Wann begeht man eine Todsünde

P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung

Wann begeht man eine Todsünde?

Wann begeht man eine Todsünde, und wann begeht man eine lässliche Sünde?

Man begeht eine Todsünde, wenn man das göttliche Gesetz in einer wichtigen Sache freiwillig (d. h. mit hinreichender Erkenntnis des Bösen und voller Zustimmung des Willens), übertritt; man begeht hingegen eine lässliche Sünde, wenn man das göttliche Gesetz entweder nur in einer geringen Sache oder nicht ganz freiwillig übertritt.

Damit also eine Sünde als Todsünde zu betrachten ist, wird erfordert:

1. Eine wichtige Sache

Die Wichtigkeit eines Gebotes oder Verbotes erkennt man am besten aus der Strafe, die der Gesetzgeber auf die Übertretung desselben setzt. Wenn z. B. ein weiser und gerechter König etwas unter Todesstrafe gebietet oder verbietet, so können die Untertanen daraus leicht ersehen, dass das Gebotene oder Verbotene eine Sache von großer Wichtigkeit sein müsse.

Ebenso verhält es sich nun auch mit dem, was Gott gebietet oder verbietet. Wenn er, der weiseste und heiligste Gesetzgeber, etwas unter Androhung der ewigen Verdammnis gebietet oder verbietet, so können wir nicht zweifelhaft darüber sein, dass die betreffende Sache wichtig ist. Es ist nun allerdings nicht immer leicht zu entscheiden, welche Sünden bei Strafe ewiger Verdammnis, und welche nur unter zeitlicher Strafe verboten sind.

Selbst der große Kirchenlehrer Augustinus (Stadt Gottes, Bch. 21, Kap. 27) gesteht die Schwierigkeit dieser Entscheidung ein und fügt bei: „Vielleicht sind wir hierüber im Dunklen, damit wir um so sorgfältiger alle Sünden vermeiden.“ Eine allgemeine Regel, wonach in jedem vorkommenden Falle entschieden werden könnte, ob diese oder jene Übertretung ewige Strafen nach sich ziehe oder nicht, ob sie als eine Todsünde oder als eine lässliche Sünde anzusehen sei, lässt sich nicht aufstellen.

Das Sicherste ist, sich bei solchen Entscheidungen nach dem allgemeinen Urteil der Gottesgelehrten zu richten, da dasselbe durchweg auf die hl. Schrift, auf die von alters her überlieferte Lehre der Kirche und auf die Grundsätze der gesunden Vernunft sich stützt. Übrigens ist bei Erklärung des Hauptgebotes, der Zehn Gebote Gottes und der fünf Gebote der Kirche bezüglich mancher Fälle die Entscheidung der Gottesgelehrten angegeben und so eine Richtschnur geboten worden, nach welcher man sich in ähnlichen Fällen zu richten hat.

2. Hinreichende Erkenntnis des Bösen

Wir sagten früher, wenn jemand etwas Verbotenes tut, aber gar nicht weiß, dass es verboten ist, oder wenigstens nicht daran denkt, der sündigt nicht; das Böse, was er tut, wird ihm nicht angerechnet, weil er es nicht als böse erkennt. Nun kann es auch geschehen, dass man bei der Übertretung eines wichtigen Gebotes zwar in etwa weiß, man tue Böses, aber man ist sich nicht bewusst, dass es etwas sehr Schlimmes, dass es eine Todsünde sei. In diesem Falle wird es einem auch nicht als Todsünde angerechnet, weil man nicht die hinreichende Erkenntnis des Bösen hat.

Die Erkenntnis des Bösen reicht aber dann hin zu einer Todsünde, wenn einem das Gewissen deutlich sagt, das, was man zu tun im Begriffe stehe, sei schwer sündhaft; es ist nicht notwendig, dass man sich der ganzen Bosheit der Sünde, die man begeht, voll und klar bewusst sei. Also nur dann wird die Übertretung eines wichtigen Gebotes uns aus Mangel an hinreichender Erkenntnis bloß als lässliche Sünde angerechnet, wenn wir dabei nicht wenigstens einigermaßen deutlich erkennen, es sei eine Todsünde.

Dies ist allerdings öfters der Fall, besonders bei Sünden, die man im Halbschlaf begeht, desgleichen bei Worten, die gleichsam den Lippen entschlüpfen oder bei Anwandlungen von Rachgier, freventlichen Urteilen unreinen Gedanken, die man nicht so rasch unterdrückt, als man sollte. Von Todsünde ist man jedoch keineswegs freizusprechen, wenn man bei Übertretung eines wichtigen Gebotes geflissentlich die Stimme des Gewissens übertäubt, um sie nicht zu hören, oder wenn der Mangel an hinreichender Erkenntnis von schwer verschuldeter Unwissenheit herrührt, wie dieses schon erklärt wurde.

Wie aber ist es, wenn jemand zweifelt, ob das, was er tun will, schwer sündhaft sei oder nicht, und es dann tut? Hier muss man unterscheiden. Dächte ein solcher – „Ich tue es, mag es schwere Sünde sein oder nicht“, – dann würde er sich wirklich einer schweren Sünde schuldig machen, weil er bereit ist, Gott schwer zu beleidigen.

Dasselbe wäre der Fall, wenn er sich seinen Zweifel leicht lösen lassen könnte, das aber nicht wollte, sondern die Sache einfach täte. Wäre er aber nicht in der Lage, sich seinen Zweifel lösen zu lassen, bevor er sich entscheiden muss, und dächte nun so: „Wüsste ich, dass es eine Todsünde wäre, so würde ich es um keinen Preis tun; aber soweit ich urteilen kann, ist es doch wahrscheinlich keine Todsünde“ – wenn er es dann täte, so hätte er keine Todsünde begangen, weil er so gesinnt war, dass er um keinen Preis eine solche begehen wollte.

3. Die volle Zustimmung

ist das dritte Erfordernis zu einer schweren Sünde. Das erkannte Böse wird ja nur dadurch zur Sünde, dass der freie Wille sich demselben hingibt, ihm zustimmt. Diese Zustimmung oder Einwilligung kann eine vollständige oder eine unvollständige sein. Letzteres ist dann der Fall, wenn man der Versuchung zum Bösen zwar nicht völlig nachgibt, sie aber auch nicht ernst und entschieden abweist, sondern gleichsam damit spielt und halb ja, halb nein dazu sagt. Eine solche halbe Einwilligung ist stets lässliche Sünde, auch dann, wenn die Sache wichtig und die hinreichende Erkenntnis vorhanden ist.

Es wäre aber grobe Selbsttäuschung, zu glauben, man sündige nur lässlich, wenn man z. B. einem Verführer vollständig nachgibt, aber nur ungern, wie man zu sagen pflegt, aus Furcht vor Drohungen u. dgl. Solchen Drohungen muss man widerstehen, so gut man kann, und lieber alles leiden, als Gott schwer beleidigen. Die hl. Märtyrer sahen die grausamsten Qualen und den sicheren Tod vor sich, wenn sie den Glauben an Christus nicht verleugneten.

Hätten sie darum den Glauben ohne Todsünde verleugnen können? Gewiss nicht. Das wussten sie, und deshalb haben sie lieber alles erduldet, als dass sie den Forderungen der heidnischen Tyrannen nachgaben. Es gibt hierin nur einen, und zwar seltenen Ausnahmefall, wenn nämlich die Furcht so überraschend und überwältigend ist, dass man nicht mehr recht weiß, was man tut.

Sollten wir nur die schweren Sünden fürchten?

Nein; wir sollen jede Sünde, sie mag schwer oder lässlich sein, als das größte Übel auf Erden fürchten und meiden.

Jede Sünde, mag sie uns auch noch so unbedeutend vorkommen, ist in Wahrheit ein größeres Übel als alle anderen, die es auf Erden gibt; denn da jede Sünde die Ehre des Allerhöchsten verletzt, so ist sie in gewissem Sinne ein Übel Gottes. Alle sonstigen Übel, wie Armut, Schmach, Krankheit, Tod sind nur Übel der Geschöpfe und stehen daher so tief unter dem Übel der Sünde, als die Niedrigkeit des Geschöpfes unter der Würde des Schöpfers steht.

Daher ist es niemals gestattet, auch nur die geringste Sünde zu begehen. „Sollte auch“, sagt der hl. Kirchenlehrer Anselm (Cur Deus homo, L. 1. c. 21), „die ganze Welt zugrunde gehen, sollten mehrere, ja unendlich viele Welten voller Geschöpfe zunichte werden, so müsste doch ein jeder dies eher geschehen lassen, als nur durch die geringste Sünde Gott beleidigen.“ –

Ein bekannter Geisteslehrer (Rogacci, Von dem einen Notwendigen, Bd. 3, Hpst. 4) sucht diese Wahrheit durch folgenden Vergleich anschaulich zu machen. Wegen des Stiches einer Mücke hält sich der Mensch für berechtigt, das lästige Insekt zu töten, ihm also das größte Übel zuzufügen, das es treffen kann. Weil er nämlich als Mensch ein unvergleichlich edleres Geschöpf ist als die Mücke, so schlägt er eine geringe Belästigung seitens derselben höher an als das größte Übel, welches über das Insekt kommen kann.

Auf ähnliche Weise ist auch das geringste Übel, welches gegen die göttliche Majestät gerichtet ist, unvergleichlich größer als das allergrößte, welches irgendein Geschöpf treffen kann; denn der Vorzug des Menschen vor der Mücke ist weit geringer als der Vorzug des Schöpfers vor seinem Geschöpf. Es sind demnach alle Übel des Geschöpfes nicht in Vergleich zu bringen mit der geringsten Verletzung der Ehre Gottes. Ein jeder hat daher, selbst wenn es sich nur um eine lässliche Sünde handelt, Grund genug, mit dem ägyptischen Joseph auszurufen: „Wie sollte ich ein so großes Übel tun und sündigen wider meinen Gott?“ (1. Mos. 39,9)

Jedwede Sünde ist aber nicht bloß ein Übel Gottes, sondern auch ein Übel des Menschen, und zwar ein Übel, das größer ist als alle irdischen Übel, ja das einzig wahre Übel. Denn weder Dürftigkeit noch Erniedrigung, weder Schmerzen noch Tod, noch sonst etwas, das die Menschen als ein Übel ansehen, vermag den, der guten Willens ist, an der Erlangung der ewigen Seligkeit, dieses einzig wahren Gutes, zu hindern oder in seinem Streben danach zu lähmen.

Im Gegenteil können alle diese irdischen Übel viel dazu beitragen, dass wir die himmlischen Güter sicherer und in reicherem Maße erlangen. Die Sünde allein macht uns derselben verlustig, wenn sie schwer ist; ist sie lässlich, so bringt die dieselben wenigstens in Gefahr und ist schuld, dass wir dieser unschätzbaren Güter in weniger reichem Maße teilhaftig werden. (1)

Was soll uns von der Sünde abschrecken?

Die Betrachtung ihrer Bosheit und ihrer schlimmen Folgen.

Nichts ist wohl geeigneter, dem Menschen Abscheu vor der Sünde einzuflößen, als die klare Erkenntnis, wie böse sie an sich und wie verderblich sie in ihren Folgen ist. Um diese heilsame Erkenntnis zu erlangen, sollen wir sowohl die innere Bosheit der Sünde wie auch die furchtbaren Strafen, die ihr auf dem Fuße nachfolgen, fleißig erwägen und betrachten. Wir würden nimmermehr aus dem lustbekränzten Becher der Sünde trinken, wenn wir wüssten, wie bitter und giftig ein solcher Trunk ist. (siehe auch den Beitrag: Die Todsünde fluchwürdige Treulosigkeit gegen Jesus)

Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 329 – S. 333

(1) Als die stolze Kaiserin Eudoxia in Gegenwart ihrer Höflinge drohend verlauten ließ, sie werde den Patriarchen von Konstantinopel, Johannes Chrysostomus, gegen welchen sie sehr aufgebracht war, durch allerlei Drangsale nach ihrem Willen beugen, bemerkten ihr einige derselben mit ebenso viel Freimut als Wahrheit: „Du wirst nichts ausrichten gegen diesen Mann: denn er kennt und fürchtet kein anderes Übel als die Sünde.“

Wirklich blieb der hl. Patriarch unerschütterlich in allen Stürmen und Verfolgungen, welche der Groll der Kaiserin und die gewalttätige Arglist ihrer Günstlinge gegen ihn erweckten. Ungebeugten und heitern Mutes wanderte er in die Verbannung, wo er so große Kränkungen, Mühsale und Beschwerden zu erdulden hatte, dass seine körperlichen Kräfte bald aufgerieben waren und so ein beschleunigter Tod seinem Leiden ein Ende machte. –

Aus der Verbannung schrieb Chrysostomus an die hl. Olympias, der die Bedrängnisse der Kirche und namentlich seine Verbannung sehr zu Herzen gingen, folgende Worte des Trostes und er Aufmunterung:

„Eine Sache nur ist zu beklagen und zu fürchten, ein Übel nur, die Sünde. Dieses eine Wort habe ich dir schon vordem unablässig zugerufen. Alles Übrige, mag es heißen, wie es will, arglistige Ränke, Feindschaften, Verleumdungen, Verwünschungen, falsche Anklagen, Einziehung der Güter, Verbannung, Schärfe des Schwertes, Ungemach der Seefahrt, feindliche Angriffe von aller Welt, das alles ist lauter Kinderspiel.“

Solche Gesinnungen hegen alle wahren Diener Gottes. Als einst der arianisch gesinnte Kaiser Valens an den hl. Erzbischof Basilius ein Ansinnen stellte, welches mit den Pflichten des oberhirtlichen Amtes im Widerspruch stand, weigerte sich dieser standhaft. Da forderte der kaiserliche Präfekt Modestus den hl. Prälaten vor seinen Richterstuhl und drohte ihm mit Güterberaubung und Verbannung, mit Folter und Tod, wofern er bei seiner Weigerung verharre. Auf diese Drohungen erwiderte Basilius ruhig und unerschrocken:

„Drohe mir etwas anderes an; denn alles das macht gar keinen Eindruck auf mich. Wenn es sich um die Erfüllung unserer Pflicht handelt, da haben wir nur Gott vor Augen und verachten alles Übrige. Feuer und Schwert, wilde Tiere und Eisenkrallen sind alsdann Hochgenuss für uns. Wende immerhin Drohungen und Folter an: nichts wird imstande sein, mich wankend zu machen.“ Als ihm hierauf der Präfekt bis zum folgenden Tage Bedenkzeit anbot, entgegnete Basilius mit derselben Würde und Zuversicht: „Das ist unnütz, ich werde morgen sein, was ich heute bin.“ –

O möchten auch wir den Drohungen und den noch gefährlicheren Schmeicheleien und Verheißungen derjenigen, welche uns zu Verletzung unserer Pflicht verleiten wollen, im Hinblick auf Gott mit derselben Festigkeit und Ausdauer widerstehen; möchten auch wir unsererseits ausrufen: „Was ich heute bin, das werde ich auch morgen sein, das werde ich sein alle Tage meines Lebens: ein Christ, der nichts fürchtet als Gott zu beleidigen!“ –
Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 541

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