Zweiter Liebesseufzer zum göttlichen Herzen Jesu
Die Gnade deines Herzens bekehre mich!
Die Notwendigkeit der Bitte um die Gnade der Bekehrung
Wenn es sonach eine allseitig bestätigte Tatsache ist, dass alle Heiligen sich für große Sünder hielten, die der Gnade der Bekehrung bedurften, um wie viel mehr müssen wir dann, lieber Leser, das göttliche Herz Jesu um diese Gnade anflehen! Wir brauchen ja nur in den Spiegel der Gebote Gottes zu sehen und unser Inneres genau zu betrachten, um zahllose Mängel, Unvollkommenheiten, böse Neigungen und üble Gewohnheiten und allerlei Sünden darin zu entdecken.
Wir dürfen beim Anfang des ersten Gebotes, bei der innerlichen Verehrung, die wir Gott schuldig sind, stehen bleiben, und wir werden schon eine erschreckende Anzahl von Sünden finden, deren wir uns gegen dieses Gebot schuldig machen. Wir sollen Gott verehren durch Glaube, Hoffnung und Liebe, aber wie oft und vielfach verfehlen wir uns gegen diese drei göttlichen Tugenden!
Wie ist unser Glaube so schwach, ja tot! Hätten wir einen lebhaften Glauben an Gottes Allgegenwart, an die schwere Rechenschaft vor Gottes Richterstuhl, an die Ewigkeit, an die Hölle, die sich in jedem Augenblick unter unsern Füßen öffnen kann, wie sorgfältig und ängstlich würden wir uns vor jeder Sünde und vor jeder Gelegenheit zur Sünde hüten! Wenn wir einen starken Glauben an die persönliche Gegenwart Jesu Christi im allerheiligsten Sakrament hätten, wie würde dann nichts im Stande sein, uns vom täglichen Besuch des Gotteshauses abzuhalten, und wie ehrfurchtsvoll und inbrünstig würden wir vor dem Tabernakel beten!
Wie schlecht ist es mit unserer Hoffnung bestellt! Bald hoffen wir zu viel und bald zu wenig! Im Unglück werden wir mutlos und wanken im Vertrauen, im Glück werden wir übermütig und sündigen auf Gottes Barmherzigkeit. Am allermeisten aber fehlt es uns an der Liebe. Mit tausenderlei Gedanken ist unser Kopf den Tag über angefüllt, aber wie viele davon beziehen sich auf den lieben Gott? Die allerwenigsten! Hunderte von Worten spricht den Tag über unser Mund, aber wie viele davon sind als Gebete an den lieben Gott gerichtet? Und wie oft geschieht es, dass wir selbst bei unseren Gebeten nicht an Gott, sondern an andere Dinge denken! Und welche Meinung haben wir bei unseren Werken und täglichen Verrichtungen?
Zu unserer Schande müssen wir gestehen, dass unser zeitliches Fortkommen, unsere Ehre, unsere Gesundheit und Bequemlichkeit, sinnliche Freuden und Vergnügungen uns dabei viel mehr am Herzen liegen als die Ehre Gottes.
O wenn wir ein von dem Feuer der Liebe zu Gott entflammtes Herz hätten, wie würden wir von Tag zu Tag in der christlichen Vollkommenheit Fortschritte machen, und wie eifrig würden wir bestrebt sein, durch Gebete und Bußwerke Gott Abbitte und einigen Ersatz zu leisten für die Unehren und Beleidigungen, die ihm fort und fort von undankbaren Menschen zugefügt werden. Statt dessen aber legt unsere Trägheit in der Verehrung und im Dienst Gottes ein trauriges Zeugnis dafür ab, dass es uns an der Liebe fehlt, und dass unsere Herzen kalt und trocken sind.
Wollten wir auf diese Weise alle Gebote Gottes durchgehen und dabei die Fehler und Mängel aufzählen, deren wir uns in der Erfüllung derselben schuldig machen, wir würden an kein Ende kommen. Soviel geht jedoch aus dem schon Gesagten hervor, dass wir die Gnade der Bekehrung sehr nötig haben, nötiger als alles andere, um was die Menschen gewöhnlich Gott zu bitten pflegen.
Sind nun unsere Seufzer dem göttlichen Herzen wohlgefällig, und erhalten wir wirklich aus diesem unerschöpflichen Gnadenborn die große Gnade der Bekehrung, dann werden wir bald in ganz andere Menschen umgewandelt sein. Wir werden aber dann auch an uns selbst durch eigene Wahrnehmung erfahren, welche Freude die Gnade der Bekehrung im Gefolge hat. Wir werden begreifen, wie neben der ängstlichen Furcht vor jeder Sünde, neben der steten Erinnerung an Gottes Allgegenwart, an den strengen Richterstuhl Gottes, an die kleine Zahl der Auserwählten, an die Hölle und die Ewigkeit, das Herz übervoll sein kann von süßem Trost, wie das Herz des hl. Apostels Paulus, nachdem er die Gnade der Bekehrung erhalten hatte.
Wir werden verstehen, wie ein heiliger Augustinus sagen konnte, die Tränen, welche er seit seiner Bekehrung vergossen habe, erquickten sein Herz mit größerer Freude, als wenn er früher alle Lust der Welt genossen habe.
Dass die Freude, welche die Gnade der Bekehrung mit sich bringt, eine ungemein große sein muss, geht auch schon daraus hervor, dass nach der Versicherung des Sohnes Gottes der ganze Himmel an derselben Anteil nimmt.
Im Himmel wird, wie der göttliche Heiland sagt, über die Bekehrung eines Sünders eine größere Freude sein als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. Diese ungemein große Freude, die von dem ganzen Himmel geteilt wird, bestätigt uns zugleich aber auch die andere Wahrheit, dass die Gnade der Bekehrung die größte aller Gnaden ist, die Gott einem Menschen geben kann, größer und wunderbarer, wie der hl. Bernhard sagt, als die Erschaffung der Welt oder die Erweckung eines Toten. –
aus: Friedrich Frank, Liebesseufzer zum göttlichen Herzen Jesu, 1886, S. 57 – S. 58