Kirchenlexikon: Leichenverbrennung
Einführung der Leichenverbrennung in neuester Zeit
Die ersten systematischen Versuche, statt der christlichen Leichenbeerdigung die Leichenverbrennung wieder einzuführen, wurden in Frankreich gemacht, und zwar zur Zeit der Revolution im vorigen Jahrhundert, zuerst im J. V (1797) und dann im J. VII (1799) der Republik. Diese Versuche hatten aber keinen Erfolg. Danach ruhte das Projekt der Leichenverbrennung bis etwa in die Mitte des laufenden Jahrhunderts. Um diese Zeit wurde es freilich auch in mehreren Ländern und zu wiederholten Malen in Anregung gebracht, nämlich in Frankreich wiederum zur Zeit der Revolution im J. 1848 … Allein auch dieses Mal endigte die ganze Bewegung für das Projekt der Leichenverbrennung sozusagen resultatlos… Erst bei dem dritten Anlauf für das Leichenverbrennungs-Projekt gelangte man einigermaßen zu einem greifbaren Resultat. Diese neue Bewegung kam von Italien her und begann am selben Tag, ja zur selben Stunde, in welcher die Eröffnung des vatikanischen Konzils stattfand. Am 8. Dezember 1869 wurde nämlich zu Neapel ein internationaler Kongreß der Freimaurerei, welcher als beabsichtigte Gegendemonstration gegen das vatikanische Konzil von einigen hervorragenden „Brüdern“ einberufen worden war, feierlich eröffnet. Auf demselben übernahmen die Freidenker die formell ausgesprochene und jubelnd begrüßte „Verpflichtung, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln, revolutionäre Gewalt nicht ausgeschlossen, an der schleunigen und radikalen Beseitigung des Katholizismus zu arbeiten.“ Als ein solches Mittel, und zwar als ein vorzügliches, erschien ihnen die Verweltlichung der Friedhöfe und die Verwandlung derselben in Verbrennungs-Anstalten für die Toten; die Leichenverbrennung sollte den christlichen Glauben an ein jenseitiges Leben in seinen letzten Kundgebungen vernichten. Damit war denn für die Freimaurerei der ganzen Welt das Losungswort ausgegeben. Überall ging man auch sofort an die Arbeit, namentlich in Italien unter der energischen Leitung des Dr. Gaetano Pini, dessen Leiche 1887 zu Mailand verbrannte wurde; „Italien solle“, so hieß es in einer Adresse an den Unterrichts-Minister vom 16. Dezember 1872, „allen übrigen zivilisierten Völkern mit seinem Beispiel voran leuchten“…
Ganz besonders rührig war die Agitation der Freimaurer für das Projekt der Leichenverbrennung seit dem Tage, an welchem öffentlich bekannt wurde, daß die Kongregation der heiligen römischen und allgemeinen Inquisition unterm 19. Mai 1886 den Christgläubigen verboten habe, einem Leichenverbrennungs-Verein als Mitglied beizutreten und die eigene Leiche oder die eines Anderen verbrennen zu lassen. Sofort lud die königliche Loge zu Mailand „den Großorient Italiens ein, alle Logen anzuregen, daß sie (von nun an) … die Leichenverbrennung als Gesetz der Freimaurerei betrachten“. Allein der großartig, ja fanatisch betriebenen Agitation entsprach der Erfolg nicht, er war sogar ein kläglicher…
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 7, 1891, S. 1683-1686