Die Geburt von Johannes dem Täufer

Die wundersame Geburt von Johannes dem Täufer

Es kam die Zeit, da Elisabeth gebären sollte, und sie gebar einen Sohn. Ihre Nachbarn und Verwandten hörten, daß der Herr ihr große Barmherzigkeit erwiesen, und sie freuten sich mit ihr. Da aber am achten Tage das Knäblein beschnitten werden sollte, meinten sie, man solle ihm den Namen seines Vater geben. (1) Allein Elisabeth sprach: „Nein, Johannes soll es heißen!“ (2) Sie sagten: „Es heißt doch niemand in deiner Verwandtschaft so!“ und sie winkten dem Vater, wie er das Kind wolle nennen lassen. Dieser forderte ein Schreibtäfelein und schrieb darauf: „Johannes ist sein Name.“ Da wunderten sich alle. Und sogleich ward seine Zunge gelöst, und er redete und lobte Gott.
Alle aber, die in der Umgegend wohnten, überkam (eine heilige) Furcht, und im ganzen Gebirge verbreitete sich der Ruf von allen diesen Begebenheiten, und man sprach: „Was wird wohl aus diesem Kinde werden? Denn die Hand des Herrn ist mit ihm.“
Zacharias aber ward vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach (den herrlichen Lobgesang, das Benediktus“) (3):

„Gepriesen sei (4) der Herr, der Gott Israels; denn er hat sein Volk heimgesucht und ihm Erlösung verschafft. Er hat uns aufgerichtet (bereitet) ein kräftiges Heil (5) im Hause Davids, seines Knechtes, wie er es verheißen hat durch den Mund seiner heiligen Propheten von alters her, (er hat uns bereitet) Erlösung von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen; (er tat es) um Barmherzigkeit zu üben an unsern Vätern und eingedenk zu sein seines heiligen Bundes, des Eides, den er unserem Vater Abraham geschworen hat (6): uns zu verleihen, daß wir, aus der Hand unserer Feinde erlöst, furchtlos ihm dienen in Gerechtigkeit und Heiligkeit alle Tage unseres Lebens. (7)
Und du, Kind! Wirst ein Prophet des Allerhöchsten (8) genannt werden. Denn du wirst hergehen vor dem Angesicht des Herrn, um seine Wege zu bereiten und seinem Volke Kenntnis des Heiles zu bringen (9) zur Nachlassung seiner Sünden (und dies kommt zustande) durch die innigste Barmherzigkeit unseres Gottes, in der uns heimgesucht hat der Aufgang aus der Höhe (10), um jene zu erleuchten, die in Finsternis und im Schatten des Todes sitzen (11), und unsere Füße zu leiten auf den Weg des Friedens.“

Der Knabe aber wuchs und ward stark am Geiste und war (12) in der Wüste (13) bis auf den Tag, da er auftreten sollte vor Israel.

(1) Wie Gott bei der Einsetzung der Beschneidung den Namen Abram in Abraham veränderte, so ward mit der Beschneidung als dem bedeutungsvollen Zeichen der Aufnahme in den Bund Abrahams, in das auserwählte Volk Gottes, dem Kinde zugleich ein Name gegeben. In der Feierlichkeit wurden Verwandte und Nachbarn eingeladen aus Rücksichten der Höflichkeit und als Zeugen, deren es zehn sein sollten, und von denen einer, gewissermaßen der Pate, zu den Gebeten die Antwort erteilte. Die Beschneidung nahm gewöhnlich das Haupt der Familie vor; doch konnte jeder Israelit, selbst Frauen, die Zeremonie vollziehen; bei den jetzigen Juden wird gewöhnlich ein eigens für dies Geschäft geübter Mann (der Mohel, d.i. der Beschneider) genommen. Der Ort war das elterliche Haus oder die Synagoge. Vor der Beschneidung sprach jener, der die Zeremonie vornahm: „Gelobt sei Gott, der uns durch seine Gebote heiligt und uns die Beschneidung befohlen hat.“ Nach der Beschneidung sprach der Vater: „Gepriesen seist du, o Gott, unser Herr, König der Welt, der du uns durch deine Gebote geheiligt und uns befohlen hast, daß wir in den Bund unseres Vaters Abraham eintreten. (S, Buxtorf, Synac. Iud. c. 2.) – Da Zacharias, wie es scheint, vor dem Beschneidungsakt seine Sprache wieder erlangte, dürfte er wohl die Beschneidung selbst vollzogen haben. Siehe Innitzer, Johannes der Täufer 104f.
(2) Entweder hatte Zacharias ihr den Namen schriftlich mitgeteilt, oder Gott hatte ihr denselben geoffenbart.
(3) Zacharias preist darin 1. den ganzen Erlösungsplan Gottes, der jetzt zur Ausführung komme, so wie Gott es von jeher durch seine Propheten verheißen. – Dieser Dank- und Lobpreis des Zacharias erinnert an die 15. Beracha (Segensspruch) des von jedem Israeliten täglich dreimal zu verrichtenden Gebetes Schmone Esre (d.h. 18 Segenssprüche oder kleine Gebete). In diesem Gebet fleht Israel im Anschluß an die messianischen Weissagungen um die Ankunft des Messias. Wenn auch das Gebet, wie Schürer (Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu II 462) meint, seine jetzige Gestalt erst um das Jahr 70 – 100 n. Chr. Erhalten hat, so ist doch, wie derselbe Gelehrte zugesteht, die Grundlage des Gebetes noch erheblich älter. Es liegt darum der Gedanke nicht fern, daß Zacharias an die 15. Beracha anknüpft; nu verwandelte er den um das Kommen des Messias flehenden Segensspruch in ein Dankgebet für den bereits im Erscheinen begriffenen Messias. Die 15. Beracha heißt nämlich: „Den Sproß Davids, deines Knechtes, lasse bald aufsprossen und sein Horn erhebe durch deine Hilfe. Denn auf deine Hilfe harren wir alle Tage. Gelobt seist du, Herr, der du aufsprossen lässest ein Horn des Heiles.“ – Zacharias hebt besonders drei große Güter dieses göttlichen Liebesplanes mit Israel hervor: Befreiung von den Feinden, Aufrichtung seines Bundes, Leben in Heiligkeit und Gerechtigkeit. Sodann wendet er sich 2. an seinen Sohn, um dessen Aufgabe in dem göttlichen Erlösungs-Plane hervor zu heben, daß er nämlich der Erfüllung die Wege zu bereiten habe in den Herzen der Menschen durch Ankündigung desselben und durch Aufforderung zur Buße. – Wegen dieser Erinnerung an den göttlichen Erlösungs-Plan betet die Kirche das Benediktus täglich in der zweit-feierlichsten ihrer Tagzeiten, in den Laudes, ähnlich wie das Magnifikat in der Vesper.
(4) Im Lateinischen: Benedictus; daher der Name des Liedes.
(5) Im Urtext: „Horn des Heiles“, d.i. ein großes Heil, einen siegreichen Helden und Helfer. Denn das Horn ist Bild der das Feindliche abwehrenden Stärke und der unantastbaren Kraft.
(6) In der Sendung des Messias, in der Gründung seines Reiches, in den segensvollen Wirkungen der Erlösung, die sich über die Erde ausbreiten und die in die Vorhölle hinab („an unseren Vätern“) und in den Himmel hinauf reichen werden, entfaltet sich der heilige Bund, den Gott mit Abraham geschlossen, und erfüllt sich der „Eid“, der er ihm „geschworen“, d.h. die große messianische Verheißung, die er ihm gegeben hat.
(7) Furchtlos, weil aus den Händen der gottfeindlichen Mächte befreit und religiös-sittlich erneuert, sollte das wahre Volk Gottes in tief innerer Religiosität und übernatürlicher Gerechtigkeit Gott den religiösen und sittlichen Dienst leisten, der ihm gebührt, und zwar immerdar. – Israel, das alttestamentliche Gottesreich, war klein und stand inmitten der großen Heidenwelt gewissermaßen machtlos den Gräueln des Götzendienstes gegenüber und vermochte unter dem Druck des Heidentums nur „mit Furcht“ dem einen, wahren Gott zu dienen und seine von Gott ihm gegebenen messianischen Hoffnungen und Erwartungen zu bekennen. Das durch den Messias zu gründende neutestamentliche Gottesreich hingegen wird ein von Israel aus über die Erde sich ausbreitendes mächtiges Reich sein, das durch die Kraft und Gnade des Messias die Macht der Sünde und des Satans und mit ihr die Macht des Heidentums brechen wird, so daß man frei und furchtlos dem einen, wahren Gott und dem von ihm gesendeten Messias dienen kann und dienen wird. Das messianische Reich oder die Kirche wird eine geistige Weltmacht sein.
(8) Johannes ist der letzte und der größte der Propheten, insofern er nicht auf den kommenden, sondern auf den bereits erschienenen Messias hingewiesen hat.
(9) Durch seine Bußpredigt, durch seine Bußtaufe, durch die Zeugnisse, die er vom Messias als dem „Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinweg nimmt“, ablegt. (Joh. 1,19ff; 29ff)
(10) D.i. das vom Himmel aus dem erbarmungsreichen Herzen Gottes hervor strahlende und zur Erde gekommene Licht. Der Ausdruck ist eine an die alttestamentliche Weissagungen sich anschließende bildliche Bezeichnung des Messias als des vom Himmel her der Menschheit aufgegangenen größten geistigen Lichtes. (Is. 9,2; 49,6; 60,1-3)
(11) Bild für das fest Gebanntsein in den Zustand tiefer geistiger Umnachtung und religiös-sittlicher Untätigkeit, Ohnmacht und Verkommenheit. Das „Licht aus Himmelshöhen“ (d.i. der Messias) soll der tieg gesunkenen Menschheit aufleuchten und ihr den Weg beleuchten, der zum Frieden führt.
(12) Ergänze hier sinngemäß: „dann“; der hl. Augustinus (sermo 291 in Nativ. Io. n.3) ist der Meinung, daß Johannes als siebenjähriger Knabe in die Wüste – dabei hat man nach Mt. 3,1 zu denken an die Wüste Juda – gegangen sei. Gewöhnlich blieb der israelitische Knabe bis zum fünften Jahr in den Frauen-Gemächern unter der Obhut der Mutter; dann kam er unter die Leitung des Vaters, der ihn die heiligen Schriften verstehen lehrte. Vgl. Innitzer, Johannes der Täufer 119f.
(13) Der Heilige Geist selbst führte ihn in die Einsamkeit, „wo die Luft reiner, der Himmel offener, Gott näher ist.“ (Orig. Hom. 2 in Luc.) Dort, in der Einsamkeit, doch in der Nähe der väterlichen Wohnung, wuchs das schon im Mutterschoß geheiligte und vom Heiligen Geist wunderbar erleuchtete und begnadigte Kind empor und führte in harter Abtötung und stetem Umgang mit Gott durch Gebet und Betrachtung ein engelgleiches Leben. So bereitete er sich zu seinem erhabenen Amt vor. Mit Recht erblicken in ihm die alten Einsiedler und Anachoreten der Wüste ihr leuchtendes Vorbild. Mit Recht auch weist man auf ihn hin zum Beweis, daß die Übungen des einsamen Lebens es sind, durch die apostolische Männer gebildet werden. –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 100-103

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