Zur Frage der Absetzung eines häretischen Papstes
(Hefele) leitet nämlich aus der Tatsache der Verdammung des Honorius durch das VI. Konzil ausdrücklich oder andeutungsweise her, 1) dass man zu jener Zeit des Axiom „der erste Stuhl wird von niemand gerichtet“ (prima sedes a nemine judicatur) noch nicht gekannt, und 2) dass ein Papst in Sachen des Glaubens, auch wo er unschuldig irre, und namentlich eine falsche Entscheidung ex cathedra erlasse, vom Konzil – auch ohne und gegen seinen und seiner Nachfolger Willen gerichtet, und seine Entscheidung korrigiert werden könne, und meint dann 3) dieses sei im Mittelalter kanonischer Rechtssatz gewesen.
Allein
1) das erwähnte Axiom besagt bloß, dass die Dekrete und Urteile des heiligen Stuhles überhaupt von keiner andern höheren Autorität umgestoßen, und die Person des lebenden Papstes wegen ihrer persönlichen Sünden von keinem andern Richter in der Kirche als ihrem Vorgesetzten, gegen ihren Willen zur rechtlichen Verantwortung und Bestrafung gezogen werden könne.
Das VI. Konzil aber hat kein Urteil des heiligen Stuhles umgestoßen, weil Honorius kein solches gefällt hatte, und selbst inwiefern es sein lehramtliches Verhalten verdammte, stützte es sich auf die bereits von den nachfolgenden Päpsten ergangenen Entscheidungen, durch welche die von Honorius gedankenlos begünstigte Irrlehre verdammt wurde, hat also auch die etwa von Honorius geäußerten Irrtümer nicht zuerst ohne und gegen den Papst verurteilt.
Zudem war Honorius damals, als das Konzil über ihn richtete, nicht nur nicht mehr Papst, sondern auch nicht mehr Mitglied der streitenden Kirche; folglich hat das Konzil auch nicht über seine Person, wie über einen Untergebenen, gerichtet, sondern bloß seine Missbilligung über dessen Verfahren ausgesprochen und derselben durch Auslöschung seines Namens aus den gottesdienstlichen Ehren- und Fürbitt-Tafeln Ausdruck verliehen.
Und dieses wiederum konnte es, wie Papst Hadrian II. in der vom hochw. Verfasser zweimal übergangenen Fortsetzung der von ihm angeführten Stelle ausdrücklich sagt, nicht tun als eine einfache Versammlung von Patriarchen und Bischöfen, sondern nur unter Autorität und mit Einwilligung eines andern Bischofs des ersten Stuhles (1), weil die bischöfliche Versammlung nur durch die Gemeinschaft mit dem Papst und den Beitritt desselben zum höchsten Tribunal der Kirche wird.
Der genannte Papst fügt hinzu, ein solches Urteil über einen verstorbenen Papst, und dementsprechend ein Widerstand und Verweigerung des Gehorsams (kein richterliches Urteil, weil dieses nach ihm in diesem Fall juristisch unmöglich wäre) gegen den lebenden Papst sei nur statthaft, wo dieser wegen Häresie angeklagt werde, d. h. nach der Natur der Sache und der allgemeinen Lehre der Theologen und Kanonisten des Mittelalters entweder persönlich formell, mutwillig und hartnäckig den ausgesprochenen Glauben der Kirche verleugne, oder durch sein Benehmen zum Mitschuldigen an der Häresie Anderer werde, oder überhaupt etwas verordne, was augenscheinlich nach dem Glauben der Kirche unerlaubt ist oder zum Verderben derselben gereicht (2) –
womit jedoch keineswegs gesagt ist, dass dieses bei Erlassung eines allgemeinen dogmatischen oder disziplinären Gesetzes vorkommen könne. Folglich bleibt das Axiom: prima sedes a nemine judicatur in seinem wahren Sinn, aber auch in seiner ganzen Strenge trotz der Verdammung des Honorius aufrecht stehen, und gerade die Worte Hadrians II., die der hochw. Verfasser dagegen anführt, dienen zu seinem Schutz.
2) Damit ist auch gesagt, dass für die zweite den Ausführungen des hochw. Herrn Verfassers zu Grunde liegende Behauptung aus der Verdammung des Honorius nichts gefolgert werden kann. Denn das Konzil hat, wie schon gesagt, nicht eine von Honorius gegebene irrige Lehrentscheidung ohne und gegen den Willen des regierenden Papstes als ein unfehlbares Tribunal gegenüber einem fehlbaren, umgestoßen und zurecht gesetzt, sondern nur auf dem Boden der wirklichen Lehrentscheidungen der Nachfolger des Honorius einfach erklärt, daß dessen Verhalten, und wenn man will, auch dessen persönliche, aber nicht als definitive Lehrentscheidung promulgierte Lehre mit dem Glauben der Kirche nicht harmoniere und ein Verbrechen gegen die Reinhaltung desselben enthalte.
3) Wenn aber der hochw. Verfasser meint, der mittelalterliche Rechtssatz, dass der Papst wegen der Häresie allein gerichtet, verdammt und abgesetzt werden könne, passe auf seine Theorie, dass ein Papst wegen einer Lehrentscheidung, die nicht aus bösem Willen, sondern aus Versehen irrig wäre, vor ein zu seiner Lebzeit (denn nur während dieser kann von Absetzung die Rede sein) zu versammelndes Konzil gestellt, gerichtet und abgesetzt werden könne, so wissen wir abermal nicht, was wir dazu sagen sollen.
Der Fall, dessen absolute Möglichkeit jene mittelalterliche Rechtsanschauung annimmt, und der im Mittelalter, wie später von den strengsten Infallibilisten als nicht ganz undenkbar zugegeben wurde, ist vielmehr folgender.
Weil die Nachfolger des heiligen Petrus nicht wie dieser auch für ihre eigene Person das Privilegium empfangen haben, welches die Theologen confirmatio in gratia nennen, und die dem Glauben Petri gegebene ewige Verheißung von seinen Nachfolgern nur in sofern gilt, als Petrus in ihnen spricht und entscheidet, d. h. als sie mit der von Petrus ererbten Autorität von ihren Brüdern Anschluss an den Glauben Petri verlangen:
so meinte man, die Verheißung, welche die Entscheidungen der päpstlichen Lehrgewalt im Interesse der Kirche vor Irrtum bewahre, schließe nicht aus, dass ein Gott vergessener Papst in frevelhaftem Wahnsinn (nicht im guten Glauben, wie der hochw. Herr Verfasser meint) für seine Person, wo und inwieweit sie nicht die von heiligen Petrus überkommene Autorität geltend macht, den notorischen ausgesprochenen Glauben der Kirche und des heiligen Stuhles selbst hartnäckig und sogar öffentlich verleugne und so die Sünde einer förmlichen und notorischen Häresie begehe.
Einige Theologen meinten sogar (unbeschadet des Prinzips der lehramtlichen Unfehlbarkeit des Papstes!) auch zugeben zu dürfen, (nicht zu müssen!),
dass ein solcher Papst vielleicht einmal in seinem Frevelmut sich vermessen könne, eine solche offenbare und handgreifliche Verleugnung der Lehre seines eigenen Stuhles und der Kirche durch einen Machtspruch den Gläubigen aufzudringen, aber nur unter Umständen, wo dieser Machtspruch auf den ersten Blick sich als Akt reiner frevelhafter Willkür, nicht als das Wort des für das Wohl der Kirche besorgten Hirten sich darstelle, mithin gar nicht den Charakter eines oberhirtlichen Urteils oder Befehles (eines Spruches ex cathedra), also auch, schon formell betrachtet, keine verpflichtende Kraft und Autorität besitze, und so dann nicht unter die Kategorie derjenigen Akte fiele, denen die Unfehlbarkeit verheißen ist.
Aber diese Meinung einiger Theologen war noch weniger, als die erste, auf positive, dogmatische Gründe (3) gestützt – höchstens lehnte sie sich an einige kritisch unsichere Canones, darunter ein pseudo-isidorischer, und einige unhistorische oder missverstandene Tatsachen der Kirchengeschichte an – ; sie wurde daher auch noch weniger, als die erste, als positive oder gar durch den Glauben geforderte Lehre vorgetragen; man glaubte sich vielmehr zu beiden Meinungen nur insoweit berechtigt, als die göttliche Verheißung der lehramtlichen Unfehlbarkeit des Papstes dieselben nicht auszuschließen schien. (4)
Und so haben gerade diejenigen Päpste, welche am allermeisten ihre volle Papalhoheit betonten, wie Innozenz III. und Paul IV. (5), wenn sie das Prinzip, daß der Papst von niemanden gerichtet werden könne, aussprachen, die Klausel beigefügt: „nisi deprehendatur a fide devius, außer wenn er auf der Verleugnung des Glaubens ertappt wird“.
In diesem Falle also, meinte man, würde die allgemeine Regel, dass die Person des Papstes nicht gerichtet werden könne, eine Ausnahme erleiden müssen, aber nur eine scheinbare, weil derjenige, der offenbar den ausgesprochenen, unzweifelhaften Glauben der Kirche verleugne, nach den Worten des Heilands nicht mehr gerichtet zu werden brauche, sondern bereits gerichtet sei, oder sich durch seine Tat selbst gerichtet habe;
es bliebe demgemäß nur übrig, dass eine dazu geeignete, in der Kirche allgemeines Ansehen genießende Behörde, etwa das Kardinalskollegium, resp. ein allgemeines Konzil, nicht entscheide, ob die vom Papst geleugnete Lehre wahr sei oder nicht, da sie in der Voraussetzung als notorische, in der ganzen Kirche unbezweifelte Glaubenslehre jedem bekannt sei, sondern einfach konstatiere, dass der Papst tatsächlich diese Lehre hartnäckig leugne, und dann erkläre, dass ein solcher Mensch eben so wenig, wie ein Wahnsinniger, von Gott im Besitz der obersten Hirtengewalt belassen werden könne und werde, mithin seine Würde verloren habe und so denn auch wie jeder andere Getaufte der Gerichtsbarkeit der Kirche verfallen sei;
so lange er aber noch nicht notorisch seiner Würde verlustig erklärt sei, müsse man ihn selbst mindestens als faktischen Inhaber der obersten Gewalt achten, und die von ihm erlassenen dogmatischen Entscheidungen würden, wie sie von der Kirche befolgt werden müssten, so auch durch Gott seiner Verheißung gemäß vor Irrtum bewahrt.
So glaubten die großen Theologen der früheren Jahrhunderte, die sich, wenn nicht auf Geschichte, so doch auf logisches Denken trotz des neunzehnten Jahrhundert verstanden, die ausnahmslose lehramtliche Unfehlbarkeit des Papstes und das Axiom: prima sedes a nemine judcatur, mit dem von ihnen immerhin als möglich zugegebenen Fall des Papa haereticus vereinigen zu können. Wenn aus ihrer Behandlung der Frage ein dogmatisches Resultat hervorgeht, dann ist es eben die unerschütterliche Überzeugung von der lehramtlichen Unfehlbarkeit des Papstes, die sie selbst bei den kühnsten Hypothesen und gegenüber mehreren ihr nachteiligen historischen Irrtümern aufrecht zu halten und geltend zu machen bemüht waren.
Und wenn die historische Forschung der neueren Zeit einen Umschwung in diesem Punkt hervorgebracht hat, dann ist es eben der, dass wir jetzt sagen können, der Fall, mit dem die älteren Theologen sich abplagten, sei eben historisch in 18 Jahrhunderten noch nicht da gewesen; es sei daher zwar eine sehr anerkennenswerte Demut von Seiten der Päpste, dass sie sich persönlich vor dem Abfall von Glauben weniger sicher fühlten, als Petrus es beim letzten Abendmahl war, und, wofern über ihren Glauben Verdacht entstand, sich freiwillig vor den Kardinälen und den Bischöfen von demselben reinigten;
es sei desgleichen ein Zeichen wahrster und höchster Liberalität, dass, während in allen modernen liberalen Verfassungen die Person des Monarchen absolut unverletzlich da steht, der höchste Monarch in der Kirche im finstersten Mittelalter und auf dem Gipfel seiner Hoheit sich nicht für absolut unverletzlich erklärte und das ihm von allen Monarchen gegebene Privilegium der Irrtumslosigkeit nicht zu Gunsten seiner Person ausdeutete, vielmehr seine Person selbst der unantastbaren Heiligkeit des durch ihre Gewalt aufrecht zu erhaltenden Glaubens der Kirche unterordnete und zum Opfer brachte;
aber ebenso sicher dürften wir vertrauen, dass Gott das Gebet des Heilands für Petrus und seine Nachfolger und das tägliche Gebet der Kirche, ut Domum Apostolicum in sancta religione conservare digneris, auch in dieser Beziehung für die Zukunft ebenso wie für die Vergangenheit ununterbrochen erhören, von der Kirche dieses größte aller Ärgernisse gnädig fern halten und so dafür sorgen werde, dass der für diesen Fall theoretisch aufgestellte Remedur-Prozess wie bisher, so auch in Zukunft reine Theorie bleibe, ohne jemals praktisch zu werden.
So viel für heute über diese Frage vom Papa haereticus. Wir bedauern, dass der hochw. Verfasser in dieser Frage, die seit längerer Zeit wieder zum Tummelplatz der theologischen Freibeuter in Broschüren und Zeitungen geworden ist, statt die Schreier zu einem gründlichen Studium der einschlägigen Dokumente, sowie der wissenschaftlichen Erörterungen, welche darüber in älterer und neuerer Zeit angestellt worden sind, zu ermahnen, ihnen durch bedachtsame Behandlung der Frage Vorschub leistet. (6)
Anmerkungen:
(1) Eine ausdrückliche Bewilligung freilich hatte Papst Agatho tatsächlich nicht gegeben; die Synode hat aber, wie sie selbst in ihrem Bericht an den Papst sagt – wenn auch irrtümlich – sein Schreiben dahin verstanden, dass er schon vor ihnen den Honorius verdammt habe, und dieses Bekenntnis der Synode hatte Papst Hadrian II. im Auge.
(2) Leute die von Theologie und Kirchengeschichte nichts wissen, finden es sonderbar, dass das Wort Häresie im alten Kriminalrecht der Kirche noch manche andere verwandte Verbrechen mit bezeichnet. Es geht diesem Wort aber ähnlich wie dem Ausdruck Mord im Zivilrecht; früher nannte man, wie noch jetzt im gewöhnlichen Sprachgebrauch, jede schuldbare Tötung, direkte oder indirekte, vorsätzliche oder übereilte schlechthin Mord; vor Gericht wird aber heutzutage jeder des Mordes Angeklagte keine unnötige Spitzfindigkeit darin finden, wenn sein Advokat nachweist, daß er keinen Mord, sondern bloß Totschlag oder einfache Tötung aus Fahrlässigkeit begangen.
(3) Wie etwa auf die Teilnahme des Episkopates an der kirchlichen Souveränität, damit der Episkopat doch wenigstens einmal Gelegenheit hätte, auch über den Papst zu Gericht zu sitzen!
(4) Es ist daher ganz unstatthaft, aus dieser rein menschlichen Konzession ein Dogma zu machen, nach welchem das von Christus dem Papst gegebene Privilegium eingeschränkt und interpretiert werden müsse, während umgekehrt die Statthaftigkeit dieser Meinung nach der Ausdehnung der göttlichen Verheißung bemessen werden, und mithin derjenige, welcher sich nicht in Stande glaubt, die Meinung mit der Verheißung zu vereinigen, jene dieser, nicht diese jener zum Opfer bringen muss.
(5) Letzterer tut das gerade im Eingang der Bulle Cum Apostolatus, welche von der Januspresse als die höchste und unsinnigste Anspannung der Papalhoheit verhöhnt wird.
(6) … das umfangreiche Werk des römischen Professors Pennachi: De Honorii I. R. P. Causa in concilio VI, welches großenteils vor der Schrift Hefeles verfasst worden war und nur im Schlusskapitel sich direkt gegen dieselbe wendet… Um so nachdrücklicher aber beweist Pennachi, dass die päpstlichen Legaten, indem sie zum Urteil des Konzils ihre Zustimmung gaben, ihre Vollmacht überschritten hätten, und dass Papst Leo II. bei der Bestätigung der Definition des Konzils diese, wie im Wortlaut, so auch im Sinn, soweit sie Honorius betraf, abgeändert haben. –
aus: Matthias Joseph Scheeben: Das ökumenische Concil vom Jahre 1869, Bd. 2, 1870, S. 110 – S. 115
siehe auch den Beiträge: