Mariä Geburt – Unsere Liebe Frau vom Licht
Mariä Geburt eine vorläufige Geburt Christi
Wir feiern heute ein Geburtsfest; doch welches Geburtsfest feiern wir? Wenn wir die Kirche fragen, so antwortet sie: Das Geburtsfest Mariä; wenn wir uns bei dem Evangelium Rat holen, so lesen wir: Das Geburtsfest Jesu: Von welcher geboren wurde Jesus. So finden wir in eben den Worten, die ich zum Vorspruch gewählt, die Schriftstelle mit dem Geheimnis, den Gegenstand mit der Rede und eine Geburt mit einer anderen in Widerspruch. Wenn die Kirche an diesem Tage die glorreiche Geburt Christi feiern würde, dann ließe sie uns ein recht passendes Evangelium ablesen; doch der Geburtstag, den wir heute feiern, er ist ja nicht der Geburtstag des Sohnes, sondern der Geburtstag der Mutter.
Der heilige Thomas von Aquin (und das ist die allgemeine Meinung der Gottesgelehrten) entscheidet: das Licht, welches Gott am ersten Tag geschaffen, sei dasselbe Licht gewesen, woraus er am vierten Tag die Sonne bildete. So ward denn die Sonne an beiden Tagen und bei diesen beiden Schöpfungen geschaffen; am ersten Tag, da ward die Sonne geschaffen, so, daß sie noch nicht als solche gestaltet wurde; am vierten Tag, da ist die Sonne geschaffen worden, so, daß sie als solche gestaltet ward. Am ersten Tag, da ward die Sonne geschaffen, – noch nicht als solche gestaltet; – denn da ward sie geschaffen in der Gestalt des Lichts; am vierten Tag, da ward die Sonne geschaffen, als solche gestaltet, denn da wurde sie geschaffen – in der Gestalt der Sonne.
Kurz, unter allen Geschöpfen hat nur die Sonne zwei Geburtstage, den ersten und den vierten Tag: den vierten Tag, wo sie geboren wurde – an sich, und den ersten Tag, wo sie geboren ward in ihrem Lichte; den vierten Tag, wo sie geboren wurde in der Gestalt der Sonne, den ersten Tag, an welchem sie geboren ward – in der Gestalt des Lichtes, woraus sie gebildet worden.
Die Augen Gottes waren es, die die Geburt dieses erhabenen Lichtes feierten; die es feierten jene drei Tage hindurch, da es noch keine Sonne gab, noch andere Augen. Denn jede Person der allerheiligsten Dreifaltigkeit übernahm und vollzog einen Tag dieser Feier. Die Augen des Vaters feierten die Geburt des Lichts am ersten Tag; und der Vater sah, das Licht sei gut für seine Tochter; die Augen des Sohns feierten die Geburt des Lichts am zweiten Tag; und der Sohn sah, das Licht sei gut für seine Mutter. Die Augen des heiligen Geistes feierten die Geburt des Lichts am dritten Tag, und der heilige Geist sah, das Licht sei gut für seine Braut. So feierte die ganze allerheiligste Dreifaltigkeit die Geburt dieses erhabenen Lichts, und so sollen dieselbe auch wir feiern.
Richtet, o Christen, eure Augen auf dieses Licht, und bittet dasselbe, es möge seine Augen auf euch richten; und ihr werdet sehen, wie gut und heilsam es für Alles ist. Es ist gut und heilsam für den Trost, wenn du betrübt bist; es ist gut und heilsam für ein Hilfsmittel, wenn du in der Not bist; es ist gut und heilsam für die Wiedergenesung, wenn du krank bist; es ist gut und heilsam für den Sieg, wenn du versucht wirst. Und wenn du gefallen und nicht im Stande der Gnade Gottes bist, dann ist es dafür gut und heilsam, dann ist nur es dafür gut und heilsam, dich wieder mit Gott zu versöhnen. – So voll der göttlichen Vorrechte wird heute dieses Licht geboren, von welchem Gott geboren werden sollte: De qua natus est Jesus.
Innozenz III. fand das Geheimnisvolle. Die Engel vergleichen Maria, wenn sie geboren wird, zugleich mit der Sonne, dem Mond und der Morgenröte, um dadurch zu zeigen, daß Maria jederzeit ein Licht ist. Jederzeit, – es mag Tag oder Nacht sein, oder es mag die Stunde der Morgendämmerung sein. Am Tage leuchtet die Sonne, des Nachts leuchtet der Mond, zur Stunde der Morgendämmerung leuchtet die Morgenröte. Wohlan, deswegen nennen die Engel die heilige Jungfrau zugleich Morgenröte, Mond und Sonne, um kundzugeben, daß sie ein Licht sei, welches jederzeit leuchtet: ein Licht, das am Tage leuchtet wie die Sonne; ein Licht, welches in der Nacht leuchtet wie der Mond; ein Licht, – das, wenn es weder Tag, noch Nacht ist, leuchtet wie die Morgenröte. Doch was sinnbildet denn diese dreifache Zeit?
Vernehmet nun die Worte des großen Papstes: Der Mond leuchtet des Nachts, und die Nacht ist – die Sünde; die Morgenröte leuchtet bei der Morgendämmerung, und die Morgendämmerung ist die Buße; die Sonne leuchtet am Tage, und der Tag ist die Gnade. Und für jedweden dieser Zeiträume, und für all diese Zustände ist Maria ein Licht: ein Licht für die Gerechten, die im Stande der Gnade sind; ein Licht für die Sünder, die im Stande der Sünde sind; und ein Licht für die Büßenden, die von dem Stande der Gnade zu dem der Gnade übergehen wollen. Wenn ihr daher (so schließt der große Papst mahnend), wenn ihr daher in Sünden seid, wenn ihr in der Nacht der Sünde weilt, so blickt zu dem Mond empor, fleht zu Maria, sie möge euch erleuchten, sie möge euch von der Nacht der Sünde an die Morgendämmerung der Buße geleiten. Wenn ihr ein Büßer seid, wenn ihr im Dämmerlicht der Reue steht, so richtet eure Augen auf die Morgenröte, fleht zu Maria, sie möge euch leuchten, und euch von der Morgendämmerung der Buße an den hellen Tag der Gnade führen. Wenn ihr ein Gerechter seid, wenn euch das Tageslicht der Gnade leuchtet, so wendet eure Augen auf die Sonne, und fleht zu Maria, sie möge euch an diesem Tageslicht Nahrung und Wachstum verschaffen: denn von diesem beglückenden Tageslicht läßt sich nicht weiter gehen und schreiten.
So leuchtet dieses erhabene Licht Allen, ohne daß irgend eine Zeit oder ein Zustand ausgenommen wäre. Die Sonne der Gerechtigkeit leuchtet denen, die sie fürchten; das Licht der Barmherzigkeit aber leuchtet denen, welche die Sonne der Gerechtigkeit fürchten, deswegen weil sie dieselbe fürchten; und denjenigen, die sie nicht fürchten, auf daß sie dieselbe fürchten, – sie leuchtet Allen. Die Sonne der Gerechtigkeit geht nur für die Gerechten auf; das Licht der Barmherzigkeit aber geht den Gerechten auf, und überdies den Sündern. Und auf diese Weise ist das Licht, welches heute geboren wird, in höherem Maße für Alle, als selbst die Sonne, die von ihm geboren wird: De qua natus est Jesus.
Vorausgesetzt nun, o Christen! daß dieses erhabene Licht so eilfertig und so besorgt ist, um uns Hilfe zu bringen; vorausgesetzt, daß es so ausgedehnt für Alle und für Alles ist; vorausgesetzt, daß es so barmherzig und liebreich ist, – daß es uns Gutes zu erweisen verlangt und wünscht; vorausgesetzt, daß es so bevorzugt ist von der Gnade und Güte der göttlichen Sonne: – so wollen wir uns Alle – unter die Flügel dieser erhabenen Beschützerin flüchten, auf daß sie uns Schatten gewähre und Licht verleihe; auf daß sie uns Schatten gewähre und uns schütze gegen die heißen Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit, deren versengende Hitze wir durch unsre Sünden verdient haben; und auf daß sie uns Licht verleihe, um aus der Finsternis derselben hinauszukommen, da sie Unsre Liebe Frau vom Licht ist. Dieses ist der Tag, o Christen! um diese Bitten empor zu senden. Laßt uns heute um Licht bitten, das die Nacht um uns erhellt; laßt uns um Licht bitten, das die Finsternis um uns erleuchtet; laßt uns um Licht bitten für unsere Blindheit, um Licht, damit wir Gott erkennen, um Licht, damit wir die Welt, um Licht, damit wir uns selbst kennen lernen. Laßt uns die Türen dem Licht öffnen, damit es unsere Häuser erleuchte; laßt uns die Augen dem Licht öffnen, damit es unsre Herzen erleuchte; laßt uns die Herzen dem Lichte öffnen, damit es darin immerdar leuchte.
Laßt uns hingehen, laßt uns hingehen und das Licht an dieser Quelle suchen, und laßt uns von dort unsre Herzen, erfüllt mit Licht, zurück bringen! Mit diesem Licht werden wir erkennen, wohin wir gehen sollen; mit diesem Licht werden wir erkennen, wovor wir uns in Acht nehmen müssen; mit diesem Lichte endlich werden wir zu jenem Lichte gelangen, wo Gott wohnt, und das der Apostel ein unzugängliches Licht (1. Tim. 6,16) nennt; denn nur mittelst des Lichtes, das heute geboren wird, können wir zur Anschauung der Sonne gelangen, die von ihm geboren worden: De qua natus est Jesus. Amen.
Auszüge aus: Vieira SJ: Predigt auf das Fest Mariä Geburt
aus: Antonio Vieira SJ, Sämmtliche Marienpredigten I. Teil, 1858, S. 124 – S. 162
siehe auch: Kurzbiographie von Antonio Vieira
José Mauricio Nunes Garcia – Missa de Nossa Senhora da Conceição