4. Mai Du Mutter Christi

Marianische Festreden zur Feier des Maimonats

v. Franz Xaver Weninger, S.J.

4. Mai Du Mutter Christi!

Die Kirche begrüßt Maria als „Jungfrau der Jungfrauen“, der nächste Gruß bezeichnet sie als „Mutter Christi“. Jeder der Grüße der Lauretanischen Litanei steht mit dem vorhergehenden in innigster Verbindung. Die Kirche nennt Maria erstlich bloß bei Ihrem Namen, um uns zu mahnen, dass wir vorerst ernstlich daran denken, Wer es sei, der Ihr diesen Namen gegeben, und welche Beziehungen dieser Name auf Ihre Würde, macht und Stellung im Reich Gottes einnehme.

Wer dies klar vor Augen hat, der versteht eben auch zugleich mit einem Male, wie billig das Vertrauen sei, das er auf die Fürbitte Mariä setze. Der Gruß, der darauf folgt: „Heilige Gottesgebärerin“, weist hin auf die Vereinigung Mariä mit Gott, als Folge Ihrer Erwählung zur Würde einer Mutter Gottes. – Darauf folgt der Gruß: „Jungfrau der Jungfrauen“. Auch dieser Gruß steht mit dem vorhergehenden offenbar in innigster Verbindung. Wir haben in dieser Beziehung bloß die Äußerung des hl. Bernard zu beherzigen, der da mit Recht ausruft: „Sollte Gott Mensch werden, so konnte Seine Mutter nur eine Jungfrau sein, und sollte eine Jungfrau ohne eheliche Beiwohnung Mutter werden, so konnte Ihr Sohn niemand anderes als Gott selbst sein.“

Um aber erstlich zu erkennen, welch` eine Huldigung des Lobes in diesem Gruße liegt, brauchen wir nur betrachtend auf die Würde Ihres Sohnes, auf die Würde Christi selbst, zu blicken. Die Ehre des Sohnes ist die Ehre der Mutter. Oder, wer wüsste es nicht, sei es Gelehrsamkeit, Ansehen, Macht und Tugend, oder was es immer für ein Vorzug eines Menschen auf Erden sei, daß derselbe die Mutter ehre, eben weil er ihr Sohn, und sie seine Mutter ist.

Nun denn, braucht es mehr als daran zu denken, wer Christus ist, um mit einem Male es auch zu fühlen und zu erkennen, welches die Würde Mariä als Seiner Mutter sei? Diese Würde preist die Kirche besonders, so oft sie das „Gloria“ und das „Credo“ anstimmt und am Altar bekennt: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott. Das ist Christus Seiner Person nach – Gott!! Alle die Eigenschaften der unendlichen Vollkommenheit Gottes umstrahlen diesen Namen und somit zugleich Diejenige, unter deren Herzen Er geruht.

Aber auch Christus als Mensch betrachtet, welch ein erhabenes und erlauchtes Wesen nennen wir, wenn wir Christus nennen! Er ist es, den Johannes in der Apokalypse erblickt und von dem er bezeugt, daß Er ihm erschien, über seinen Lenden die Worte geschrieben: „Ein König der Könige, ein Herr der Herrschenden.“

Seiner Menschheit nach das auserlesenste Geschöpf, das Gott in das Dasein rief. Nächst Ihm ist Maria, Seine Mutter, das aller herrlichste Geschöpf. Sie, die Königin aller Heiligen, die Königin der Cherubim, der Seraphim, der Throne, der Gewalten, der Mächte, der himmlischen Fürstentümer und Herrschenden. Maria thront im Himmel als Königin zu Seiner Seite. Kind Mariä, huldige Ihr, der Mutter Christi. Welch ein Glanz der Verherrlichung gebührt Ihr, der Mutter Christi. Welch ein Glanz der Verherrlichung gebührt Ihr, weil Sie die Mutter Christi ist.

Aber auch zweitens, welch ein Beweggrund des Vertrauens liegt in diesem Gruß für uns, um bei jeder Gelegenheit Ihren Beistand anzurufen.

Allerdings hat der Gruß: „O hl. Gottesgebärerin“ uns bereits daran erinnert, welch einen Einfluss die Fürbitte Mariä auszuüben im Stande sei, wenn Sie für uns bittet. Indes was Gott in Seiner göttlichen Natur betrifft, so bezieht sich der Name „Mutter“ nicht buchstäblich auf Seine Natur als solche. Allein was den Beisatz „Christus“ betrifft, so ist der Ausdruck buchstäblich zu nehmen.

Maria ist im eigentlichsten und unmittelbaren Sinne die Mutter Christi. Ja, Sie ist es noch mehr, als irgendeine andere Mutter es je in Bezug auf ihr Kind war, ist und sein kann. Denn Christus hat als Mensch keinen Vater, sondern gehört ungeteilt und ausschließlich Maria an, aus der allein Er Fleisch und Blut, die Menschennatur angenommen. Nun denn, es ist aber nicht nur geziemend, dass ein Sohn die Bitte seiner Mutter erhört, sondern es ist dies seine Pflicht.

Salomon ließ, als seine Mutter in den Thronsaal eintrat, um eine Bitte an ihn zu richten, sogleich einen anderen Thron an seine Seite setzen und geleitete seine Mutter auf denselben. „Es ist nicht geziemend“, sagte er, „dass ich Dich wie eine andere Person vor mir stehen lasse. Mutter! Was ist Dein Begehr?“

Um so viel mehr dürfen wir erwarten, dass Christus, der da gesagt: „Hier ist mehr als Salomon“, Seine Mutter im Himmel ehren und Ihr jede Bitte gewähren werde, da Sie ja, um was Sie bittet, immer nur zum Wohle der durch Ihn erlösten Menschen erfleht, die Er Ihr ja selbst vom Kreuz herab anvertraute. Fürwahr, niemals kann Maria eine Fehlbitte tun, und sollte, um Ihre Bitte zu willfahren, ein Wunder notwendig sein. Beweis dessen ist das erste Wunder, das Christus auf Erden gewirkt, nämlich das auf der Hochzeit zu Kana, wo Er Wasser in Wein verwandelte zur Beglaubigung Seiner Würde als der verheißene Messias und Erlöser der Welt.

Ich sage drittens: dieser Titel weist aber noch besonders auf den Gegenstand hin, den wir durch die Fürbitte Mariä zu erlangen beflissen sein sollten. Es ist dies jene Beschaffenheit des Herzens, welche uns ein Recht gibt, auszurufen und zu beteuern: „Ich bin ein Christ“.

Wie euch wohlbekannt ist, gingen die Christen zu Lyon zu Zeiten der Christenverfolgung mit der Inschrift an der Stirn auf offener Straße: „Ich bin ein Christ.“ Das sollte dein Leben allen andeuten, auch wenn man dich sonst nicht kennt und nicht weiß, wohin du am Sonntag in die Kirche gehst. Ich bin ein Christ, ein Gesalbter des Herrn, ein Mensch, der nicht das sucht, was unten, sondern was oben ist, wo Christus lebt, in Seiner Nachfolge wandelnd. Ich lebe ein Leben, das mit Merkmalen bezeichnet ist, die uns unter den Menschen als Kinder Gottes in der Nachfolge Christi unterscheiden.

O schöner Monat Mai, welch ein heiliger Monat wärest du, wenn jedes Kind der Kirche es von nun an stets vor Augen hätte, was es sagen wolle: „Ich bin ein Christ“, und wenn jeder, der sich Christ nennt, auch durch die Übungen der Tugenden Mariä in der Nachfolge Jesu Christi leben würde. – Amen!

Beispiel. Der heilige Bernhard.

Der hl. Bernhard schließt die Reihe der hl. Väter. Es gibt in der Reihe der Heiligen wohl nur sehr wenige, die Gott nach außen so hoch begnadigte, als diesen von Maria so bevorzugten Heiligen. Die Art und Weise selbst, wie er die Welt verließ, um sich ganz dem Dienst Gottes aufzuopfern, war wundervoll und konnte als ein Zeichen angesehen werden, welch große Dinge Gott durch Bernhard zum Wohl der Kirche in seinen Tagen bewirken wollte.

Als Bernhard seinen Brüdern mitteilte, er wolle die Welt verlassen, um in das strenge Kloster der Zisterzienser einzutreten, da widersetzten sie sich aus allen Kräften. Allein, anstatt dass sie im Stande gewesen wären, ihn von seinem Entschluss abzubringen, so brachte er sie dazu, daß sie alle das Gleiche taten.

Da sprach Bernhard zu seinem jüngsten Bruder: „Siehe Brüderchen, jetzt hast du all unser zeitlich Hab und Gut und bist der einzige Erbe.“ Da rief der Kleine aus: „Das wäre eine schöne Teilung! Ihr nehmt den Himmel und mit lasset ihr die Erde. Das geht nicht an.“ – Auch er folgte seinen Brüdern.

Was Bernhard darauf Großes zum Wohl der ganzen Kirche und einzelner Menschen getan, davon gibt sein Leben Zeugnis. Maria war es, der er alle die Gnaden verdankte, die ihm von Gott zuteil geworden. Sie erschien ihm bereits in seiner Kindheit mit dem Jesuskind und flößte dadurch eine besondere Fülle der Erkenntnis in Dingen des Glaubens in seine Seele.

Auch als er erkrankte und die Ärzte ihn für unheilbar erklärten, erschien Sie ihm. Legte die Hand auf sein Haupt und er genas augenblicklich. – Mit welchem Vertrauen er zu Maria seine Zuflucht nahm, das beweist das herrliche Gebet des Memorare: „Gedenke, o gütigste Jungfrau, es sei niemals erhört worden, daß jemand, der seine Zuflucht zu Dir nahm, je von Dir wäre verlassen worden.“ Gott allein weiß es, wie viele ja unzählige Male dies Gebetlein das Vertrauen betrübter, hilfloser und dürftiger Kinder Mariä gestärkt und ihnen Hilfe durch Maria vom Himmel verschaffte. Höchst ermunternd ist auch der Zuspruch, den er an alle Kinder der Kirche richtet, um dieselben mit Vertrauen zu Maria zu erfüllen.

Er sagt: „Sei es auch, daß du es nicht einmal wagst, dich geradezu an Christum zu wenden, weil Er dein Richter ist, so eile doch zu Maria, die bloß Erbarmung ist.“ – Es gibt überhaupt keinen unter den hl. Vätern, der da so viel und salbungsvoll über die Vorzüge und Herrlichkeiten Mariä geschrieben, als Bernhard, weshalb er auch den Beinamen erhielt: „Doctor Marianus“, der Lobredner Mariä.
Er wurde auch nach seinem Tod vor dem Altar der seligsten Jungfrau begraben.

O wie glücklich wärest du, Kind Mariä, wenn jeder, der dich im Leben gekannt, nach deinem Tod dir das Zeugnis geben könnte: „Ich habe nie jemanden gekannt, der Mariä so eifrig geliebt und geehrt hätte, wie du! Du hast dafür dann für ewig einen um so herrlicheren Platz in Ihrer Nähe im Himmel zu hoffen.“ – Amen! –
aus: Franz Xaver Weninger SJ, Originelle kurzgefasste praktische Marianische Fest-Reden zur Feier des Maimonats, 1882, S. 22 – S. 27

siehe auch die Beiträge von F. X. Weninger über die Unfehlbarkeit des Papstes

Tags: Maria

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