Marianische Festreden zur Feier des Maimonats
v. Franz Xaver Weninger, S.J.
3. Mai Du Jungfrau der Jungfrauen!
Die Kirche begrüßt mit ihrem dritten Gruß Maria als „Jungfrau der Jungfrauen“. Der Grund, warum sie Maria nicht bloß als Jungfrau, sondern als „Jungfrau der Jungfrauen“ begrüßt, liegt darin, weil Maria unter den Jungfrauen die Erste war, welche durch ein Gelübde sich als Jungfrau dem Herrn verlobte. Aus den Männern waren wohl einige, welche ehelos aus freier Wahl gelebt, wie Josua, Elias, Johannes und der hl. Joseph; allein aus dem Frauengeschlecht war Maria die Erste, die sich durch ein Gelübde freiwillig ganz und völlig, mit Leib und Seele Gott geweiht.
Der hl. Ambrosius nennt deshalb Maria die „Fahnenträgerin“ der Jungfrauen. Der alsdann allerdings im Neuen Testament im Lauf der Jahrhunderte, Jungfrauen in unabsehbaren Scharen gefolgt sind.
Wohl nahm die Tochter des Jephte, wie die Schriftausleger es erklären, notgedrungen, aus Zwang, diese Lebensweise auf sich, um ein Gelübde ihres Vaters zu sühnen. Allein was Maria betrifft, so tat Sie das aus eigener Wahl und tat es bereits, wie die Tradition uns berichtet, als Kind bei Ihrer Aufopferung und Weihe an Gott im Tempel, als Sie, von Ihren gebenedeiten Eltern Abschied nehmend, mit denselben nach Jerusalem hinzog, um in der Nähe des Tempels Ihre Jugend zu verleben.
Kinder Mariä, erwägen wir erstlich das Lob, das Maria ob dieses Vorzuges gebührt. Wir werden Ihr dieses Lob aber mit um so größerer Bewunderung spenden, wenn wir daran denken, welches die Gründe sind, die im Allgemeinen den jungfräulichen Stand so unermesslich hoch über den Ehestand erheben.
Christus der Herr selbst gibt dieselben mit den Worten an: „Sie werden sein wie die Engel; sie werden weder heiraten noch verheiratet werden.“ Was soll das sagen? Sagen will es: die Jungfrau beginnt bereits auf Erden das Leben der Engel im Himmel. Die Engel sind nämlich pure Geister. Diese Beschaffenheit ihrer Natur bringt dieselben Gott näher, macht die Engel Gott ähnlicher. Gott ist ein Geist. Das ist der Mensch an und für sich nicht; er besteht aus Leib und Seele, und deshalb steht die Natur der Engel unter den Geschöpfen der Natur Gottes näher und ist somit über die der Menschennatur erhaben.
Allein durch das Gelübde der Jungfrauschaft, durch diese Lebensweise lebt der Mensch auf Erden schon das Leben der Engel. Er lebt so, als habe er keinen Leib und niemand hat über denselben ein Recht, wie das im entgegengesetzten Stand der Ehe der Fall ist. Wer jungfräulich lebt, der hat so ganz das Recht, seinem Gott und Schöpfer, seinem letzten Ziel und Ende, zuzurufen: „Ich bin ganz Dein“. Welch ein edler und erhabener Stand; und zugleich, welch ein verdienstlicher Stand.
Alle die Vorzüge der Engel und die Vorteile, welche die Natur des Geistes den Engeln gewährt, begleiten nun auch den Stand der Jungfräulichkeit auf Erden.
Die Engel im Himmel, sie schauen Gott. Das ist auch der Vorteil des jungfräulichen Standes. „Selig“, sagt Christus, „die eines reinen Herzens sind, sie werden Gott schauen“. Eine Seele, jungfräulich rein, ist auch deshalb eine Seele, welche leichter und voller im Licht des hl. Glaubens, in der Erkenntnis der Dinge des Heiles, den Weg des Heiles erkennt. Das beweist auch das Leben der Heiligen. Welch Gott erleuchtete Jungfrauen gab es nicht in der hl. Kirche, wie da eine hl. Gertrud, Mechthildis, Katharina von Siena, Theresia, Rosa von Lima, u.a.m.
Die Engel im Himmel, sie loben Gott. Das ist der Vorzug der Jungfräulichkeit. Das Herz der Jungfrau erschwingt sich leicht zu Gott im Gebet; die in der Welt verheiratet lebt, ist nur zu oft belastet und beschwert mit dem Staub der Erde.
Die Engel im Himmel, sie lieben Gott. Die Jungfrau darf mit David und mehr als David sagen: „Was ist mir im Himmel und was verlange ich auf Erden, als Dich, o Gott meines Herzens!“
Die Engel im Himmel, sie dienen Gott und erfüllen Seinen Willen unverweilt. Man malt sie, zum Anzeichen dessen, mit Flügeln ab. Das ist der Vorteil der jungfräulichen Seele. Sie ist auf ihrem Lebensweg ungebunden. Hingegen die, die verheiratet ist, wie der Weltapostel bereits bemerkt, – die ist geteilt.
Sie da, welche Ähnlichkeit zwischen dem Lebensstand der Engel und der jungfräulichen Seele. Ambrosius bemerkt dabei mit Recht, wenn er sagt: „Was der Engel seiner Natur nach ist, das ist die Jungfrau in freier Wahl.“ Daher welch ein Verdienst zugleich und welch eine Sicherstellung, um den Gefahren des Heiles zu entgehen. Der hl. Paulus weist auf diesen Umstand hin, wenn er sagt: „Die Jungfrau sorgt und denkt, was des Herrn ist und daß sie heilig sei an Leib und Seele.“
„Nur eins ist notwendig“, so mahnt Christus selbst, „nämlich: Gott dienen, Seinen Willen erfüllen und das große Geschäft des Heiles so erfolgreich als möglich in Sicherheit stellen“. Nun denn, was führt den Menschen in Versuchungen und bringt ihn wohl gar zum Fall? Es ist die übertriebene Sorge für die Dinge dieser Welt, die Sorge, den Menschen zu gefallen; die Furcht, denselben zu missfallen. Das Verlangen nach Genuss und Befriedigung der Begierlichkeit, nach irdischem Besitz und Vergnügungen. Die Jungfrau, die all dem entsagt, tötet somit die Versuchung in ihrer Wurzel. O welch ein gottseliger und verdienstlicher Lebensstand.
Ich sage zweitens: welch ein Beweggrund des Vertrauens liegt überdies in diesem Gruß, um all unsere Hoffnung auf Maria zu setzen, mit der Zuversicht, der Herr werde Ihre Bitte für uns gewähren, da Sie es ist, deren Beispiel so viele dazu ermuntert, in diesem Stand sich Gott zu weihen, um nur für Ihn zu leben.
Aber auch drittens: welche Mahnung, Maria besonders um wahre „Selbstverleugnung“ anzuflehen, die da jeden, selbst den Verheirateten, in seinem Leben als Kind Gottes zu bezeichnen hat. Nämlich daß jeder, wenngleich er verheiratet ist, doch sein Herz frei von jedem ungeordneten Umgang mit den Geschöpfen bewahrt, so dass er vor Gott in Wahrheit mit dem Psalmisten bezeugen kann: „Herr, all mein Verlangen ist vor Dir und das Seufzen meines Herzens ist Dir nicht unbekannt.“ „O mein Gott und mein Alles!“ „Was ist mir im Himmel und was verlange ich auf Erden, als Dich, o Gott meines Herzens!“
Nun denn, wie wichtig ist es für jedermann, die Tugend der jungfräulichen Keuschheit so zu schätzen und zu lieben, dass, wenn es die Umstände verlangen, er bereit sei, auch die ehelichen Rechte aufzugeben. Wie oft ist dies der Fall bei eintretender Krankheit oder bei notwendiger Trennung in den verschiedenen Ereignissen, die uns im Leben treffen können. Mithin, verheiratet oder nicht, grüße Maria mit Andacht und Eifer unter dem Titel: „O du Jungfrau der Jungfrauen, bitte für mich“, in der Meinung, dass sie dir diese Losschälung des Herzens und die wahre Freiheit des Geistes erbitte, die so notwendig ist, um überall und jederzeit und für jedes Opfer bereit, den Willen des Herrn zu erfüllen. – Amen!
Beispiel. Aus den Tagen der ersten Christenheit
Ich machte euch bereits aufmerksam, wie da die Hochverehrung Mariä über alle Heiligen bereits mit der Stiftung der Kirche begann. Hatte doch Maria selbst in Ihrem Hochgesang des „Magnifikat“ auf den Höhen von Judäa als Königin der Propheten, alle Zeiten durchschauend es verkündigt: „Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter der Erde.“ Und die Prophezeiung Simeons im Tempel an Maria deutete dasselbe an, wenn er sagt: „An Dir werden die Gedanken der Menschen offenbar werden.“ So war es und so ist es.
Die Kirche im göttlichen Offizium des Skapuliers selbst berichtet, wie da fromme Männer auf dem Berge Karmel bereits, durch die Predigt des hl. Johannes Christum erkennend, am Pfingstsonntag durch die Predigt des hl. Petrus in die Kirche Gottes aufgenommen, mit besonderer Liebe und Andacht zu Maria erfüllt, zu Ehren derselben auf dem Berge Karmel eine Kapelle und zwar an dem Platz erbauten, wo einst Elias die Wolke aus dem Meer sich erheben sah, die da als Vorbild Mariä von den Vätern angesehen wird, und wie sie sich daselbst der besonderen Verehrung Mariä weihten.
Alphons Liguori weist überdies nach, daß das erhabene „Salve Regina“, mit welcher Antiphon die Kirche Maria durch den größten Teil des Kirchenjahres begrüßt, von den Zeiten der Apostel abstamme.
Bekannt ist auch, was Dionysius der Aeropagite von dem Eindruck schreibt, den Maria auf ihn gemacht, als er nach Ephesus kam, um Sie zu sehen. Er schreibt: „Hätte mich der Glaube nicht zurückgehalten, so hätte sich Sie angebetet! Sie schien mir ein Abglanz der Gottheit!“ Was Dionysius gefühlt, das fühlten wohl alle, die das Glück hatten, Maria im Leben zu sehen und sich Ihr zu nahen. Ich weise aber auch noch auf eine andere sehr denkwürdige Tatsache hin, die wir bei dem berühmten Kirchenhistoriker Baronius verzeichnet und bewiesen finden.
Der Ölfluss von Trastevere
Wie nämlich der alte Kirchenhistoriker Orosius berichtet, so entsprang zur Zeit der Geburt Christi mitten in Rom eine Ölquelle zum großen Erstaunen der Heiden. Das Öl floss den ganzen Tag. Die Römer betrachteten das Ereignis als ein höchst günstiges Vorzeichen eines zukommenden Glückes für die Stadt und das ganze Reich. Der Ort wurde von denselben, wenngleich noch Heiden, heilig gehalten.
Da wagte es Papst Kalixtus, den Kaiser Severus zu fragen, ob er ihm den Platz verkaufen wolle. Der Kaiser gewährte ihm die Bitte, und Kalixtus erbaute auf dem Platz ein Kirchlein zu Ehren Mariä und weihte dasselbe ein. Es sollte das erste Siegeszeichen des Triumphes der Kirche unter dem Schutz Mariä in der künftigen Hauptstadt der katholischen Welt sein. Gregor III. im Jahr 733 erneuerte dasselbe und es wurde von den Pilgern nach Rom immer mit großer Ehrfurcht besucht.
Baronius bezeugt, dass zu seiner Zeit die Erde daselbst als Erinnerung an dieses Wunder so fett und saftig, daß man daraus mit dem Druck der Hände einen Öl ähnlichen Saft ausdrücken könne.
In der Folge der Zeiten erhoben sich in Rom 47 Kirchen zu Ehren Mariä und es ist bekannt, wie da ein großes Wunder den Platz bezeichnete, wo die größte derselben, Maria majore benannt, steht. Die Kirche begeht ein eigenes Fest zur Erinnerung an das Wunder genannt Maria Schnee, weil im Monat August im 4ten Jahrhundert Schnee den Platz bedeckte, den Maria für diesen Zweck bezeichnete, Ihr eine Kirche zu bauen.
Denkwürdig ist es auch, dass Paris seit der Zeit, als Dionysius das Evangelium daselbst gepredigt, Maria zu Ehren eine Kirche besaß. Maria erwies sich auch bis in die neueste Zeit als besondere Schutzfrau von Frankreich und verherrlichte sich daselbst durch unzählige Wunder zum Heil der körperlichen und Seelen-Kranken bis auf diese Stunde. Wer erinnert sich da nicht an den wundervollen Gnadenort Maria von Lourdes? –
aus: Franz Xaver Weninger SJ, Originelle kurzgefasste praktische Marianische Fest-Reden zur Feier des Maimonats, 1882, S. 15 – S. 21
siehe auch die Beiträge von F. X. Weninger über die Unfehlbarkeit des Papstes