Abschiedsworte Jesu Der Weg zum Vater bin Ich
(Joh. Kap. 14-16)
„Euer Herz betrübe sich nicht. (1) Ihr glaubt an Gott; glaubt auch an mich! Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. (2) Wenn es nicht so wäre, so hätte ich es euch gesagt; denn ich gehe hin, für euch einen Ort zu bereiten. Und wenn ich hingegangen bin und einen Ort für euch bereitet habe, so will ich wieder kommen und euch zu mir nehmen (3), damit auch ihr seid, wo ich bin. Wohin ich aber gehe, das wisset ihr; auch den Weg wisset ihr.“ (4)
Da sprach Thomas zu ihm. „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg wissen?“ Jesus sprach zu ihm: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. (5) Niemand kommt zum Vater, außer durch mich. Wenn ihr mich kenntet, so würdet ihr auch meinen Vater kennen; aber von nun an werdet ihr ihn kennen, und ihr habt ihn gesehen.“ (6)
Philippus sprach zu ihm: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ Jesus erwiderte ihm: „So lange Zeit bin ich bei euch, und ihr kennt mich noch nicht? Philippus, wer mich sieht, der sieht auch den Vater. Wie kannst du also sagen: Zeige uns den Vater? (7) Glaubt ihr nicht, dass ich im Vater bin, und dass der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch rede, rede ich nicht von mir selbst. Der Vater aber, der in mir wohnt, dieser tut die Werke. Glaubt ihr nicht, dass ich im Vater bin, und dass der Vater in mir ist? Wo nicht, so glaubt mir doch um der Werke willen. (8)
Wahrlich, wahrlich, sage ich euch, wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue; ja er wird noch größere tun; denn ich gehe zum Vater! (9) Und um was immer ihr den Vater in meinem Namen (10) bitten werdet, das will ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht werde. Wenn ihr mich um etwas bittet in meinem Namen, das will ich tun.“
„Wenn ihr mich liebt, so haltet meine Gebote. (11) Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster (12) geben, damit er in Ewigkeit bei euch bleibe, den Geist der Wahrheit (13), den die Welt nicht empfangen kann; denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. (14) Ihr aber werdet ihn erkennen; denn er wird bei euch bleiben und in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen, ich will zu euch kommen.
Noch eine kleine Weile, und die Welt sieht mich nicht mehr. Ihr aber werdet mich sehen, weil ich lebe, und auch ihr leben werdet. (15) An demselben Tag (16) werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir, und ich in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist`s, der mich liebt. Wer aber mich liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn auch lieben und mich selbst ihm offenbaren.“ (17)
Da sprach Judas, nicht der Iskariot, zu ihm: „Herr, wie kommt es, dass du dich uns und nicht der Welt offenbaren wirst?“ Jesus antwortete ihm: „Wenn mich jemand liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. (18) Wer mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht; und das Wort, welches ihr gehört habt, ist nicht mein, sondern des Vaters, der mich gesandt hat. Dieses habe ich zu euch geredet, da ich noch bei euch bin.
Der Tröster aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was immer ich euch gesagt habe.“ (19)
„Den Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch.“ (20) „Euer Herz betrübe sich nicht und fürchte sich nicht. Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Wenn ihr mich liebtet, so würdet ihr euch ja freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich. (21) Und nun habe ich es euch gesagt, ehe denn es geschieht, damit ihr glaubt, wenn es geschehen sein wird.
Ich werde nun nicht mehr viel mit euch reden; denn es kommt der Fürst dieser Welt, aber an mir hat er nichts; sondern (22) damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und so tue, wie es mir der Vater befohlen hat. Steht auf, lasset uns von hier weg gehen!“ (23)
Anmerkungen:
(1) Das erste ist, dass der Herr seine mutlosen Jünger tröstet und aufrichtet durch den Hinweis darauf, dass sie ihm ebenso glauben und vertrauen können und sollen wie dem Vater selbst; sowie darauf, dass sein Weggang zu ihrem eigenen Heil geschehe, indem er ihnen den Himmel, de er durch sein Leiden und Sterben den Menschen wieder erwarb, der aber bis zu seiner Himmelfahrt selbst den Gerechten verschlossen blieb, zugänglich mache und in den vielen „Wohnungen“ daselbst hohe Stufen der Seligkeit bereite.
(2) Viele und verschiedene Stufen der Seligkeit, je nach dem Maß der Verdienste.
(3) Eure Seele bei eurem Tod und dereinst bei der allgemeinen Auferstehung auch den Leib, der sich verklärt mit der Seele verbindet.
(4) Er hatte es ihnen oft gesagt, dass er zum Vater gehe, und dass er, wie durch sein ganzes Leben und seine Lehre, so insbesondere durch diesen seinen Hingang zum Vater für die Menschen selbst der Weg zum Vater sei. Die Apostel „wussten dies auch, aber sie wussten nicht, dass sie es wussten“, wie so schön der hl. Augustinus bemerkt, d. h. sie dachten im Augenblick nicht daran.
(5) Jesus ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Weg, dem alle folgen, die Wahrheit, der sie glauben sollen, und das Leben, der Urquell alles natürlichen und übernatürlichen Lebens, des Lebens der Gnade und Glorie, wie der Urheber der einstigen Auferstehung.
(6) Von nun an, von meiner Verherrlichung an, werdet ihr, vom Heiligen Geist erleuchtet, das Göttliche in mir und eben damit auch das Göttliche im Vater, also den Vater selbst, vollkommen erkennen; ja ihr habt es bereits, wenn auch noch nicht so vollkommen, erkannt.
(7) Philippus verlangt eine sichtbare Erscheinung des Vaters; diese stand aber im Mensch gewordenen Sohn Gottes in vollkommenster Weise leibhaftig vor ihm (Joh. 1, 14), und die unsichtbare Gottheit offenbarte sich in der göttlichen Wahrheit, die er verkündete, und in den Werken und Wundern, die er wirkte.
(8) Sowohl meiner eigenen, als der noch größeren Werke, die ihr selbst tun werdet, da ich alle eure Gebete erhören, eure Bitten erfüllen werde. Der Heiland deutet auf die wunderbar großartige Ausbreitung seines Werkes, seiner Kirche, durch die Apostel. Jesus sagt hier, er wolle die Bitten der Jünger erhören, nachher (Joh. 16, 23), der Vater werde sie erhören, weil er wie der Vater die göttliche Wesenheit besitzt und alle göttlichen Wunder wirkt, davon abgesehen, dass seine Verdienste die Erhörung der Bitten bewirken.
(9) Der Hingang Christi in den Tod, seine Auferstehung und Himmelfahrt und seine Verherrlichung zur Rechten des Vaters ist der Grund jener großartigen Wirksamkeit der Apostel in der Ausbreitung der Kirche. (Vgl. Mk. 16, 19 20; Apg. 1, 8)
(10) Wir müssen den Vater bitten durch den Sohn, wie die Kirche auch in all ihren Gebeten tut. Dass damit unsere Zuflucht zur Fürbitte der Heiligen nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich daraus, dass Gott selbst uns an diese weist, dass die Heiligen selbst im Namen Jesu beten und der Heiland ja hier ausdrücklich denselben Gewährung ihrer Bitten verheißt. – Im Namen Jesu beten heißt: a) beten in lebendigem Glauben an Jesus und im Vertrauen auf die Kraft der Verdienste seiner Erlösung; b) beten in seinem Sinn und Geist, so wie er es uns gelehrt hat. Solches Gebet wird immer erhört.
(11) Wie vorher zum Glauben und zur Hoffnung, so ermahnt hier der Heiland seine Jünger zur Liebe, die sich wirksam zeigt in der treuen Haltung der Gebote, und verkündet ihnen dann die Sendung des Heiligen Geistes und die Bedingungen, ihn zu empfangen und durch ihn der Gnade Christi stets teilhaft zu werden.
(12) Das griechische Wort paraclêtos bedeutet „Beistand, Anwalt, Fürsprecher, Tröster“. Der Heilige Geist ist alles dieses, sofern er als Urheber der Heiligung und als Spender der übernatürlichen Gaben und Gnaden in der Kirche und den einzelnen Seelen der Gerechten wohnt und in Ewigkeit bei ihnen bleibt, d. h. bis ans Ende der Welt in allen Kämpfen gegen den Geist der Lüge und der Sünde, sie erleuchtet, stärkt, heiligt, und in Kampf und Trübsal tröstet. –
Jesus nennt ihn mit Beziehung auf sich selbst einen andern Tröster, dessen Sendung bewirkt, dass trotz des Weggangs Jesu die Apostel nicht als Waisen zurückbleiben; daraus folgt, der der Heilige Geist eine besondere, vom Vater und Sohn verschiedene göttliche Person sein muss; dies erhellt auch aus den Eigenschaften, die ihm im Folgenden zugeschrieben werden. Hier ist gesagt, dass der Vater ihn sende, anderwärts, dass der Sohn ihn sende (Joh. 15, 26; 16, 7 13ff); er ist eben der Geist des Vaters und des Sohnes; er geht von Ewigkeit her vom Vater und vom Sohn aus und wird ebenso in der Zeit gesendet vom Vater und vom Sohn. (siehe Coulin: Betrachtungen zum Heiligen Geist)
(13) Der wie der Vater und der Sohn selbst die ewige göttliche Wahrheit ist, und der die Kirche in alle von Christus verkündigte Wahrheit einführt, sie darin schützt und vor jedem Irrtum bewahrt, auch den einzelnen Seelen durch die Gnade des Glaubens die göttliche Wahrheit mitteilt.
(14) Die in Lüge und Sünde versunkene Welt hat keine Empfänglichkeit und keinen Sinn für den heiligen Geist; seine Erleuchtungen und seine Gnaden-Wirksamkeit. (Röm. 8, 5ff)
(15) Ich bin trotzdem, dass ich jetzt in den Tod gehe, der ewig Lebendige und gebe das Leben denen, die an mich glauben, das Leben der Gnade und Glorie, und auch das ewige Leben des Leibes nach der Auferstehung. Ihr werdet mich fortan sehen mit den Augen des Glaubens hier auf Erden und dereinst von Angesicht zu Angesicht im Himmel und werdet mit mir und dem Vater in innigster Lebensgemeinschaft und Liebe verbunden sein.
(16) Am heiligen Pfingstfest soll mit der Sendung des Heiligen Geistes dieses Schauen im Glauben, diese innige Gemeinschaft in der Gnade und Liebe in einer vollkommenen Weise beginnen, um dereinst im Himmel auf das herrlichste vollendet zu werden.
(17) Je inniger eine Seele Christus liebt und je mehr sie diese Liebe durch ein Leben nach seinem heiligen Willen betätigt, eine um so klarere Erkenntnis von Christus und seinen Wahrheiten und um so reichlichere Gnade wird sie empfangen, so dass sie endlich schon hienieden sagen kann: „Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal. 2, 20)
(18) Durch die Gnade des Heiligen Geistes, die den Menschen zu einem lebendigen Tempel Gottes macht. (Vgl. 1. Kor. 3, 16; 2. Kor. 6, 16)
(19) Nicht neue Lehren soll der Heilige Geist den Aposteln mitteilen, aber er soll die Apostel einführen in die klare Erkenntnis der von Christus mitgeteilten Wahrheit, so dass sie dieselben unfehlbar erkennen und der Welt mitteilen, und wie sie, so die auf die Apostel erbaute Lehranstalt der göttlichen Wahrheit, die Kirche, die hiernach ein unfehlbares Lehramt hat, weil ohne dieses die Absicht des göttlichen Meisters, die Menschen seine Wahrheit zu lehren, vereitelt würde. Darum nennt der Apostel sie auch „die Säule und Grundfeste der Wahrheit.“ (1. Tim. 3, 15)
(20) Nicht einen leeren Glückwunsch, nicht einen Frieden, der doch kein Friede ist (Jr. 6, 14), sondern jenen wahren Frieden, von dem die Engel gesungen, das ganze Heil, das Jesus vom Himmel gebracht, und das in den Menschen, die es durch den Glauben erfassen, den wahren Frieden der Seele bewirkt. (Vgl. Phil. 4, 7)
(21) Der Heiland redet von sich seiner menschlichen Natur nach, denn nur in dieser kann er von einem Hingang zum Vater reden; als das göttliche Wort hat er die Herrlichkeit des Vaters nie verlassen, aber seiner menschlichen Natur nach steht er jetzt im Begriff, den Stand der Demut und Erniedrigung zu verlassen, in dem er nach dem Auftrag des Vaters sein Erlösungswerk vollbrachte, und in seine ewige Herrlichkeit einzugehen. Darüber mussten die Jünger sich freuen, wenn sie ihn liebten.
(22) Ich lasse es zu, dass er seine Bosheit an mir ausübe, damit ich ihn überwinde und sein Reich zerstöre.
(23) Es ist dies nach Joh. 18, 1 nur eine Aufforderung, sich vom Tisch zu erheben und sich zu Weggang zu rüsten, und zwar zunächst den Hymnus zu sprechen. –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 467-471