Ignaz Heinrich Wessenberg und sein antikirchliches Verderben
Der junge Wessenberg
Wessenberg, Ignaz Heinrich von, Generalvikar und Bistums-Verweser zu Konstanz, Hauptträger der antikirchlichen Reformbestrebungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurde am 4. November 1774 zu Dresden als Sohn des kursächsischen Konferenzministers Johann Philipp Karl v. Wessenberg geboren. Seine frühe Jugend verlebte er auf dem väterlichen Landgut zu Feldkirch im Breisgau, wohin die Eltern sich 1776 zurückgezogen hatten. Den ersten Unterricht erhielt er mit seinen Geschwistern vom Vater und einem geistlichen Hauslehrer, wobei Heinrich gute Naturanlagen, aber – nach eigenem Geständnis – auch einen eitlen Trieb nach Auszeichnung und ungemeine Empfindlichkeit gegen Tadel an den Tag legte.
In politischer Hinsicht galt Joseph II. in der Familie als Ideal; unter Tränen teilte der Vater 1790 den Tod „des guten Kaisers“ den Kindern mit. Nach zweijährigem Aufenthalt an der von Exjesuiten geleiteten Lehranstalt St. Salvator zu Augsburg zog es den jungen Wessenberg an die Kants Philosophie und der Aufklärung ergebene Hochschule zu Dillingen, wo er die philosophischen und theologischen Studien begann; denn als nachgeborener Sohn einer altadeligen Familie war er wie auch sein jüngerer Bruder Aloys für den geistlichen Stand bestimmt und soeben (1792) mit Dompräbenden an den Hochstiften zu Konstanz, Augsburg und Basel ausgestattet worden.
Im Jahre 1794 siedelte er an die ebenfalls der Aufklärung huldigende Universität Würzburg über.
Neben theologischen gab er sich hier auch juristischen Studien über deutsches Staatsrecht und bürgerlichen Prozess hin, kam oft an den Hof und wurde vom Fürstbischof Franz Ludwig Erthal und dessen Nachfolger Fechenbach mit ausnehmender Freundlichkeit behandelt. Hier traf er auch zum ersten Mal mit Karl Theodor v. Dalberg, Koadjutor von Mainz und Konstanz, zusammen, der ihn von da ab nicht mehr aus dem Auge verlor. Seit Sommer 1796 war Wessenberg in Wien, wo er neben seinen Studien auch praktisch als Volontär am Reichshofrat arbeitete. Bedeutende Verluste am Familienvermögen infolge der Kriege im Elsaß veranlassten ihn aber schon Ende 1797, seinen Aufenthalt in Konstanz zu nehmen, woselbst ihm seit einiger Zeit ein Kanonikat verliehen war.
Das Resultat seiner Studien
Kirchengeschichte und Kirchenrecht nahmen fast ausschließlich seine Zeit in Anspruch, und eine an die geistlichen Stände gerichtete Druckschrift, welche er zu Augsburg 1800 herausgab, fasste das Resultat seiner Studien in den Gedanken zusammen: Die deutsche Kirche soll unter der Oberleitung eines Primas sich von der römischen Kurie möglichst unabhängig machen. Als mit dem Tod des Fürstbischofs von Konstanz, Maximilian v. Rodt (14. Januar 1800), Dalberg dessen Nachfolger wurde, bestellte er Wessenberg zu seinem Generalvikar in Konstanz, nachdem eine mehrstündige Unterredung in Augsburg die Übereinstimmung ihrer beidseitigen Ansichten und Pläne dargetan.
Eine diplomatische Sendung nach Bern zu Gunsten der auf dem eidgenössischen Gebiet gefährdeten Kirchengüter war die erste Aufgabe, mit welcher Dalberg seinen Schützling betraute. Wessenberg führte sie mit Geschick und Erfolg durch. Ein päpstliches Breve sprach ihm das Wohlgefallen und den Dank des heiligen Vaters aus. Anfangs 1802 übernahm Wessenberg das Generalvikariat. Er war damals 27 Jahre alt und Subdiakon; erst im September 1812 wurde er in Fulda zum Priester geweiht. Seine Anschauungen und Grundsätze legte er selbst in dem 1801 in Zürich erschienen „Geist des Zeitalters“ dar.
Reformatorische Bestrebungen Wessenbergs
Die Religion, sagt er, werde von den Priestern missbraucht, um Reichtümer und die Herrschaft über die Geister an sich zu reißen; darum habe der Staat die Kirche unter Vormundschaft zu nehmen (a.a.O. 92). Offenbarung sei etwas für das gemeine Volk. Jede Religion baue sich auf Vorurteilen auf, insbesondere auf der Vorstellung, dass die Priester sich eines näheren Umganges mit Gott erfreuten, und ihre Lehren Orakelsprüche der Gottheit seien. Die Stützen dieser Vorurteile habe das Volk so lange nötig, als ihm die wohltätige Aufklärung Dämmerung bleibe. Man müsse also klug vorgehen (178ff).
„Dem Kirchenglauben kann, ohne dass man ihm den Dienst aufsagt noch ihn befehdet, sein nützlicher Einfluss als eines Vehikels erhalten und ihm gleichwohl als einem Wahn von gottesdienstlicher Pflicht aller Einfluss auf den Begriff der eigentlichen Religion – nämlich der moralischen – abgenommen werden, und so bei aller Verschiedenheit der Glaubensarten Verträglichkeit der Anhänger unter einander durch die Grundsätze der ewigen Vernunft-Religion gestiftet werden, bis man mit der Zeit vermöge der überhand genommenen Aufklärung mit Jedermanns Einstimmung die Form eines erniedrigenden Zwangsglaubens gegen eine kirchliche Form, die der Würde einer moralischen Religion angemessen ist, nämlich die eines freien Glaubens, vertauschen kann.“ (142).
In früheren Jahren, führt Wessenberg weiter (184ff) aus, sei die Geistlichkeit gutmütig genug gewesen, zu meinen, die bischöfliche und die päpstliche Gewalt sei unmittelbar von Gott verliehen worden; aber keine von beiden sei göttlichen Ursprunges und Rechtes, sie stammten aus späteren Zeiten und seien Erzeugnisse des sich nach und nach äußernden Bedürfnisses. „Eine wahre Verbesserung der kirchlichen Zustände war die höchste Idee“, welche Wessenberg zu unermüdlicher Tätigkeit anspornte.
Die Situation im Klerus
Freilich tat eine Verbesserung not. Die vornehmeren Klassen hatten das Gift der französischen Grundsätze in sich aufgenommen und sahen mit Verachtung auf den Glauben herab. Das gemeine Volk hatte unter den Kriegen schweren sittlichen Schaden gelitten.
Der Klerus war großenteils ohne Berufseifer. Nicht wenige Pfarrer hielten in einem Monat nur einmal Predigt und christliche Lehre (Wessenbergs. Bibl. Fasc. 38, Nr. 61). Es war also freudigst zu begrüßen, dass Wessenberg vor Allem der Erziehung des Klerus eine vorzügliche Sorge zuwandte. Wer ins Seminar aufgenommen werde wollte, musste einen philosophischen Kursus mit Logik, Psychologie, Moralphilosophie, Physik und Geschichte mit Erfolg durchgemacht haben und in den Hauptfächern der Theologie, in Exegese, Kirchengeschichte, Dogmatik, Moral, Kirchenrecht, Pastoral und Pädagogik, eine Prüfung bestehen; ebenso wurde am Schluss eines jeden Semesters meistens unter dem persönlichen Vorsitz Wessenbergs, über die vorgetragenen Disziplinen geprüft.
Auch das war ein trefflicher Gedanke und das Merkmal eines organisatorischen Geistes, wenn Wessenberg sogleich 1802 die Dienstanweisung der Vikare, welche sich bisher wie Knechte an Pfarrer verdingt hatten und oft auch wie Knechte gehalten wurden, dem Ordinariat in die Hand gab. Ebenso war es freudig zu begrüßen, dass Wessenberg unverweilt anordnete, in der Pfarrkirche müsse jeden Sonntag gepredigt, und in der Schule wöchentlich zweimal Religions-Unterricht erteilt werden. Aber schon in der 1802 gegründeten und von Wessenberg persönlich redigierten „Geistlichen Monatsschrift“ trat eine bedenkliche Kehrseite der „Verbesserung“ zu Tage, dass es dabei nämlich auf Einführung der josephinischen Aufklärung abgesehen war.
Einführung der josephinischen Aufklärung
Welchen „Schutt“ Wessenberg wegräumen will
Das eifrige Studium der Kirchengeschichte und des kirchlichen Rechtes, hieß es in der Vorrede, werde nicht wenige Vorurteile zu Fall bringen; man erfahre da, wie manche Dinge in der Kirchendisziplin von jeher der Veränderung unterworfen waren, ohne der Einheit Abtrag zu tun.
Was die Vorrede leise andeutete, sprach die Schrift selbst bald unzweideutig aus. Es gelte, aus der Kirche eine Menge Schutt weg zu räumen. Schutt seien die Hunderte von Zeremonien, von denen das Volk nichts verstehe, die übermäßige Verehrung Mariä, welche einzig von der Mutter Gottes Rettung hoffe, die vielen Kapelle, Nebenkirchen, die Nebenmessen an Sonntagen, insbesondere aber die Wallfahrtskirchen und die Wallfahrten, die nur zur Bereicherung der Bäcker, Metzger und Wirte geschaffen seien („sie sind Gift für die Moralität“).
Schutt sei die Unzahl von Weihungen und Segnungen, das ewige Rosenkranzbeten, die verschiedenen Bruderschaften, deren Umbildung in gemeinnützige Anstalten kaum mehr länger aufgeschoben werden könne. Ein Mitarbeiter hatte mit Genehmigung des hochw. Ordinariates bereits eine marianische Bruderschaft in eine „Kongregation oder Liebesbund der löblichen Bruderschaft in N.N. zur Unterstützung ihrer armen Mitbürger unter dem Schutz Mariä und Josephi“ umgewandelt und derselben hiermit „ein vernünftiges Ziel und Ende“ gegeben: „Liebe zu Jesu und den Brüdern“. Den Mitgliedern sind Ablässe zugesichert, aber „bei diesen ist wohl zu merken, dass man sie nicht bloß durch Beichte und Kommunion und mit einigen Gebeten gewinnen kann, sondern nur durch eifriges Streben nach Liebe zu Jesu und den Mitmenschen“.
So erfreute sich z. B. eines vollkommenen Ablasses, „wer zur Wiederbelebung eines Erhenkten, Erfrorenen usw. etwas beiträgt“. Aber Wessenberg ist der Meinung, dieses Werk „hätte wohl verdient, zu einem vollkommenen Ablass erhoben zu werden“ (Geistl. Monatsschrift I, 378ff).
Zum Schutt gehören ferner das Breviergebet, die wöchentliche Beichte, die Klöster. Der vernünftig gewordene Zeitgeist verlange deren Umwandlung in Bildungsinstitute. An die vom Schutt gereinigte Stelle solle ein neuer Bau kommen: die Priesterkandidaten haben die „wesentlichen“ Lehren des Christentums sich fest einzuprägen, sich der wahren, nämlich der sokratischen Katechismusmethode zu befleißigen; die Schule soll auf die Höhe der Zeit empor gehoben werden, dem Volk darf die Bibel nicht länger vorenthalten bleiben, anstatt der bisherigen einfachen Ausspendung des Buß- und Altarssakramentes ist eine „liturgische Buß- und Kommunionfeier“ einzuführen. –
Konferenzen für die reformatorischen Bestrebungen
Ihren Knotenpunkt sollten diese reformatorischen Bestrebungen in den Kapitels-Konferenzen finden, an deren Einführung von Konstanz aus mit glühendem Eifer gearbeitet wurde. Bei zweckmäßiger Einrichtung erörtert Wessenberg, seien sie ein vortreffliches Mittel, den so verschieden gesinnten Klerus zu einheitlichen Grundsätzen in Theologie, Moral und Pastoral zusammen zu führen und eine Beseitigung von Gesetzen anzubahnen, „die entweder ganz abgeschafft werden sollen oder doch nach dem Zeitgeist nur unter gewissen Einschränkungen Verbindlichkeit haben dürften“ (ebd. I, 320).
Von Kapitel zu Kapitel wurden monatliche Konferenzen eifrig ins Werk gesetzt, in manchen Kapiteln traten die Regiunkeln zu Monatskonferenzen zusammen. Ihre Verhandlungen und Aufsätze wurden an Wessenberg eingesendet, und die Monatsschrift war das Sprachrohr der Konferenzen. Wessenberg begleitete die Aufsätze mit Fußnoten, welche aufklärende Winke geben, über Bedenken beruhigen, Aufgaben stellen, die Schüchternen ermutigen, den Kühnen Beifall spenden sollten. Er selbst behandelte geschichtliche Themata im Sinne der Aufklärung, der „reinen Lehre Jesu“ und des „wahren, vernünftigen Christentums“.
Im Zusammenhang mit den Konferenzen forderte die Monatsschrift nachdrücklich zur Einrichtung neuer Kapitels-Bibliotheken auf. Behufs zweckmäßiger Anschaffung empfahl sie beispielshalber die Bücher von Eckartshausen, die Briefe von Gellert, „Irdisches Vergnügen in Gott“ von Brockes und als „schätzbares Werk“ die französische Enzyklopädie (ebd. III, Intelligenzblatt S. 16) – Die Zeitschrift zählte von Anfang 600 Abonnenten aus allen Teilen der weit verzweigten Diözese.
So traurig war es indes um den kirchlichen Geist noch nicht bestellt, dass man die Leistungen der Monatsschrift ruhig hingenommen hätte. Einzelne Artikel verursachten eine gewaltige Gärung in und außer Konstanz. Am 25. Mai 1804 schrieb Dalberg aus Aschaffenburg an Wessenberg: „Aus wichtigen Gründen muss die Meersburger Monatsschrift von nun an aufhören. Dieses gebietet die Liebe des Friedens, welche im gegenwärtigen Zeitpunkt wichtig ist.“ Es solle eine andere, „der Religion und Sittlichkeit offenbar nützliche Unternehmung“ ins Leben gerufen werden, „welche zu keinen Zänkereien Anlass gibt“ (Wessenb. Bibl. Fasc. 49, Nr. 137).
Noch im nämlichen Jahr trat das „Konstanzer Pastoralarchiv“ ins Leben, das bis 1827 jährlich in 2 Bänden erschien. Rein dogmatische und kirchenrechtliche Fragen wurden jetzt von den Konferenzen ausgeschlossen, um „Verketzerungssucht“ und Schädigung der Zusammenkünfte fern zu halten.
Aus 275 gedruckten Themata, meistens aus dem Gebiet der Pastoral, konnte jeder Priester eine beliebige Auswahl treffen. Die Konferenzen selbst wurden organisiert. Wessenberg bestand streng auf deren Besuch; jeder Geistliche musste Arbeiten, mindestens Notizen einliefern. Der „Konferenzdirektor“ übersandte die Arbeiten mit einer übersichtlichen Darstellung über den Verlauf der Verhandlungen dem Generalvikariat. Die besser befundenen Arbeiten wurden in das Pastoralarchiv aufgenommen. Eine außerordentlich Anzahl von Aufsätzen befassten sich mit der Volksschule.
Die Heranbildung von Lehrern, die Vervollständigung und Erweiterung des Lehrplanes, die Ausbildung und theoretische Begründung einer zweckmäßigen Methode ist dem Generalvikar ein Herzensanliegen gewesen, und er hat eine bedeutende Anzahl von fähigen Männern zur eifrigen Mitarbeit gewonnen. Eine rege praktische und schriftstellerische Tätigkeit hat in Verbindung mit Wessenberg in dieser Richtung der spätere Erzbischof Demeter entfaltet. Um seinem Sinn entsprechende Religions-Handbücher, Katechismen, Gesangbücher usw. zu bekommen, setzte Wessenberg Prämien aus, zum Teil aus eigenen Mitteln. Auch auf dem Gebiet der praktischen Theologie im engeren Sinne enthält das Pastoralarchiv manche wertvolle Gedanken und Aufsätze. Aber seinen Charakter als Organ zur Verbreitung der Aufklärung konnte und wollte es nicht verbergen.
Deutsche Formularien für Messe und Sakramente
So forderte Wessenberg die Priester auf, deutsche Formularien zur Ausspendung der heiligen Sakramente und zu Benediktionen zu entwerfen, die Messformularien und die Vespern ins Deutsche zu übersetzen. Er erlaubte auch, solche Formularien nach erfolgter Gutheißung in der Praxis zu verwerten; darunter findet sich z. B. der „Versuch eines Taufritus, wenn ein katholischer Pfarrer Kinder protestantischer Eltern zu taufen hat“ (Pastoralarchiv 1811, II, 143 ff), und der „Versuch eines Trauungsritus, wenn ein katholischer Pfarrer eine Ehe einsegnen soll, da ein oder beide Teile einer andern christlichen Konfession zugetan sind. Mit bischöflicher Genehmigung bei sich ereignenden Vorfällen einstweilen zu gebrauchen“ (Pastoralarchiv 1812, I, 102 ff).
Manche Pfarrer waren in dieser Richtung von einem glühenden Eifer entbrannt; so meldet Pfarrer Wolf von Rickenbach am 26. Oktober 1809, er habe „acht Litaneien verfertigt“. –
Die unbeschränkte Vollmacht Wessenbergs
Verbote und antikirchliche Verordnungen
Was Wessenberg in den Konferenzen angeregt hatte, führte er alsbald ins Leben ein. Das Ordinariat hatte dabei wenig zu sagen. „Wessenberg schaltete und waltete mit unbeschränkter Vollmacht, ohne alle Rücksicht auf den geistlichen Rat, nach seinem Eigensinn“ (Braun, Memoiren des letzten Abtes von St. Peter, Freiburg 1870, 298). Mitglieder der Kurie beklagten sich: „Der einzige Wessenberg macht ohne unser Wissen Alles, obgleich im Namen der Kurie. Wir sind an seinen Sultanismus schon gewöhnt“ (Denkschrift 100).
Das Rosenkranzgebet während der heiligen Messe wurde verboten, gegen die Wallfahrten und Ablässe geeifert, die Bruderschaften aufgehoben und an deren Stelle die neue „von der Liebe Gottes und des Nächsten“ befohlen, lokale Prozessionen, Feiertage, Patrozinien mit stürmischer Hast abgestellt, überhaupt eine ganz neue, „aufgeklärte“ Gottesdienst-Ordnung eingeführt.
Aber die Art des Vorgehens und die Neuerungen selbst stießen auf große Hindernisse. Nicht bloß die Gegner Wessenbergs klagten wegen „Überschwemmung mit geistlichen Ordonnanzen“, auch die Gesinnungsgenossen waren mit dem überstürzenden Vorgehen unzufrieden. „Mein Wunsch“, schreibt schon Ende 1804 einer der devotesten Verehrer und entschiedensten Anhänger Wessenbergs, Dr. Fridolin Huber, „war schon lange, dass nicht so viele bischöfliche Dekrete erscheinen möchten, die heute dieses und morgen schon wieder etwas anderes gebieten oder verbieten.“ Priester – von mir und meinesgleichen gilt das freilich nicht – und Volk werden durch die immerwährenden Verordnungen, die kein Ende nehmen wollen, nur aufgebracht“ (Wessenb. Bibl. Fasc. 47, n. 137).
Widerstand gegen die Verordnungen und Verbote
Bei den Konferenzen kam es bisweilen zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen „Aufgeklärten“ und „Obskuranten“. Der Domdekan und Weihbischof v. Bissingen widersetzte sich der Einführung der Neuerungen in die Domkirche zu Konstanz (Braun 298); auch manche Dekane und Pfarrer zögerten und wurden mit Suspension bedroht. Im Jahre 1812 stellte Wessenberg dem katholischen Kirchendepartement in Karlsruhe vor, man möge die freien Dekanatswahlen aufheben, „weil die Pfarrer an den Dekanen nur Anwälte haben wollen, wenn sie die bischöflichen Anordnungen nicht vollstrecken“ (Wessenb. Bibl. Fasc. 75, n. 127). Erlasse des Generalvikars, welche nur an die Pfarrer oder Dekane gerichtet waren, mussten, damit ihre Ausführung gesichert werde, von der Kanzel verkündet, und die Verkündigung musste vom Vogt beurkundet werden.
„Beinahe das einzige Hindernis der kirchlichen Verbesserungen“, schreibt Dekan Burg von Kappel am 21. September 1809, „sind die katholischen Geistlichen selbst. ‚Seht, man will euch mit Gewalt lutherisch machen‘, so sprechen neun Zehntel teils aus subjektiver Überzeugung, teils aus Heuchelei, teils aus tückischem Neid“ (Wessenb. Bibl. Fasc. 67, n. 117). Das größte und beharrlichste Hindernis stellte aber den Neuerungen das katholische Volk entgegen. In den vier oberbadischen Orten Minseln, Nollingen, Rickenbach und Weilheim kam es zu förmlichen Aufständen wegen Verbot des Rosenkranzgebetes, in der Baar, in Immendingen und Hüfingen zu amtlichen Untersuchungen (Wessenb. Bibl. Fasc. 65, n. 74).
Wessenbergs aufklärerische und reformatorische Ziele
Die sog. Verbesserungen sollen zur Trennung von der römischen Kirche führen
In der Rheinebene unterhalb Freiburg hatten die Neuerungen zu Reibereien zwischen Katholiken und Protestanten geführt. Auf Anfrage Wessenbergs, ob durch die Spannung etwa die kirchliche Verbesserung gefährdet werden könne, antwortete Dekan Burg, die bischöfliche Behörde dürfe sich von ihrem Beginnen nicht abhalten lassen.
„Eine Spannung wird so lange bestehen, als Gott noch zu Sion und Garizim angebetet wird; es muss einmal die verheißene Zeit herbei geführt werden, wo er überall im Geiste und in der Wahrheit angebetet wird.“ …
„Es ist unleugbar, dass die Protestanten unsere Verbesserungen mit Eifersucht ansehen. Es ist unleugbar, dass wir in unseren Verbesserungen nach ihren Grundsätzen handeln und sogar ihre trefflichen früheren und späteren Vorarbeiten in allen Fächern, besonders jetzt in der Liturgie, benutzen. Es ist unleugbar, dass wir uns in unserer Verbesserung von der römischen Kirche trennen und uns der deutschen protestantischen Kirche nähern müssen. Es ist also hier die größte Klugheit notwendig, alle kirchlichen Verbesserungen so zu veranstalten dass wenigstens die eifersüchtigen Protestanten nicht sagen können: ‚Seht, man hat es von uns genommen und euch gegeben.’“ (Wessenb. Bibl. Fasc. 67, n. 117).
Wessenberg selbst schrieb an den reformierten Pfarrer Scherer, er wünsche, dass die Liebe bald der Trennung im Glauben ein Ende mache. So klar waren sich die Führer ihres Beginnens bewusst; aber auch das Volk.
Die Arroganz gegenüber dem katholischen Volk
Die Frage, wie der „Eigensinn“ des Volkes zu brechen sei, ist in dieser Zeit das stehende Thema der Konferenzen, und es ist empörend, wie verächtlich diese Hirten vom katholischen Volk, vom „gemeinen Christenhaufen“ reden. Nach ihrer Ansicht ist das Volk fast wie das Tier abhängig von sinnlichen Eindrücken und unfähig für höhere Geisteskultur. Was es tut, ist Aberglauben, Heuchelei, Lippendienst, Mechanismus. Man hatte keine Ahnung von dem tiefen religiösen Sinne, der im christlichen Landvolk lebte, die Aufklärung durchschaute und allerwärts in den Klageruf ausbrach: „Wir müssen eben lutherisch werden.“ Vom Jahre 1814 an beschäftigten sich das Generalvikariat und die Konferenzen lebhafter mit der Verbreitung der Bibel unter dem gemeinen Volk.
Wessenberg für das unbeschränkte Bibellesen
In der Frage, ob man dem Volk die ganze heilige Schrift oder einen Auszug in die Hand geben solle, redete Wessenberg, wenn auch etwas verklausuliert, dem unbeschränkten Bibellesen das Wort. Mit einem bischöflichen Hirtenbrief von Salzburg teilt er neben anderen Meinungen auch die, „dass, wenn einmal das Bibellesen allgemeiner wird, der gemeine Mann auch bald heller denken und aufgeklärter, an Vorurteilen und Aberglauben nicht mehr so sehr kleben, zum soliden christlichen Unterricht gelehriger und empfänglicher“ werde (Pastoralarchiv 1815, I, 153 ff).
Das Neue Testament wurde bald darauf in der Übersetzung des „verdienten“ Leander van Eß an die Pfarrämter versandt, „um die Bücher an die Haushaltungen zu verteilen“; 1820 wurde über eine in Freiburg zu gründende katholische Bibelgesellschaft verhandelt. –
Das Pastoralarchiv geht allem Übernatürlichen scheu aus dem Wege. Der Seelsorger erscheint da nicht als Priester, sondern nur als „Volkslehrer“, als Prediger, und die protestantischen „Stunden der Andacht“ werden ihm als eine vorzügliche Predigtquelle angepriesen. Die sokratische Methode, welche nichts Neues mitteilt, sondern nur zum Bewusstsein bringt, was der Mensch schon in sich trägt, wird dem Katecheten als die eigentlich christliche, weil von Jesus Christus selbst beobachtete Lehrmethode empfohlen. So wenig die 47 Bände des Pastoralarchivs vom Glauben verlauten lassen, so wenig vermögen sie ihre starke Hinneigung zum Rationalismus zu verbergen.
Die Gemeinsamkeiten von Wessenberg und Werkmeister
Dieselbe tritt am deutlichsten in den Bücheranzeigen zu Tage. Im Jahre 1810 empfehlen sie Coopers Briefe, deren Verfasser nach Wessenberg den Katholizismus in seiner reinen Gestalt dargestellt habe. Da liest man: die katholische Kirche bedürfe nicht eines obersten Hirten und sichtbaren Hauptes; der römische Papst sei mit dem trojanischen Pferd zu vergleichen; die Lehre von der allein seligmachenden Kirche sei unchristlich und falsch; die Messe sei theatralisch, die Anrufung der Heiligen abergläubisch, die Lehre vom Fegefeuer phantastisch, die Verehrung der Bilder abgöttisch.
Kurz darauf redet das Pastoralarchiv auch der Ulmer „Jahrschrift für Theologie und Kirchenrecht“ das Wort, wie denn auch die an der Spitze der beiden Zeitschriften stehenden Männer, Wessenberg und Werkmeister, innig befreundet waren. Aber die Ulmer Jahrschrift steht entschieden auf häretischem Boden, sie ist das Arsenal der Aufklärung gewesen und hat mehr als jede andere Schrift zur Unterwühlung des katholischen Glaubens beigetragen.
Geradezu feindselig gegen das Übernatürliche können die Aufsätze des Pastoralarchivs werden, wenn sie auf die Gnade und die Gnadenmittel zu reden kommen. Da witzeln sie dann über das opus operatum, spotten über das Gebet als Gnadenbettelei, über die eingegossene Gnade und Tugend und rufen entrüstet: „Das Volk weiß nichts von der Kraft des freien Willens“ (Pastoralarchiv 1824, I, 44). Der Zweck der Segnungen ist ausgesprochenermaßen nur Erbauung, und auch bei den Sakramenten tritt die Gnaden-Erteilung in den Hintergrund oder verschwindet ganz, je nach dem Grade der Aufklärung des Verfassers.
Nach Werkmeister sind die Sakramente „zweckmäßig aufgestellte Bilder und Zeichen, uns das Wichtigste unserer Religion leicht und rührend ins Andenken zu bringen und dadurch gute Gesinnungen und Antriebe zur Rechtschaffenheit in uns zu erwecken“. Daher denn auch die deutschen Formularien für Ausspendung der Sakramente und für Benediktionen und die Verdeutschung der Messgebete. „Schon längst“, sagen die „Freimütigen Blätter“ 1836, 1. Heft, 78, „haben sich eifrige Seelsorger die Freiheit genommen, auch in den Messen die Oration, die Epistel, das Evangelium deutsch vorzutragen, das Credo in deutscher Sprache anzustimmen und sofort vom Chor fortsetzen zu lassen und den wahrhaft schönen und reichhaltigen Lobgesang (Präfation) deutsch abzusingen.“ –
Wessenbergs Willkür gegen positive Kirchengesetze
Positive Kirchengesetze gab es für Wessenberg nicht. Sehr leicht erhielten die Geistlichen Dispens vom Breviergebet und Erlaubnis, vor der heiligen Messe zu frühstücken (Braun 298), die Diözese oder Teile derselben Dispens von der Abstinenz an den Samstagen, letzteres trotz päpstlicher Einsprache (Breve vom 4. Februar 1809). Über den Index librorum prohibitorum belehrt Wessenberg seinen Klerus im Anschluss an Leander van Eß (Pastoralarchiv 1815, I, 155), er sei von Privaten angefertigt und vom Papst allein gut geheißen, also kein allgemeines Kirchengesetz; auch sei derselbe in manchen katholischen Ländern, Frankreich, Deutschland etc., nicht angenommen. –
Im Einverständnis mit der Regierung von Luzern, aber im Widerspruch mit dem kirchlichen Recht und dem Konzil von Trient ordnete Wessenberg schon 1804 und später auch für die Kantone Aargau, St. Gallen, Schwyz, Unterwalden an, dass in Zukunft Sponsalien nur dann gültig seien, wenn sie vor dem Pfarrer und mindestens zwei Zeugen abgeschlossen würden; auch dass Kinder nur mit Einwilligung ihrer Eltern oder Vormünder gültige Sponsalien schließen könnten.
In direktem Widerspruch mit dem kirchlichen Recht stand auch eine Übereinkunft von 1806 mit derselben Regierung. Ohne jeden Grund wurde das Kloster Wertenstein aufgehoben und in ein bischöfliches Seminar verwandelt. Die Aufnahme-Prüfung war vor einer staatlich und kirchlich gemischten Kommission abzulegen, die Einrichtung der Anstalt der staatlichen Genehmigung unterstellt, und die Vorsteher hatten jährlich der Regierung Rechenschaft über die Verwaltung der Temporalien abzulegen. Eine Anzahl von Benefizien wurden zu Professoren-Gehältern oder anderen der Stiftung fremden Zwecken verwendet. Ohne gut bestandenen Staatskonkurs konnte kein Geistlicher ein Benefizium erlangen.
Mit Beistimmung Wessenbergs machte sich Luzern daran, noch andere Klöster aufzuheben, um Raum und Mittel für Waisenhäuser, Rettungs-Anstalten usw. zu bekommen. Im Jahre 1806 stellte Wessenberg aus eigener Machtvollkommenheit in den Kantonen Aargau und St. Gallen eine Reihe von Feiertagen ab. Ein Erlass vom 3. Oktober 1807 bestimmte, dass päpstliche Ausfertigungen und Anordnungen erst durch die Genehmigung der bischöflichen Kurie wirksam werden.
Bezeichnend ist auch das 1808 erschienene Reskript an einige Dekanate der Schweiz in Betreff der gemischten Ehen. Es sei zwar wünschenswert, dass sämtliche Kinder in der katholischen Religion erzogen werden, und der Pfarrer habe diesen Wunsch dem katholischen Brautteil nachdrücklich ans Herz zu legen. Sei aber dieses Ziel nicht zu erreichen, so bleibe nichts Anderes übrig, als dass die Knaben in der Religion des Vaters, die Mädchen in der der Mutter erzogen würden. Die Einsegnung solcher Ehen habe jeweils vor dem Pfarrer des Bräutigams zu geschehen; nachher sollten sich aber beide Teile von dem Pfarrer der Braut stellen und den Ehekonsens wiederholen. –
Unerlaubte Eingriffe in Privilegien der Regularen
Viele Eingriffe erlaubte sich Wessenberg in die Privilegien und Exemtionen der Regularen; insbesondere visitierte er wiederholt das Kloster der Franziskanerinnen in Appenzell, obgleich dasselbe unmittelbar dem heiligen Stuhl unterworfen war. Wiederholt säkularisierte Wessenberg Religiose und dispensierte von den feierlichen Gelübden, auch vom Gelübde der ewigen Keuschheit. Auch in Ehesachen gab er unberechtigte Dispensen. Wegen dieser Eigenmächtigkeit vom Luzerner Nuntius Testiferrata am 26. Januar 1811 zur Verantwortung aufgefordert, erwiderte Wessenberg, das Schreiben des Nuntius verkenne die dem bischöflichen Amt wesentliche Jurisdiktion; die gerügten Dispensen habe der Bischof aus eigener Machtvollkommenheit erteilt und erteilen können. Er gab zu verstehen, dass er die Nuntiatur von Luzern nicht anerkenne. –
aus: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 12, 1901, Sp. 1343 – Sp. 1353
Siehe auch den Beitrag auf katholischglauben.online:
Bildquellen
- Marie_Ellenrieder_-_Ignaz_Heinrich_von_Wessenberg_(ÖaL_1819): wikimedia