Rückkehr zu Christus der Wahrheit

Weiß: Rückkehr zu Christus der Wahrheit

1902

Teil 1: Rückkehr zu welchem Christus der Wahrheit?

… Hier haben wir die große Wunde unserer Zivilisation, das Kainsmal unserer Zeit, hier aber auch den Schlüssel zum Verständnis des sog. modernen Geistes und den Kompass, mit dem wir den Weg durch die zahllosen Klippen und Riffe dieses brandenden Meeres finden müssen.

Es gibt im Gunde nur eine Frage der Gegenwart, und das ist die alte, ewig gleiche Frage: „Was dünkt euch von Christus?“ (Hebr. 13,8) Hier finden sich die zusammen, die noch ernstlich an das Übernatürliche glauben, hier biegen die vom rechten Weg ab, die zuletzt bei der völligen Leugnung aller Wahrheit anlangen, hier holen sich aber auch die eine schwere Verantwortung, die vor der himmelschreienden Sünde dieser Zeit den Mund schließen, um es mit der Welt und der Zeit nicht zu verderben.

Für unser modernes Denken, sagt Joseph Jacobs, „übt die Erinnerung an Tod und Jenseits keinen Einfluß mehr aus. Durch das Verblassen der früheren, grobsinnlichen Vorstellungen hat sich jedes persönliche Interesse dafür verloren. Nur noch ganz rohe Egoisten malen sich Genüsse da drüben aus, die Besten und die Edelsten suchen für die Gesamtheit hier zu wirken.“ In diesem Sinne predigt (…) Prellwitz als Aufgabe der Gegenwart die Herstellung einer „Religion der Diesseitigkeit“, ein Wort, das Feuerbach schon im Jahre 1848 ausgesprochen hat, ein Wort, für das ihm damals schon die Sozialdemokraten öffentlichen Dank ausdrückten, mit dem festen Versprechen, es nie mehr zu vergessen.

Da aber der Mensch nicht völlig gottlos leben kann, so macht er sich eben für den Gott der „Jenseitigkeit“ selber einen Gott der „Diesseitigkeit“. Der Humanitätskult, die Vergötterung der Menschheit und zuletzt des Menschen, der neuheidnische Götzenkult von allen Größen der Geschichte, in denen eine Gesellschaft ihre eigenen Schwächen verkörpert sieht, das alles ist dann eine naturnotwendige Folge. Dann wird eben Voltaire der große geistige Befreier, und Bismarck der Nationalheros, das Urbild des Übermenschen. Dann wird Shakespeare zum „zweiten Messias“, höher, idealer, als der erste, und seine Bücher die wahre, die heilige Kirche. Dann wird Goethe der „Heiland, der uns das Heidentum beschert“, „ein Teil der Weltseele, ein Hauch Gottes, vor dem wir anbeten“, in „dessen Zeichen wir siegen“. Dann haben wir nur noch Aussicht, unserer Aufgabe zu genügen durch „die Nachfolge unseres Herrn und Meisters Goethe“. Dann wird Hamerling ein „Ausfluss der Gottheit“, dessen „unendliche Fülle übermenschlicher Erhabenheit“ uns fast erdrückt; dann wird Richard Wagner der Halbgott, der „sonnengleich in der Götter urältestem Rate thront und die geheimste Saat der Dinge behorcht, umgeben von den Sternen am Weltenbaum“.

Dann aber stehen wir mit beiden Füßen bis zum Hals und vielleicht bis über den Kopf in dem unheimlichen, gespenstischen Sumpf der sog. „modernen Weltanschauung“, in dem einer, alles Haltes und zuletzt aller Besinnung beraubt, mit jedem Schritt weiter in die bodenlose Tiefe gezogen wird. Der feste Boden des Glaubens ist dort unter den Füßen gewichen. Keines des Dogmen gilt, auch wenn auf ihm all unser Leben und Heil beruht. Die „Vorstellung“ von einer ewigen Vergeltung und Strafe, sagt uns diese Dogmatik des „wahrhaft geläuterten Zeitbewusstseins“, sei nichts als eine „über alles Maß entsetzliche Ausgeburt menschlicher Phantasie“… Wir sind fertig mit den letzten Resten des Christentums. Dafür erlebt der „Buddhistische Katechismus“ eine Auflage um die andere, und die „Nachfolge Buddhas“ von E.M. Bowden scheint es ihm nachtun zu wollen. Die Schriften von Marie Corelli u.a., die die Verehrung der Kainiten und der Ophiten für Kain, für Judas, für Barrabas, für – den Satan wieder auffrischen, gehen zu Hunderttausenden ab, und die theosophischen und die okkultistischen Gesellschaften sorgen dafür, daß auch der praktische Kultus nicht fehlt.

Ach, die armen Leute sind nicht bloß romsatt, sie sind satt an allem, satt an Gott und satt am Jenseits, satt am Glauben und satt am Übernatürlichen, satt an der ganzen Sittenlehre des Evangeliums, an der Demut und an der Keuschheit insbesondere, satt an den zehn Geboten und am Gewissen, satt an der Torheit des Kreuzes und an der Schmach Jesu Christi, satt am Christentum und an Christus, kurz, um es nochmals zu sagen, satt an allem, was irgend an Religion erinnert…

So schroff, wie es durch die Einführung des Namens Säkularismus geschah, ist der unbeschränkte Gegensatz zwischen Christentum und der Welt noch nie ausgesprochen worden, nicht von Christus, nicht von Paulus, nicht von Jakobus. Hoffentlich wird niemand den Herrn der Ungerechtigkeit bezichtigen, und darum dürfen auch wir von der Welt reden wie er, ohne uns dem Vorwurf auszusetzen, wir erklärten jede Zeit und jede Kultur, die nicht mit uns hält, ohne weiteres für das Reich des Bösen. Im allgemeinen gesprochen, hat die Welt, in der wir leben, die moderne Zeit, die moderne Kultur, noch immer viel vom Christentum an sich, und darin liegt ihre Stärke und ihre Verführungskraft, aber auch viel von der „Welt“, die Christus so hart verurteilt, d. h. von den Grundsätzen des Antichristentums, und darum – aber auch nur insofern – stehen wir ihr gegenüber mit Vorsicht unsertwegen, nicht mit Verdammungs-Urteil über sie…

Sicher, keine Zeit ist ganz von Gott verlassen; auch unserer Zeit, selbst jener Richtung, die sich Säkularismus nennt, wird die Gnade Gottes angeboten. Christus erleuchtet jeden Menschen, der in diese Welt kommt (Joh. 1,9) soweit es auf Christus ankommt. Aber mit welchem Erfolg, soweit es auf die Welt ankommt, das sagt uns das Wort: „Das Licht leuchtet in die Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfaßt.“ (Joh. 1,5) Wir verurteilen deshalb keinen einzelnen und keine Zeit. Es ist uns schrecklich genug, zu wissen, daß der Herr ausdrücklich sagt: „Ich bete nicht für die Welt.“ (Joh. 17,9) Und es ist Warnung genug für uns selber, daß der Apostel schreibt: „Wisset ihr nicht, daß die Freundschaft dieser Welt Feindschaft gegen Gott ist?“ (Jak. 4,4) Hier, das sieht jedermann, der noch sehen will, hier ist jede Möglichkeit zu einer Verständigung zwischen den beiden Richtungen, zwischen Christentum und Unglauben, ausgeschlossen. –
Albert Maria Weiß, Lebens- und Gewissensfragen der Gegenwart Bd. II, 1911, S. 374 – S. 382

Teil 2: Rückkehr zu welchem Christus der Wahrheit?

Teil 3: Rückkehr zu Christus der ewigen Wahrheit

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