Strafe der ersten Sünde und Verheißung des Erlösers
Das Strafurteil über die Schlange, den Satan
(Gen. 3, 14-24)
Nach Feststellung der Schuld wendet sich Gottes strafende Gerechtigkeit zunächst gegen den ersten und eigentlichen Urheber der Sünde und nur nebenbei gegen dessen Werkzeug. Darum fragt Gott die Schlange nicht: „Warum hast du das getan?“ Denn sie hat es nicht mit eigenem Willen getan; der Satan aber, der sich ihrer bedient, ist schon gerichtet (1); sein Gericht wird hier nur bestätigt und seiner Schuld entsprechend erweitert. „Gott der Herr sprach zur Schlange: Weil du dies getan hast, so sei verflucht unter allen Tieren der Erde. Auf seinem Bauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens.“ (2)
Da dieser Fluch vor allem den boshaften Inhaber der Schlange, dem Satan angeht, so sind nach den Vätern die Ausdrücke zunächst bildlich zu nehmen, sofern derselbe von nun an auch für die Menschen ein Gegenstand des Abscheus und Entsetzens geworden ist, ihnen hinterlistig nachstellt, nur Schlechtes und Niedriges im Sinn hat, und sofern nur das, was schlecht und gemein ist, seine Beute wird. Aber auch das Werkzeug seiner Bosheit, die Schlange, wird von diesem Fluch getroffen, nicht zwar so, als ob hierdurch ihre Natur verändert worden wäre, wohl aber so, daß die Eigentümlichkeiten ihrer Natur dem Menschen, dem sie bisher nicht geschadet, in ganz besonderer Weise unheimlich und gefährlich werden; so das Ungewöhnliche ihrer Bewegung, ihr lauernder Blick, ihr boshaftes Zischen, ihr tödliches Gift, ihre heimtückische Verschlagenheit. Wirklich erregt sie dadurch, wie kein anderes Tier, Abscheu und Entsetzen und wird, wie kein anderes, vom Menschen gehaßt und verfolgt. So ist sie seit dem Sündenfall das Sinnbild des Verführers ein Denkzeichen des ersten Falles geblieben.
Doch schon hier offenbart sich Gottes Erbarmen gegen die Menschen; er straft den boshaften Verführer und zerbricht zugleich wie ein liebevoller Vater das Werkzeug, womit man seine Kinder verwundet hat. (3) Noch mehr aber offenbart sich dies unendliche göttliche Erbarmen in den folgenden Worten, die dem Satan seine dereinstige vollständige Besiegung anzeigen, dagegen für die Menschen die tröstliche Verheißung enthalten, nämlich die eines künftigen Erlösers. Weil dieselbe die erste Verheißung war, so wird sie gern auch das Proto-Evangelium, d. h. das erste Evangelium, die erste frohe Botschaft vom Erlöser, genannt. Sie lautet: „Und Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; sie wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihrer Ferse nachstellen.“ (4)
Diese Worte kündigen dem Urheber der Sünde Demütigung, Überwindung, dem Menschen-Geschlecht Erlösung an: wird der „Schlange“ der Kopf zertreten, so wird das Werk des Teufels zerstört (5), der Sieg gehört dem Samen (6) des Weibes. Dieser klar hervor tretende Hauptgedanke musste den Stammeltern zum Trost gereichen; da´ sich ihre Hoffnung wirklich daran aufrichtete, zeigt V. 20, wo Adam den Namen seines Weibes trotz des ergangenen Todesurteils und Fluches „Mutter aller Lebendigen“ nennt. Der Sieg des Menschen-Geschlechtes ist aber Ergebnis eines Kampfes, der aus der Feindschaft zwischen dem Weibe und der Schlange und ihrer beiderseitigen Nachkommenschaft sich entwickelt. Während die Schlange der Ferse des Weibes und ihres Samens nachstellt (d. h. tödlich zu verwunden sucht), wird ihr der Same (d. h. einer aus der Nachkommenschaft) des Weibes den Kopf zertreten (ihre Macht brechen, vernichten). Dies der unmittelbare Sinn des hebräischen Textes (7), mit welchem die ältere lateinische , die griechische Übersetzung sowie die Erklärung der meisten Väter übereinstimmt. Aber auch die lateinische Übersetzung gibt den Sinn im wesentlichen richtig wieder, indem sie den Sieg „dem Weibe“ zuschreibt. Denn der bestimmte Artikel, der auf Eva zurück zu weisen scheint, kann ebenso gut auf ein bestimmtes, in der Zukunft zu offenbarendes Weib hinweisen, dessen Stellung durch sein Verhältnis zu dem „Samen“ bestimmt wird, welcher der Schlange den Kopf zertritt (8). Dem ersten Weibe, das zur Sünde verführt ward, steht ein anderes gegenüber, dessen Same der Schlange den Kopf zertritt; insofern ist es das Weib selbst, das siegt, und ist somit die Erklärung von Maria, der ganz makellosen, gnadenvollen und in dem höchsten Glanz aller Tugenden strahlenden Widersacherin des Teufels, der neuen, heilbringenden Eva, der Mutter des Urhebers des (geistigen und ewigen) Lebens, und darum allein wahren Mutter der Lebendigen, berechtigt. (9) Ihr hochgebenedeiter Sohn aber ist derjenige, der im Anfang bei Gott war und selbst Gott ist und in der Fülle der Zeiten von der Jungfrau geboren wurde (10), jener „starke Held“ (11), der als Stellvertreter der ganzen Menschheit zuerst in der Wüste den Teufel im Zweikampf nieder warf ((12), sodann im Ölgarten wieder mit ihm rang (13) und ihn endlich am Lebensbaum des selbst gewollten Kreuzes glorreich überwand. (14)
Da Gott durch diese Verheißung unsere Stammeltern von ihrem Fall wieder aufrichten (15) und durch die Hoffnung auf den künftigen Erlöser der Gnade desselben teilhaftig machen wollte, so gab er ihnen auch das zur Erweckung dieser Hoffnung notwendige Verständnis jener Worte. Wie tief dieses war, sehen wir daran, daß wirklich die ganze Menschheit ihre Hoffnung des künftigen Erlösers auf diese Verheißung baute, und daß gewisse Ideen und Erwartungen der heidnischen Völker deutlich auf diese Verheißung und ihr richtiges Verständnis zurückgehen oder sie wenigstens voraussetzen. (16)
Die Schlange als Tier kommt in diesem Vers kaum noch in Betracht, höchstens wie im vorigen als Werkzeug des Verführers und als Sinnbild seiner Bosheit und seiner Strafe. Dies eingerechnet, ist in unserem Vers von einem dreifachen Kampf die Rede: 1. zunächst und hauptsächlich von dem siegreichen Entscheidungs-Kampf des Erlösers gegen den Satan; sodann 2. vom Kampf des Satans gegen die Menschen, die im Alten Bund in der Hoffnung auf den künftigen Erlöser, im Neuen Bund im Glauben an ihn gegen die Nachstellungen des Satans siegreich kämpfen (17); endlich 3. wenn überhaupt noch der Kampf der Menschen gegen die Schlange ins Auge gefaßt ist, so mag er eine stete Erinnerung an die erste traurige Niederlage, aber auch an die göttliche Erbarmung und Sinnbild jenes geistigen Kampfes sein, in welchem der Erlöser selbst und mit ihm und durch ihn die Menschheit den Satan überwindet.
Wie in einem Keim sind in dieser ersten Verheißung des Erlösers die Hauptpunkte aller folgenden andeutungsweise enthalten: die wahre Menschheit des Erlösers, als Same des Weibes; seine wahre Gottheit, weil er nur Same des Weibes, nicht des Mannes genannt ist; eben damit die Jungfräulichkeit seiner Mutter; ferner sein erlösendes Leiden und Sterben, da die Schlange ihn zum Tod verwundet; aber auch sein Sieg über Tod und Hölle, da er der Schlange, dem höllischen Feind, den Kopf zertritt.
Anmerkungen:
(1) S. Aug., De Gen. Ad lit. 1. 11, c. 36.
(2) Vers 14. Der Ausdruck „Staub fressen“ findet sich auch in keilschriftlichen Urkunden (z. B. den Amarnatafeln) und bedeutet dort allgemein „zu Schanden werden“ und speziell „in die Hölle fahren“; z. B. „es mögen es sehen unsere Feinde und Staub fressen“. Das erinnert zunächst an das Niederwerfen und „küssen der Erde“, das immer von besiegten Feinden ausgesagt wird. „Staub fressen“ ist weiter eine Verfeinerung (Euphemismus) für „Kot fressen“, und dieses wird den Bewohnern der Unterwelt (Dämonen) zugeschrieben, daher die symbolische Bedeutung: zum Teufel, zur Hölle fahren. Nach Winckler (Der Alte Orient und die Geschichtsforschung 30) handelt es sich um eine ganz gewöhnliche altorientalischen, noch heute übliche Ausdrucksweise, womit tiefste Erniedrigung bezeichnet werden soll, mit tiefer symbolischer Bedeutung (vgl. Mich. 7, 17; Is. 65, 25 und Ps. 71, 9). Dadurch wird bestätigt, daß das Urteil den Urheber der Sünde, nicht das Tier als solches trifft: der böse Dämon wird in seinen Bereich verwiesen, zur Hölle, wohin er gehört.
(3) S. Chrysost., In Gen. hom. 17, n. 6.
(4) Vers 15
(5) 1. Joh. 3, 8.
(6) Same kann im allgemeinen Nachkommenschaft oder auch einen einzelnen Nachkommen bedeuten; das letztere ist aber gewöhnlicher; und an unserer Stelle fordert es der Zusammenhang, an einen einzelnen Nachkommen zu denken, nämlich an den Messias. Im gleichen Sinne erklärt der hl. Paulus die patriarchalische Verheißung „In deinem Samen werden gesegnet werden alle Völker“ usw. dahin (Gal. 3, 16): „Dem Abraham sind Verheißungen zugesagt worden und seinem Samen; Gott sagt nicht: ‚und den Samen‘, als spräche er von vielen, sondern er spricht wie von einem: ‚und deinem Samen‘, welcher ist Christus.“ Eine Schwierigkeit scheint der „Same“ der Schlange zu bereiten. Geht das Urteil, wie allgemein zugegeben wird, gegen den Urheber der Sünde, so ist sein „Same“ s.v.a. sein Anhang, seine Gefolgschaft; zunächst sind das die bösen Geister, sodann schließt der Ausdruck auch diejenigen ein, die in späteren Büchern der Heiligen Schrift „Kinder des Teufels“, „Gezücht und Brut der Schlange“ genannt oder als solche bezeichnet werden, die „aus dem Bösen“ sind (Gegensatz: „aus Gott geboren“), selbstverständlich, wie Augustinus bemerkt, imitando, non nascendo, durch Nachahmung, nicht durch Geburt (vgl. Weish. 2, 25; Mt. 3, 7; 23, 33; Joh. 8, 44; 1. Joh. 3, 8-12).
(7) Er lautet: er (der Same des Weibes) wird dir den Kopf zertreten. Dem entsprach die griechische Übersetzung, die das männliche Subjekt beibehielt, obwohl das Wort für Same im Griechischen ein Neutrum ist. Auch die alte lateinische Übersetzung hatte ipse (er), und noch Hieronymus bezeugt diese Lesart ausdrücklich (in seinen Quaestiones hebraicae). Er ließ aber die Lesart ipsa (sie), die in den Bibeltext bereits Eingang gefunden hatte, stehen, um niemand durch eine abweichend, wenn auch korrektere Übersetzung Anstoß zu geben, ein Zeugnis dafür, daß die alte Kirche in dem Weibe des Proto-Evangeliums die Mutter des Erlösers sah. Die Lesart ipsa, die besonders seit Ambrosius und Augustinus allgemein üblich wurde, beruht somit weder auf absichtlicher Fälschung, noch ist sie durch ein Versehen in den Text gekommen; sie ist vielmehr erklärende Übersetzung, welche die Anwendung der Verheißung auf die Mutter des Erlösers zum Ausdruck bringt.
(8) „Eigentümlich ist dem Hebräischen die Verwendung des Artikels, um eine einzelne, zunächst noch unbekannte und daher nicht näher zu bestimmende Person oder Sache als eine solche zu bezeichnen, welche unter den gegebenen Umständen als vorhanden oder in Betracht kommend zu denken sei. Im Deutschen steht in solchen Fällen meist der unbestimmte Artikel.“ Gesenius-Kautzsch, hebräische Grammatik 402. Danach kann übersetzt werden: zwischen dir und einem Weibe, nämlich jenem, dessen Same der Schlange den Kopf zertreten wird.
(9) Der Messias ist es, welcher der Schlange den Kopf zertritt, und seine jungfräuliche Mutter tut es durch ihn, d. h. dadurch, daß sie ihn, den Überwinder der Schlange, geboren, und dadurch, daß sie wegen ihrer Würde als Mutter Gottes nie unter der Herrschaft der Sünde und des Teufels stand, vielmehr in ihrer Unbefleckten Empfängnis im Hinblick auf die Verdienste ihres göttlichen Sohnes vor jedem Makel der Sünde unversehrt bewahrt wurde… In der Bulle Ineffabilis vom 8. Dezember 1854 wird ausdrücklich gesagt, in der ersten Verheißung werde klar und deutlich der Erlöser des Menschengeschlechtes verheißen und zugleich seine heilige Mutter „bezeichnet“ (designatam), die nach Auffassung der Kirche auch in all den Stellen mit eingeschlossen ist, welche sich auf die unerschaffene Weisheit und den Ratschluß der Erlösung beziehen. Schäfer, Die Gottesmutter in der Heiligen Schrift, Münster 1901, 101ff. Die Schmähungen und Verdächtigungen, die seit Calvin wegen der Lesart und Erklärung der lateinischen Bibelübersetzung von protestantischer Seite immer wieder erhoben werden, sind unberechtigt und sehr übel angebracht. Bezeichnend ist, daß eine hierher gehörige Schmähschrift von E. Preuß aus dem Jahre 1865 bis heute in wissenschaftlichen Kommentaren als Beleg für die „römische Lehre“ angeführt, der öffentliche Widerruf des inzwischen katholisch gewordenen Verfassers († 1904) aber gänzlich ignoriert wird (Preuß, Zum Lobe der Unbefleckten Empfängnis – von Einem, der sie früher gelästert hat, Freiburg 1878). Unsere Antwort auf die Bemängelung der katholischen Auslegung durch protestantische Kritiker s. In „Friedensblätter“ (herausg. v. B. Strehler) 1906, Hft 12.
(10) vgl. Joh. 1, 1; Is. 7, 14.
(11) Is. 9, 6.; Lk. 11, 22.
(12) Mt. 4, 1-11.
(13) Lk. 22, 39-44; vgl. 4, 13.
(14) Joh. 12, 31; Hebr. 12, 2; Kol. 2, 14. 15; Gal. 3, 13.
(15) Weish. 10, 2.
(16) Hierher gehört die Idee von der Wiederkehr des goldenen Zeitalters, der endgültigen Überwindung des Bösen, die dunkle Ahnung oder Erwartung eines Erlösers und einer neuen Weltzeit, wie sie sich bei einer Reihe von orientalischen Völkern (Babyloniern, Persern, Indern) findet und auch in die Sagen der klassischen und germanischen Völker übergegangen ist.
(17) Von diesem Kampf des Erlösers und der Seinen reden u.a. die stellen: Lk. 11, 22; Joh. 12, 31; 14, 30; 16, 11; Röm. 16, 20; Kol. 2, 14. 15; Offb. 12, 9ff; 19, 11ff; 20, 9. -Sehr sinnreich ist die Bedeutung dieser messianischen Verheißung bildlich dargestellt auf Sarkophagen der ersten christlichen Jahrhunderte, z. B. wenn Christus in jugendlicher Gestalt zwischen Adam und Eva steht und dem Adam Ähren, der Eva ein Lamm reicht usw.
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 179-183