2. Mai Du heilige Gottesgebärerin

Marianische Festreden zur Feier des Maimonats

v. Franz Xaver Weninger, S.J.

2. Mai Du heilige Gottesgebärerin.

Der zweite Gruß der Kirche an Maria in der Lauretanischen Litanei lautet: „Hl. Gottesgebärerin, bitte für uns!“ Dieser Gruß gebührt Maria, weil Sie die Mutter Desjenigen ist, der, wenngleich wahrer Mensch, doch Seiner Person nach Gott ist – Gott Sohn.

Allein vor 15 hundert Jahren, da stand ein Lästerer auf, der Maria die Ehre dieses Gnadenvorzugs rauben wollte. Er behauptete nämlich und sagte: „Nennt Maria nicht die Mutter Gottes, sondern nur die Mutter Christi.“ Der Kirchenrat von Ephesus versammelte sich, verurteilte Nestorius als Ketzer, und sprach in voller Entschiedenheit den Glaubenssatz der Muttergottes-Würde Mariä aus.

Auch wir haben ein Konzil erlebt, das einen Glaubensartikel entschied, der mit der Mutterschaft Gottes in Hinsicht auf Maria in untrennbarer und notwendiger Verbindung steht. Es ist dies der Glaubenssatz von der Unbefleckten Empfängnis, den Pius IX. mit so großer Feierlichkeit und umgeben von hunderten von Bischöfen in der St. Peters Kirche zu Rom ausgesprochen hat. Zum Dank dafür erschallte das Te Deum über dem ganzen Erdkreis, und die Gnaden eines Jubiläums strömten allen Kindern der Kirche zu.

Wer vermag es wohl zu ahnen, in welchem Maß sich im Jahr 1854 die Prophezeiung Mariä erfüllte: „Von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter der Erde.“ Namentlich ist aber der Gnadenvorzug Mariä, den die Kirche in der Litanei zuerst nach der Begrüßung Mariä ausspricht – nämlich, der Ihrer Mutterschaft des Sohnes Gottes als Mensch zugleich – derjenige, welcher vor allen anderen uns dazu auffordert, Maria die Ehre zu geben.

Durch diesen Gnadenvorzug wurde ja Maria, wie Thomas von Aquin bemerkt, nicht nur über alle Menschen, sondern selbst über alle Chöre der Engel in einer Weise erhöht, dass Ihre volle Würde selbst den Engeln durch alle Ewigkeit unerfasslich bleibt. Das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes übersteigt ja auch die Fassungskraft aller Engel. Kinder Mariä, ehren wir Maria als Mutter Gottes, bringen wir Ihr mit allen Engeln unsere Huldigung dar.

Zweitens: Rufen wir aber auch in Erwägung dieses Ihres Gnadenvorzugs als Gottesgebärerin zu Ihr, mit aller Inbrunst und Kraft des Vertrauens. Der Charakter dieser Würde Mariä: „Heilige Gottesgebärerin“, weist ja von selbst auf die Wirksamkeit Ihrer Fürbitte bei Gott. Sie ist ja die Mutter des Allwissenden, Allmächtigen, Heiligsten, unendlich gütigen Gottes, wie könnte Sie eine Fehlbitte tun, mit Gott auf solche Weise vereinigt!

Die Kirche selbst, die dem Gruß des Engels die Worte hinzufügt: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns jetzt und in der Stunde des Todes“, weist auf diesen einen Vorzug Mariä hin, der allein für alle ihre Kinder als Beweggrund des Vertrauens dienen sollte, in was immer für einem Anliegen wir zu Ihr unsere Zuflucht nehmen, im Leben und im Tod.

Drittens: dieser Gnadenvorzug weist aber auch zugleich auf den Gegenstand hin, um den wir durch Ihre Fürbitte besonders zu Gott flehen sollten. Die Antwort, die Maria dem Engel gab, als er Ihr die Botschaft der Auserwählung ankündigte, Mutter Gottes zu werden, wie ihr wohl wisset, war: „Ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.“ Maria ist ganz Ergebung in den Willen Gottes. So ward Sie Mutter Gottes. Gott von Seiner Seite wollte das Gnadengeheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes nicht ohne die Einwilligung Mariä vollbringen. Er unterordnete gleichsam Seinen Willen dem Ihrigen.

Maria hingegen nahm die Botschaft Ihrer Erhöhung zur Würde der Mutter Gottes nicht der Ehre wegen an, sondern einzig nur, weil Sie erkannte, dass es so der heiligste Wille Gottes sei. Sie stimmte kein Te Deum des Jubels an zum Dank für Ihre Auserwählung nächst Christus zur höchsten Würde im Himmel und auf Erden, sondern willigte bloß ein, weil es so der heiligste Wille Gottes war.

Dieser Charakter der gänzlichen Vereinigung ihres Willens mit dem Willen Gottes, der Ihr die Würde einer Mutter Gottes zugewendet, ist aber auch derjenige, der uns als Kinder Gottes zu bezeichnen hat.

Ich habe das vorige Mal bei der Beherzigung des Grußes: „Heilige Maria“ daran gedacht, welche Eigenschaft es besonders sei, die uns als Kinder Mariä zu bezeichnen hat, nämlich die Reinheit von jeder Makel der Sünde. Heute deute ich auf jene Eigenschaft hin, die uns als Kinder Gottes unter den Menschen charakteristisch bezeichnen muss, nämlich: das Verlangen, die Stimmung, nichts anderes zu wünschen, zu wollen, zu tun, oder zu lassen, als was der heiligste Wille Gottes von uns verlangt, koste es was es wolle.

So war Maria gestimmt, als Sie das Wort aussprach: „Mir geschehe nach deinem Wort.“ Sie, die Königin der Propheten, wusste gar wohl, um welchen Preis Sie Mutter des kommenden Erlösers, des Sohnes Gottes im Fleisch werden sollte. Sie erkannte klarer denn alle Propheten den Weg des Leidens, den der Sohn Gottes als Mensch auf Erden betreten sollte, um endlich das Werk der Erlösung am Kreuz zu vollenden. Sie als Mutter sollte nächst Ohm das größte Leiden auf sich nehmen und einst unter Seinem Kreuz als Königin der Märtyrer stehen. Dennoch sprach Sie das Wort Ihrer Einwilligung ohne Zögern und in seiner ganzen Bedeutung aus.

Welch eine Mahnung für uns als Kinder Gottes, um uns ganz und völlig in die Arme der göttlichen Vorsehung zu legen, und auf Gott namentlich als unseren Schöpfer und Vater zu blicken. Allerdings bestimmen alle Eigenschaften Gottes unseren Willen, nichts anderes zu verlangen, zu wünschen, zu wollen, zu tun, als den heiligsten Willen Gottes; weil Er der Schöpfer ist, der uns in das Dasein gerufen; weil Er Derjenige ist, von dem wir alles haben, was wir besitzen; weil Er der Allmächtige, Allwissende, unendlich Barmherzige, aber auch der unendlich gerechte Gott ist, unser Herr und König.

Allein dringender als jede andere Eigenschaft nimmt die auf unseren Willen Einfluss, die Christus mit dem ersten Wort des Gebetes andeutet, das Er uns gelehrt, wenn Er uns zuerst Gott mit dem Namen „Vater“ anrufen lässt: „Vater unser, der Du bist im Himmel.“ Bitten wir deshalb Maria, dass wir mit dem Vertrauen zu Gott beten, den dieser Name: O mein Gott und mein Vater, in unser Herz einflößt.

Kinder Mariä, welch ein segensvoller Monat Mai wäre es doch, wenn wir durch die Fürbitte Mariä die Gnade für unser ganzes Leben erlangen würden, mit dem Eifer wahrer Kinder Gottes auf dem Wege der Vollkommenheit, gerade so wie es Gott von uns verlangt, voranzuschreiten. Ja, hl. Maria, Gottesgebärerin, erbitte uns diese Gnade. – Amen!

Beispiel. Das Konzil von Ephesus

Da wir heute besonders an die Hoheit und Würde Mariä als Gottesgebärerin gedacht, wie Sie die Kirche vor allen anderen Lobsprüchen begrüßt, so erzähle ich euch heute das, was wir in der Kirchengeschichte darüber Trostreiches und Ermunterndes lesen.

Es war nämlich im fünften Jahrhundert, daß Nestorius, Patriarch von Konstantinopel, es wagte, öffentlich von der Kanzel die Gläubigen zu ermahnen, es sei nicht erlaubt, Maria Gottesgebärerin zu nennen; sondern man nenne Sie bloß die Mutter Jesu.

Das Volk hörte diese Lästerung und wurde darüber entrüstet. Ja, ein Mann rief in der Kirche dem Patriarchen laut entgegen: Du bist ein Ketzer! Der ganze Orient geriet darüber in Aufregung und dieselbe verbreitete sich auch mit Blitzesschnelle über das Abendland. Da es sich ei dieser Lästerung um die ganze Lehre der Menschwerdung des Sohnes Gottes handelte, berief Papst Cölestin eine Kirchenversammlung nach Ephesus, die Stadt Mariä, wie man sie nennt, weil daselbst Maria mehrere Jahre mit Johannes lebte. Der Papst ernannte den hl. Cyrill, Patriarchen von Alexandrien, zu seinem Legaten und Stellvertreter, der als solcher bei dem Konzil den Vorsitz führte.

An dem Tag, an dem die Entscheidung der Kirche über die Frage ausgesprochen werden sollte, versammelten sich die Bischöfe und Gottesgelehrten in der Kirche. Das Volk aber zu Hunderttausenden harrte vor den verschlossenen Türen bis zum Abend. Die Bischöfe aber lasen in der hl. Schrift und in den Schriften der hl. Väter und teilten sich mit, wie sie darüber vom Anfang her im Glauben belehrt worden seien, und einstimmig wurde die Lästerung des Nestorius als Ketzerei verdammt.

Da, spät abends, öffnen sich die Kirchtüren. Cyrill an der Spitze dieser hunderte von Bischöfen und Priestern öffnet seinen Mund und tut dem Volk den Ausspruch im Namen des Papstes und der ganzen Kirchenversammlung kund, dass Maria die Mutter Gottes sei, da Sie Christus, den Sohn Gottes, der für uns Mensch wurde, geboren habe, und dass Sie somit als Gottesgebärerin erkannt, begrüßt und verherrlicht werde.

Als das Volk diesen Ausspruch hörte, rief dasselbe wie mit einer Donnerstimme zum Himmel: Es lebe Maria; es lebe die hoch gebenedeite Gottesgebärerin, es lebe Maria, unsere Mutter! Die ganze Stadt wurde alsbald beleuchtet, Freudenfeuer wurden angezündet, der kostbarste Wohlgeruch duftete in Wolken zum Himmel empor, und ein Fackelzug begleitete die Väter des Conciliums an ihre Wohnungen. Das Volk war außer sich vor Freude und durchzog in langen Prozessionen die Stadt und sag Loblieder zu Ehren Mariä bis an den Morgen. Von jenem Tage an fügte die Kirche dem Ave Maria die Worte bei: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. – Amen!“

Die Kirche konnte ihre Lobeserhebung und ihr unbeschränktes Vertrauen auf die Fürbitte Mariä in allen Nöten des Leibes und der Seele für Zeit und Ewigkeit nicht kürzer und kräftiger ausdrücken.

Kind Mariä, möge dieselbe Hochverehrung, dasselbe Vertrauen, auch unsere Herzen bleibend erfüllen. – Amen! –
aus: Franz Xaver Weninger SJ, Originelle kurzgefasste praktische Marianische Fest-Reden zur Feier des Maimonats, 1882, S. 15 – S. 18

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