Zweiter Liebesseufzer zum göttlichen Herzen Jesu
Die Gnade deines Herzens bekehre mich!
Die Schwere der Verantwortung vor dem Richterstuhl Gottes
Wir besitzen ja die göttliche Wahrheit, den hl. Glauben, und kennen den Weg zum Himmel, warum bitten wir dennoch um die Gnade der Bekehrung? Doch der Leser wird schon wissen, daß auch uns, trotzdem wir getauft und schon Christen sind, trotzdem wir den rechten Glauben haben und den Weg zum Himmel schon kennen, die Gnade der Bekehrung sehr notwendig ist.
Allen Christen, die in den Lebensgeschichten der Heiligen nicht unbewandert sind, ist die Tatsache bekannt, dass die größten Heiligen sich für die größten Sünder gehalten haben. Der hl. Franziskus Borgias, ein Wunder der Weltverachtung, der Abtötung und Demut, hielt täglich eine Betrachtung von zwei Stunden über sein eigenes Inneres, über seine Neigungen, über die Hässlichkeit der Sünde, über Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit und über die Hölle, wodurch er sich als ein Gefäß voll Unrat kennen lernte, würdig von allen Geschöpfen verachtet und in die Tiefe der Hölle verstoßen zu werden.
In Folge dessen, glaubte er, er war fest überzeugt, dass er die Hölle verdiene, und da er im Geist täglich in die Hölle hinabstieg und dort die Qualen der Verdammten betrachtete, so war die Folge davon, dass ihm keine Verachtung und kein Schmerz und Leid zu hart vorkam. Wenn er seine Betrachtung über die Hölle, die er jedesmal mit dem größten Ernst hielt, beendigte, dann zitterte er am ganzen Leib, ja öfters schüttelte er seine Kleider in der Meinung, es hätten die Gluten der Hölle sie schon erfasst. Er hielt sich für den größten Sünder und unterschrieb daher seine Briefe gewöhnlich mit dem Titel: „Franz der Sünder“.
Der ehrwürdige Johannes Grande hatte unter dem Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria, der er mit aller Liebe seines Herzens zugetan war, und die er mit innigster Andacht verehrte, sein Leben engelrein zugebracht. Maria hatte ihm einen solchen Abscheu vor aller Sünde eingeflößt, dass er auch den Schatten derselben floh. Nichtsdestoweniger war er in seinen Augen ein großer Sünder. Er sah sich voller Flecken und Mängel und verachtete sich selbst deshalb so sehr, dass er bei seinem Austritt aus der Welt, als er in die Einsiedelei bei Marcena zog, sich fortan nicht mehr Johannes Grande, sondern Johannes Peccadore, d. i. Sünder, hieß und nennen ließ, und dieser Name blieb ihm während seines ganzen Lebens.
Ähnliches lesen wir in dem Leben des hl. seraphischen Vaters Franziskus, der uns auch zugleich selbst den Grund angibt, warum sich die Heiligen für große Sünder halten. Der hl. Franziskus war einer der demütigsten und gehorsamsten Heiligen, die je gelebt haben. Er hielt sich wahrhaftig für den verächtlichsten Menschen und wünschte auch von seinen Mitmenschen dafür gehalten zu werden, weshalb ihm Beschimpfungen immer willkommen waren.
Einst wollte ihn Bruder Pacificus prüfen und sprach zu ihm: „Bruder Franziskus, was denkst du von dir?“ Er antwortete: „Mich dünkt, dass ich wohl der größte Sünder bin.“ Wie nun der Bruder entgegnete, er könne das nicht mit gutem Gewissen sagen, gab er zur Antwort: „Wäre unser Gott einem Sünder, wie bös er auch sei, mit so großer Erbarmung zuvorgekommen und gefolgt, wie mir, so glaube ich, er hätte sich weit dankbarer gezeigt als ich.“
Eine zweite Erscheinung, die uns im Leben der Heiligen begegnet, ist die Tatsache, dass alle Heiligen, wie auch der hl. Apostel Paulus von sich bezeugt, ihr Heil in Furcht und Zittern gewirkt haben. Der hl. Hieronymus erschrak, wenn er an die Rechenschaft vor Gottes Richterstuhl dachte, und glaubte den Schall der Posaunen zu hören, welche die Toten aus den Gräbern rufen.
Der hl. Bernhard von Siena zitterte an allen Gliedern, wenn er seine Betrachtung über die Ewigkeit angestellt hatte. Der Grund dieser Erscheinung liegt darin, dass die Heiligen von der Wahrheit der Aussprüche Jesu Christi über das strenge Gericht nach dem Tode, über den schmalen Pfad zum Himmel, über die kleine Zahl der Auserwählten lebendig überzeugt waren. Ihnen schwebten stets die Worte Jesu Christi vor dem Geist: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur diejenigen, die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ „O wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und Wenige sind es, die darauf wandeln!“ „Viele sind berufen, aber nur Wenige auserwählt.“
Wie streng das Gericht, und wie schwer die Verantwortung vor dem Richterstuhl Gottes ist, können wir aus einigen Vorfällen entnehmen, die uns in dem Leben der seligen Schwester Margaretha Maria, der Braut des Herzens Jesu, mitgeteilt werden.
Die Mutter Philiberta von Montoul, Oberin im Kloster der Salesianerinnen un Annecy, führte ein heiliges Leben, das dem ganzen Institut zur Erbauung gereichte. Sie starb am 5. Februar des Jahres 1683, und ward besonders dem Gebet der Schwester Margaretha Maria empfohlen. Nach einiger Zeit sagte diese ihrer Oberin, unser Herr habe ihr zu erkennen gegeben, diese Seele sei ihm ungemein teuer wegen ihrer Liebe und ihrer Treue in seinem Dienst, und er bewahre ihr eine reichliche Belohnung im Himmel auf, sobald sie ihre Reinigung im Fegefeuer werde durchgemacht haben.
Er zeigte sie ihr in der Tat an diesem Ort, wo sie große Linderung in ihren Peinen durch die Zuwendung der Fürbitten und guten Werke empfing, die alle Tage im ganzen Orden der Heimsuchung Mariä für sie dargebracht wurden.
Trotz dieser Fürbitten musste sie sechsundachtzig Tage die schrecklichen Peinen des Fegefeuers erdulden, ehe sie zur Anschauung Gottes zugelassen wurde. Ein so langes Fegefeuer, sagt Bischof Languet, für eine so eifrige Seele ist wahrlich eine wichtige Belehrung für feige und träge Seelen, die immer glauben, dass sie zuviel für den Dienst Gottes tun, und sich für nicht wenig auf die leichtesten Bußübungen einbilden. (Languet, Das Leben der gottseligen Mutter Margaretha Maria Alacoque, Regensburg 1864, II. Bd., S. 122)
Von Schwester Margaretha Maria selbst erzählt Bischof Languet, ihr frommer Lebensbeschreiber:
„Gott wollte sie vor ihrem Tode noch durch eine letzte Probe innerlicher Leiden führen. Der wunderbare Friede ihres Herzens und der Trost, von welchem ihre Seele gleichsam trunken war, verwandelte sich plötzlich in unerfassliche Angst vor den göttlichen Gerichten, der Anblick des Todes, der bis jetzt ihre Wonne gewesen war, erweckte nun in ihr Schrecknisse und Entsetzen vor der göttlichen Gerechtigkeit. Dieses Entsetzen war so groß, dass man an ihrem ganzen Leib sie zittern und beben sah. Sie drückte, um sich zu beruhigen, das Kruzifix, welches sie in den Händen hielt, an ihr Herz, seufzte tief auf, und oft hörte man sie mit Tränen in den Augen in die Worte ausbrechen: Barmherzigkeit, mein Gott, Barmherzigkeit!
Eine der Klosterfrauen, die Zeuge dieses Vorganges war, sagte, Margaretha Maria habe geäußert, „einer von den Gründen ihres Schreckens wäre der Anblick des Verlustes der Zeit, die sie nach ihrem Bemessen nicht gut genug zum Heil verwendet habe.“ Bischof Languet knüpft hieran die Bemerkung: „Also vollendete Gott die Reinheit dieser geliebten Seele, oder vielmehr wollte er durch dieses Beispiel uns lehren, über unsere eigene Reinheit zu wachen. Denn erschienen Gottes Gerichte den Heiligen so schrecklich, wie groß soll dann wohl die Furcht derjenigen sein, die ihm lau und nachlässig dienen!“ (Languet, a.a.O., S. 168) –
aus: Friedrich Frank, Liebesseufzer zum göttlichen Herzen Jesu, 1886, S. 54 – S. 56