Liberalismus im Gegensatz zu Liebe zum Papst
Die ganze Geschichte des Liberalismus zeigt, daß er wirklich Semi-Protestantismus ist, d.h. der Versuch, die Autorität nicht zwar zu leugnen, wohl aber möglichst abzuschwächen, die Autorität in jeder Form und auf allen Gebieten, die Autorität des Glaubens, des Dogmas, der Heiligen Schrift, der Tradition, der Kirche, der Theologie. Die Autorität aber ist verkörpert und hat ihren Halt in der Kirche, und die Autorität der Kirche hat ihren Ausgangs- und ihren Gipfelpunkt im Primat.
Somit stehen sich Liberalismus und Liebe, Verehrung und Gehorsam gegen den Papst, als die beiden Endpole gegenüber. Es kann sich niemand dem Liberalismus ergeben, ohne daß seine Liebe zum Papst Einbuße erleide. Und niemand bricht etwas an der Verehrung zum Papst ab, ohne daß er bereits den ersten Schritt auf der Bahn zum Liberalismus gemacht hätte.
Den Beweis für die Wahrheit dieses Satzes hat der Liberalismus durch seine gründliche Abneigung gegen jenen Papst geliefert, der ihm zuerst mit seiner ganzen Autorität entgegen getreten ist. Wir meinen Pius IX. Der Papst aber, dem der Herr der Kirche die Lebensaufgabe zugewiesen hat, den Liberalismus in seinen schroffsten Auswüchsen, im Modernismus, zu bekämpfen, Pius X., hat sich dadurch dessen Haß in einer Weise zugezogen, daß man wohl sagen kann, er sei für manche der unpopulärste Papst seit Paul IV. geworden.
Gerade dieses Verhältnis zwischen Pius X. und dem Liberalismus gibt den Worten des genannten Papstes ein ganz besonderes Gewicht. Er wird wohl durch die Gnade des Heiligen Geistes am besten fühlen, was wir dem Liberalismus als Hilfsmittel entgegen setzen müssen. –
aus: Albert Maria Weiß O.P., Liberalismus und Christentum, 1914, S. 278 – S. 279