Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Wiedertäufer
Wiedertäufer (Anabaptisten), Bezeichnung für das weit verzweigte Sektentum der Täuferbewegung. Diese entstand zur Zeit der Glaubensspaltung infolge der durch den Protestantismus angeregten allgemeinen und ungeregelten Bibellektüre, die unter den Einflüssen von Erasmus, Zwingli, Oecolampadius in dem theologisch ungebildeten, sozial und wirtschaftlich bedrückten Kleinbürger– und Handwerkerstand das enthusiastische Streben weckte, das apostolische Zeitalter mit seiner angeblichen Gütergemeinschaft und ursprünglichen christlichen Vollkommenheit wieder herzustellen durch Heranbildung der „Gemeinden von Heiligen“.
Verpflichtung zum ethischen Rigorismus
Das Prinzip der Aussonderung und die Verpflichtung zum ethischen Rigorismus führten zur Ablehnung der protestantischen Rechtfertigungslehre, zur Forderung der Bekehrung vor der Taufe und damit zur Erwachsenentaufe, weshalb sich die Anhänger als Täufer oder Taufgesinnte bezeichneten und die Kindertaufe und den Begriff der Volkskirche, in die man hinein geboren wird, ablehnten. Die von Gegnern stammende Bezeichnung Wiedertäufer trifft nicht ganz das Richtige, da auch die sog. Wiedertäufer eine Wiedertaufe nach bereits empfangener gültiger Taufe – die Kindertaufe galt ihnen nicht als solche – grundsätzlich ablehnten.
Da der Protestantismus das kirchliche Lehramt beseitigt hatte, beriefen sich die Wiedertäufer bei der Bibelerklärung folgerichtig auf die innere Erleuchtung, auf den „Geist“, in welchem sie teils zu allegorischer Deutung, teils zu wörtlicher, gesetzlicher Anwendung der biblischen Sätze, besonders der Bergpredigt, auf die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Zeit kamen. Eschatologische, apokalyptische, chiliastische, christlich-kommunistische und bildungs-feindliche (Abecedarier) Gedankengänge strömten so mit ein. Der ethische Rigorismus schlug in Verbindung mit der Lehre, der Wiedergeborene sei vom Gesetz frei, vielfach in sittlichen Laxismus und sexuelle Verirrungen um. Radikale Führer trugen ein revolutionäres Element in die Bewegung und versuchten, das von ihnen politisch und sozial gedachte Gottesreich durch Gewalt zu errichten.
Der Beginn der wiedertäuferischen Bewegung
Die wiedertäuferische Bewegung begann 1521 bei den Wittenberger Schwarmgeistern in Sachsen und Thüringen, wo Storch (Zwickauer Propheten) 1522 in Wittenberg, Münzer 1523 in Allstedt in wiedertäuferischem Sinn lehrten, ohne jedoch die Taufe zu wiederholen. Unter Münzers Einfluss geriet damals auch Melchior Rink. Tatsächlich durchgeführt wurde die Wiedertaufe zuerst in den protestantischen Gebieten der Schweiz, wo seit 1524 K. Grebel, F. Manz, Gg. Blaurock und andere Schwärmer Absonderung betrieben, sich seit 1525 gegenseitig wiedertauften (die 1. Wiedertaufe vollzog Grebel 1525 am abgefallenen Prämonstratenser Blaurock) und in Zürich, St. Gallen, Schaffhausen, Waldshut und andern orten eigene Konventikel errichteten. Die einsetzende Verfolgung trieb die Wiedertäufer von der Schweiz in schneller und starker Verbreitung über Süd-Deutschland, Tirol, Mähren Ungarn an den Niederrhein und nach Friesland. Da sie sich in Sachsen, Franken und Thüringen mit dem Bauernaufstand verbanden, begann auch hier und bald in ganz Süd-Deutschland und Österreich die Verfolgung.
Verfolgung der Wiedertäufer
Ein kaiserliches Mandat vom 4.1.1528 verordnete die Hinrichtung aller Wiedertäufer; das Mandat v. 23.4.1529 setzte die Todesstrafe für die Hartnäckigen, Rückfälligen und Führer fest, begnadete aber die Reuigen. Die Führer Manz, B. Hubmeier, Blaurock und zahlreiche unbedeutende Wiedertäufer wurden hingerichtet. Infolge der schweren Verfolgung trieb die Bewegung weiter, immer mehr ins Extreme. Die Führung des radikalen Zweiges, der eigentlichen Wiedertäufer, übernahm Melchior Hoffmann, (Anhänger: Melchioriten), der das Täufertum in Livland, Schweden, Kiel, Lübeck Ostfriesland, den Niederlanden und Elsaß verbreitete und Straßburg als Mittelpunkt des mit dem Schwert aufzurichtenden „Reiches Zion“ prophezeite. Dort 1533 gefangen, starb er 1543 im Kerker. Seine Nachfolge übernahm in den Niederlanden der Bäcker Jan Matthysen aus Haarlem, der mit der Rotte, darunter dem Schneider Jan Bockelson (eignetlich Beukelszoon), Johann v. Leyden genannt, 1534 nach Münster in Westfalen zog, wohin bereits die niederrheinischen Anhänger Hoffmanns geflohen waren.
Die Tyrannei der Wiedertäufer in Münster
Unter Mitwirkung des Predigers B. Rothmann und der münsterschen Bürger Knipperdolling und Krechting errichteten die Wiedertäufer dort „das neue Zion“. Schon 23.2.1534 erlangten sie die Herrschaft im Stadtrat, machten Bockelons Schwiegervater Knipperdolling zum Bürgermeister, entweihten und plünderten Kirchen und Klöster, verbrannten Archive und Bibliotheken, zerstörten Kunstwerke, führten Güter-Gemeinschaft ein und begingen furchtbare Grausamkeiten und Sexualexzesse. Matthysen fiel 5.4.1534 bei einem Ausfall aus der von Bischof Franz von Waldeck belagerten Stadt; Bockelson trat als „König des neuen Zions“ an seine Stelle, führte Vielweiberei ein (er selber nahm 16 Frauen), bestellte 12 Älteste als Richter, sandte 28 Apostel aus und ernannte 12 Herzöge, die unter ihm die Welt regieren sollten. Das Heer des Bischofs und seiner Bundesgenossen stürmte nach 16-monatiger Belagerung die Stadt 24.6.1535; die Führer der Wiedertäufer wurden hingerichtet.
In der Täuferbewegung bekam nun die gemäßigte Richtung die Oberhand; sie erwählte 1536 den Priester Menno Simons zu ihrem Haupt (Mennoniten). Zur gleichen Zeit begann eine heftige Verfolgung der Wiedertäufer in Mähren; doch hielt sich dort die Bewegung bis Anfang des 17. Jahrhunderts. In Siebenbürgen bestand noch im 18. Jahrhundert ein versprengter Rest der sog. „Gmain“, er wanderte von dort 1781 nach der Ukraine und 1874 nach Dakota und Kanada aus, … (Hutterische Brüderschaft). –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. X, 1938, Sp. 870 – Sp. 872