Die Sekte der Zeugen Jehovas oder der ‚Ernsten Bibelforscher‘
Vorbemerkung: In den drei Schaubildern ersehen wir, wie sich die Sekte der Zeugen Jehovas oder der ‚Ernsten Bibelforscher‘ trotz ihrer absurden religiösen Vorstellungen seit 1945 enorm über die ganze Erde ausgebreitet wie auch ihre Missionstätigkeit erweitert hat. Aus diesem Grunde ist hier ein Beitrag des römisch-katholischen Theologen Otto Karrer aus dem Jahr 1942 über diese Sekte abgedruckt.
Missionstätigkeit der Zeugen Jehovas in 240 Ländern und Territorien
rot: Zeugen Jehovas nicht offiziell tätig
grau: Zeugen Jehovas offiziell tätig
Bevölkerungsanteil nach Ländern
Zahl der in der Mission aktiven Zeugen Jehovas 1945–2020
Teil 1: Der Gründer Charles Russel und seine Sektenlehre
I.
Wenn wir von einer ‚Sekte‘ sprechen
Wenn wir von einer ‚Sekte‘ sprechen, so richten wir nicht über Menschen, Gesinnungen, Gewissen; wir sprechen von dem, was zutage tritt, was sie sagen und tun. Über die Art der Menschen, die sich dem Sektengetriebe verschreiben, haben wohl die meisten Leser sich schon ihr Bild machen können und werden sich gesagt haben: Es sind wohl betörte Menschen, auf ihre Weise glühende Menschen, in einer flackernden Erregung, oft in einem Fanatismus wie Besessene. Persönliche Anlagen und ungünstige Erfahrungen mögen mitgewirkt haben, dass sie sich über Schäden der menschlichen Gesellschaft und des kirchlichen Lebens maßlos erregten.
Da braucht es allemal nur ein Schriftwort, aus dem Zusammenhang gerissen, und eine Begegnung mit ähnlich Gearteten – und sie halten sich für Erleuchtete, Erwählte, unendlich besser als die verrottete Umwelt, besonders als »diese Christen« . Sie glauben gar Gott einen Gefallen zu tun, wenn sie sich mit allen Mitteln auf revolutionäres Schüren und Beschimpfungen verlegen. Sie reden sich ein, sie hätten es wahrhaftig mit dem Teufel zu tun, sie aber seien die Heiligen. Sie sagen es gerade heraus.
Auch Sektenmitglieder, Verblendete, Psychopathen und Verbrecher gehen für ihre Überzeugung in den Tod
Dazu kommt ein verdrängter Geltungsdrang, der in kleinen Gruppen seine Befriedigung findet. Es ist so menschlich: da können sie reden, die sich als »Zeugen Jehovas«, »Apostel« und dgl. fühlen, berufen, die Welt aus den Angeln zu heben. Sie sind heilig von ihrer Sache überzeugt. Und wenn es darauf ankommt, stehen sie auch dazu, auch wenn sie gepeitscht oder getötet werden. Man hat es in unseren Tagen erlebt. Wer wollte der Überzeugung seine Achtung versagen? Vielleicht haben gar viele Christen etwas daraus zu lernen. …
Aber Bekennerschaft, Mut, selbst Einsatz bis zum Tod, brauchen noch nicht ein Zeichen der Wahrheit zu sein. Sowohl Verblendete, Psychopathen, selbst Verbrecher-Naturen — wie Heilige gehen für ihren Glauben, ihre Überzeugung in den Tod, wenn es sein muss. Bekenner Christi und Antichristen. Der Fanatismus ist das Zeichen eines lodernden Herzens — für die Wahrheit oder Heiligkeit der Sache ist damit nichts gesagt. Ich glaube, auch der Teufel hat eine fanatische Wut — hat er deshalb recht? Der Heilige glüht für Gottes Wahrheit und Gottes Ehre, der Fanatiker für den Wahn seines kranken Herzens oder Hirnes.
II.
Der Gründer der Sekte, Charles Russel, beeinflusst von den Adventisten
Wie steht es mit dem Fanatismus der Bibelforscher? Ist es ein heiliger Eifer für die Wahrheit und Gerechtigkeit? Steht er im Zeichen der göttlichen Liebe?
Wir wollen zunächst vom Gründer ausgehen. Denn immer haben bei irgendwelchen Bewegungen die Urheber ihrer Schöpfung den Stempel aufgedrückt.
Der Gründer, Charles Russel, war 1852 in Pittsburg in den Vereinigten Staaten geboren. Seine Jugend stand unter dem seelischen Druck der Vorherbestimmungs-Lehre Calvins: der Mensch sei zum Himmel oder zur Hölle vorausbestimmt. Die Angst vor der Hölle trieb den Jüngling in die Nähe des Abgrunds, wo ihn Verzweiflung und Unglaube anstarrten. Da hörte er einen Adventisten-Vortrag und überzeugte sich, daß es keine Hölle geben könne: die Bibel lehre Vernichtung der Gottlosen und ewiges Heil der Erwählten. —
Wer spürt nicht, wie viel schon hier das menschliche Gefühl mitspielt, aber auch welche Gewaltsamkeit dem Bibelwort geschieht, dessen Wortlaut recht wohl auch in der Gerechtigkeit einen tieferen göttlichen Sinn der Liebe spüren lässt — für den, der Ehrfurcht und Vertrauen zum Vater hat — nicht aber, wenn anmaßlicher Menschenwille aus Gottes Wort hinauswirft, was ihm nicht liegt. Das war das Vorzeichen einer leidenschaftlichen Entwicklung. Die Reaktion gegen eine umdüsterte Jugend hat die Leidenschaft des »Propheten« geboren. Bald schritt der junge Kaufmann in den Bibelstunden der Adventisten auch über deren Lehren weg. Er »entdeckte« in der Geh. Offenbarung das Wort vom »tausendjährigen Reich« und wies ihm eine beherrschende Stellung in seiner Gedankenwelt zu.
Russel wies dem »tausendjährigen Reich« eine beherrschende Stellung zu
An tiefere Bibelstudien dachte er nicht, geschweige denn, dass er bei den Großen der Vergangenheit Rat gesucht hätte, wo Augustinus gegenüber den Missverständnissen des »Milleniums« (das ist des tausendjährigen Reiches) schon die gediegene biblische Erklärung gegeben hatte. Der junge Kaufmann, so mangelhaft vorbereitet er auch war, vertraute in den schwierigsten Fragen seiner sicheren Erkenntnis. Sein »Gefühl« setzte er ohne weiteres mit dem Hl. Geist gleich: das Merkmal aller Sektierer, die unbewusst aus der Bibel herauslesen, was sie an Vorstellungen, Gefühlen oder Wünschen durchdringt.
Hier war es 1. etwas von den Adventisten Übernommenes, nämlich die fixe Idee, das Wiederkommen Christi zum Endgericht lasse sich errechnen — entgegen den ausdrücklichen Warnungen des Herrm: »Es kommt euch nicht zu, Zeiten und Termine zu wissen« (Apg. 1,9; vgl. Mt. 24, 36); und 2. zum Unterschied von den Adventisten die Annahme, Christi Wiederkunft selbst sei unsichtbar, aber mit sichtbarer Wirkung. Als Termin errechnet er 1874 für das Jahr der Wiederkunft, 1914 für den äußern Umschwung und den Anbruch des »Goldenen Zeitalters«. In diesem Jahr würden zuerst die Adventisten-Heiligen und altjüdischen Patriarchen auferstehen, dann jährlich 100 000 der vergangenen Zeiten, um dann nach 100 Jahren entweder endgültig gerettet oder vernichtet zu werden.
Russel konstruiert aus der Bibel ein Schema der Weltgeschichte
Man wird fragen, was hat solche Phantasterei mit der Bibel zu tun? Nun, Russel ist spekulativ veranlagt; er sieht die Weltgeschichte im Großen — freilich von seinem sehr begrenzten Wissen aus. Er konstruiert zunächst aus der Bibel ein Schema der Weltgeschichte:
Gott hat die Welt in 6 Tagen geschaffen, das will sagen, sie läuft in 6 Tagen ab — ein »Tag« bedeutet aber vor Gott 1000 Jahre. Wieso?
Weil es beim Psalmisten heißt: »1000 Jahre sind vor Dir wie ein Tag« (Ps.89,4). Also sind es von Anfang bis Ende 6000 Jahre. Dieses Dogma ist grundlegend für das System der Bibelforscher.
Dem Naturwissenschaftler und Geschichtskundigen wird einiges zugemutet! — aber was geht das einen »Bibelforscher« an? Aus der Bibel, so meint er, steht das Alter der Menschheit fest. Eine erste Weltzeit dauerte von Adam, bzw. vom Sündenfall bis zur Sintflut (4128—2473 v. Chr.): das war die »damalige Welt« — daran schließt sich die zweite Weltzeit, die »geschichtliche Welt« mit den Patriarchen, der israelitischen und der christlichen Geschichte (bis 1914) — und von da durch 1000 Jahre bis 2914 währt das »Goldene Zeitalter«, welches mit dem Himmel für die einen, mit der Vernichtung für die andern abschließt.
Die Ausführung und Begründung dieser biblischen Konstruktion finden sich in den verschiedenen Bänden der »Schriftstudien«, sowie in der »Harfe Gottes«. Der Zeitansatz ist für die Bibelforscher wichtig, weil nur so in unsere Zeit die göttliche Umwälzung fallen kann — und das braucht man, der Gemütserregung wegen.
Wie kommt aber Russel auf das Jahr 1874 für Christi unsichtbare Wiederkunft, bzw. 1914 für den äußeren Umschwung? Hierüber gibt uns der Vertraute seines Gedankens und Nachfolger, Rutherford, in der »Harfe Gottes« Auskunft (S. 216). Bei Daniel 12, 12 heißt es von der Herrschaft des vierten Tieres: »Glückselig, wer harrt und 1335 Tage erreicht.« Bekanntlich hat Daniel die großen Weltreiche seines Horizonts unter Tiersymbolen geschildert; das vierte Tier bedeutet nach den wissenschaftlichen Erklärungen die Schreckens-Herrschaft des Antiochus Epiphanes IV. von Syrien, unter der Israel schmachtete. Der Prophet will sein Volk trösten: Wartet noch eine kurze Weile, dann wird auch das vorüber sein!
Von der Zeitgeschichte brauchen die Zeugen Jehovas nichts zu wissen
Aber von Zeitgeschichte braucht die ernste Bibelforschung nichts zu wissen. Man erklärt einfach (Harfe, 225): das vierte Tier ist das Papsttum der Zukunft; der alttestamentliche Jude hat die Tiara vorausgesehen, das Zeichen der Bestie! Man soll noch 1335 Tage warten, will sagen: von der Geburtsstunde des Papsttums — anno 539, dem Jahr des Untergangs der Ostgoten! — geht es noch 1335 Jahre; denn diesmal ist »Tag« soviel wie »Jahr«, während anderswo »Tag« soviel wie »tausend Jahre« ist!
Nun ist zwar das Ostgotenreich nicht 539, sondern 553 untergegangen, und der Aufstieg des Papsttums wird von Rutherford an anderen Stellen bedeutend früher angesetzt: das eine Mal »schon« im 4. Jahrhundert (Weise Regierung, 54 f.), das andere Mal noch früher, im 3. Jahrhundert (Luzerner Vortrag, gedruckt in »Goldenes Zeitalter«, 15. Okt. 1936) — aber man spielt mit Zahlen, wie man’s gerade braucht, und also bleibt es bei den 1335 Jahren, die 1874 zu Ende gingen!
Zwischen 1874—1914 liege die »Erntezeit«, Vorbereitung zur Ausrichtung des Königreichs Christi im letztgenannten Jahr. Von da an, so prophezeit Russel, werden die Auserwählten nicht mehr sterben, vor allem er selber nicht, sondern sie gehen als »Herauswahl« und »Braut des Lammes«, als Verwandte, in den Himmel ein. Von den Milliarden Menschen der Vergangenheit werden alsbald — näherhin 1918, bzw. 1925 — die altjüdischen Patriarchen zu einer irdischen Herrschaft heraufkommen und dann täglich 100 000 neue dazu, in sichtbarer Auferstehung. Die Unheiligen der Vergangenheit durften durch besondere Gnade in bewusstlosem Schlaf bis zur Auferstehung liegen und erhalten jetzt eine neue Bewährungsgelegenheit im tausendjährigen Reich.
Was heißt aber »Bewährung«? Hier wird die Sache pikant. Die auferstandenen alten Judenfürsten, Abraham, Jakob, Isaias, Daniel usf. errichten die große alljüdische Herrschaft unter dem unsichtbaren Christus, das neue Königreich Jehovas. Die Gutwilligen lassen sich beschneiden, die anderen haben die Vernichtung zu gewärtigen. Alle bisherigen politischen, sozialen, religiösen Systeme werden vernichtet: die große Schlacht von Harmagedon wird sie vernichten (Schriftstudien 4, 317 u. öfter).
III.
Die Propaganda der ‚Ernsten Bibelforscher‘
Soviel vom Lehrgehalt der Sekte. Nun einiges über die Propaganda. Russel war kein Stubengelehrter, sondern ein großzügiger amerikanischer Organisator. Indem er die Zeitschrift »Zionswächter« (später »Wachtturm«) gründete, fügte er zugleich die Gesellschaft zu deren Verbreitung hinzu; indem er eine Reihe von »Schriftstudien« eröffnete und predigte, schloss er zugleich Geschäftsverträge mit amerikanischen Zeitungs-Gesellschaften für die Werbung und gründete eine Organisation für Wanderapostel. Auch ein Radio mit eigenem Sender wurde errichtet.
Auch seine Frau erfuhr seine Geschäftstüchtigkeit: als sie, bisher seine erste Mitarbeiterin, an Hautflechten erkrankte und dem Mann Gottes nicht mehr gefiel, leitete er die Scheidung ein, nicht ohne vorher sein Riesenvermögen auf seine Gesellschaft zu übertragen, damit die liebe Frau nicht Hand darauf legen könne — freilich ließen sich die Gerichte nicht so einfach darauf ein. Dabei war der Prophet von der Heiligkeit seines Denkens und Tuns durchaus überzeugt. Er besaß die Selbstsicherheit eines Großkaufmanns mit dem Gefühl der Propheten.
Nur eines hätte nach unserer naiven Ansicht seine Gefolgschaft irremachen können: die fatale Notwendigkeit, die biblischen Berechnungen immer wieder korrigieren zu müssen. Aber es zeigte sich dasselbe wie bei den Adventisten: die Masse vergisst rasch, wenn nur immer neue Parolen die Spannung erhalten, und das verstand Russel sehr gut. Auf 1914 hatte er aus der Bibel den sichtbaren Anbruch des goldenen Zeitalters berechnet, zugleich den Termin, von dem an die Heiligen nicht mehr sterben, er selbst und seine Getreuen vor allem.
Fatalerweise lebte er über 1914 heraus und starb dann wie andere Menschen, und statt des goldenen Friedenszeitalters brach 1914 der Weltkrieg aus. Aber das ergab keine ernste Schwierigkeit: die Vorbereitungszeit sei eben auf unbestimmte Zeit verlängert — man fand dafür das Wort »Nachlese«. Glücklich der Mensch, der um die Formel nicht verlegen ist!
Russels Nachfolger Rutherford
Als Russel 1916 starb, brachte die Nachfolge einen starken Ruck nach links: der Advokat Rutherford verfügte über die Arbeitskraft des Gründers, seine Agitation war viel massiver. In einem aber sind beide gleich: in ihren zahlreichen, annähernd 70, Schriften über die Bibel befasst sich keine mit dem Neuen Testament, es sei denn nebenbei. Von Christus ist nur der Name beibehalten. Die Ideologie ist jüdisch.
An Mut, sich zu exponieren, fehlte es auch Rutherford nicht. In seiner Schrift »Millionen jetzt lebender Menschen werden nicht sterben« legt er sich auf 1925 als Endjahr der Nachlese fest. Seither also müsste die sichtbare Auferstehung der alten Juden begonnen haben, und von da an dürfte niemand mehr sterben, nur täglich 100 000 auferstehen.
Wir wissen, es geschah nichts. Aber das macht nichts. Es kommt schließlich nicht auf Zahlen an: die Menschen brauchen Trost, und der Glaube an das nahe Goldene Zeitalter ist der Trost, der bei den Einfältigen seine Wirkung tut. Mit Speck fängt man Mäuse. Und es braucht nicht einmal Speck zu sein: der Glaube, Speck zu riechen, ist auch schon etwas. R. Enzmann sel. schrieb damals seinen Schülern an die Tafel: »Millionen jetzt lebender Menschen werden nicht sterben«, dann wischte er die zwei Anfangsbuchstaben des Schlusswortes aus. Was übrig bleibt, ist wenigstens — wahr.
IV.
Die Sektenlehre der Zeugen Jehovas
Wir kommen zur Würdigung der Sektenlehre. Die Bibelforscher sagen gegenüber dem Hinweis auf ihre erwiesenen Irrtümer und falschen Prophezeiungen, jedermann könne sich täuschen; der Kern der Sache bleibe doch wahr. Aber hier ist es so, dass gerade die Hauptsache des Systems Phantasie und Wahn ist. Sehen wir uns die Hauptideen etwas näher an:
a. Das tausendjährige Reich.
Wie sich die Wirkung des Schlagwortes auf manche Menschen psychologisch erklären lasse, ist schon angedeutet. In dunklen Zeiten klammert sich die Menschheit mit Inbrunst an alles, was die Wirklichkeit verklärt. Der ganze Adventismus, die Verheißung der greifbar nahen Wiederkunft Christi auf bestimmte nächste Zeit, beruht eben darauf. In früheren Jahrhunderten hatte der adventistische Traum durchaus religiöse Färbung, in der Neuzeit nimmt er, entsprechend der weltlichen Zeitrichtung, überwiegend profane Formen an. Das soziale künftige Paradies oder das politische tausendjährige Reich sind dafür bezeichnend. Auch das Goldene Zeitalter der Ernsten Bibelforscher hat ausgesprochen irdisch-politischen Charakter. Ihre Verheißung appelliert an den Instinkt der Gedrückten, ist eine Art Mystik der Verbitterten.
Ein gewisser religiöser Einschlag ist nicht zu verkennen — sofern der Zustand der Welt auf dem Gemüt des Menschen lastet und ihn nach einer Befreiung suchen lässt, die in der Gegenwart anscheinend nicht zu finden ist.
Denn dass das Reich Gottes und das Heil zu jeder Zeit und unter beliebigen äußeren Verhältnissen dem inneren Menschen zugänglich sei, ist zwar die Lehre des Christentums und der tiefere Sinn aller Mysterien der Kirche, ihrer Sakramente und ihres Gottesdienstes — aber wer möchte behaupten, es sei den Außenstehenden leicht, es zu erkennen und zu finden — ihnen, die oft nur eine äußere Betriebsamkeit, einen Prunk von Zeremonien, wie sie sagen, und so manche Gebrechen vor Augen haben, an denen sie hängen bleiben, von denen sie sich abgestoßen und angeekelt fühlen.
Die Zukunftshoffnung wird ins Irdisch-Menschliche herabgezogen
Und so suchen sie eine Lösung auf ihre Weise, lesen die Bibel mit ihren Augen — und wer denkt nicht an Jesu Wort: »Ist dein Auge trübe und verfinstert, so ist es der ganze Mensch« (Mt. 6,23)?
Es fehlt ihnen »der Geist des Ganzen«, aus dem das einzelne Bibelwort seinen Sinn empfängt; sie »finden« Teillösungen, einzelne Heilsrezepte, die ihnen nun eines und alles werden. »Die Wiederkunft Christi«, so wie sie das Wort verstehen, »das tausendjährige Reich«, so wie sie das Wort verstehen, bietet für sie den Schlüssel für alles. Alles andere verblasst vor ihren phantasievollen Ausmalungen der glorreichen Zukunft mit einem Gericht, in dem — wie menschlich ist es! — diese böse Welt, die sie umgibt, an den Pranger gestellt, die jetzt Verachteten und Enttäuschten aber, sie nämlich, die Traurigen, getröstet werden! Die Zukunftshoffnung, ins Irdisch-Menschliche herabgezogen, gibt den Sekten Schwung und Stoßkraft bei so vielen, die am Irdischen zerbrochen sind.
Und wie schimmert das Phantasiebild einer gereinigten Zukunftsmenschheit gegenüber der Karikatur des Christentums, das sie in der Seele tragen, und wie lenkt es den Blick vom eigenen Ich und seinen menschlichen Armseligkeiten ab! Also psychologisch ist das Phantasiebild des tausendjährigen Reiches nur zu verständlich.
Und wie steht es mit dem »tausendjährigen Reich« der Bibel?
Zunächst muss man zur Kenntnis nehmen, dass Begriff und Name nicht biblischen Ursprungs sind, sondern aus einem persischen Mythus herkommen und vom Judentum übernommen wurden.
Für die Juden bedeutete es dann die Zeit der messianischen Fülle — die »tausend Jahre« wollen eben dies, die Fülle, das Vollkommene, zum Ausdruck bringen. Aber es ist ja höchst interessant zu sehen, daß schon in den jüdischen Quellen für »tausend Jahre« oft auch das Symbol von »siebentausend Jahren« steht — für jüdische Zahlenmystik gewissermaßen eine Steigerung derselben Idee des Vollkommenen; noch mehr die »365 000 Jahre«, die gelegentlich dafür stehen (s. Strack-Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Mischna III. 824 ff.). Es handelt sich also nicht um eine arithmetische Zahl, sondern um ein Symbol für den vollkommenen Zustand.
Diesen verstanden die Juden noch einigermaßen äußerlich. Es war für sie in der babylonischen Gefangenschaft ein Trost, das messianische Reich der Herrlichkeit unter jüdischer Führung als Gegenstück zur gegenwärtigen Wirklichkeit zu träumen. Der Messias kam, aber von der irdischen Phantasie wollte Er nichts wissen — und gerade darum ward Er vom verblendeten Volk und seinen Führern verworfen. (Besonders eindrucksvoll tritt dies in dem Buch von Josef Pickl »Messiaskönig Jesus in der Auffassung seiner Zeitgenossen«, 1934, hervor.)
Mit Jesus ist das verheißene Gottesreich für immer angebrochen
Mit Jesus ist das verheißene Gottesreich für immer angebrochen; es ist schon da, sagt Er, und es ist in euch: in jedem, der Ihn gläubig aufnimmt (Mt. 4, 17; Lk. 17, 21). Und es tritt sichtbar in Erscheinung und wird sich durchsetzen in der Kraft des Geistes von oben, obschon sein Urheber äußerlich zugrunde geht: »Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Kraft Gottes sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen« (Mt. 26, 64); und Er wird als der erhöhte Herr in Seinen Gläubigen sein, und mit dem Geist, den Er ihnen sendet, bis zum Ende der Zeiten bei ihnen bleiben (Lk. 24, 44 ff.).
In der Geh. Offenbarung ist das alte Symbol des tausendjährigen Reiches feinsinnig angewendet: Seit Christus besteht für alle, in denen Er durch den Glauben herrscht, das Friedensreich, und der Satan ist für sie gefesselt — für die ungläubige Welt ist der Satan losgelassen, und darum herrscht Unfriede. Zugleich losgelassen und gefesselt ist Satan, je nachdem Christus im Menschen herrscht oder nicht. Das ist die Erfahrung und der wahre Trost der Gläubigen, den der Seher der Geh. Offenbarung von seinem Herrn empfangen hat (s. O. Karrer, Die Geh. Offenbarung 1940, S. 164—170, zu Kap. 20, 1-10).
b. Der Ansatz der Zeitalter
Das System der Bibelforscher beruht auf ihrer Berechnung der Zeitalter, die geschichtlich und biblisch unmöglich ist.
Grundlegend für die Bibelforscher-Rechnung ist das Datum, von dem aus gerechnet wird. Soll im Jahr 1874 die Erfüllung anheben, so kommt man mit den angeblich biblischen 6000 Jahren Weltzeit zurück auf das Jahr 4126 v. Chr. als Anfang der Menschheit. Die Bibelforscher wissen sogar noch die Zeit des Sündenfalls: 2 Jahre später! —
Solch eine Altersberechnung war im Mittelalter noch verzeihlich; heute weiß man aus Ausgrabungen in verschiedenen Erdteilen, dass es schon ganze Völker, z. T. mit ausgebildeter Kultur, mit Riesenburgen und Städten, um die Zeit gegeben haben muss, wo nach den Bibelforschern die Menschheit noch gar nicht existiert haben dürfte! Von China über Indien, Chaldäa, Südafrika nach Mexiko finden sich überall Spuren einer vieltausendjährigen Kultur. Unter den Naturwissenschaftlern ergehen die Mutmaßungen über das Alter der Menschheit zwar weit auseinander, aber unter 20000 Jahren kommt keiner aus, um die zwischeneiszeitlichen Funde von Menschenspuren zu datieren.
Aus der Bibel lässt sich gewiss eine Altersberechnung der Menschen nicht gewinnen.
Die Urgeschichte bis zum Anfang der Patriarchenzeit mit dem Auszug Abrahams aus Ur in Chaldäa ist bruchstückweise aus alten Überlieferungen erzählt, wobei z.B, die Völkertafel 1 Mos. 10 offensichtlich nicht Bluts-Zusammenhänge zwischen Vater und Sohn, sondern Bluts- oder Kultur-Beziehungen von Völkern angibt, etwa wie wenn man summarisch sagen würde: »Von Helvetia stammen Rhaetia, Ticina, Burgundia, Alemannia.« Wer will da mit Jahreszahlen rechnen ?
Und wie ist es biblisch überhaupt mit dem Psalmwort: »1000 Jahre vor Ihm wie ein Tag«? Der Sinn ist für jeden vernünftigen Menschen: Nimm eine noch so große Zeit, 1000 Jahre, 10 000 Jahre oder 100 000 Jahre — vor Gottes Ewigkeit verschwindet sie ganz, ist wie 1 Tag, ist wie ein Stäublein gegenüber dem ganzen Weltall und noch viel weniger. Mit arithmetischen Zahlen zur Berechnung der Menschheitsgeschichte hat das gar nichts zu tun.
Aber Mr. Russel, Rutherford und seine Getreuen brauchen das nicht zur Kenntnis zu nehmen — sie »dürfen« es gar nicht zur Kenntnis nehmen, weil sonst ihr System der 6000 Jahre mit dem Zielpunkt 1874, bzw. 1914, wie ein Kartenhaus zusammenfällt. Pathetisch erklärt man in den »Schriftstudien« (1, 73): »Wir erbringen den biblischen Nachweis, dass das völlige Ende der Zeiten der Heiden 1914 erreicht sein wird und dass dieses Datum die äußerste Grenze der Herrschaft der unvollkommenen Menschen sein wird: dass dann das Königreich Gottes volle und universale, weltweite Herrschaft erreicht haben wird und aufgerichtet und auf Erden fest gegründet sein wird.« — O Prophet! Hättest du geschwiegen, wärest du weise geblieben!
c. Die übrigen Bibelerklärungen der Sekte
Sie sind gleichviel wert. Man treibt eine Spielerei mit Zahlen, man treibt Schindluder mit der Bibel. Man deutet jeweils symbolisch, wie man’s gerade braucht. Z. B. zum Beweis, dass wir 1874 in der Nähe der Wiederkunft Christi und des Goldenen Zeitalters sind, dient für Rutherford das Buch Job 40, 10 ff. Da schildert der hebräische Dichter die Macht des Schöpfers an einem naturgeschichtlichen Bild: Ein Riesennilpferd und das sagenhafte Seeungeheuer Leviathan, wahrscheinlich ein Saurier, sind ihm Symbol der gewaltigen Naturkraft.
Nach der Ernsten Bibelforschung ist damit die — Dampfmaschine gemeint, die wir angeblich »seit 1874« haben — auf ein paar Jahrzehnte früher oder später kommt es ihnen da nicht an! Der angeblich »prophetische« Text bei Job lautet mit den in Klammer beigefügten Erklärungen der »Schriftstudien« (VII. 104 ff.; Text etwas gekürzt):
Riesennilpferd und Leviathan sind der Sekte Symbol für die Dampfmaschine
»Siehe doch einen mit großer Hitze (der feststehenden Dampfmaschine), den ich gemacht habe; er wird Futter verzehren (Torf, Holz, Kohle) wie das Vieh. Siehe doch, seine Kraft ist in seinen Lenden (Kesselplatten). Sein Schwanz (Schornstein gegenüber dem Futterende) wird aufrecht stehen wie eine Zeder. Seine Gebeine (Stangen des Kesselrostes) sind wie Eisenstangen.« — »Du wirst den Leviathan (die Lokomotive) mit dem Angelhaken (automatische Kupplung) ausdehnen oder mit einer Schlinge (Kuppelbolzen), mit der du seine Zunge (Kuppelverbindung) sich senken lassen wirst. Willst du nicht einen Ring (Kolben) in seine Nase (Zylinder) legen? Wird er viel Flehens an dich richten (entgleisen)? Oder wird er dir sanfte Worte geben (durch einen schrillen Ton mit der Dampfpfeife) ?« —
Und weiter: »Zunächst sieht er (der Prophet) eine Lokomotive auf sich zukommen und sagt dann: Die Schilde (die Kopflichter der Lokomotive) sind gerötet (hell-leuchtend). Hierauf sieht der Prophet den das Eisenbahnbillett fordernden Schaffner, und er sagt: Er gedenkt seiner Edlen (der Schaffner widmet seine ganze Zeit der Kontrolle der Reisenden); sie straucheln auf ihren Wegen (wenn sie versuchen, in einen schnell fahrenden Eisenbahnzug aufzuspringen); sie eilen zu ihrer Mauer (zur nächsten Stadt); das Schutzdach wird aufgerichtet (Station, Bahnhof, Dienstmänner, Portiers, Postwagen, Hotelomnibusse etc, warten auf den ankommenden Zug).«
Die amüsante Aufzählung der Kulturerrungenschaften
Nur nebenbei sei bemerkt, daß der Schrifterklärer offensichtlich auch eine schlechte Übersetzung vor sich hatte; der Text Jobs enthält eine sehr anschauliche Schilderung der Riesentiere und des gewaltig schreckhaften Eindrucks, den sie auf den Beobachter machen. — Höchst amüsant ist die Aufzählung der herrlichen Kultur-Errungenschaften, welche die »zweite Gegenwart unseres Herrn« seit 1874 gebührend ins Licht rücken. Der Bibelforscher hat offenbar ein alphabetisches Verzeichnis einer amerikanischen Großhandelsfirma vor Augen gehabt; zählt er doch Seite 230 nach dem Alphabet die Herrlichkeiten des Herrn wie folgt auf:
»Additionsmaschinen, Aluminium, antiseptische Chirurgie, automatische Bahnkupplung, drahtlose Telegraphie, dunkelstes Afrika, Dynamit, Eisenbahnsignale, elektrische Eisenbahnen, elektrische Schweißmethoden, Erntemaschinen, Eskalatoren, feuerlose Kochapparate, Gasmaschinen, Göttlichen Plan der Zeitalter, Induktionsmotoren, Korrespondenzschulen, künstliche Farben, Leuchtgas, Luftschiffe, Nordpol, Panama-Kanal, Pasteursche Schutzimpfung, Rahm-Separatoren, rauchloses Pulver, riesenhohe Geschäftsgebäude, Röntgen-Strahlen, Schreibmaschine, Schulnähmaschine, Setzmaschine, Sprechmaschine, Stacheldraht, Streichholzmaschine, Südpol, Telephon, Untergrundbahn, Unterseeboot, Vakuum-Teppichreiniger, Zelluloid, Zweiräder.«
In der Geh. Offenbarung (20,9) heißt es: »Feuer kam vom Himmel und verschlang sie«, und ebenda Kap. 18,1: »Ein Engel kam mit großer Gewalt, und die Erde ward erleuchtet von seiner Herrlichkeit.« Es ist das Gericht über »Babylon«. Und was bedeutet es in den »Schriftstudien«? »Feuer vom Himmel« bedeutet den elektrischen Stuhl für die Hinrichtung der Verbrecher (Schriftstudien 7, 413), und die »Herrlichkeit des Engels« bedeutet die großartige moderne Technik, das Zeichen der gnadenreichen »zweiten Gegenwart des Herrn« (ebenda 365; vgl. Harfe, 230).
Vielleicht verstehen wir nach solchen Variete-Leistungen »Ernster Bibelforscher«, wie recht die Kirche hat, die Bibellesung zwar angelegentlich zu empfehlen, aber doch nicht aus dem Stegreif, ohne Erklärungen in der Ausgabe selbst, und ohne Hilfen durch wissenschaftlich ernste Bücher oder hinreichend gebildete Fachleute. Man wird ja auch seine Gesundheit nicht einem beliebigen Schuster, Schneider oder Advokaten anvertrauen, sondern sinngemäß einem beruflich Vorbereiteten; und diese haben ihre Kenntnisse auch nicht aus den Fingern gesogen, sondern lernen bescheiden und dankbar von denen, die vor ihnen seit der Apostelzeit gelebt und gelehrt haben. Darum gilt in der Kirche die Weisheit der Überlieferung etwas.
Aus dem Stegreif mögen Scharlatane erklären und mag einer allenfalls mit sich selbst experimentieren, wenn er sich für gescheiter als alle andern hält — aber er sollte wenigstens so viel Anstand und Verantwortungsgefühl besitzen, um andere mit seinen Einfällen zu verschonen.
Das Interessanteste kommt erst, wenn wir die geheime politische Ideologie der Sekte ins Auge fassen.
Teil 2: Die geheime politische Ideologie der Zeugen Jehovas
Das nun in Erscheinung tretende tausendjährige Reich heißt bei den Bibelforschern nicht zufällig »Königreich Jehovas«; der altjüdische Name ist für die Sache bezeichnend. Zwar heißt es statt dessen gelegentlich auch »Christi Herrschaft«, aber der Name Christi ist dabei ziemlich gleichgültig. Es könnte dafür ebensogut ein anderer Name stehen. Denn vom biblischen Christus fehlen so gut wie alle Kennzeichen, Beispiele und Lehren aus Seinem Leben, die zu persönlicher Innerlichkeit und Heiligung dienen könnten. »Jehova« ist die Parole, ist der Schlachtruf des Heerbannes der Bibelforscher.
Der Name »Jehova« ist zwar nicht biblisch, wie die Bibelforscher meinen — ist erst im Anfang des 16. Jahrhunderts durch ein Missverständnis des alttestamentlichen Gottesnamens bei der Erscheinung im Dornbusch aufgekommen, wo es hieß: »Jahve«, d. h. »Er ist«, bzw. »ich bin, der ich bin«. Aber die Zeugen »Jehovas« mögen ruhig ihren Namen behalten: es kommt schließlich nicht auf den Namen an. Gemeint ist der Judengott, der seine Bekenner zur Vernichtung der Christenheit aufruft.
Man höre: Da heißt es von der anbrechenden Herrschaft im Namen Jehovas:
»Seine irdischen Vertreter sind die vorchristlichen Getreuen; sie werden die sichtbaren Beamten dieses Königreiches sein« (Harfe, 319). Sie werden »von Christus zu Herrschern auf der ganzen Erde gemacht« (Rechtf. 3, 276). »Wir dürfen erwarten, daß Abraham (der bereits im Weltregiment sitzen müsste!) mit vollkommenen Radio-Rundfunkstationen vom Berge Zion aus die Angelegenheiten der ganzen Erde leiten kann« (Wünschensw, Regierung, 35). »Christus wird bei der neuen Organisation der Erde keine nationalen Unterschiede erkennen, außer den 12 Abteilungen, die durch die 12 Stämme Israels dargestellt sind« (Rechtf. 3, 321). »Die Fürsten auf Erden werden von jüdischem Stamme sein« (Nahe Wiederherst. 61). »Die Bedingungen des Neuen Bundes während der 1000 Jahre werden in jeder Weise dem jüdischen Gesetzbund entsprechen« (Schriftst. 5, 315).
Im neuen Reich der Zeugen Jehovas
Die Nichtjuden, »wenn sie den Segen erkennen, den Israel empfängt, werden einsehen, dass die neue Ordnung der Dinge für alle vorteilhaft ist, und sie werden sich diesem israelitischen Regiment unterwerfen. Die Segnungen der neuen Heilszeitordnung werden irdischer Art sein…; alle Verheißungen Gottes sprechen nur von irdischem und nicht von himmlischem Segen« (Nahe Wiederherst. 54).
Man sieht die Mischung von Altjüdischem und Amerikanischem. Brot und Dollar sind die neuen Sakramente — Verzeihung! —, die Beschneidung nicht zu vergessen! Denn es werden im neuen Reich alle gleichberechtigt sein, vorausgsetzt, daß sie sich dem Gesetz und dem Bürgerrechts-Zeichen der Beschneidung unterziehen: »Das Zeichen der Beschneidung zeigt, dass ein jeder, der dem Herrn wohlgefällt, mit dem Zeichen der Hingabe für Gott und sein Königreich versehen werden muss« (Rechtf. 3, 320).
Das sei das Siegel der »Gerechtigkeit des Glaubens«, von dem Paulus im Römerbrief redet (Schriftstudien 4,517). Welcher Hohn auf Paulus und auf das Neue Testament: Wird doch just der Apostel, der den Kampf gegen die Heilsbewertung der Beschneidung mit leidenschaftlichem Glaubenseinsatz geführt hat, zum Schutzpatron der Beschnittenen gemacht! Und »dies wird der Zustand des stellvertretenden Reiches Gottes (der tausendjährigen alljüdischen Herrschaft auf Erden) ‚sein: alle mit Willen Widerstrebenden werden vernichtet werden unter der Herrschaft der eisernen Rute« (ebenda).
Die große Schlacht von Harmagedon
Der Höhepunkt aber im Aufstieg der jüdischen Allherrschaft wird bezeichnet durch die große Schlacht von Harmagedon. Von ihr handelt u. a. ein eigenes Heft des »Goldenen Zeitalters« (15. Okt. 36). Der Name bezeichnet in der altjüdischen Geschichte den Ort einer Niederlage; er hatte deshalb einst für die Juden eine unangenehme Bedeutung, und dementsprechend ist er in der Geh. Offenbarung noch als Symbol für die versammelten dämonischen Mächte gebraucht (Geh. Offenbarung 16,16). Für die Zeugen Jehovas ist es umgekehrt: da bezeichnet Harmagedon die Vernichtungsschlacht der jüdischen Welt gegenüber der christlichen und den mit ihnen verbundenen Systemen:
»Satan weigert sich abzutreten und rüstet sich prahlerisch . . ., deshalb muss er und seine Organisationen (die bestehenden Staaten) vernichtet werden« (Wünschensw. Reg. 28). »Es wird eine Sturmflut von wirklichem Blutvergießen sein« (Schriftstud. 7, 393). »Der Befehl des Herrn lautet, zu erschlagen und niemand zu schonen« (Rechtf. 1.110; vgl. Schriftstud. 7, 616). Die Heiligen der Sekte brauchen aber nicht selbst zu kämpfen, sie dürfen dem Schauspiel von ihrem gesicherten Ort aus zusehen: »Jehova schlägt für sie die Schlacht durch seinen mächtigen Feldmarschall. Für die, die auf der Seite des Herrn stehen, wird es ein Festmahl sein, …eine ergreifende Aussicht« (Licht 2,170 f.). Wie sich doch unbewusst ein edles Gemüt verrät!
Der Hass der Sekte auf das Christentum und die katholische Kirche
Unterdessen haben die Gläubigen der Sekte die moralische Vorbereitung auf die Schlacht von Harmagedon zu treffen, d. h. den Hass zu schüren. »Dieses Evangelium muss verkündet werden, ehe das Ende kommt« (Gold. Zeitalter 1. c.). »Die Religionsvertreter vertreten nicht Gott, sondern in Tat und Wahrheit den Teufel« (Wünschensw. Reg. 36). »Ich erkläre: die Geistlichen, sowohl die katholischen als auch die protestantischen, vertreten die Stelle nicht Jehovah Gott und Christus Jesus, sondern Satan, den Teufel« (Die Krise, 40).
»Die römisch-katholische Hierarchie, gegründet im 4. Jahrhundert (früher hieß es im Jahr 539, und im Luzerner Vortrag, bezw. »Gold. Zeitalter« 15. Okt. 36, genehmigt Rutherford das 3. Jahrh.), ist die Hauptorganisation auf Erden (sehr schmeichelhaft für uns), die die Wahrheit von Gottes Wort und vom Königreich unter Christus vor dem Volk verheimlicht« (W. Reg. 54,f.). »Sowohl der Kommunismus als auch der Nationalsozialismus wurde von der römisch-katholischen Kirche organisiert und beide gegeneinander ausgespielt, um das Volk zu täuschen« (W. Reg. 55).
»Die fälschlich als Christentum bezeichnete Religion kam zuerst unter dem Titel ‚die Kirche von Rom’ auf…, in der Schrift prophetisch als die große Hure erwähnt. Es gab eine Zeit, da gab es in der Welt eine als Protestantismus bekannte Organisation, die sich der römisch-katholischen widersetzte; aber ungefähr um die Zeit des Weltkrieges hörte diese (die protestantische) auf zu existieren, ging mit Sack und Pack zur Hierarchie über, und nun bildet die ganze Sippe die große Hure. Diese Gesellschaft öffentlicher Gangster und Feinde Gottes hat den Völkerbund als Ersatz für Gottes Königreich hingesetzt« (Reichtum 274).
Das positive Echo auf die Hetze gegen die Christen ist Zeichen einer schwer erschütterten Zeit
Es ist schließlich unter Menschen alles möglich, und so kann man auch solche Sätze als Ausgeburt wüster Hetzapostel verstehen. Dass aber solch niederstehende Agitation überhaupt ein Echo finden konnte, ist wohl das Zeichen einer schwer erschütterten Zeit. Dabei wundert sich Rutherford — man weiß zwar bei einem Drahtzieher wie ihm nie recht, was Ernst und was Berechnung ist —, dass seine Gefolgschaft nicht ohne weiteres freie Bewegung hat und er behauptet gar: »Niemand sonst als die Zeugen Jehovas erleiden heute Verfolgung« (Gold. Zeitalter, 15. Okt. 36).
Summa: »Die Völker der Erde sollten für immer das organisierte Christentum verlassen« (Freih. d. Völker 42). Die Juden aber werden ausdrücklich ermuntert: »Rutherford ist gegen die sog. Bekehrung der Juden und vertritt die Ansicht, dass sie nicht nur verkehrt, sondern sogar schriftwidrig ist«. Das Urteil über Christus und die Apostel ist damit ausgesprochen (Trost f. d. Juden, Einl.).
Auch gegen jede Staatsordnung hetzt die Sekte der Zeugen Jehovas
Im übrigen ist es aus dem Weltmachtsideal der Zeugen Jehovas nur selbstverständlich, daß gegen jede Staatsordnung ähnlich gehetzt wird wie gegen das Christentum. »Die Völker werden von einigen wenigen selbstsüchtigen Männern beherrscht« (Wahrh. 29).
»Die herrschende Macht hinter dem Sitz der Autorität ist Satan, der Teufel« (Freih. 34). »Das Tier (Finanzmacht, Staatsmacht, Geistlichkeit vereint) sagt: wir müssen zur gegenwärtigen Ordnung stehen und sie als Patrioten unterstützen« (Schriftst. 1,54). Also das Tier, Satan, ruft zur Bewahrung der vaterländischen Ordnung auf. Kann man sich eine Staatsordnung denken, die eine solche Agitation im Namen der Freiheit gewähren lässt?
Es wundert wohl niemand mehr, daß christliche Glaubensgeheimnisse von den Bibelforschern unter Verletzung jeglichen Anstandes mit gröbsten Insulten bedacht werden: Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit sei eine »Lehre des Teufels«, die Eucharistie eine »gotteslästerliche Lehre« (Reichtum 176; Schriftstudien 3,86).
VI.
Wer steckt finanziell hinter der Sekte der Zeugen Jehovas?
Wer den großen Propaganda-Apparat, die Massenauflagen von gratis verteilten Broschüren bedenkt, wird sich wohl fragen, mit welchen Mitteln die Bewegung aufgezogen werde, welche Mächte wohl hinter der Bewegung ständen … . 1923 erschien in einer Schweizer Zeitung ein aufschlussreiches Dokument. Es war der Abdruck eines Briefes, von einem amerikanischen Freimaurer an einen deutschen Bruder geschickt, den dieser nach seinem Austritt zur Verfügung stellte. In diesem Brief ist von jüdisch-freimaurerischen Geldgebern der Bibelforscher die Rede. Als der Brief erschien, drohten die Bibelforscher mit dem Gericht.
Aber die Redaktion bestand auf der Echtheit des Dokuments — und die Klage der Bibelforscher unterblieb. Man kann sich denken, warum. Der Brief lautet im entscheidenden Abschnitt:
»Geliebter Bruder! … Ihre zweite Anfrage, die betrifft die Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher, die ihren Hauptsitz in Brooklyn hat. Gewiss sind uns diese Leute sehr von Nutzen. Wir geben ihnen auf dem bekannten indirekten Wege viel Geld durch eine Anzahl Brüder, die sehr viel Geld gemacht haben während des Krieges; es tut ihrem dicken Portefeuille nicht weh! Sie gehören zu den Juden … Das Prinzip, ein Land zu erobern, ist, seine Schwächen ausnützen, und seine Säulen zu untergraben. Unsere Feinde sind die Protestanten wie die Katholiken in Europa; ihre Dogmen sind unseren Plänen lästig. Deshalb müssen wir alles tun, ihre Anhängerzahl zu vermindern, sie lächerlich zu machen.«
Es ist wohl unnötig, etwas beizufügen. Der Brief ist datiert vom 27. Dez. 1922 und abgedruckt in der Broschüre von H. J. von Freyenwald, Die Zeugen Jehovas (1936, 41 f.).
VII.
Die Sekte der Zeugen Jehovas gegen die biblische Höllenlehre
Wir kommen zum letzten Teil der Propaganda der Bibelforscher. Hier wird der Kampf mit einem religiösen Schlagwort geführt: gegen die biblische Höllenlehre.
Eine kleine Auswahl von Gottgefälligen, nämlich die jüdischen Gesetzesleute und die sich ihnen unterstellen, dürfen die ewige Seligkeit erwarten. Alle übrigen werden vernichtet. Freyenwald ist aus der Zusammenstellung der verschiedenen Angaben in den Schriften Rutherfords zu dem Ergebnis gekommen, dass von der gesamten Menschheit etwa 2% gerettet, die übrigen aber vernichtet werden. »Vernichtet« heißt aber nicht verdammt, sondern eben vernichtet, ausgelöscht mit Leib und Seele. Mit andern Worten: Es gebe keine Hölle. —
Man erinnert sich an die Jugend des Gründers mit seiner Angst vor der Hölle. Es wird ihm wohl wie noch manchem andern ergangen sein, dass sein Gemüt nicht nur unter dem Eindruck der biblischen Worte, sondern auch von menschlichen Schilderungen der Höllenqualen stand. Immerhin wollen diese nichts anderes, als Menschen, die zur Leichtfertigkeit versucht sind, den Ernst der ewigen Wahrheiten zum Bewusstsein bringen. Der Bibelforscher Russel und seine Nachfahren und Gläubigen aber unterschlagen einfach die Stellen von dem »unauslöschlichen Feuer« und von dem Ort, »wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt« (Mk. 9, 44. 48). Die Stelle ist wörtlich aus Isaias (66, 24) entnommen.
Das alttestamentliche Bild vom Schicksal der Verdammten geht von der Beobachtung aus, die der israelitische Soldat nach einer Schlacht im heißen Klima machen konnte: wie da auf dem Felde des Grauens die Verwundeten herumliegen und von brennendem Fieberfeuer und Maden in den Wunden gequält werden. Das ist ein Bild, und Jesus »wendet in seiner Predigt diese volkstümliche Vorstellung an als Bild vom Schicksale jedes schweren Sünders« (J. Pikl, Messiaskönig Jesus, 265). Sowohl diese wie andere Stellen der Bibel werden von den Ernsten Bibelforschern kurzerhand als Vernichtung „erklärt«, während doch in den biblischen Texten gerade der Zustand der Qual, also gerade nicht das Erlöschen im Nichts bezeichnend ist.
Die Erklärung der Bibelforscher über die Vernichtung der Seelen folgt der Auffassung der Adventisten
Die Erklärung der Bibelforscher folgt hierin den Adventisten, welche behaupten: Der Mensch ist auch der Seele nach keineswegs unsterblich, sondern wie das Tier vergänglich, und nur durch die Erlösungsgnade werden die wenigen Auserwählten zum ewigen Leben erweckt. Jesus aber sagt bei Mt. 10, 28: »Fürchtet nicht diejenigen, die wohl den Leib, nicht aber die Seele töten können. Fürchtet vielmehr den, der Seele und Leib ins Verderben stürzen kann!« Der Text unterscheidet den sterblichen, irdischen Leib von der unvergänglichen Seele und lehrt — wie übrigens auch andere Texte, z. B. vom reichen Prasser (Lk. 16,19 ff.) — das Fortleben der Seele auch der Verworfenen, bzw. auch der Auferstandenen, im »ewigen Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist« (Mt. 25,41).
Rutherford gibt die erstgenannte Matthäusstelle folgendermaßen wieder: »Fürchtet nicht die, die den Leib zu töten vermögen, sondern fürchtet Jehova, der euer ganzes Dasein auf ewig vernichten kann!« (Gold. Zeitalter, 15. Okt. 36). Bei solcher Behandlung von Bibeltexten lässt sich allerdings alles »beweisen«.
Auch in der Geh. Offenbarung heißt es von den Bösen nicht, sie werden vernichtet werden, sondern es heißt vom Teufel wie auch vom »Tier« und vom »Lügenpropheten«, d. h. vom Anhang der gottfeindlichen Mächte: »Und sie werden gepeinigt Tag und Nacht bis in alle Ewigkeit« (Geh. Offenbarung 20, 10).
Gottes Gerechtigkeit und Gottes Liebe gehören zusammen
Aber die Bibelforscher spekulieren nicht ungeschickt auf das menschliche Gefühl. Auch der gläubige Mensch wird an Bibelworte denken von der Liebe Gottes, der alles schuf und »nichts hasset von dem, was Er geschaffen hat« (Weish. 11,25) und »will, dass alle Menschen selig werden« (1 Tim. 2,4); und das Ziel der Erlösungsmacht Christi sieht der heilige Paulus erreicht, wenn dem ewigen Vater »alles unterworfen« ist, indem »der Sohn auch selbst unter Dem ist, der Ihm alles unterstellt hat, sodass dann Gott alles in allem ist « (1 Kor. 15,27 f.).
Man wird irgendwie die beiden Aussagenreihen über Gottes Gerechtigkeit und Gottes Liebe zusammenhalten müssen. Für christlichen Glauben bestehen beide zu recht und sind beide wahr. Es ist ähnlich wie mit Gottes Allwirkung und menschlicher Selbstverantwortung, mit Gnade und Freiheit: Die Tatsachen sind beide offenbart — wie sie zu verbinden seien, ist Gegenstand des menschlichen Nachsinnens und für uns auf Erden nicht völlig lösbar. Denn auch der offenbarte Gott ist uns als »der verborgene Gott« offenbart.
Es hat eine Anzahl von Kirchenvätern und Kirchenlehrern, besonders des griechischen Ostens gegeben, die nicht ohne Kühnheit weiterzudringen wagten und die Aussagen von Gottes Liebe im Sinne der »Apokatastasis«, d. i. Allerlösung verstanden, ohne deshalb die erste Aussagenreihe von der ewigen Gerechtigkeit Gottes zu streichen, wie es die Ernsten Bibelforscher tun. Der Mensch, der aus dem Glauben lebt und ihn in der Liebe mit gutem Willen betätigt, ist über die Furcht erhoben — zwar nicht im Hinblick auf seine Kraft, aber im Hinblick auf Gottes Gnade. Das Schicksal seiner Mitmenschen wird er wie sein eigenes voll Vertrauen in die Hand Gottes legen, ohne dabei aufs letzte ergründen zu wollen, was die göttliche Erziehungsweisheit für uns im Verborgenen gelassen hat.
VIII.
Es ist zwecklos, sich mit den Mitgliedern der Sekte in religiösen Streit einzulassen
Es ist wohl zwecklos, sich mit fanatisierten Menschen in religiösen Streit einzulassen. Paulus bittet seinen Schüler Thimotheus, er solle die Gläubigen geradezu »beschwören, sich nicht in Wortgezänk einzulassen: es ist nutzlos und bringt den Teilnehmern nur Verderben« (2. Tim. 2,14). Wenn wir deshalb nach allem Gesagten einige praktische Vorschläge dem Leser nahelegen dürfen, so seien es diese:
1. Streite nicht mit aufgeregten Sektierern! Warum nicht? Weil es nutzlos ist, wie Paulus sagt — auch aus Selbstachtung und Ehrgefühl, etwa so, wie man sich nicht mit Leuten einlässt, die die eigene Familie in hässliches Gerede ziehen. Menschen, die das besudeln, was dir und deinen Brüdern in Christus heilig ist, lässt du ihre Wege gehen. Bete für sie: »Vater verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!«
2. Ihre Traktätlein weise grundsätzlich ab! Legt man solche in den Briefkasten eures Hauses, so vernichte sie ungelesen — wie man auch (verzeih das Wort) Schweinereien wegtut: um der eigenen Sauberkeit willen und um der Kinder willen.
…
4. Wirst du in Gesellschaft, auf der Straße oder sonst wo von einem Propagandisten der Sekte angesprochen, so magst du allenfalls um der andern willen ihm Folgendes sagen:
…
Ihr beruft euch auf die Bibel – woher habt ihr sie denn? Habt ihr sie verfasst? Nein. Von wem überkommen? Von der Kirche der Jahrhunderte – eurer babylonischen Hure, eurem Antichrist! Aus solcher Hand habt ihr euer göttliches Buch erhalten? Da müsstet ihr aber erst die Handschuhe anziehen, bevor ihr dieses Buch aus der Hand des Antichristen anrührt!
aus: Otto Karrer, Über moderne Sekten, mit Imprimatur 1942, S. 9 – S. 41
siehe auch Herders Bibelkommnetar:
Es folgt keine neue messianische Heilszeit nach Christus mehr
sowie die Beiträge:
Harmagedon für die Gottesfeinde
Der zweite Petrusbrief (Kap. 1, Vers 20-21): Schriftauslegung durch Irrlehrer
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