Die Parabel vom Samen (Matth. 13,1; Mk. 4,1; Lk. 8,4)
Es folgen nun mehrere Parabeln. Wahrscheinlich wurden dieselben, namentlich die bei den hll. Matthäus und Markus verzeichnet sind, nicht hintereinander und bei derselben Gelegenheit vorgetragen. Aus einigen Angaben der Evangelisten (Matth. 13,10 u. 36) erhellt, dass es wenigstens Zwischenpausen und Ortsveränderungen gab. Die erste Parabel scheint jedenfalls unter den Umständen vorgetragen zu sein, wie sie Matthäus (13,1 u.2) und Markus (4,1) so anschaulich beschreiben. Die Örtlichkeit war entweder Kapharnaum oder Bethsaida. Die Jünger und Volksscharen standen und saßen längs dem See am Uferstrand, und der Heiland lehrte vor ihnen von einem Schifflein aus. Dazu eignete sich der Ort sehr gut.
Kapharnaum, wahrscheinlich das heutige Tell Hum, bot flaches, felsiges Ufer; Bethsaida aber, angeblich Khan Minieh, bildete mit seinem halbrunden Taleinschnitt gleichsam eine Rückwand, die den Schall der Stimme auffing und den Zuhörern verständlich machte. Bei der reinen Luft Palästinas, namentlich auf dem See, hört man das Rufen weithin sehr deutlich.
Die Parabel vom Sämann ist auch so lebhaft eingeleitet: „Siehe, der Sämann“ (Matth. 13,3; Mark. 4,3), dass man versucht sein sollte anzunehmen, der Herr habe auf einen Sämann hingewiesen, der seinen Acker in der Nähe des Ufers bestellte. Überhaupt konnte ihm das vorliegende Seegelände die Vorlagen für fast alle folgenden Parabeln bieten, namentlich für die erste. Mit dem Steigen des Ufers bilden sich auch verschiedene Schichten von Fruchterde, unten in der Ebene tiefe Erdschicht, weiter oben dünne Erdlage auf felsigem Grund. An den Äckern hin und zwischen ihnen laufen die Wege.
1. Zweck der Parabel
Zweck der Parabel vom Samen ist, die Schicksale des Wortes und überhaupt des Reiches Gottes darzutun gegenüber der verschiedenen Seelen- und Geistesverfassung der Menschen. Die Parabel lehrt, wie das Reich Gottes auf verschiedene Weise aufgenommen wird infolge der verschiedenen Schwierigkeiten, die es im Herzen der Menschen findet. Und mahnt zugleich, diese Schwierigkeiten zu heben und das Herz zur Aufnahme des Reiches zu bereiten. Die Parabel galt für alle, Juden und Heiden, Sünder und Gerechte, je nach der Verfassung jedes Einzelnen und je nachdem er von dem Unglauben zum Glauben, von dem Glauben zum Gnadenstand, von dem Gnadenstand zur Vollkommenheit fortzuschreiten hatte.
2. Ausführung und Anwendung der Parabel
Der Same ist das Wort Gottes, das Wort der Offenbarung und des Glaubens (Mark. 4,14; Luk. 8,11), dann aber auch die ganze Heilsordnung, das Reich Gottes (Matth. 13,19), die Kirche mit all ihren übernatürlichen Mitteln des Heiles, Glaube, Gebet, Gnade, Sakramente, ja Christus selbst, der sich oft mit dem Samenkorn vergleicht (Joh. 12,24). –
Der Acker ist die Welt, der Mensch und des Menschen Herz. Dieses hebt namentlich der hl. Markus (4,15-20) und der hl. Lukas hervor (8,12-15), indem sie sagen, die Menschen würden besät. –
Der Sämann aber ist Gott, Christus und jeder, der in dessen Auftrag das Wort den Menschen verkündet. –
Das Säen ist die Predigt und die Ausspendung der Gnadenmittel.
Das Schicksal des Samens ist nun infolge innerer und äußerer Hindernisse und der verschiedenen Handlungsweise gegenüber diesen Hindernissen ein doppeltes: er bleibt unfruchtbar oder bringt Frucht.
Der Same bleibt unfruchtbar und geht verloren unter drei Umständen und bei drei Menschenklassen. –
Die drei Umständen der Unfruchtbarkeit
Erstens wenn der Same auf oder neben den Weg fällt.
Der Weg ist seiner Bodenbeschaffenheit nach ungelockert, hart und als solcher zur Aufnahme von Samen ungeeignet. Der Same bleibt also auf der Oberfläche liegen und wird entweder von Vorübergehenden zertreten (Luk. 8,5) oder von Vögeln weggefressen (Matth. 13,4; Mark. 4,4). Es sind somit zwei Ursachen der Unfruchtbarkeit: eine innere, die Härte und Unempfänglichkeit des Bodens, und eine äußere, die Vorübergehenden und Vögel.
Unter dem Bild des Hartbodens der Straße sind Menschen bezeichnet, die wegen ihrer Herzenshärte, Zerstreuung, Weltlichkeit und Erdhaftigkeit für das Übernatürliche unempfindlich und unempfänglich sind, so rechte Erd-, Natur- und Weltmenschen. „Sie hören das Wort, aber fassen es nicht (Matth. 13,19) wegen ihrer Herzenshärte.“ Dazu kommen dann noch Zerstreuungen der Welt und der böse Feind und rauben das Wort des Glaubens aus dem Herzen und aus dem Sinne. –
Andere Umstände, unter denen der Same verloren geht, sind, wenn derselbe auf seichten, felsigen Boden fällt.
Der Same wird wohl aufgenommen und schießt auf, aber da er nicht tiefen Grund findet, fasst er auch keine tiefen Wurzeln, bei der Sonnenhitze (Matth. 13,5 u.6; Mark. 4,5 u.6) hat er nicht die nötige Feuchtigkeit (Luk. 8,6), und so stirbt er ab. Auch hier ist eine doppelte Ursache der Unfruchtbarkeit; die innere ist die Seichtigkeit des Bodens und die äußere ist die Sonnenhitze.
Dieses Bild bedeutet solche, denen es an innerem Halt, an Nachhaltigkeit und Starkmut fehlt, um das empfangene Glaubens- und Gnadenleben gegen äußere Schwierigkeiten zu bewahren. Es sind besonders Phantasie- und Gefühlsmenschen damit gemeint. Sie nehmen das Wort mit Freude und Begeisterung auf, aber es sitzt nicht tief im Willen, sondern nur in dem Gefühl, das unstet ist und von äußeren Einflüssen bestimmt wird. So glauben sie nur für eine Zeit (Luk. 8,13; Mark.4,17; Matth. 13,21), bei Bedrängnis und Verfolgung des Wortes aber nehmen sie Ärgernis (Matth. 13,21; Mark. 4,17) und fallen ab (Luk. 8,13). –
Endlich gibt es noch Umstände, bei denen der Same ohne Frucht bleibt, nämlich wenn der Boden zwar Pflanzenerde, aber unrein, voll Unkraut, Disteln und Gestrüpp ist. Das Unkraut wächst mit dem Samen auf und zwar schneller. Es entzieht dem Samen die Feuchtigkeit, das Licht und erstickt ihn. Hier ist also nur eine Ursache, nämlich die Unreinheit des Bodens. Mit diesem Vergleich sind solche gemeint, welche ihr Herz von zeitlichen Sorgen, vom Trug des Reichtums (Matth. 13,22) und von andern Begierden (Mark. 4,19) und Lüsten des Lebens einnehmen lassen. Dieselben ersticken allen höheren Aufflug, den die Gnade bewirken will.
Der Same hat aber auch ein besseres Schicksal. Er geht in manchen auf, wächst, bringt Frucht, und zwar in einem dreißig-, im andern sechzig-, im dritten hundertfältige Frucht an Glauben, Gnade, Verdienst und an Vollkommenheit. –
Ursache dieser Fruchtbarkeit ist die Güte des Erdreiches (Luk. 8,8; Mark. 4,8; Matth. 13,8). Diese Güte des Erdreiches besteht gerade im Gegenteil von dem, was in andern Herzen die Fruchtbarkeit hindert. Der Mensch muss das Wort hören, in sein Herz aufnehmen, und dieses Herz muss weich und empfänglich, es muss tief, nachhaltig und ausdauernd (Luk. 8, 15), es muss endlich rein sein von bösen, irdischen Begierden und Strebungen; dann bringt es mit der Gnade Gottes dreißig-, sechzig-, selbst hundertfältige Frucht, wie dies im gesegneten Galiläa der Fall war (Gen.26,12).
3. Schlussfolgerungen aus der Parabel
Die Schlussfolgerung aus der Parabel wird also sein, alle Hindernisse, welche dem Fruchttragen des Wortes Gottes in unserem Herzen entgegenstehen, zu beseitigen, damit es den gehofften Ertrag bringe. Deshalb fügt der Heiland der Parabel das bedeutsame Wort hinzu: „Wer Ohren hat zu hören, der höre“ (Mark. 4,9; Matth. 13,9). Dafür nun sind in der Parabel viele und schöne Beweggründe.
Der erste Beweggrund liegt in der Beschaffenheit des Ackers, nämlich unseres Herzens. Wir können Frucht bringen, wenn wir wollen. Darin ist der Unterschied zwischen einem Stück Ackerland und unserem Herzen. Über dieses haben wir Gewalt, über jenes nicht, wenigstens nicht allweg. An Gnade fehlt es uns nach den Ausführungen des hl. Markus (4,26-29) nicht. Wenn auch das schlechteste Feld mit Mühe und Arbeit zum Fruchttragen sich herrichten lässt, um wie viel mehr unser Herz! Also lockern wir es, vertiefen und reinigen wir es!
Der zweite Beweggrund liegt in der Kostbarkeit des Samens. Er ist höchst kostbar vor allem in sich, wegen seines Ursprungs und seiner Natur. Er ist übernatürlich und göttlich. Die ganze Schöpfung ist mit all ihren natürlichen Kräften nicht imstande, auch nur einen Grad der Gnade hervorzubringen, sich zu verschaffen und zu verdienen. –
Ferner ist der Samen kostbar wegen der Fruchtbarkeit und des Gewinnes, den er bringen kann. So groß auch die Fruchtbarkeit eines Weizenkorns unter den günstigsten Umständen sein kann, kommt sie doch der Fruchtbarkeit einer Gnade nicht gleich. Sie ist unendlich und ewig durch die Vergeltung im Himmel. Aber ebenso groß und beklagenswert ist auch der Verlust infolge elender Leidenschaften, wie da sind Trägheit, Unbeständigkeit, Lust und Habsucht.
Der dritte Beweggrund liegt im Sämann. Der Sämann ist Gott und der göttliche Heiland. Wie viel hat es ihn gekostet, den Samen zu erstehen, ihn uns zu bringen und ihn auszusäen! Wie freigebig streut er diesen Samen in die Welt und in unsere Herzen! Wie ernstlich wünscht er, dass der Same Frucht bringe in unsern Herzen!
Kein Sämann hat ein so inbrünstiges Verlangen, von seinem Samen zu ernten, wie er. Er wünscht dieses für uns, er wünscht dieses für die lehrende Kirche, die in seinem Auftrag den Samen ausstreut, sowie für die gesamte Kirche, die an Reichtum, Verdienst, Kraft und Gottgefälligkeit gewinnt durch einen reichen Erntesegen in unsern Herzen; er wünscht es endlich seinetwegen. Er ist der Urheber, der Besteller und der Herr der großen Ernte. –
aus: Meschler, Moritz SJ, Das Leben unseres Herrn Jesu Christi, Bd. 1, 1912, S. 372 – S. 377
siehe dazu auch den Beitrag: Die Mission – eine göttliche Aussaat
Bildquellen
- parabel-vom-saemann: omnia