Die Glückseligkeit der christlichen Armen
Der hl. Hugo unterscheidet fünf Klassen von Armen:
a) verstellte Arme, welche aus Faulheit betteln;
b) verdrüssige Arme, welche mit ihrem Stand stets unzufrieden sind;
c) vergebliche Arme, welche hungern und frieren wie die Tiere ohne gute Meinung, ohne christliche Hoffnung;
d) gottlose Arme, welche in ihrer Armut wider Gott murren, schlechte Mittel des Erwerbs anwenden;
e) heilige Arme, welche in ihrer Armut mit der Anordnung des himmlischen Vaters zufrieden sind und alle Sorge Ihm überlassen mit kindlichem Zutrauen. Diese sind schon in diesem Leben glückselig an Leib und Seele, weit mehr als die Reichen:
1. Der christliche Arme ist glückselig dem leiblichen Leben nach, weil er mit Ruhe im Gemüt und Frieden im Herzen sein tägliches Brot ißt, das ihm der himmlische Vater unfehlbar zuteilt. Denn er ist frei von der Last der Sorgen und Ängste, womit der Reiche geplagt ist; er hat nur eine Sorge, daß er Gott, daß höchste Gut, recht innig liebe und seine Gebote erfülle: er kennt nur eine Furcht, daß er in eine Sünde fallen möchte; er hat nur eine Begierde, daß er bald aufgenommen werde in die ewige Seligkeit. Dagegen fürchtet er sich gar nicht vor Schelmen und Dieben, weil sie seine Hütte nicht beunruhigen; er zittert nicht vor Mißwachs, Hagelschlag oder Krieg, weil der Allmächtige und Allgütige für ihn sorgt; er weiß gar nichts von den qualvollen Prozessen wegen Ländereien, Wegrechten, Markungen und Erbschaften, weil Gott allein sein Brotherr ist; er fürchtet sich nicht einmal vor dem Tode, weil dieser ihm nichts nehmen und antun kann, als daß er ihn aus diesem Jammertal in das schöne Paradies hinüber führt. Er ist zufrieden mit seiner Wohnung, weil er Platz genug hat zum Arbeiten und zum Arbeiten – mehr hat auch der Reiche nicht; er ist zufrieden mit seinem Kleide, das ihn deckt und schützt – mehr hat auch der Reichste nicht; er erquickt sich an seinem Stücklein Brot, weil der Hunger der beste Koch und Gewürzlieferant ist – was der Reiche sehr oft schmerzlich entbehrt. Folglich ist das leibliche Leben des christlichen Armen ein glückseliges.
2. Noch mehr ist er glücklich dem geistigen Leben nach. Der hl. Paulus, welcher in solchen Dingen sehr bewandert ist und vollen Glauben verdient, schreibt: „Das Reich Gottes (in der Seele) ist nicht Speis und Trank, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist.“ (Röm. 14) Der christliche Arme genießt diese Freude im hl. Geist, weil er sich durch seine Armut mit Jesus Christus, dem König Himmels und der Erde, in naher Verwandtschaft und Freundschaft verbunden weiß, weil er mit dem hl. Hieronymus fühlt: „Reich genug ist derjenige, welcher mit Christus arm ist.“ Welch` ein erhebender freudenreicher Trost strömt heute vor dem Weihnachtsfest in die Gott liebende Seele aus der wundervollen Wahrheit: Der mit dem himmlischen Vater wesensgleiche Sohn ist als armes Kind geboren worden, eine arme Jungfrau ist seine Mutter, ein armer Handwerker ist sein Nährvater, arme Fischer sind seine vertrautesten Freunde, die Armen, die Kranken, die Leidenden sind ihm die liebste Gesellschaft. Nun hat es die gütige Weisheit und Liebe des himmlischen Vaters von Ewigkeit so angeordnet, daß ich als armes Kind geboren, daß mein Vater und meine Mutter arm, daß meine Brüder und Schwestern arm, daß mein Weib und Kinder arm seien, daß wir also Alle zur Gesellschaft und Freundschaft Jesu gehören. Was meinst du: Gibt es ein köstlicheres Glück, eine süßere Freude hienieden? –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 957 – S. 958