Die Zentrale Stellung der Herz-Jesu-Verehrung
„Das heiligste Herz Jesu, das vom Kreuze überragt in strahlendem Licht aus seinen Flammen hervor leuchtet, muss unsere ganze Hoffnung sein. Von ihm muss man das Heil der Menschheit erflehen und erwarten. Und mit Recht! Denn das Erlöser-Herz und seine Verehrung ist der Inbegriff der ganzen Gottesverehrung und Richtschnur der Vollkommenheit.“ Damit weist Pius XI. im Anschluß an die Worte Leos XIII. die katholische Welt auf die zentrale Stellung der Herz-Jesu-Andacht hin. Wer die Verehrung des Erlöser-Herzen nur so wertet wie jede andere kirchliche Andachtsübung, dürfte sie in ihrem innersten Wesen nicht hinreichend erfaßt haben.
In letzter Beziehung ist ja ihr Gegenstand Christus, der Gottmensch, der Welterlöser. Er ist aber der Mittelpunkt der ganzen christlichen Religion. Sein heiligstes Herz nun erschließt uns das innerste Wesen des Herrn: „Wie schnell führt doch die Herz- Jesu-Verehrung unseren Verstand zur inneren Erkenntnis Christi, und wie nachdrücklich vermag sie die Herzen zu immer glühenderer Heilands-Liebe und immer engerer Heilands-Nachfolge anzuspornen!“ Wiederum ist es Pius XI., der damit die zentrale Stellung des Erlöser-Herzens und seiner Verehrung begründete.
Gewiß darf Althergebrachtes, was dem einzelnen wie dem Volk liebwert und teuer geworden ist, nicht durch die Zentralandacht verdrängt werden. Aber alle Feste des Kirchenjahres und alle frommen Übungen gewinnen ein neues Licht und werden besser verständlich, wenn man sie auch in Beziehung zum göttlichen Herzen bringt.
Das bittere Leiden wird in seiner unermeßlichen Tiefe wie auch in seinem innersten Beweggrund erst erfaßt werden können, wenn man es im Herzen des Mannes der Schmerzen zu ergründen sucht. Wie leicht läßt sich dies bei den einzelnen Geheimnissen des Rosenkranzes und des Kreuzweges durchführen!
Die Liebe des Gottessohnes leuchtet zu Weihnachten der Menschheit aus dem Herzen des armen Kindes von Bethlehem entgegen und der Introitus „Puer natus est nobis -Ein Kind ist uns geboren“ erklingt damit in neuen, herrlichen Linien, jedem so leicht verständlich.
Die Verehrung der Eucharistie hat in den letzten Jahrzehnten einen großen Aufschwung genommen. Wo aber läßt sich das Geheimnis der Liebe besser ergründen als im heiligsten Herzen Jesu? Der hl. Albertus Magnus dürfte der erste gewesen sein, der dies eingehend gezeigt hat. Zudem ist ja das göttliche Herz in der Eucharistie selbst wahrhaft und wirklich gegenwärtig, mit seinem ganzen Himmel voll Güte und Liebe, voll Gnade und Erbarmen und Seligkeit, von den Menschen aber so oft gerade dort vernachlässigt und beleidigt.
Welche herrliche Beziehungen ergeben sich zur heiligsten Dreifaltigkeit, deren Thron das Erlöser-Herz ist, und zum Heiligen Geist, der, vom göttlichen Herzen durch die Liebe ausgehaucht, die Seele erleuchtet und erwärmt und sie mit seinem milden Gnadenwirken zum Herzen Jesu führt!
Aber auch die Marienverehrung gewinnt neues Verständnis. Wer anders hat uns die Gottesmutter zu unserer Mutter geschenkt als die Liebe des Erlöser-Herzens. Wo finden wir ferner ein Herz, das dem Herzen Jesu an Liebe und Erbarmen, an Reinheit, Heiligkeit und Weisheit so ähnlich ist, als das süße Mutterherz Mariä? Wird der hl. Joseph nicht „der Freund des göttlichen Herzens“ genannt, dem er so nahe stand? Ist er doch der begnadete Nachahmer der besonderen Tugenden des göttlichen Herzens, der Demut, der Sanftmut und des innerlichen Lebens.
Die heiligen Schutzengel schauen in himmlischer Seligkeit und Wonne das heiligste Herz, „mit dem göttlichen Worte wesenhaft vereinigt“, als den „heiligen Tempel Gottes“, als „Tabernakel des Allerhöchsten“, als „brennenden Glutofen der Liebe“, sie schauen in himmlischer Klarheit, daß die ihnen anvertrauten Seelen „alle aus seiner Fülle empfangen haben“, daß es „das Sühnopfer für die Sünder“, das „Leben und die Auferstehung“ der Gerechten ist. So in der Herz-Jesu-Litanei.
Und die armen Seelen im Fegefeuer? Schon Mechthild von Magdeburg schreibt im 13. Jahrhundert: Ein süßer Wunsch aus dem göttlichen Herzen schenkt den armen Seelen Erlösung.“ Wie könnte das Gebet für die Verstorbenen auch wirksamer sein, als wenn es dem Erlöser-Herzen anvertraut wird?
Man wende nicht ein, diese Beziehungen hätten etwas Gekünsteltes und Gesuchtes, finden wir sie doch fast ausnahmslos bereits in der altdeutschen Predigt und Mystik. Gerade dort tritt der Herz-Jesu-Gedanke ganz ungezwungen und wie etwas Selbstverständliches in den verschiedenen Beziehungen auf, nicht bloß beim bitteren Leiden des Herrn, sondern auch bei dem verborgenen, dem öffentlichen und glorreichen Leben, so daß aus altdeutschen Gebeten und Betrachtungen ein Herz-Jesu-Monat zusammen gestellt werden konnte, der das ganze Leben Jesu umfaßt. Auch die enge Verbindung des Herzens Jesu mit dem Herzen Mariä findet sich schon im deutschen Mittelalter längst vor dem hl. Johannes Eudes.
Wenn man der zentralen Stellung des Herz-Jesu-Gedankens das entsprechende Verständnis entgegen bringt, so wird man nicht bloß in der eigentlichen Herz-Jesu-Andacht, sondern auch bei anderen Gelegenheiten wie von selbst sich an das Erlöser-Herz wenden, wie es schon in der aszetisch-mystischen Literatur des deutschen Mittelalters nicht selten in überraschender Weise hervortritt. –
aus: Karl Richstätter SJ, Das Herz des Welterlösers, 1932, S. 81-86