Betrachte die Größe des Hasses, den Gott gegen die Sünde hat
Gegen eine falsche Auffassung von der göttlichen Barmherzigkeit
Betrachtung zum 9. Februar
„Gott sind beide gleich verhaßt, der Gottlose und sein gottloses Wesen.“ (Weish. 14, 9)
1. Betrachte die Größe des Hasses, den Gott gegen die Sünde hat. Dieser Haß ist so groß, wie die Liebe, womit er sich selbst liebt, unermeßlich, unendlich, wesentlich, aber dabei höchst vernünftig. Die Sünde ist es, die er immer hoffen muss, sie ist es, die er allzeit mit so schrecklichen Strafen verfolgt hat, wie sie nur immer auf Erden zu finden sind. Denke an die Sündflut, die über das ganze Menschengeschlecht herein brach, an die Krankheiten und Verwüstungen, an die Erdbeben und den schrecklichen Feuerregen. Und das alles war nur zur Strafe der Sünde, ja dies alles war so viel wie nichts. Um den schrecklichen Hass, von dem Gott gegen die Sünde entflammt ist, zu befriedigen, ist eine Hölle erforderlich. Doch auch diese ist nicht hinreichend, weil der Hass, den Gott hat, immer größer ist als die Strafen, welche er verhängt. Nach Millionen von Jahrhunderten sind wir noch beim Anfang, weil auch nicht der mindeste Teil einer entsprechenden Genugtuung geleistet worden ist!
2. Erwäge, daß alle Liebe, womit Gott auf die Gesamtheit der guten Werke hinsieht, die nur immer von allen Heiligen und Frommen verrichtet worden sind, von allen Patriarchen, Propheten und Märtyrern, – wenn man sie in die Waagschale legte, nicht einmal jenen Hass überwiegen würde, welchen Gott nur gegen eine einzige Sünde hat. Wäre bei Gott eine Traurigkeit möglich, er würde über eine einzige Sünde größeren Schmerz empfinden, als die Freude ist, die er an allen heiligen Werken zusammen hat. Deshalb kann er um keines Gutes willen jemals auch nur die kleinste Sünde wollen, obgleich er sie zulassen kann; und ebenso wenig kann es jemals sein Wille sein, daß irgend jemand eine Sünde wolle. Wenn du deshalb durch eine einzige Lüge alle Völker der ganzen Welt bekehren könntest, du dürftest nicht lügen. So groß ist der Haß Gottes gegen die Sünde.
3. Den größten Beweis aber, wie sehr Gott die Sünde verabscheue und hasse, hat er uns selbst gegeben in der furchtbaren Strafe, womit er seinen eigenen Sohn um ihretwillen geschlagen hat… Christus hatte keine Sünde an sich, denn er war „heilig, schuldlos und unbefleckt; ausgeschieden von den Sündern“ (Hebr. 7, 26); nur ihre Gestalt hatte er, da er gesandt war „in der Gestalt des sündigen Fleisches.“ (Röm. 8, 3) Und doch weißt du, wie Gott ihn behandelt hat. „Seines eigenen Sohnes hat er nicht geschont.“ (Röm. 8, 32) Er hat ihn hingegeben zum Zertreten, wie ein verdorbenes Gefäß (Ps. 30, 13), hingegeben zum Zerfleischen, zum Zerreißen; er ließ ihn peinigen und zwar aus keinem anderen Grund, als um seinen Hass gegen die Sünde zu zeigen. „Zur Bezeigung seiner Gerechtigkeit.“ (Röm. 3, 25) O wie groß muss dieser Hass sein!
4. Betrachte, daß dasselbe Maß des Hasses, womit Gott die Sünde haßt, auch dich trifft, wenn du ein Sünder bist. „Gott sind beide gleich verhaßt, der Sünder und sein gottloses Wesen.“ Dabei findet nur der Unterschied statt, daß er die Sünde immer hassen muss, während sein Hass gegen dich aufhört, sobald du aufhörst, ein Sünder zu sein. So lange du aber nicht die Sünde aus deinem Herzen entfernst, gibt es kein Gegenmittel; du bist Gott so verhaßt, wie deine Sünde. Du kannst nun sehen, in welch elendem Zustande du dich befindest…
5. Willst du aber, daß Gott anfange, dich zu lieben, so bedenke, daß kein anderer Weg dir offen bleibt, als daß du dich selbst hassest, die begangene Sünde beweinest und verabscheuest, und sie in eben dem Grade hassest, wie Gott selbst sie haßt, d.h. über alles. O wie ist es nur möglich, daß du dich in deinen Sünden so sehr lieben kannst? „Zu Grunde soll Samaria gehen, weil es seinen Gott erbittert hat.“ (Osea. 14,1) Du solltest höchst unwillig sein über dein rebellisches Fleisch, solltest es züchtigen und quälen, – nicht so fast zur Genugtuung, als vielmehr aus Hass gegen die Sünden, die es begangen hat. O du solltest dich verwundern, warum nicht alle geschaffenen Wesen ihren Unwillen gegen dich an den Tag legen; warum die Sonne, statt dich mit ihrem milden Licht anzuscheinen, nicht Pfeile gegen dich schleudert; daß die Sterne nicht streiten gegen dich, daß die Luft dich nicht erstickt, das Wasser dich nicht verschlingt, die Erde sich nicht unter deinen Füßen öffnet, um dich alsbald zu verschlingen! Wenn du wüßtest, was es heißt, in der Todsünde verharren, so würdest du immer die Engel aus den Wolken rufen hören: „Rüstet euch wider Babylon ringsum, all ihr Bogenschützen, zielt nach ihr und schont nicht der Pfeile, denn sie hat gesündigt wider den Herrn!“ (Jerem. 50, 14) –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1853, Bd. I, S. 94 – S. 97