Altkatholiken sind Neu-Protestanten

Altkatholiken sind Neuhäretiker bzw. Neu-Protestanten

Altkatholiken nennen sich die Anhänger der Oppositionspartei gegen das vatikanische Konzil und dessen dogmatische Beschlüsse (Unfehlbarkeit ex cathedra und Universalepiskopat des römischen Bischofs), unter dem Vorgeben, durch Abwehr dieser Dogmen als „Neuerungen“ den Rechts- und Glaubensboden der „alten“ Kirche zu wahren. Gleich von Anfang waren indessen ihre Angriffe nicht nur gegen die vatikanischen Dekrete, sondern zugleich gegen die gesamte Gewalt und Machtstellung des Papsttums, gegen die allgemeinen Konzilien und das kirchliche Lehramt überhaupt gerichtet; sie setzten an die Stelle des letzteren nach protestantischer Weise das Privaturteil der Einzelnen und verlangten für den niederen Klerus und die Laien das Recht der Mitbestimmung, sogar das maßgebende Urteil für Entscheidungen in Glaubenssachen. Um deswillen wurden sie katholischerseits im geraden Gegensatz von der von ihnen selbst gewählten Bezeichnung als Neuhäretiker und Neu-Protestanten bezeichnet; wegen der Weise, wie sie die Opposition einleiteten (durch schriftliche Protestation), hießen sie auch Protest-Katholiken.

Ausgeschlossen aus der kirchlichen Gemeinschaft, behaupteten sie durch die Sakraments-Verweigerung in einen „Notstand“ gedrängt zu sein, und schufen sich ein eigenes Kirchenwesen mit einer Synode nach protestantischem Muster, bestehend aus Geistlichen und einer überwiegenden Anzahl von Laien als gewählten Vertretern der Gemeinden. Über der Synode und ihr zu Seite steht ein Synodalrat samt einem Bischof als Ausführungsorgan; der Bischof hat außerdem nur noch zu firmen und zu konsekrieren. Mit fast allen Formen des Schismas und der Häresie bis hinab zu dem protestanten-vereinlichen Rationalismus und dem Freimaurertum suchten und fanden sie Fühlung auf sog. Kongressen, mit Griechen, Russen, Anglikanern und Protestanten auch auf den Unionskonferenzen. Vor allem trat deutlich die Tendenz einer Annäherung an den Protestantismus zu Tage mit dem bewussten und offen ausgesprochenen Zweck, durch allmähliche Akkomodation die Bildung der Nationalkirche anzubahnen. Bei diesen Bestrebungen gewährten ihnen verschiedene Regierungen nicht nur Schutz, sondern auch in der Unterstellung, daß sie einen Teil der rechtlich anerkannten katholischen Kirche seien, die staatliche Anerkennung und Anteil am katholischen Kirchenvermögen. In der Schweiz etablierte sich ihre Gemeinschaft, geschützt und gepflegt von mehreren Kantonal-Regierungen, unter dem prunkvollen Titel einer „christkatholischen Nationalkirche“; dort treten sie unter dem Namen „Christkatholiken“ auf. Das Nähere ergibt die Geschichte des Altkatholizismus in den einzelnen Ländern.

In Deutschland war schon vor und während des Konzils eine überaus leidenschaftliche Agitation gegen dasselbe unter den Auspizien des Reichsrates Professor Döllinger in München namentlich von Universitäts-Professoren im Namen der sog. „deutschen“ Wissenschaft unterhalten worden. Gewissermaßen ein Vorspiel zu den nachherigen Protesten lieferte der Beifalls-Adressensturm an Döllinger gelegentlich der Erklärung desselben vom 18. Januar 1870 gegen den Antrag der 400 Bischöfe auf Definierung der Unfehlbarkeitslehre und die gleichfalls beifällige Aufnahme und Bejubelung seiner seiner zweiten Erklärung vom 9. März d. J., betreffend die Geschäftsordnung des Konzils.

Nach der Definition standen die Konzilsgegner um so weniger von ihrem Widerspruch ab, als sie glaubten oder glauben machen konnten, für denselben bei den deutschen Bischöfen der Minorität, welche an der Schlussentscheidung auf dem Konzil keinen Anteil genommen, eine Stütze zu finden: eine Erwartung freilich, welche nach der Heimkehr dieser Bischöfe durch deren Kollektiv-Hirtenschreiben von Fulda, bald auch durch die Hirtenbriefe der einzelnen gründlich enttäuscht wurde. Noch vor Ende Juli, also sofort nach der Definition, wurde in München eine von Mitgliedern der dortigen theologischen Fakultät, besonders Döllinger, angeregte, vielleicht auch redigierte Erklärung unter den Laien-Professoren in Umlauf gesetzt, worin die vatikanischen Dekrete als neu und unerhört bezeichnet wurden und schließlich gesagt war, daß die Unterzeichner sie „nicht annehmen und jedem etwaigen Versuch, ihnen eine neue Lehre aufzudrängen oder sie aus der Kirche heraus zu drängen, aktiven und passiven Widerstand entgegen setzen würden“. Fast sämtliche katholische Dozenten der Münchener Universität (44) schlossen sich der Erklärung an, zudem eine Anzahl von Professoren der Universitäten Freiburg, Breslau und Prag und (4) an der Akademie zu Münster.

In dem (…) in Preußen ausgebrochenen „Kulturkampf“ standen die Altkatholiken auf Seiten der Regierung und genossen dafür, ungeachtet wiederholter Beschwerdeführung der Bischöfe (Eingabe der preußischen Bischöfe auf der Versammlung von Fulda unter dem 7. September 1871, nebst Beifügung einer Denkschrift, an Kaiser Wilhelm; ablehnende Antwort unter dem 18. Oktober; gleichfalls eine die Bischöfe abweisende Antwort des Kultusministers von Mühler vom 25. November, sodann wieder erfolglose Erwiderung des Erzbischofs von Köln unter dem 30. Dezember desselben J.), deren Gunst und Schutz.

Die Altkatholiken in Bayern

In Bayern wurden die Altkatholiken von Anfang dadurch ermutigt, daß die Regierung durch Ministerialerlass vom 9. August 1870 die Publikation der vatikanischen Dekrete ohne vorheriges königliches Placet untersagte, dann das vom Bischof von Bamberg nachgesuchte Placet verweigerte, endlich auch die in einer Kollektiv-Eingabe des Episkopats gestellte Bitte um Aufhebung des Placets unter dem15. Mai 1871 abschlägig beschied, was freilich die Bischöfe nicht abhielt, die Dekrete dennoch zu publizieren. In München räumte der liberale Stadtmagistrat die Kirche am Gasteig den Altkatholiken zum Gottesdienst ein; dort funktionierte Friedrich, der außerdem als eine Art von Universalpfarrer selbst in fremden Diözesen tätig war, während Döllinger sich aller kirchlichen Funktionen enthielt. Die 1871 exkommunizierten altkatholischen Priester Gallus Hosemann, Pfarrer von Tuntenhausen, Anton Bernard, Kurat von Kiefersfelden, und Renftle, Pfarrer von Mehring, wurden trotz der über sie verhängten Zensuren und ungeachtet der katholischen Gesinnung der Mehrzahl ihrer Gemeindeglieder von der Regierung in ihren Stellungen erhalten und die Beschwerden der Bischöfe abschlägig beantwortet. Sonach durften die Altkatholiken es sogar wagen, den jansenistischen Bischof Loos von Utrecht zur Spendung der Firmung (Juni und Juli 1872) bei sich einzuladen.

Die Altkatholiken in Baden

In Baden trat Minister Jolly als Begünstiger des Altkatholizismus auf. Durch Bekanntmachung vom 16. September 1870 bestritt er die rechtliche Geltung der vatikanscshen Konstitutionen, „insoweit sie mittelbar oder unmittelbar in bürgerliche oder staatsbürgerliche Verhältnisse eingreifen“, erklärte am 9. März 1871, die anti-infallibilistischen Geistlichen und Gemeinden beschützen zu wollen und räumte (vor dem Altkatholiken-Gesetz) durch Ministerialerlass vom 19. April 1873 den Altkatholiken dem Mitgebrauch der Spitalkirche in Konstanz ein, verfügte außerdem im gleichen Jahr die Pressung der katholischen Zöglinge des Waisenhauses in Konstanz in den neuprotestantischen Religionsunterricht.

Unterdessen waren die Altkatholiken, zunächst auf den unter protestanten-vereinlicher Mitwirkung und Mitbeteiligung russischer, griechischer und holländischer Schismatiker abgehaltenen Kongressen, zu Beschlüssen über Konstituierung von Gemeinden und einer gesonderten Kirchengemeinschaft voran geschritten…

Endlich wurde den Altkatholiken die Mitbenutzung, unter Umständen die Alleinbenutzung katholischer Kirchen und Anteil am katholischen Kirchen- und Pfründevermögen zugesichert: in Preußen durch Gesetz vom 4. Juli 1874, in Baden durch Gesetz vom 15. Juni und Ausführungs-Verordnung zu demselben vom 27. Juni des gleichen Jahres. In Folge dessen zogen die Altkatholiken, denen bis dahin an mehreren Orten protestantische Gemeinden den Mitgebrauch ihrer Kirchen und Betsäle gestattet, in katholische Kirchen ein, und es wurden ihnen Stellen und Pfründen überwiesen, trotzdem die gesetzlich hierzu erforderliche „erhebliche“ Anzahl kaum irgendwo vorhanden, vielmehr die von ihnen den Regierungen eingereichten Mitglieder-Verzeichnisse wiederholt als falsch und übertrieben erwiesen wurden.

Angewiesen durch ein päpstliches Breve vom 12. März 1875 und in Gemäßheit einer späteren authentischen Erklärung desselben, wonach wegen Gefahr des Indifferentismus und zur Verhütung jedes Ärgernisses den Katholiken das Simultaneum mit den „neuen Häretikern“ untersagt und die ihnen von der weltlichen Macht zugewiesenen Kirchen interdiziert werden sollten, verließen die Katholiken sofort ihre Kirchen, sobald Funktionen von den Altkatholiken darin geübt wurden, und so sahen sich diese in deren Alleinbesitz und Gebrauch. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 1, 1882, Sp. 642 – Sp. 647

Buchberger Lexikon: Altkatholiken

Altkatholiken nennen sich die Glieder einer kirchlichen Gemeinschaft, die sich aus der Opposition gegen das Vatikanische Konzil und gegen die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes entwickelte. Versammlungen von katholischen Geistlichen und Laien zu Königswinter und Nürnberg (14. u. 25.8.1870) erhoben Protest gegen die vatikanischen Dekrete. Die Professoren Döllinger, Friedrich und Meßmer in München, Reuch, Langen, Hilgers, Knoodt u. v. Schulte in Bonn, Baltzer, Reinkens u. Weber in Breslau, Michelis u. Menzel in Braunsberg u. Pfarrer Tangermann schlossen sich der Gegnerschaft an; sie wurden deshalb von ihren Bischöfen zum Teil mit Kirchenstrafen belegt. Die Altkatholiken-Kongresse von München (1871) u. Köln (1872) befaßten sich mit der Organisation der Bewegung; zahlreiche öffentliche Vorträge brachten sie in Fluss und veranlaßten die Gründung der ersten Gemeinden.
Pfingsten 1874 nahm die 1. Synode in Bonn die Kirchenverfassung an, die der Kirchenrechts-Lehrer v. Schulte geschaffen: jedes Volk hat seine selbständige Nationalkirche; die einzelnen Kirchen sind miteinander vereinigt durch die „Konferenz“ ihrer Bischöfe. Die höchste Behörde ist die Synode, bestehend aus allen Geistlichen und den Laien-Abgeordneten der Gemeinden; sie wählt den Bischof und den Synodalrat, gibt Gesetze und prüft die Verwaltung. In den Gemeinden ist die Kirchengemeinde-Versammlung oberste Instanz mit dem Recht der Pfarrwahl; dem Pfarrer steht der Kirchenrat zur Seite.
In Lehre und Disziplin wollten die Altkatholiken sich auf den Boden der ungeteilten Kirche der ersten 8 Jahrhunderte stellen, verwarfen aber ausdrücklich die Lehre vom Primat und von der Unfehlbarkeit des Papstes, die Pflicht zum Priesterzölibat, zur Ohrenbeichte und zum Fasten, das Ablasswesen, die Verehrung (Kult) der Heiligen, Reliquien und Bilder, Prozessionen und Wallfahrten, Rosenkranz und Skapulier, die unbefleckte Empfängnis Mariä, die Lehre von der Transsubstantiation; die heilige Messe ist den Altkatholiken bleibendes Gedächtnis und reale Vergegenwärtigung, nicht unblutige Wiederholung des Kreuzestodes, ist nur Gemeinde-Gottesdienst (keine Privatmessen); die Spendung des Abendmahles ist unter beiden Gestalten erlaubt, die Vorbereitung zum Empfang besteht in einer allgemeinen Bußandacht; liturgische Sprache ist die Landessprache; Messgelder und Stolgebühren sind abgeschafft, Feuerbestattung und Mischehen bedingungslos erlaubt; alleinseligmachend ist nur die Kirche Christi, die aber mit keiner Teilkirche zusammenfällt; die Tradition ist nicht selbständige Glaubensquelle. –
Diese Lehre wurde auf der Synode v. 1889 als die offizielle bezeichnet; die Entwicklung hat aus den Alt-Katholiken Neu-Protestanten gemacht. Damit haben sie sich selbst außerhalb der Definition der Altkatholiken-Gesetze gestellt, die, so z. B. In Baden, unter Altkatholiken jene Teile der katholischen Kirchengemeinden verstehen, welche die (vatikanischen) Beschlüsse v. 18.7.1870 verwerfen. Der Fortbesitz katholischer Kirchen stützt sich demgemäß zu Unrecht auf die Altkatholiken-Gesetze.

Seit den von Döllinger berufenen Bonner Unionskonferenzen 1874 u. 75 werden die Einigungsbestrebungen lebhaft fortgesetzt. Das Verhältnis der Altkatholiken zu den protestantischen, anglikanischen und morgenländischen Kirchen war von jeher freundlich. Mit den Anglikanern besteht schon seit 1883 Kommunion-Gemeinschaft, und die anglikanischen Weihen wurden von der altkatholischen Kirche Hollands 1925 ausdrücklich anerkannt. In den Russen Protopresbyter Johann Janischew und General Alexander v. Kirejew sowie in den deutschen Protestanten Willibald Beyschlag, Friedrich Nippold und neuestens Friedrich Heiler fand der Altkatholizismus warme Freunde. Zu einer wirklichen Union ist es aber weder mit den Orientalen noch mit den Anglikanern gekommen. Auch Reformkatholizismus und Modernismus brachten ihm nicht den erhofften Gewinn.

Buchberger, Bd. 1, 1930, Sp. 318-319

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