Der heilige Leonhard von Porto Maurizio über die Ewigkeit
Die Gerechten gehen ein in das ewige Leben
Es ist ein Artikel des Glaubens, daß alle mit Vernunft begabten Seelen, die seit 5000 bis 6000 Jahren erschaffen worden, noch immer leben und unsterblich sind; es ist ein Artikel des Glaubens, daß ich und ihr nach 10000, 20000, 100000 Jahren noch existieren werden. Aber wo werden wir sein? Im Hause unserer Ewigkeit! (Ekkl. 12) Die Ewigkeit, sie ist jenes unermeßliche Land, in das der Mensch eingeht, sobald er von dieser Welt scheidet; das große Land der Ewigkeit, und zwar der Ewigkeit der Glorie, wenn er ein frommes Leben geführt, der Ewigkeit der Strafen, wenn er unglücklicher Weise in der Sünde gestorben ist! Dies Alles ist Glaubensartikel; und wer im Glauben an eine so hoch wichtige Wahrheit wankte, wäre ärger als ein Jude, als ein Häretiker, ja als ein Heide, da die meisten Heiden die Unsterblichkeit der Seele annehmen und glauben, nach diesem Leben gebe es eine Ewigkeit. Mit welch` größerer Festigkeit sollen wir es glauben, die wir als unfehlbar jenen Ausspruch unseres Gottes und Herrn anbeten: „Diese werden eingehen in die ewige Qual, die Gerechten aber in das ewige Leben.“ (Matth. 25)
Fasset nun die Ewigkeit ins Auge, wenn ihr den Mut dazu habt. Sie ist ein Niemals, das immer anfängt, und ein Immer, das niemals ein Ende nimmt. Ach, hierfür haben wir kein Maß! Ziehet von irgend einer geschaffenen Quantität eine Teil ab, so wird sie kleiner, fügt etwas hinzu, so wird sie größer: ziehet ihr aber von der Ewigkeit 100000 Jahre ab, so wird sie deshalb nicht um einen Punkt kleiner, fügt ihr eine Million Jahrtausende hinzu, so wird sie um keinen Augenblick länge; die Ewigkeit ist unbeweglich, unermeßlich, keiner Vergrößerung oder Verkleinerung fähig. …
Kommet mit mir in die Wüsten Ägyptens, der Thebais und Palästina`s; dringt in die schauerlichen Orte dieser Einöden und seht dort eingeschlossen in jener Höhle einen Hilarion, in der andern einen Makarius, daneben einen Pachomius, hier einen Paulus, dort einen Hieronymus; übersteigt die Berge und seht in jener Schlucht eine Maria von Ägypten, in der andern eine Thais, hier eine Pelagia, dort eine Theodora. Fragt diese strengen Büßerinnen, fragt jene heiligen Einsiedler, wer sie in diese Wüsten geführt, wer sie mit diesem harten Bußgewand bekleidet, wer sie in diese Höhlen begraben, wer sie gezwungen, ein so englisches Leben zu führen, ihre Zeit so gut zu benützen? Alle werden antworten mit David: „Ich gedachte der alten Tage und hatte die ewigen Jahre im Sinn.“ (Ps. 76) O Ewigkeit, Ewigkeit, die du so mächtig bist, die Lebenden zu begraben, bist du weniger mächtig, die Toten zu erwecken, jene Toten, die der Gnade durch die fluchwürdige Sünde erstorben sind?
Es gibt eine Ewigkeit, geliebte Sünder, ja es gibt eine Ewigkeit! Und im Angesicht dieser Ewigkeit lachet und scherzet und lebet ihr leichtsinnig in den Tag hinein? Es gibt eine Ewigkeit! Und im Angesicht dieser Ewigkeit buhlt und praßt und spielt ihr Flüche und Lästerungen aus, nährt ihr Haß und Feindschaft, verunreinigt ihr euch mit schlechten Gedanken, schändlichen Begierden, bösen Taten und lebt als Feinde Gottes?“-
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 893 – S. 894