur nicht mehr aufzusteigen vermag zu Gott und deshalb alle Gottesbeweise der Scholastik verurteilt, der ist auch nicht mehr fähig, aus den Tatsachen des Seelenlebens eine sichere Gotteserkenntnis zu gewinnen und aus ihnen einen vor dem Forum der Vernunft standhaltenden Beweis für Gottes Dasein und seine Eigenschaften zu erbringen. Es ist gar nicht so leicht, Gefühle, Bedürfnisse, Erfahrungen und Lebensförderungen richtig zu deuten und richtig zu schätzen. Das aber ist die erste Vorbedingung eines richtigen Schließens auf diesem Gebiet. Soll sie doch erst die Vordersätze für das Schlussverfahren selber liefern. Nüchterne Männer haben nie sehr viel auf diese subjektiven Kriterien allein gegeben, am allerwenigsten sie als die einzigen Wege zu Gott hingestellt.

Leugnet man einmal die Möglichkeit, Gott mit Sicherheit aus der sichtbaren Schöpfung und aus den Tatsachen der Geschichte zu erkennen und sein Dasein wissenschaftlich zu erweisen, so ist der Weg versperrt zur christlichen Offenbarung. Denn diese spielt sich nicht im Herzen jedes einzelnen ab. Sie ist von Gott ein für allemal durch die Patriarchen, Propheten, durch das menschgewordene Wort und dessen Apostel ergangen. Und die einzige Möglichkeit, von der Tatsache dieser Offenbarung uns zu überzeugen, sind nicht Bewusstseins-Vorgänge in unserem Innern, sondern Geschehnisse der Geschichte.

Leugnung des Verstandes zur Erkenntnis religiöser Wahrheit

Bedenklicher noch muss es erscheinen, daß der Immanentismus der Modernisten auf den Boden des Agnostizismus sich stellt und ausgesprochener Maßen die Möglichkeit in Abrede stellt, mit dem Verstand zur sicheren Erkenntnis religiöser Wahrheit vorzudringen. Denn damit untergräbt er auch jeden Gottesbeweis, der aus den Bewusstseins-Tatsachen sich herleiten ließe. Es genügt nicht, ein Objekt zu haben, aus dem sich Gott erkennen läßt, es braucht auch eine Erkenntnis-Fähigkeit , den Verstand…

Aber auch von einer Rechtfertigung des Glaubens kann beim Agnostiker keine Rede mehr sein. Rechtfertigung des Glaubens wäre bloß dann vorhanden, wenn die Modernisten nachweisen könnten, Gott existiere wirklich so, wie sie ihn durch ihren Gefühlsglauben annehmen. Da nun der Verstand, der einzig und allein einen solchen Nachweis zu erbringen imstande wäre, nach den Modernisten Gott nicht zu erkennen vermag, so ist für sie jede Rechtfertigung des Gottesglaubens vor dem Richterstuhl der Vernunft ausgeschlossen.

Statt Verstand die Gefühlserfahrung

Diese Bedenken steigern sich, wenn wir die Rolle betrachten, welche der modernistische Immanentismus dem Verstand bei der Entstehung religiöser Erkenntnisse zuteilt. Quellbrunn aller Religion ist die Erfahrung des Göttlichen, und in der Erfahrung des Göttlichen steht an erster Stelle das Gefühl.

Schon in seinem Autour d`un petit livre hatte Loisy behauptet, die Wahrnehmung religiöser Wahrheiten vollziehe sich „unter dem Druck des Herzens, des religiösen und sittlichen Gefühls“….

Also an erster Stelle kommt die Gefühlserfahrung, an zweiter die Verstandesarbeit, oder vielmehr nach Tyrrell Phantasiearbeit und Verstandesarbeit… Der Verstand forscht nicht etwa nach den eigentlichen Ursachen, nach Urheber und Ziel jener Bedürfnisse und Gefühle – das wäre ja intellektualistische Verstandesarbeit und Metaphysik -, sondern er sucht das religiöse Gefühl und dessen Gehalt in sinnlichen Bildern und geistigen Urteilen, in Wahrheiten auszudrücken… Die religiösen Wahrheiten sind bloße Zeichen, Bilder, Symbole für das Gefühl und eine hinter demselben verborgene, von ihm und in ihm erfaßte unerklärbare Realität.

Der Irrtum des Symbolismus

Damit stehen wir vor einer andern, sehr gefährlichen Seite des Immanentismus, vor dem Symbolismus. Der von der Enzyklika Pascendi unter dem Namen „Symbolismus“ verworfene Irrtum besagt, daß die Glaubens-Vorstellungen bloß symbolisch sind. Das gilt nach den Hauptgrößen des Modernismus. Loisy, Tyrrell und Le Roy, sowohl von den religiösen Lehrender natürlichen Theologie als auch namentlich von den religiösen Lehren der Lehrformeln, den einfachen Glaubens-Wahrheiten und den Dogmen. Weder Loisy noch Tyrrell wollen übrigens eine Scheidung von Natur und Übernatur, von Offenbarung und natürlicher Erkenntnis annehmen. Nach dem, was wir von ihrem Agnostizismus und ihrer Gefühlsreligion gehört haben, kann uns dies nicht wundern. Wollen die Modernisten folgerichtig denken, so durften sie in keiner Weise behaupten, Gott offenbare sich im Gefühl. Sie haben sich durch ihren Agnostizismus jede Möglichkeit abgeschnitten, zu irgend einem Wissen über das Dasein Gottes, seine Eigenschaften, sein Wirken zu gelangen. Auch die Vorstellung von Gottes Realität ist demnach beim Modernisten eine rein symbolische.

Das Rundschreiben Pascendi nennt dies „theologischen Symbolismus“. Die Folgerungen, welche sich aus diesem Symbolismus für die ganze Auffassung der katholischen Glaubens-Lehren ergeben, haben wir oben von Le Roy, Tyrrell und Loisy vernommen. Die Dogmen, weil bloß unzulängliche Symbole, in denen der Verstand das religiöse Erlebnis und dessen Objekt stammelnd auszudrücken versucht, haben in sich keinen intellektuellen Wert, keine bleibende Wahrheit. Sie haben bloß Bedeutung durch das Gefühl und für das Gefühl. Und eben wegen dieser ihrer Unzulänglichkeit sind sie notwendigerweise steten Veränderungen unterworfen. Feste, unveränderliche religiöse Wahrheit gibt es nicht.

Die Geringschätzung der Glaubenslehren

Besonders Loisy`s Ausführungen in Autour d`un petit livre (187-192) hört man widerklingen, wenn man in der Enzyklika Pascendi liest, welche Ermahnungen für die Gläubigen die Modernisten an den Symbolismus knüpfen: „Da die Symbole in Bezug auf ihren Gegenstand eben Symbole, in Bezug auf den Gläubigen Hilfsmittel sind, so muss der Gläubige in erster Linie sich hüten, über Gebühr an der Formel als solcher zu hängen. Er soll sie vielmehr bloß gebrauchen, um der absoluten Wahrheit anzuhangen, welche die Formel zugleich aufdeckt und verdeckt und auszudrücken sucht, ohne sie je zu erreichen… Der Gläubige soll solche Formeln gebrauchen, soweit sie ihm helfen; denn zur Bequemlichkeit (commodum) sind sie gegeben, nicht zur Last.“ Die Geringschätzung der Glaubens-Lehren ist hier klar und deutlich ausgedrückt.

Sollten nicht auch in jeder anderen Religion solche Erfahrungen vorkommen?

Auf eine andere höchst bedenkliche Folgerung hatte die Enzyklika schon früher aufmerksam gemacht. Es wird gut sein, sogleich zu bemerken, daß aus dieser Lehre über die Erfahrung, verbunden mit der andern vom Symbolismus, jede Religion, auch die heidnische, für wahr gehalten werden müßte. Sollten denn nicht auch in jeder beliebigen Religion solche Erfahrungen vorkommen? Mehr als einer behauptet, sie seien vorgekommen. Mit welchem Recht wollten die Modernisten die Wahrheit einer Erfahrung ableugnen, die ein Türke behauptet? Werden sie wahre Erfahrungen bloß für die Katholiken in Anspruch nehmen? Das tun denn auch die Modernisten nicht; vielmehr sagen es die einen etwas verhüllt, die andern dagegen ganz offen heraus: alle Religionen seine wahr. Daß sie nicht anders denken können, ist klar.

Denn aus welchem Grunde ließe sich nach ihren Lehren von irgend einer Religion sagen, sie sei falsch? Sicherlich müsste entweder das religiöse Gefühl trügen, oder die vom Verstande aufgestellte Formel Falsches besagen. Nun aber ist das religiöse Gefühl immer ein und dasselbe, wenngleich vielleicht zuweilen etwas unvollkommener; damit aber die Verstandesformel wahr sei, genügt es, daß sie dem religiösen Gefühl entspricht und dem gläubigen Menschen zusagt, mag es sich mit dessen Talent verhalten, wie es will. Das eine höchstens könnten die Modernisten vielleicht im Kampf der verschiedenen Religionen geltend machen, die katholische Religion habe mehr Wahrheit, weil sie lebendiger sei; ferner verdiene sie mehr den christlichen Namen, weil sie den Anfängen des Christentums mehr entspreche.“

Eine Wort Tyrrells kann zur Erläuterung dienen: „Und doch ist zwischen diesen (pseudomystischen Erfahrungen rudimentärer Religion) und den Erfahrungen christlicher Heiliger und Ekstatiker wenigstens eine generische Einheit; nur das intellektuelle und ethische Niveau ist unterschieden.“ (Through Scylla and Charybdis 275)

Der Symbolismus führt zur Vernichtung aller Religion

Später kommt das Rundschreiben nochmals auf den Symbolismus zurück und bemerkt: Auch von diesem sollten sich die Modernisten nichts Besseres versprechen als vom Agnostizismus. Gleich diesem führe er zum Atheismus und zur Vernichtung aller Religion. „Denn sind alle Verstandes-Elemente, wie sie sagen, nur Symbole für Gott, ist dann am Ende nicht auch der Name ‚Gottes‘ selber oder ‚göttliche Persönlichkeit‘ ein bloßes Symbol? Wenn ja, dann kann man an der Persönlichkeit Gottes zweifeln, und der Weg zum Pantheismus steht offen.“

Hinter dem Immanentismus lauert der Pantheismus

Die Gefahr, daß hinter dem Immanentismus der Modernismus der Pantheismus lauern könnte, ist keine bloße Einbildung und leere Furcht.

Loisy scheint noch in seiner Art an einen persönlichen Gott glauben zu wollen. Aber an wie vielen Stellen seiner Werke spricht er in einer Art und Weise, welche die schwersten Zweifel wach rufen muss!… Da, wo er in seinen Évangiles synoptiques (I 252f) sein geradezu gotteslästerliches abschließende Urteil über das Leben des Heilandes gibt, nennt er Gott „das lebende Gesetz des Alls“; und an der gleichen Stelle sagt er: „Unser ephemeres Dasein flutet auf einem Ozean von Leben, in den es zurück sinkt, um von demselben Augenblick an auf ewig zu dauern, in dem es scheinbar aufhört zu sein.“

Geradeso und nicht anders sprechen die Monisten unserer Tage.

Es wäre schwer zu begreifen, warum die Modernisten einen solchen Nachdruck auf ihre Lehre von der göttlichen Immanenz legen, wenn sie nichts anderes sagen wollten, als was auch die Lehre des Apostels besagt, daß Gott auch in der Menschenseele zugegen ist: In ipso vivimus, movemur et sumus.

Wäre es notwendig, Tatsachen der Heiligen Schrift zu leugnen, der Überweltlichkeit Gottes und seinem persönlichen Unterschied von der Welt so nahe zu treten, wie es in diesen Aussprüchen geschieht, wenn man mit der Kirche Christi wirklich noch einen persönlichen, überweltlichen Gott annimmt? Aber alle solche Aussprüche gewinnen auf einmal Sinn und Gehalt und reden mit erschrecklicher Deutlichkeit, wenn man statt „göttlicher Immanenz“ den Ausdruck „pantheistische Immanenz“ einsetzt. Wenn Gott der Welt und den Menschen so immanent ist, daß Welt und Menschen nur Entfaltungen, Teile, Erscheinungen und Affektionen der einzigen Allsubstanz sind, dann freilich sind des Menschen Gedanken auch Gottes Gedanken, dann denkt Gott im Menschen, fühlt und will in ihm. Dann begreift man, wie bei den Modernisten so viel vom Göttlichen im Menschen die Rede ist, wie man Natur und Übernatur zusammen würfeln, Gebilde der menschlichen Phantasie Gottes Offenbarung nennen kann und dem Kollektivbewusstsein der Menschen göttliche Autorität zumißt.

„Wir fragen“, so beschließt das Rundschreiben Pascendi seine Beurteilung des Immanentismus, „ob eine solche Immanenz Gott vom Menschen unterscheide oder nicht. Wenn ja, in was unterscheidet sich dann der Immanentismus von der katholischen Lehre, oder warum verwirft er die Lehre von der äußeren Offenbarung? Wenn nein, so haben wir den Pantheismus. Nun aber will die Immanenz der Modernisten und gibt zu, daß das Bewusstseins-Phänomen vom Menschen als Menschen ausgeht. Die berechtigte Schlussfolgerung lautet: Gott ist eins und dasselbe mit dem Menschen; also: Pantheismus.“ –
aus: Julius Beßmer SJ, Philosophie und Theologie des Modernismus, 1912, S. 67 – S. 87

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