Sünden gegen das fünfte Gebot Gottes
„Du sollst nicht töten.“
P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
Selbstmord – Sünde gegen das fünfte Gebot Gottes
Wann versündigt man sich am eigenen Leib und Leben?
Wenn man sich selbst das Leben nimmt.
Der Selbstmörder begeht ein dreifaches schweres Verbrechen:
a) ein Verbrechen gegen die göttliche Majestät, der allein die Herrschaft über Leben und Tod zusteht;
b) ein Verbrechen gegen seine eigene Seele, die er ohne Erbarmen in die ewige Verdammnis stürzt;
c) gegen die bürgerliche Gesellschaft und namentlich gegen die Seinigen, denen er unbeschreibliche Trauer verursacht.
Der Mensch ist nicht Herr seines Lebens, eben so wenig als er dessen Urheber ist; er ist bloß der Verwalter dieses von Gott ihm anvertrauten Gutes; er soll dasselbe nach Gottes Willen anwenden, um sich die ewige Seligkeit damit zu erwerben. Daraus erhellt die Bosheit und Strafwürdigkeit des Verbrechens, dessen sich der Selbstmörder gegen Gott schuldig macht. Derselbe wirft das ihm zur getreuen Verwaltung übergebene Gut weg, als ob er nach Gutdünken darüber verfügen könnte, und leugnet so Gottes Oberherrschaft; er stößt es von sich, als wäre es ihm lediglich zur Qual und zum Unheil gegeben und lästert so die Güte und Weisheit desjenigen, der es ihm aus übergroßer Liebe zum Heil und zur Beseligung verliehen hat.
Der Selbstmörder sündigt auch gegen sich selbst. Er raubt sich selbst die Frist, Buße zu tun und den Himmel zu verdienen; er stürzt sich statt dessen mit offenen Augen in den Abgrund des Verderbens, liefert sich selbst als rebellischen Untertan der göttlichen Gerechtigkeit zur ewigen Verdammnis aus. Wahrlich, ein größeres Übel könnte sein schlimmster Feind ihm nicht zufügen, als er es sich selbst freventlich antut.
Der Selbstmörder begeht endlich ein schweres Unrecht gegen die bürgerliche Gesellschaft, der er durch sein verdammliches Beispiel großes Ärgernis gibt, und ganz besonders gegen seine Familie, die er in Schmach und namenlosen Kummer versenkt; denn was könnte es schmach- und schmerzvolleres für eine christliche Familie geben als sich sagen zu müssen, daß eines ihrer Glieder den Tod eines Verbrechers gestorben und aller Wahrscheinlichkeit nach ewig verdammt ist!
Nach all dem braucht man sich gewiß nicht zu wundern, daß die hl. Kirche dem Selbstmörder, wofern die unselige Tat mit voller Besinnung verübt wurde, das kirchliche Begräbnis verweigert. Diese Strafe ist ein höchst angemessener Ausdruck des Abscheus, den die Kirche vor einer solchen Untat empfindet, und ganz geeignet, auch in den Herzen ihrer Kinder den tiefsten Abscheu davor zu erwecken. Nein, nicht über diese heilsame Strenge der Kirche darf man sich wundern, wohl aber darüber, daß es Schriftsteller gibt, die den vorsätzlichen Selbstmord gleichsam als eine Heldentat preisen. Ist es eine Heldentat, die Leiden und Widerwärtigkeiten des Lebens nicht ertragen zu können? Ist es eine Heldentat, die lange Reihe von verbrechen, wodurch man sich unglücklich gemacht hat, mit dem aller schrecklichsten Verbrechen zu schließen? Dazu wird nicht Heldenmut, sondern Feigheit, Glaubenslosigkeit, zum Wahnsinn gesteigerte Verzweiflung erfordert. Ein Held ist der, welcher sich selbst besiegt, den unerlaubten Freuden und Genüssen, denen er bisher gefrönt, entsagt und aufrichtige Buße tut; aber der verachtungswürdigste und elendeste aller Menschen ist der, welcher als Sklave ungezügelter Leidenschaften sein eigener Henker wird. –
aus: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Ein Hilfsbuch für die Christenlehre und katechetische Predigt, 2. Band Lehre von den Geboten, 1911, S. 182 – S. 183