Barmherzigkeit Gottes auch gegen die größten Sünder
1. Wie wunderbar ist doch Gott in der Bekehrung selbst der größten Sünder; wie barmherzig gegen diejenigen, von denen er sogar recht boshaft beleidigt wird! In derselben Stunde, als Genesius ihn auf das schwerste durch Verspottung der heiligen Taufe erzürnte, änderte er dessen Herz, wandelte ihn zu einem standhaften Bekenner des christlichen Glaubens und bald darauf zu einem glorreichen Märtyrer um. Siehst du daher einen großen Sünder, so verachte ihn nicht. Wer weiß, ob aus demselben nicht noch ein eifriger Büßer, ein großer Heiliger werden könne. Die Hand des Herrn, welche aus einem Zöllner einen Apostel, aus einem Verfolger der Kirche einen Beschützer derselben gemacht hat, ist noch nicht abgekürzt. Er ist mächtig, auch den größten Sünder zu bekehren. Wie barmherzig ist er aber auch zugleich! Genesius hätte wegen seines gotteslästerlichen Gespöttes eines jähen Todes zu sterben und geraden Weges in die Hölle gestürzt zu werden verdient. Gott handelte mit ihm nicht nach seiner Verschuldung, er bewahrte ihn vor der verdienten Strafe, gab ihm die Gnade, seinen Frevel zu erkennen und mit seinem Blut zu sühnen. Hast du nicht auch schon die Barmherzigkeit Gottes gegen dich erfahren? Sieh, in dem Augenblick, als du Gott schwer beleidigtest, hättest du verdient, in deiner Sünde zu sterben und ewig verloren zu gehen. Gott hat dich verschont. Bedenke: was ist Gott! Und was ist der Mensch! Und Gott der Herr, den du so schwer beleidigt hast, hat dir noch Zeit und Gelegenheit gegeben, Buße zu tun. Er ermahnte dich zur Bekehrung, nicht als wenn er daraus einen Nutzen hätte, sondern weil er barmherzig ist, weil er dich liebt. Falle doch auf deine Knie nieder und danke ihm für seine so unbegreifliche Güte. „Tausendmal“, sprach einst der büßende Augustin, „tausendmal hättest du mich nach aller Billigkeit verdammt, wenn du gewollt hättest. Du hast nicht gewollt, weil du die Seelen liebst.“
2. Genesius benützte die Erkenntnis, die ihm Gott gegeben hatte, und die Zeit und Gnade, welche ihm von der göttlichen Barmherzigkeit verliehen wurde. Er bereute seine Missetat, verbesserte sie durch ein öffentliches Bekenntnis des christlichen Glaubens, und ließ sich davon nicht einmal durch den Tod abschrecken. Wie benützest du die Erkenntnis, welche dir Gott gibt? Wie die Zeit, wie die Gnade? Wirkst du mit der Gnade mit, wendest du die Zeit an, um Buße zu tun? Besserst du die bisher begangenen Fehler durch entgegen gesetzte Tugenden, bist du beständig in deiner Besserung? O wehe dir, wenn du nicht Buße tust, wenn du schon durch eine Spottrede und Verachtung von Seiten sündhafter Menschen dich wieder zu den vorigen Sünden, zum Spielen, Wirtshaus-Besuch und zur Trunkenheit oder Unzucht verleiten lässest! Je länger Gott auf deine Bekehrung wartet, desto empfindlicher wird er dich dereinst bestrafen. „Verachte die Barmherzigkeit Gottes nicht“, mahnt uns der heilige Augustin, „wenn du nicht seine Gerechtigkeit empfinden willst. Aus der Größe seiner Barmherzigkeit beurteile die Größe der Strafe und Gerechtigkeit; denn Gott ist unermesslich und unendlich in seiner Gerechtigkeit, wie in seiner Barmherzigkeit.“ Der heilige Bernard schreibt: „Je länger Gott auf unsere Besserung wartet, desto strenger wird er uns richten, wenn wir sie vernachlässigen.“ –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 677 – S. 678
siehe auch den Beitrag: Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes