Die göttliche Vorsehung regiert die Welt

Die göttliche Vorsehung in ihrem Wesen und Walten

Wenn du auf den verschlungenen Lebensweg zurück schaust, den der hl. Germanus gewandelt von dem Schoß der Mutter, die sein Leben bedroht hatte, zur habsüchtigen Base, die ihm den Giftbecher bereitete: von dieser Base zum geistlichen Vetter, der ihn voll Liebe und Güte erzog: von diesem ins Kloster und aus dem Kloster auf den bischöflichen Stuhl, wo er für das ganze fränkische Reich ein viel bewunderter Lehrer, Führer und Tröster wurde: so siehst du hierin ganz klar eine höhere Macht, eine göttliche Weisheit tätig. Nimm von diesem Rückblick Anlass, die göttliche Vorsehung zu betrachten:

1. In ihrem Wesen. Die göttliche Vorsehung ist jene ewige Tätigkeit, jener Ratschluss der Weisheit, Macht und Güte Gottes, vermöge deren Er die ganze Welt, die Er aus reinster Liebe erschaffen hat, so leitet und regiert, daß alle einzelnen Geschöpfe in bestimmter, angemessener Weise zum höchsten Weltzweck, zur Verherrlichung seiner Güte und Liebe beitragen und darin die eigene Seligkeit finden. Die göttliche Vorsehung sorgt dafür, daß im großen Weltlauf nicht Zufall, nicht Willkür, nicht Verwirrung walte, sondern daß alle Misstöne, welche man Schicksal, blinde Notwendigkeit oder Leidenschaft zu nennen pflegt, sich in einen harmonischen Preisgesang des Allerhöchsten auflösen. Dieser Ratschluss Gottes kann durch keine Revolution in der Natur, durch keine Bosheit der Menschen vereitelt werden. Allerdings läßt Gott das Böse zu, weil Er von seinen freien Geschöpfen auch nur einen freien Dienst will; allein immer wird die göttliche Macht und Weisheit über die endliche Kraftanstrengung und Schlechtigkeit glorreich triumphieren. Ebenso läßt Gott auch Leiden und Trübsale zu; aber sie sind köstliche Mittel zu glänzenden Tugenden, bittere Medizinen zu ausdauernden Gesundheit. Schön sagt der Psalmist: „Der Herr ist in seinem heiligen Tempel, der Herr hat im Himmel seinen Thron: seineAugen schauen auf den Armen, seine Augenlider erforschen die Menschenkinder“ (Ps. 10); Er, der die Lilien auf dem Felde kleidet und die Vögel des Himmels nährt, leitet den Menschen, die Ihn lieben, Alles zum Besten. (Röm. 8)

2. Betrachte die göttliche Vorsehung in der Art ihres Waltens. Die heilige Schrift bewundert im Walten der göttlichen Vorsehung ein Zweifaches, daß es ein stilles, aber unbegreifliches sei. Still, fast unscheinbar waltet die Vorsehung, weil sie ihres Erfolges absolut sicher und gewiß ist; sie braucht sich nicht zu überstürzen und zu übereilen, die einfachsten, am Wege liegenden Mittel genügen ihr, die kühnsten Pläne und leidenschaftlichsten Kraftanstrengungen der Gottlosen zu vernichten. Darum nennt der Psalmist das Walten der göttlichen Vorsehung ein „ruhiges Lächeln“ derselben, das freilich die Feinde des Guten wie ein vernichtender Blitz trifft. (Ps. 2, 4. 5.) Es ist und bleibt auch ein unerforschliches, weil das schärfste Auge des menschlichen Geistes von ferne nicht den millionsten Teil, geschweige das Ganze des Weltlaufes überschaut. Deshalb sind ihm die Wege Gottes in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt, und auf die Fragen seiner Ungeduld und Kurzsichtigkeit antwortet ihm der Herr durch den Propheten Isaias (55, 8): „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, noch eure Wege meine Wege; denn wie der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ Das glaubte der hl. Germanus; darum tat er so freudig und vertrauensvoll den göttlichen Willen, wie es sich für das Kind gegenüber dem Vater geziemt. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 409-410

Tags: Gott

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