Der Schmerz über die Verunehrung Gottes
Wir leben in einem Land, wo wir Gott jeden Tag und jede Stunde beleidigt sehen. Wir sehen Seelen untergehen aus Mangel an Glauben; wir hören Gotteslästerungen auf allen Seiten; die Wahrheit hat abgenommen unter den Menschenkindern. Schmerzt uns all dies? Fühlen wir es als eine persönliche Beleidigung? Oder haben wir unser Herz selbstsüchtig verschlossen, indem wir Gott mit liebloser Dankbarkeit danken, daß wir wenigstens den wahren Glauben und die belebenden Sakramente haben, und in dem wir auf alle übrigen als auf ein geächtetes Geschlecht herabsehen, das uns in keiner Weise angeht? Wenn euch kein Band an diese Seelen knüpft (und doch findet ein solches statt, denn Christus vergoss sein kostbares Blut für sie ebenso gut, als für euch), so muss euch wenigstens die Ehre Gottes angelegen sein; und könnt ihr fühlen, daß ihr wirklich Gott liebt, in dem Sinne des Wortes Liebe, wie ihr es nehmt, wenn ihr seine Verunehrung nicht tief empfindet? Aber nicht um euch Vorwürfe zu machen, schreibe ich – Gott bewahre! Denn ich sehe ja, wie eifrig ihr immer dem Geist unserer Bruderschaft entsprochen habt; ich will euch nur die Übungen erklären und einprägen, welche diesen Geist der Liebe immer mehr pflegen sollen.
Hört also, was Gott zur heiligen Katharina von Siena sprach:
„Mit Grund bist du, meine Auserlesene, mit bitterem Herzenskummer erfüllt über die Beleidigungen, die ich beständig von den Menschen erleide und bist voll Mitleid über ihre sündhafte Unwissenheit, wodurch sie sich schwer gegen mich versündigen zum Schaden, ja zur Verdammung ihrer eigenen Seelen. Ich nehme dies dankbar von dir an, und es ist mein Wunsch, daß du so fortfahren sollst.“
Vernehmt auch, was die gottselige Angela von Foligno in dieser Hinsicht erfuhr. Vor ihrem Tode machte sie eine Art Testament, worin sie ihren geistlichen Kindern gewisse Ermahnungen vermachte, von welchen eine so lautet: „Ich versichere euch, daß meine Seele mehr von Gott empfing, wenn ich über die Sünden Anderer trauerte, als wenn ich Schmerz empfand über meine eigenen. Die Welt macht sich über das lustig, was ich sage, daß ein Mensch die Sünden seines Nächsten ebenso sehr beweinen kann, als seine eigenen, ja noch viel mehr, weil dies der Natur entgegen zu sein scheint, aber die Liebe, die so handelt, ist nicht von dieser Welt.“
Als der heilige Ignatius sich in dem Haus des Johannes Pascal zu Barcelona aufhielt, und die Nacht im Gebet zubrachte, wurde er hoch vom Boden erhoben und das ganze Zimmer von dem Glanz erhellt, welcher von seinem Angesicht ausging, während er immer die Worte wiederholte: „O mein Herr, mein Herz, mein Geliebter! O wenn nur die Menschen dich erkennten, sie würden nie sündigen!“ Ebenso wird von dem P. Peter Faber, dem Gefährten des heiligen Ignatius, erzählt, daß er in einer beständigen Trauer lebte, weil der Anblick sündiger Menschen ihn tief ergriff. „Dies ist“, wie der heilige Augustin sagt (Dial. c. 28), „die Verfolgung, welche alle diejenigen leiden, die ein frommes Leben in Christo führen wollen, gemäß dem wahren Ausspruch des Apostels. Denn was verfolgt das Leben der Guten härter, als das Leben der Gottlosen, nicht weil es die Guten zwingt, nachzuahmen, was ihnen missfällt, sondern weil es sie antreibt, über das Leben zu trauern, welches diese führen? Ein Mensch nämlich, welcher ein lasterhaftes Leben führt, kann eine fromme Seele nicht nötigen, seiner Sünde zuzustimmen, aber er quält sie durch den Anblick und Kummer darüber.“
Man erzählt auch von der gottseligen Clara von Montefalco, wenn sie von jemand hörte, der im Stande der Todsünde lebte, so wandte sie sich sogleich zum Kruzifix und sprach, indem sie untröstlich weinte, und aus Herzensgrund seufzte: „Ach, so ist denn alles verloren für diese Seele, was mein Herr für sie gelitten hat?“ Unfähig, diesen Gedanken zu ertragen, warf sie sich dann auf die Knie nieder, und betete inbrünstig für die Bekehrung des Sünders.
Ach, daß wir ein solches Herz in uns hätten, daß wir diese Gesinnungen uns zu eigen machen könnten! Ach, daß wir fühlten, daß die Sünde das einzige Übel in der Welt ist! Daß der Hunger und Durst nach der Ehre unseres liebevollen Heilandes uns ganz verzehrte! Und doch, wie bald kommen diese Gefühle, wenn wir uns nur ernstlich bemühen, sie zu suchen und Gott darum zu bitten! Was will Er anders als geliebt werden – geliebt immer und überall; und wie kann Er es uns verweigern, wenn wir Ihn um diese Liebe bitten? Warum verwandeln wir nicht alle unsere Gebete in das einzige, und bitten früh und spät um mehr Liebe Gottes? Aber ihr werdet sagen, in welcher Weise sollen wir diesen Schmerz über die Sündern anderer zeigen? –
aus: Frederick W. Faber, Alles für Jesus oder die leichten Wege zur Liebe Gottes, 1913, S. 130 – S. 132