Die Päpste der Katakomben
Heiliger Linus (regierte von 67-76) *
Er soll im Toskanischen geboren worden sein. Ein weltgeschichtliches Ereignis von großer Wichtigkeit auch für die katholische Religion fällt in die ersten Regierungsjahre des Papstes Linus. In Jerusalem stand noch das Heiligtum der Juden, der Tempel des Herodes. Allein schon nahte derjenige, den die Prophezeiung des Herrn angekündigt hatte, als er auf dem Ölberg weinend und Jerusalem zugewendet sprach: „Jerusalem – Jerusalem – es werden Tage über dich herein brechen, da deine Feinde rings um dich einen Wall aufwerfen und dich einschließen werden. Sie werden dich und deine Einwohner vertilgen und keinen Stein auf dem anderen lassen.“ Während das Evangelium Jesu Christi wie ein neuer Morgengruß einer besseren Zeit über die Erde erklang und die junge Kirche ihre Wohltaten mit göttlicher Kraft unter die hilfsbedürftige Menschheit verbreitete, brach über das jüdische Volk, das den Erlöser der Welt ans Kreuz geschlagen hatte, ein furchtbares Strafgericht herein.
Der Untergang Jerusalems
Der römische Feldherr Titus begann im Jahre 70 die Belagerung der Stadt und erstürmte sie am 10. August desselben Jahres. Die Christen hatten schon vor der Zerstörung unter ihrem heiligen Bischof Simeon die Stadt verlassen und sich durch die Flucht den Schrecknissen der Belagerung entzogen. Als sie wieder heim kehrten, fanden sie auf dem Berg Moria und auf dem heiligen Grab Götzenbilder und heidnische Tempel, die auf Befehl des Kaisers Vespasian dort errichtet worden waren. Für die Christen war das kein Unglück; denn so wurden ihre heiligen Stätten sicherer erhalten; so zeigte ein heidnischer Götzentempel genau die Stelle des heiligen Grabes an. Wäre das nicht geschehen, so hätte man später wohl schwer mehr genau angeben können, wo Jesus gekreuzigt und begraben worden war. So sorgte die göttliche Vorsehung, daß die den Christen aller Jahrhunderte heilige Stätten bekannt blieben.
An den Einwohnern von Jerusalem gingen die Worte in Erfüllung, die sei dem Pilatus zuriefen, als er Jesum frei lassen wollte: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“ Mehr als 600000 Juden fanden bei der Zerstörung der Stadt den Tod. Titus gab den Befehl, einen Teil der Bürger ans Kreuz zu heften, so daß sich unter den zu diesem grausamen Tod Verurteilten vielleicht auch solche befanden, die mit in den Ruf eingestimmt hatten: „Ans Kreuz mit ihm; ans Kreuz mit ihm.“ Das Holz reichte nicht aus, um alle ans Kreuz zu heften, sagt der christliche Geschichtsschreiber Eusebius. Die Frauen und Kinder, welche während der Belagerung nicht durch das Feuer und durch den Hunger umgekommen waren, wurden als Sklaven verkauft. Auch Kaiser Vespasian verfuhr sehr grausam gegen die Juden. Beschneidung, Feier des Sabbats und Religionsunterricht wurden mit dem Tode bestraft. Die Stadt verlor ihren bisherigen Namen und wurde Älia Capitolina genannt. Der Geschichtsschreiber Stolberg erzählt in seiner Kirchengeschichte, daß bei der Zerstörung der Stadt Jerusalm auch die Mörder Jesu, die Hohenpriester Annas und Kaiphas, ihr Leben verloren haben. Sie sollen nach seiner Mitteilung sich in den unterirdischen Kanälen, durch die der Unrat abfloß, versteckt haben und dort im Schmutz erstickt sein. –
Papst Linus starb nach Angaben eines alten Papstbuches am 23. September des Jahres 76 als Märtyrer. Doch soll nicht der Kaiser den Befehl zu seiner Hinrichtung gegeben haben, sondern der undankbare heidnische Beamte, Saturnin, dessen Tochter Linus vom bösen Feind befreit hatte. Nicht lange überlebte der Kaiser den Papst. Bei allen seinen Fehlern scheint er doch die Nichtigkeit Lächerlichkeit des Heidentums eingesehen zu haben, da er bei seinem Tod zu seiner Umgebung sprach: „Ich merke schon, daß ich ein Gott werde.“ Damit verspottete er nämlich das Verfahren der heidnischen Römer, ihre Kaiser nach dem Tod unter die Götter zu versetzen. Dem Kaiser Vespasian folgte in der Regierung sein Sohn Titus, der nach heidnischer Anschauung ein guter Kaiser war. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 28 – S. 31
Der erste Nachfolger des hl. Petrus war Linus. Von ihm glaubt man ist die Rede, wenn der hl. Paulus im 2. Brief an Timotheus (2.Tim. 4,21) diesem einen Gruß von Linus meldet. Er war ein Italiener von Geburt und wurde nach der Meinung vieler Gelehrter bereits von Petrus zum Hilfsbischof geweiht. Ihm wird die Verordnung zugeschrieben, daß die Frauen nur verschleiert beim Gottesdienst erscheinen sollen. Die Art seines Todes kennen wir nicht. Er fällt ungefähr um das Jahr 79. (*) Sein Leichnam wurde auf dem vatikanischen Hügel an der Seite des Grabes des hl. Petrus bestattet. Bei dem im Jahr 1615 daselbst unternommenen Ausgrabungen fand man auf einem Sarkophag die Inschrift: Linus, die auf den Nachfolger des Apostelfürsten bezogen wird. Das wichtigste Ereignis unter dem Pontifikat dieses Papstes ist die von Christus dem Heiland vorher verkündete Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch die Römer.
(*) Das Todesjahr dieser Katakomben-Päpste und daher auch die Regierungs-Dauer derselben läßt sich nicht mehr genau bestimmen. Die Original-Papstkataloge sind frühzeitig zugrunde gegangen und die noch vorhandenen stimmen in ihrer Berechnung nicht zusammen. –
aus: Andreas Hamerle C.Ss.R., Geschichte der Päpste, I. Band, 1907, S. 81