Die Parabel vom Unkraut (Matth. 13, 24-43)
Die Parabel vom Unkraut wurde, wie aus dem hl. Matthäus (13,36) hervorzugehen scheint, auch dem Volk vorgetragen und später den Jüngern eigens gedeutet (ebd., 13,36) Sie enthält eine Prophezeiung von der Zukunft der Kirche, dass es nämlich auf dem Acker derselben (ebd., 13,38) auch Unkraut geben werde. Indessen bleibt auch eine Anwendung der Parabel auf die Umstände, in denen der Heiland sie vortrug, nicht ausgeschlossen. Die Parabel enthält drei Teile:
1. Daß es in der Kirche stets Unkraut geben wird.
Unter diesem Unkraut versteht der göttliche Heiland die Bösen und Schlechten, d. h. die Irrgläubigen, Ketzer, Heuchler, verborgenen Sünder (Matth. 13,38). Er bezeichnet dieselben mit „Unkraut“, eigentlich „Lolch“ oder „Tollkorn“, das ein häufiges Unkraut in Palästina ist, ganz ähnlich dem Weizen und nur von ihm zu unterscheiden, wenn die Frucht reift (ebd. 13,26).
Dergleichen Unkraut wird es in der Kirche immer geben. Der Heiland prophezeit es. Damit sind die Novatianer, Montanisten und besonders die Donatisten, vielleicht auch in einem gewissen Sinne die Pharisäer widerlegt.
Aber nicht die ganze Kirche wird Unkraut sein. Das geht ebenso klar aus der Parabel hervor (Matth. 13,29 u. 30 u. 43). Damit sind die Protestanten geschlagen, die behaupten, die ganze Kirche sei dereinst verkommen gewesen in Glauben und Sitte, bis sie kamen.
2. Woher das Unkraut kommt.
Der Urheber des Unkrauts ist nicht Gott und ebenso wenig die Kirche. Es entsteht wohl in ihr, aber nicht aus ihr. Ihre Glaubens- und Sittenlehre können Anlass, aber nicht die Ursache sein. Nicht von der Beobachtung ihrer Vorschriften kommt das Übel, sondern vom Abgehen von denselben. Die Kirche hat das Unkraut auch nie als ihre Frucht anerkannt und dessen Aufkommen stets zu verhindern gesucht (Matth. 13,28). Damit ist auch das protestantische System widerlegt, das alle Sekten in der Kirche duldet. Höchstens kann die Sorglosigkeit der Hirten der Kirche, wenn sie schlafen, eine Mitursache an dem Übel sein (ebd. 13,25).
Der Urheber des Unkrauts ist stets der böse Feind vermittelst der Wandelbarkeit und Fehlerhaftigkeit der Menschen (Matth. 13,25 u. 39). Das Wort des Heilandes, ein böser und feindlicher Mensch säe das Unkraut, ist im Orient manchmal Tatsache. Man sät aus Rache und Übelwollen Unkraut in den Acker des andern und macht so für Jahre die Ernte unmöglich. Selbst das römische Gesetz hatte den Fall vorgesehen. So macht es auch der böse Feind in dem Reich Gottes, in der Kirche. Der Heiland sät nur Gutes und offen und in Arbeit und Mühe, der böse Feind aber bei Nacht, schnell und aus Neid und Scheelsucht. Das Böse ist oft tätiger und schneller als das Gute.
3. Welches das Schicksal des Unkrauts sein wird.
Es ist sehr lehrreich zu erfahren, was die Menschen und was Gott mit dem Unkraut anfangen. Die Menschen, und zwar die Guten, die Diener des Herrn, sehen das Unkraut, verwundern sich, wollen es nicht dulden und weiter wachsen lassen, sondern es sofort ausrotten (Matth. 13,28). Es ist dieses unkluger Eifer, weil das Ausrotten mehr schadet als nützt; es ist Ungeduld, weil das Zusammenleben mit Bösen seine Unzuträglichkeiten hat und den süßen Frieden stört; endlich ist es Kurzsichtigkeit, weil man nur auf das Nächste, nur auf sich und seine Umgebung, nicht auf das Allgemeine, auf Gott und auf das Ende sieht.
Anders benimmt sich Gott. Er will das Unkraut und das Böse nicht, er verabscheut es, rottet es aber zur Zeit nicht aus und lässt es wachsen mit dem guten Samen. Warum dieses? Erstens des Unkrauts, der Bösen wegen. Gott hat eben den Menschen frei geschaffen, und er soll frei bleiben. So lässt er lieber das Böse, den Missbrauch der Freiheit zu, als dass er dieselbe aufhebt. Ferner können die Bösen sich, solange dieses Leben dauert, bekehren, und wir wissen nicht, ob es nicht noch zur Bekehrung kommt und wann. –
Zweitens schont Gott das Unkraut der guten Frucht, der Guten wegen. Ohne Wunder müssten auch sie Schaden leiden bei dem allgemeinen Strafgericht (Matth. 13,29). Ferner können und sollen die Guten durch das Zusammenleben mit den Bösen gewinnen durch Geduld, durch Demut und durch Vertrauen auf die Vorsehung Gottes und überhaupt sich bewähren und erproben. Dazu ist das Leben unter Bösen ein vortreffliches Mittel. –
Drittens handelt Gott so langmütig gegen die Bösen seinetwegen. Sein großer Weltplan wird durch ihr Leben und Tun nicht umgestoßen, verändert oder aufgehalten. Sie sind in denselben aufgenommen als dunkler Einschlag und dienen nur seinem Willen. So wird zumal die Weisheit, die Barmherzigkeit und die Macht Gottes geoffenbart und verherrlicht.
Nachdem nämlich die Zeit der Barmherzigkeit verstrichen ist, greift Gott ein. Die Ausrottung ist sicher und unzweifelhaft am Weltende, die Sichtung genau und unfehlbar durch die heiligen Engel, und die Strafe schrecklich (ebd. 13,39-42). Die Bösen werden wie Halme dahingerafft von den Schnittern, in Bündel gebunden, in den Feuerofen geworfen, wo namenloser Schmerz ihr Anteil sein wird, so dass Heulen und Zähneknirschen nur ein gelinder Ausdruck des Unglücks und der Verzweiflung ist. –
Dagegen werden auch die Gerechten ihres Lohnes teilhaftig werden, und dieser Lohn wird herrlich sein. Als auserwählte Garben edlen Weizens werden sie mit Ehrfurcht, Sorge und Freude von den heiligen Engeln gesammelt in den Scheuern des himmlischen Vaters (ebd. 13,30), ja leuchten werden sie herrlicher denn Sonnen im Reich Gottes (ebd. 13,43).
Die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Parabel besteht vor allem in der Wahrheit, dass es dem Bemühen der Guten nie gelingen wird, hienieden eine Welt des Guten und Besten und einen Zustand ungestörter Wohlfahrt und Herrschaft der Gerechtigkeit zu schaffen. Immer wird es Unkraut, Ärgernis und Widerstreit geben. So ist es immer gewesen, und so wird es sein aus obigen Gründen. –
Zweitens wird es aber ebenso wenig dem Bemühen der Hölle und aller Bösen glücken, das Gute in der Kirche mit Stumpf und Stiel auszurotten und die Ungerechtigkeit zur alleinigen Herrschaft zu bringen. Es wird ebenso sicher stets auch gute Frucht geben. Auch das ist prophezeit. –
Endlich lösen sich alle Gegensätze und scheinbaren Widersprüche in einem großartigen Ende, im Weltgericht auf, mit welchem diese Parabel abschließt. Es ist das erste Mal, dass der Heiland das Weltgericht und den triumphierenden Beginn seines ewigen Reiches, den großartigen Abschluss aller Dinge, weitläufiger berührt. Er bezeichnet zuerst den allgemeinen sozialen Zweck des Weltgerichtes, nämlich das Rätsel der „Ärgernisse seines Reiches“ (Matth. 13,41) zu lösen und ihnen für immer ein Ende zu machen. Dann entwirft er in einigen Meisterzügen den Verlauf des Weltgerichtes.
Alle mitwirkenden Ursachen sind aufgeführt und das Endergebnis kräftig gezeichnet. Während die brennenden Bündel der unglücklichen Verdammten die nächtlichen Niederungen und dunklen Gründe unheimlich und schrecklich mit ihrer schmutzig-roten Lohe beleuchten und mit wüstem Qualm und Wutgeschrei erfüllen, ziehen oben die Verklärten wie lauter prächtige Abendsonnen glänzend in das offene Tor des ewigen Reiches ein. In dieser Parabel haben wir den Schlüssel für alle große Wirren und Ärgernisse der Welt und Kirche, wir haben Licht und Trost in allen öffentlichen Drangsalen. –
aus: Meschler, Moritz SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi, Bd. 1, 1912, S. 377 – S. 380
Bildquellen
- parabel-vom-unkraut: wikimedia