Der erste im Bunde der Versuchung ist die Welt

Im Hintergrund steht ein abgestorbener Baum, der Tod als Skelett mit der Sense sitzt in diesem Baum; davor steht ein Geistlicher, der die vor ihm knienden Christen belehrt über die Versuchung der Welt und des Teufels

Führe uns nicht in Versuchung

Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist

Der erste im Bunde ist die Welt… Daher glaubt denn auch der heilige Liebesjünger Johannes, nicht genug vor der Welt warnen zu können. „Ich schreibe euch, Kinder,… ich schreibe euch, Väter,… ich schreibe euch, Jünglinge, habet nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. Denn alles, was in der Welt ist, ist Begierlichkeit des Fleisches, Begierlichkeit der Augen und Hoffart des Lebens. Und die Welt vergeht mit ihrer Lust.“ Und wie so manchen hat die Welt schon zu Grunde gerichtet, der diese Mahnung des heiligen Evangelisten in den Wind geschlagen und bei ihr sein Glück zu machen wähnte! … Daher tun wir schon gut daran, recht anhaltend zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung!“ – damit wir so wenig als möglich mit der Welt zusammentreffen und, wenn es doch geschieht, nie anders, als mit jener wunderkräftigen Gerte bewaffnet, womit die beiden Kreuzritter Guelf und Ubaldo sich gegen die Versuchung schützten, als sie den verzauberten Rinaldo aus Armidas Zaubergarten holten, nämlich mit dem Kreuz…

„So sind die Freuden der Welt“, sagt der hl. Johannes von Damaskus, „so sind ihre Geschenke! Jedem, der ihnen nachstrebt, bereitet sie damit eine geheime Fanggrube!“ Und der hl. Cyprian fügt bei: „Sie lächelt, um zu wüten; sie schmeichelt, um zu betrügen, sie lockt an, um zu morden“. Wie sehr also sollte doch jeder der Welt gegenüber auf der Hut sein, auf daß er nicht, von ihr hintergangen und betrogen, das bittere Los des letzten Machabäers beim Gastmahl des Ptolemäus erfährt: „Also übt sie große Treulosigkeit, großen Verrat!“

Da trifft ja aber auch, mit Bezug auf die guten Vorsätze im Umgang mit der Welt, leider Gottes nur allzu oft ein, was Sankt Paulus von sich klagt: „Nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern das Böse, das ich nicht will“. Daher haben wir alle Ursache, Tag für Tag zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung“, und dabei zu denken: „Hilf mir, o Gott, daß ich an der Welt und ihrer verführerischen Lust vorüber komme und ein rechtschaffener Christ dabei bleibe!“ …

Sie, die mit der Hölle im Bunde steht, ist immer nur darauf aus, uns hineinzulocken in das große, weite Gasthaus, worin sie über die ganze Erde hin ihre Wirtschaft führt. Viele aber, die da hinziehen auf der Landstraße des Lebens, sind zu arglos, zu unvorsichtig, um ihr, wie sie sollten, zu mißtrauen. Kein Wunder also, daß sie einkehren bei ihr, in dem Wahn: „Hier ist gut sein!“ Das ist dann aber jedesmal schlimm getan; sie läßt ihnen sofort durch bestellte Helfershelfer die Augen des Geistes, den Verstand und den Glauben ausstechen, macht sie trunken und liefert sie, grausam wie sie ist, geblendet und verblendet durch die Falltüre der Sünde an den Teufel und die Hölle aus, nachdem sie dieselben um ihr Leben, um ihre Kindheit und Jugendzeit belogen und betrogen. Wahrlich, so manchem, der auf der Reise seines Lebens immer nur bei der Welt einkehrt und zu Gast ist, gilt am Ende die Grabschrift auf dem Leichenstein, wie sie der Dichter unter der Aufschrift „Vanitas, Eitelkeit“ gesungen:

Eitles Trachten, eitles Ringen
Frisst dein bißchen Leben auf,
Bis die Todesglocken klingen,
Stille steht der tolle Lauf.

War es Gold, war`s Macht und Ehre,
Was sie schmeichelnd dir verhieß?
Täuschung war es, schale, leere,
Eitel Tand war alles dies!

Kannst nicht trocknen mehr die Stirne,
Da du mit dem Tode ringst,
Hörst nur ferne noch der Dirne
Hohngelächter – und versinkst!

Wie also tut es da not, zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung“ mit der Welt, dieser falschen Verräterin, die es mit keinem Christen gut meint!

… Die Welt aber ist eine Verräterin und schreckt auch vor keinem Raubmord zurück; der heilige Liebesjünger sagt nicht umsonst von ihr, daß sie „im argen liegt“… Beten wir also mit Bezug auf die Versuchung, die uns in tausend Gestalten von Seiten der Welt entgegenkommt, recht beharrlich zum Himmel hinaus: „Führe uns nicht in Versuchung!“ Hören wir aber auch die Antwort, die uns vom Himmel herunterkommt: „Sehet zu, daß ihr behutsam wandelt“. Nichts ist doch widerspruchsvoller, als zu beten, Gott möge uns nicht in Versuchung führen, dann aber laufen, was man laufen kann, um sich selber kopfüber hinein zu stürzen. Das tun aber heutzutage gar viele Christen in ihrem Verkehr mit der Welt. Mögen ihnen also noch rechtzeitig die Augen aufgehen, daß sie nach hartem Schaden noch sagen und singen:

Ich möchte heim, bin müd` von deinem Leide,
Du arge, falsche Welt;
Ich möchte heim, bin satt von deiner Freude,
Glück zu, wem sie gefällt!
Mit tausend Wünschen bin ich ausgegangen,
Heim kehr` ich mit bescheidenem Verlangen;
Im Herzen blieb mir nur noch dieser Reim:
Ich möchte heim!

aus: Philipp Hammer, Der Rosenkranz, eine Fundgrube für Prediger und Katecheten, ein Erbauungsbuch für katholische Christen, I. Band, 1896, S. 376 – S. 386

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