Heiligenkalender
30. September
Der heilige Hieronymus Kirchenlehrer
Hieronymus, wohl der gelehrteste und geistvollste Kirchenvater des Abendlandes, wurde 331 zu Stridon, einer kleinen Stadt des südwestlichen Ungarn, von reichen Eltern geboren, die ihn von der Wiege an christlich erzogen, aber seine Taufe aufschoben. Der lebhafte, wißbegierige Knabe wurde nach Erlernung der Anfangsgründe zur wissenschaftlichen Ausbildung nach Rom geschickt. Hier studierte er mit glühendem Eifer die klassischen Dichter und Redner, die Mathematik und Philosophie und erwarb sich durch Mühe und Kostenaufwand eine ansehnliche Bibliothek. Weil noch nicht getauft, durfte er auch nicht der Feier des katholischen Gottesdienstes beiwohnen; gleichwohl betete er alle Sonntage an den Gräbern der Apostel und in den Katakomben der heiligen Märtyrer.
Allein unter dem Einfluß heidnischer Lehrer und heidnischer Bücher wucherte mächtig in ihm die stolze Großtuerei und die niedrige Sinnlichkeit; er wagte sich kühn auf den schlüpfrigen Pfad und – fiel. Unter bitteren Reuetränen schrieb er später: „Ich erhebe die Jungfräulichkeit in den Himmel, nicht weil ich sie besitze, sondern weil ich mich wundere, daß ich sie nicht besitze. An Andern loben, was man selbst entbehrt, ist ein freimütiges und schamhaftes Geständnis. Ich bin jener verschwenderische Sohn, der sein ganzes Erbgut vergeudet hat. Und ach, ich bin noch nicht hingekniet vor den Vater, habe noch nicht angefangen, die schmeichlerischen Lockungen früherer Lust von mir weg zu treiben.“
Nach Vollendung seiner Studien besuchte er die Gerichtssäle, um die Reden der Advokaten zu hören; aber bald ekelte es ihn an, immer nur Bosheit und Elend vor den Schranken zu sehen, und er verließ Rom 363, um die berühmtesten Männer und Schulen Galliens zu besuchen. Längere Zeit verweilte er in Trier. Hier reifte sein Entschluss, Gott ganz anzugehören; hier fing er an, die begangenen Sünden am eigenen Leibe streng zu büßen, mit Eifer die heilige Schrift zu betrachten und eilte dann nach Rom, um die heilige Taufe zu empfangen. Auf dem Umwege über Griechenland begab er sich nach Aquileja, wo er einen Kreis ausgezeichneter, heiliger Männer fand, die sich gegenseitig im Streben nach Wissenschaft und Frömmigkeit aneiferten, und schloß mit diesem „Engelchor“ die trauteste Freundschaft. Aber nur zu bald riß ihn ein plötzlicher Sturm – wahrscheinlich eine von ihm verfaßte Schrift, in welcher er die Grausamkeit eines hohen Beamten wegen eines ungerechten Todesurteils scharf tadelte und deshalb in große Gefahr kam – aus ihrer Mitte fort. Zu Schiff reiste er mit seinen Büchern und drei Freunden nach Thracien und durchwanderte Kleinasien bis nach Antiochia in Syrien, wo er erkrankte und zum größten Schmerz seine zwei besten Freunde, die er „seine zwei Augen“ nennt, durch den Tod verlor.
Hier verweilte er zwei Jahre, genoß den Unterricht des berühmten Schriftauslegers Apollinaris, Bischofs von Laodicea, der aber später als Irrlehrer sehr berüchtigt wurde, und verkehrte noch mit andern gelehrten Männern. Er vertiefte sich ganz in das wissenschaftliche Studium und arbeitete Tag und Nacht mit der vollen Kraft seines unermüdlichen Geistes bis zur Erschöpfung, und bis ihm Gott einen andern Weg zeigte. Er hatte einen merkwürdigen Traum, der seine wieder aufflammende Vorliebe für die heidnischen Schriftsteller auf lange Zeit dämpfte. Es sah sich im Geiste vor den Richterstuhl Gottesgestellt. Auf die Frage: „Wer bist du?“ antwortete er: „Ein Christ.“ Der Herr sprach: „Du lügst, ein Ciceronianer bist du; denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein herz.“ Dann bekam er heftige Streiche, so daß er bitter weinte und ohne Aufhören um Erbarmen schrie. Als er erwachte, waren seine Augen tränennass und der ganze Leib bedeckt mit Schwielen.
Nun begab er sich in die öde, aber an herrlichen Tugenden der vielen dort wohnenden Mönche sehr fruchtbare Wüste Chalcis, wo er vier Jahre ein sehr strenges Bußleben führte, in den heiligen Schriften betrachtete und die hebräische Sprache lernte. Täglich vergoß er viele Tränen über seine begangenen Sünden, eine kleine Zelle war seine Wohnung und der harte Boden seine Ruhestätte: sein Angesicht, sein ganzer Leib war abgezehrt durch das strenge fasten. Gekochtes zu essen, galt ihm als Luxus; er erwarb sich sein Brot durch Korbflechten und Gartenarbeit. Dennoch litt er schwere Versuchungen der Fleischeslust, indem ihm die Phantasie die Bilder der begangenen Sünden, das üppige Leben in den Gassen und Straßen, in den Theatern und Bädern Roms hartnäckig vorgaukelte. Er klagte laut also: „Da ich nirgends Hilfe und Ruhe zu finden wußte, warf ich mich hin zu den Füßen Jesu, benetzte sei mit meinen Tränen, trocknete sie ab mit meinen haaren und bändigte das rebellische Fleisch mit wochenlangenFasten. Oft schrie ich Tag und Nacht unaufhörlich und ließ nicht nach, mit Schlägen meine Brust zu verwunden, bis auf das Gebot des Herrn die Ruhe wiederkehrte. Sogar meine Zelle, die Zeugin meiner Gedanken, mied ich; erzürnt über mich selbst, floh ich tiefer in die Wüste hinein; wenn ich eine Talschlucht, eine Felsenhöhle antraf, betete ich wieder und züchtigte meinen Leib, bis der Sturm ausgetobt hatte. Der Herr selbst ist mein Zeuge, daß oft, nachdem ich viele Tränen vergossen und lange die Augen zum Himmel erhoben hatte, mich unter die Chöre der Engel versetzt glaubte und in heiliger Freude zu singen anfing.“
Damals entstand eine gefährliche Spaltung in der Kirche zu Antiochia, indem vier Bischöfe, teils ketzerische, teils rechtgläubige, die Patriarchen-Würde beanspruchten und leider auch die Mönche sich darein mischten. Hieronymus hatte schon seine so Berühmtheit erlangt, daß man ihn drängte, diesen Streit zu entscheiden. Er ging zwar nach Antiochia, legte aber die Sache dem einzig rechtmäßigen Richter, dem Papst Damasus zur Beurteilung vor. In diesem Jahre 379 empfing er die Priesterweihe und reiste nach Konstantinopel, um die Vorträge des dortigen Patriarchen und großen Theologen Gregor von Nazianz zu hören und sich in der griechischen Sprache und Wissenschaft noch mehr auszubilden. Aber schon 381 berief ihn Papst Damasus nach Rom, um sein Wissen und seine Feder für die heilige Kirche nützlicher zu machen, indem er sich seiner als eines Geheimschreibers bediente. (Deshalb wird der Heilige öfters als Kardinal abgebildet.)
Seine umfassende Gelehrsamkeit, die heilige Lebensweise, die er in seiner Klosterzelle führte, die überwältigende Beredsamkeit, die ihm eigen war, erwarben dem hl. Hieronymus in Rom eine so außerordentliche Verehrung, daß ihn Viele schon als den Nachfolger des greisen Damasus auf dem römischen Stuhl bezeichneten. Von seiner Weisheit und Kraft, mit der er fein gebildete Zuhörern die heiligen Schriften erklärte und im frommen Leben Unterricht erteilte, sind die glaubwürdigsten Zeugen jene zwölf Frauen und Jungfrauen des höchsten Adels: Marcella, Paula, Bläsilla, Eustochium, Asella, Lea, Principia, Melania, Felicitas, Marcellina, Feliciana und Fabiola, welche als berühmte Heilige in der ganzen Kirche verehrt werden. Von der Gewalt seiner Rede, mit der er schriftlich und mündlich schonungslos die Habsucht, Eitelkeit und Bequemlichkeit der Priester und des Volkes geißelte, ist der beste Beweis der Haß und die Bitterkeit seiner Feinde, die mit den Waffen der Lästerung und Verleumdung wider den gewaltigen Mann stritten.
Nach dem Tode des Papstes (385) wachte in Hieronymus die Sehnsucht nach stiller Einsamkeit wieder auf, und er reiste, von mehreren Freunden begleitet, ins heilige Land. Dort besuchte er zuerst alle Orte, welche in der biblischen Geschichte eine Bedeutung haben, um aus eigener Anschauung ein klareres Verständnis zu gewinnen, und ließ sich dann bei Bethlehem zuerst in einer kleinen Hütte, später in dem neu erbauten Kloster nieder, ganz dem Gebet und Studium obliegend. In wunderbarer Größe und Fruchtbarkeit leuchtete hier sein Geist; er übersetzte die heilige Schrift des Alten Testamentes aus der hebräischen Sprache in die lateinische und vollendete die Verbesserung und Übersetzung des Textes des Neuen Testamentes. Die von ihm herausgegebene heilige Schrift erregte das lebhafteste Interesse der ganzen katholischen Christenheit, von allen Seiten stellten die Gelehrten brieflich Fragen an ihn, und sein Wissen hatte für Alle Belehrung. Seine heilige Schrift erhielt den Namen „Vulgata“, d.i. die allverbreitete, und nur sie darf laut Dekret des Konzils von Trient in den öffentlichen Vorträgen und Erklärungen gebraucht werden. Außer dieser Riesenarbeit schrieb er fast zur ganzen heiligen Schrift sehr kostbare Erklärungen, deren mehrere ins Brevier aufgenommen wurden, viele Schriften wider die Ketzer Jovinian und Pelagius, wider den vieljährigen besten Freund Rufinus. „Denn“, sagte er, „die Feinde der Kirche sind auch meine Feinde, der Hund bellt für seinen Herrn, und ich sollte nicht reden für meinen Gott? Sterben kann ich, aber schweigen kann ich nicht.“
Alle Ketzer fürchteten seine offene, derbe Sprache und seine unbesiegbare Geisteskraft; alle Rechtgläubigen verehrten ihn in dankbarer Liebe. Er war schon ein Greis von 85 Jahren, als ein Haufe Ketzer ihm das Kloster anzündete, und er nur durch schnelle Flucht noch größeren Leiden entging. Nach dem Sturm kehrte er wieder in die teuren Ruinen zurück, um seine gelehrten Arbeiten fortzusetzen.
Bei der aufreibendsten Tätigkeit unterließ er nicht seine Selbstheiligung durch fortgesetzte Bußwerke, Fasten und Nachtwachen, durch tägliche und stündliche Betrachtung der letzten dinge und durch tiefe Verehrung der heiligsten Jungfrau Maria. „Immer“, schreibt er, „ich mag wachen oder schlafen, tönt in meine Ohren die schreckliche Stimme der Engelsposaune: „Auf, ihr Toten, kommt zum Gericht!“
Eine kurze Krankheit führte den 90jährigen hoch verdienten Streiter Christi ein in die ewige Ruhe am heutigen Tage 419. Gott fügte es, daß sein heiliger Leib nach Rom, dem Mittelpunkt des katholischen Glaubens, gebracht und in die Kirche „Maria der Größeren“ zur Verehrung ausgesetzt wurde; denn kaum ein anderer Heiliger hat so mutig und beharrlich für die Einheit und Reinheit des katholischen Glaubens gekämpft und für die unbefleckte Jungfräulichkeit Mariä so siegreich die Feder geführt, wie der hl. Hieronymus. –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 723 – S. 725