Die Irrlehren und die katholische Wahrheit
Die notwendige Folge der Disharmonie in den religiösen Ansichten ist diese, daß alle ungewiß werden.
Was ist nun die Folge dieser endlosen Meinungsverschiedenheiten bei den Häretikern, wodurch eine Sekte der andern, ein Individuum der andern feindlich gegenüber steht? Die Ungewißheit und der Zweifel, wie der hl. Thomas bündig bemerkt: „Wenn man sieht, daß diejenigen, die als Weise gelten, über eine und dieselbe Sache verschieden denken und sprechen, so werden selbst jene Wahrheiten, die im Übrigen auf das Deutlichste bewiesen werden, den Meisten ungewiß und zweifelhaft.“
Die verschiedenen, einander widersprechenden Lehren und Systeme über ein und dieselbe Wahrheit, die von den zahllosen Sekten angenommen und verteidigt werden, müssen notwendiger Weise alle zusammen ungewiß und zweifelhaft erscheinen lassen. Dem Häretiker muss es stets ungewiß bleiben, ob das wahre Christentum bei den Ruthenern oder bei den Griechen, bei den Lutheranern oder bei den Calvinisten, bei den Methodisten oder bei den Quäkern, bei den Anglikanern oder bei den Presbyterianern, bei den Sozinianern oder bei den Wiedertäufern zu finden sei. Auch das Zeugnis der heiligen Schrift, in welcher alle diese Sekten ihren Glauben gefunden haben wollen, kann ihm keine Gewißheit verschaffen; denn es ist unmöglich, daß dieses göttliche Buch über eine und dieselbe Wahrheit so verschiedene Ansichten enthalte, wie sie die Sekten in grellstem Widerspruch mit einander aufstellen.
Auch sie glauben im Hinblick auf so viele wider sie sprechende Zeugnisse nichts weniger, als mit Gewißheit, an die Wahrheit ihrer Lehre und ihrer Sekte. Sie halten nur deshalb hartnäckig an ihr fest, weil sie selbe im Interesse irgend einer Leidenschaft einmal angenommen haben, oder weil sie in ihr geboren und erzogen sind. Das ist ihnen genug, um die Verirrungen und die Torheiten irgend eines Häresiarchen dem Glauben der allgemeinen Kirche vorzuziehen. (Joachim Ventura)