Papstfabel von der Päpstin Johanna

Die Papstfabel von der Päpstin Johanna

Eine der zahlreichen Papstfabeln

Es muss hier noch eine Geschichtslüge besprochen werden, die freilich heutzutage kein verständiger Mann mehr glaubt, die aber doch bis vor kurzem in Zeitungsblättern noch hier und da eine Rolle spielte. Wir meinen die Geschichte von der Päpstin „Johanna“. Es soll zwischen der Regierung des heiligen Papstes Leo IV. und Benedikt III. eine unordentliche Frau auf dem Heiligen Stuhl als Papst die Kirche regiert haben. Dieselbe soll aus Deutschland und zwar aus Ingelheim oder Mainz nach Athen in Griechenland und von dort in Mönchskleidern nach Rom gekommen sein. Allein es ist endgültig nachgewiesen, daß nach dem Tode des Papstes Leo unmittelbar sein Freund Benedikt folgte; eine Päpstin Johanna also niemals gelebt haben kann.
Der sicherste Beweis dafür ist wohl, daß kein Buch, kein Brief der damaligen Zeit etwas von einer Päpstin Johanna erwähnt. Es wurden Kirchen-Versammlungen gehalten, aber alle schweigen über diese seltsame Sache. Auch der Grieche Photius, der ärgste Feind der Päpste, schweigt über ein so großes Ärgernis. Erst vierhundert Jahre später tauchte die Fabel von einer Päpstin Johanna auf und wurde von den Kirchenfeinden verbreitet und von Leichtgläubigen als wahr angenommen. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 290-291

Johanna, angeblich Päpstin, taucht zuerst in der Weltchronik v. Metz des Jean de Mailly OP (um 1250) auf (MGScript. XXIV 514), fand aber besondere Verbreitung in der von Martin von Troppau († 1278) berichteten, von der Fassung früherer Chronisten erheblich abweichenden Form (MGScript. XXII 428) und wurde vom 13. bis 16. Jahrhundert allgemein geglaubt. Danach hätte ein Mädchen aus Mainz in Athen studiert, sei nach Rom gekommen, hätte hier ihrer Gelehrsamkeit wegen in hohem ansehen gestanden, so daß sie nach dem Tode Leo IV. 855 als Johannes Anglicus zum Papst gewählt wurde; sie hätte länger als 2 Jahre regiert, sei dann aber bei einer Prozession zum Lateran nieder gekommen, an Ort und Stelle gestorben und begraben worden. Neben dem erst im 14. Jahrhundert begegnenden Namen Johanna werden ihr in den verschiedenen Fassungen der Legende auch andere Namen beigelegt, ebenso wird ihre Heimat verschieden angegeben. Äneas Silvius, Platina, Aventin, auch Protestanten wie vor allem David Blondel in mehreren Schriften bestritten die Glaubwürdigkeit, andere gebrauchten die Sage als Waffe gegen Papsttum und Kirche. Ihre Unhaltbarkeit ist längst nachgewiesen. Benedikt III. folgte sofort auf Leo IV; auch um 1100, wie der älteste Bericht will, kann die Päpstin nicht gelebt haben. Die Entstehung der Legende ist nicht völlig aufgeklärt; wahrscheinlich haben eine alte mißdeutete Inschrift, eine Statue (vgl. Tomassetti in Bull. arch. com. di Roma 1907, 82/95) mit Kind, das Meiden der engen Straße, wo Statue und Inschrift sich befanden, bei päpstlichen Prozessionen, die Erinnerung an das üble Weiberregiment der Theodora und ihrer Töchter in Rom im 10. Jahrhundert der Volksphantasie Anregung gegeben. Die von der Chronik von Salerno (MGScript III 481) überlieferte Nachricht, eine Frau habe 1 1/2 Jahre den Patriarchenstuhl von Konstantinopel inne gehabt, ist schwerlich der Anstoß zu der römischen Sage gewesen. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, S. 459 – S. 460

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