Alphons Maria von Liguori: Das allgemeine Weltgericht
Für den ersten Sonntag im Advent
Und sie werden den Menschensohn kommen sehen in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. (Matth. 24, 30)
Der Herr wird heutzutage nicht mehr erkannt, und deshalb wird Er von den Sündern so sehr verachtet; es ist, als ob Gott die Macht nicht mehr hätte, Rache zu nehmen wegen der Ihm erwiesenen Beleidigungen. – Sie achteten den Allmächtigen, als ob Er nichts tun könnte. (Job 22, 17) Aber der Herr hat einen Tag bestimmt, der in der heiligen Schrift der Tag des Herrn genannt wird, an welchem der ewige Richter kommen wird, um sich als den zu offenbaren, der Er ist. „Der Herr wird erkannt werden, daß Er Recht schafft. Ps. 9, 17. Deshalb heißt dieser Tag: ein Tag des Zornes, ein Tag der Trübsal und auch ein Tag der Not und des Elends. Soph. 1, 15.
Betrachten wir also jetzt
Im ersten Punkt: Das Erscheinen der Gerechten und der Sünder beim Gericht.
Im zweiten Punkt: Die Erforschung des Gewissens.
Im dritten Punkt: Der Urteilsspruch über die Auserwählten und über die Verworfenen.
Erster Punkt.
Das Erscheinen der Gerechten und der Sünder im Tal Josaphat
1. Dieser schreckliche Tag wird mit dem Feuer beginnen, das vom Himmel über die Erde herabkommt und das alle Menschen, die sie alsdann bewohnen, und alles, was sie enthält, verzehren wird: Da wird die Erde samt den Werken auf ihr verbrennen. 2. Petr. 3. Alles wird ein Aschenhaufen werden.
2. So wie alsdann die Menschen gestorben sind, so wird die Posaune erschallen, und alle werden auferstehen, wie uns der Apostel lehrt: Dann wird erschallen die Posaune, und die toten werden unweslich auferstehen. 2. Kor. 15, 52. Ich erzittere, sagte der heilige Hieronymus (in Matth. C.V.), so oft ich an den Tag des Gerichtes denke. Ich mag essen oder trinken, oder etwas anderes tun, immer kommt es mir vor, als ob meine Ohren jene furchtbare Posaune vernehmen, die uns zuruft: Steht auf, ihr Toten, kommt zum Gericht. Der heilige Augustin sagte auch, daß nichts ihn mehr von irdischen Freuden abwende, als die Furcht vor dem göttlichen Gericht.
3. Beim Schall dieser Posaune werden die schönen Seelen der Seligen vom Himmel herab kommen, um sich mit ihren Leibern zu vereinigen, mit denen sie auf Erden Gott gedient haben; aber auch die unglückseligen Seelen der Verdammten werden alsdann aus der Hölle hervorkommen, um wieder jene verfluchten Leiber anzunehmen, mit welchen sie Gott so schwer beleidigt haben. O, wie groß wird alsdann der Unterschied zwischen ihnen sein! Die Verdammten werden ungestaltet und schwarz erscheinen, als eben so viel Feuerbrände der Hölle; die Glückseligen werden dagegen erglänzen als eben so viele Himmelssonnen: Alsdann werden sie Gerechten leuchten wie die Sonne. Matth. 13, 43. Wie zufrieden werden alsdann diejenigen sein, die durch Bußwerke ihre Leiber abgetötet haben, was wir schon aus den Worten schließen können, die ein heiliger Petrus Alcantara nach seinem Tod zur heiligen Theresia sprach: O selige Buße, die mir eine so erhabene Glorie verdient hat.
4. Nachdem nun die Menschen wiederum auferstanden sind, werden die Engel sie ins Tal Josaphat zum Gericht zusammen rufen: Völker über Völker sehe ich im Tal Josaphat, denn nahe ist der Tag des Herrn. Joel 3, 14. Da werden die Engel die Auserwählten von den Verworfenen absondern, und jene zur Rechten, diese zur Linken stellen: Die Engel werden ausgehen und die Bösen aus der Mitte der Gerechten absondern. O welche Verwirrung wird sich da der unglückseligen Sünder bemächtigen! Wie groß wird die Schmach der Gottlosen sein, wenn sie sich von den Gerechten geschieden und ganz verlassen erblicken! Diese einzige Strafe, sagt der der heilige Johannes Chrysostomus (in Matth. C. 24) wäre hinreichend, um ihnen eine Hölle zu bereiten. Und litten sie auch nichts anderes, so wäre diese Schande allein eine genügende Strafe. Der Bruder wird dann von seinem Bruder, der Mann von seinem Weib, der Sohn von seinem Vater getrennt werden.
5. Aber siehe, plötzlich öffnen sich die Himmel, die Engel erscheinen, um dem Gericht beizuwohnen, sie tragen das Zeichen des Kreuzes und die andern Leidenswerkzeuge des Erlösers, denn, sagt der heilige Thomas (Opusc. 2. C. 244), wenn der Herr zum Gericht kommen wird, so wird das Kreuzeszeichen so wie die andern Leidensinsignien dargestellt werden. –
Das geht auch aus den Worten der heiligen Schrift hervor: Dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen, und dann werden alle Geschlechter der Erde wehklagen. Matth. 24, 30. Wehklagen werden die Sünder, wenn sie das Kreuz erblicken, denn, sagt der heilige Chrysostomus, die Nägel werden sich über dich beklagen, o Sünder, die Wundmale und das Kreuz Christi werden wider dich zeugen. (Hom. 20. in Matth.)
6. Auch die Königin der Engel und Heiligen, die allerseligste Jungfrau Maria, wird zum Gericht erscheinen; endlich aber wird auch der ewige Richter, glänzend vor lauter Herrlichkeit, auf den Wolken des Himmels herabkommen: Und sie werden den Menschensohn kommen sehen in den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit. Matth. 24, 31. O welche Pein wird der Anblick ihres Richters den Verworfenen bereiten: Vor Ihm sind in Ängsten die Völker. Joel 2, 6. Der heilige Hieronymus sagt, daß die Gegenwart Jesu Christi den Verdammten größere Qual bereiten werde, als die Hölle selbst. Darum werden sie denn auch an jenem Tag, nach der Verheißung des heiligen Johannes, die Berge anrufen, daß sie sich über sie stürzen möchten, um sie dem Anblick des erzürnten Richters zu entziehen: Und sie sprechen zu den Bergen: fallet über uns, und bedecket uns vor dem Angesicht Dessen, Der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes. Offenb. 6, 6.
Zweiter Punkt.
Die Erforschung des Gewissens
7. Die Bücher wurden aufgetan (Dan. 7, 10), das Buch des Gewissens öffnet sich, das Gericht beginnt. Nichts bleibt alsdann verborgen, sagt der Apostel, denn der Herr wird das im Finstern Verborgene an da Licht bringen. 1. Kor. 4, 5. Gott selbst verkündet uns durch den Propheten Sophonias (1, 12): Ich werde Jerusalem mit Laternen durchsuchen. Der Schein dieser Leuchte wird aber alles Verborgene aufdecken.
8. Der heilige Chrysostomus sagt: Nur den Sündern ist das Gericht furchtbar, den Gerechten dagegen ist es süß und erwünscht, denn alsdann wird Gott jedem das Lob erteilen, das er für seine guten Werke verdient hat. (Hom. 3, de Dav.) Der Apostel sagt, daß die Auserwählten alsdann über die Wolken in den Himmel erhoben werden, um mit den Engeln das Gefolge des Herrn zu vermehren. Dann werden wir zugleich mit ihnen entrückt werden in die Wolken, Christo entgegen in die Luft. 1. Thess. 4, 16.
9. Jene Weltmenschen, welche jetzt die Heiligen, die da ein abgetötetes und demütiges Leben führen, Toren nennen, sie werden alsdann ihre eigene Torheit bekennen und ausrufen: Wir Toren! hielten ihr Leben für Unsinn, und ihr Ende für schimpflich. Siehe! wie sie unter die Kinder Gottes gezählt sind, und ihr Los unter den heiligen ist. Weish. 5, 4. Hier auf Erden nennt man glücklich die Reichen und Vornehmen, aber das wahre Glück besteht doch nur darin, daß man sich heilige. –
Freuet euch also, ihr Seelen, die ihr ein betrübtes Leben hier auf Erden führt, denn Eure Traurigkeit wird in Freude verwandelt werden (Joh. 116, 29), am Tage des Gerichtes werdet ihr auf Thronen der Herrlichkeit sitzen.
10. Dagegen werden die Verworfenen auf die linke Seite gestellt werden, als eben so viele Böcke, die für die Schlachtbank bestimmt sind und die den letzten Urteilsspruch erwarten. Die Zeit des Gerichtes, sagt der heilige Chrysostomus, lässt keine Barmherzigkeit zu. Es ist schon eine große Strafe, sagt der heilige Augustin (Serm. 20 de temp.), für die Sünder, die Furcht und den Gedanken an das göttliche Gericht verloren zu haben. Fahrt denn also fort, ruft der heilige Paulus aus, fahrt fort, ihr Hartnäckigen, in der Sünde dahin zu leben, denn nach dem Maß eurer Verstocktheit werdet ihr euch einen Schatz des Zorns Gottes für den Tag des Gerichtes anhäufen: Durch deine Verstocktheit und dein unbußfertiges Herz häufest du dir Zorn für den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. Röm. 2, 5.
11. Alsdann, sagt der heilige Anselmus, können die Sünder sich nicht mehr verbergen, nein, unter unerträglichen Peinen werden sie gezwungen sein, zum Gericht zu erscheinen. Die anklagenden Teufel, sagt der hl. Augustin, werden ihr Amt ausüben und also zu Gott sprechen: Fälle das Urteil, daß dieser, der da nicht der Deinige sein wollte, der meinige sei. Vorerst wird ein Zeuge gegen die Sünder ihr eigenes Gewissen sein: Indem ihr Gewissen Zeugnis gibt. Röm. 2, 15. Dann die Geschöpfe, denn die Steine jener Häuser sogar, in welchen sie gesündigt, werden ihnen ihre Strafwürdigkeit zurufen: Der Stein schreit aus der Wand. (Habak. 2, 11. Drittens wird der Richter selbst zu ihnen sprechen. Ich bin Richter und Zeuge, spricht der Herr. Jer. 29,23. Besonders wird Er den verdammten Christen die Worte zurufen, die Jesus über die Städte Chorozain und Bethsaida aussprach. Ihr Christen, wird der Herr ausrufen, wenn ich den Türken und Heiden so viele Gnaden erwiesen, als euch, so würden sie Buße über ihre Sünden getan haben, aber ihr, ihr habt erst mit eurem Tod zu sündigen aufgehört. –
Alsdann wird der Herr allen Geschöpfen ihre geheimsten Verbrechen offenbaren: Ich will deine Scham vor deinem Angesicht aufdecken. Nahum 3, 5. Ja er wird all ihre Schändlichkeiten, ihre Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten öffentlich bekannt machen: All deine Gräuel will ich dir vor Augen stellen. Ezech. 7, 11.
12. Welche gerechten Entschuldigungen könnte auch der Sünder wohl vorbringen? Aber was sage Entschuldigungen? „Und alle Bosheit verschließt ihren Mund.“ Ps. 106, 42. Die Sünden selbst werden alsdann den Verworfenen den Mund verschließen, und sie werden nicht den Mut haben, sich zu entschuldigen; ja sie selbst werden sich verdammen.
Dritter Punkt.
Der Urteilsspruch über die Auserwählten und die Verdammung der Verworfenen
13. Der heilige Bernhard (Serm. 8 in Psalm 90) sagt, daß die Auserwählten zuerst gerichtet und zur Herrlichkeit des Paradieses bestimmt werden, damit die Pein der Verworfenen um so größer sei, wenn sie sehen, was sie verloren haben. Christus wird also zuerst an die Gerechten sich wenden, und mit heiterem Antlitz zu ihnen sprechen: Kommt, ihr Gesegnete meines Vaters, besitzet das Reich, welches seit Grundlegung der Welt euch bereitet ist. Matth. 25, 34. Er wird alle jene Tränen segnen, die sie über ihre Sünden vergossen; segnen wird Er alle ihre guten Werke, ihre Gebete, ihre Abtötungen und ihre Kommunionen; vor allem wird Er dann Sein Leiden und Sein zu ihrem Heil vergossenes Blut ihnen gesegnet sein lassen. So gesegnet werden die Auserwählten, das himmlische Alleluja singend, in den Himmel eingehen, um ihren Gott in Ewigkeit zu loben und zu lieben.
14. Hierauf wird sich der Richter zu den verworfenen wenden, und ihr Urteil aussprechen und sagen: Weichet von mir, ihr Verfluchte, in das ewige Feuer. Matth. 25, 41. So werden sie denn also verflucht und dadurch von Gott getrennt sein, ja sie werden bestimmt sein, die ganze Ewigkeit hindurch in den Höllengluten zu brennen: Und diese werden in die ewige Pein eingehen, die Gerechten aber ins ewige Leben. Matth. 25.
15. Nach diesem Urteilsspruch, sagt der heilige Ephrem, werden die Unglückseligen gezwungen sein, sich von ihren Verwandten, vom Himmel, von den Heiligen, von der göttlichen Mutter Maria auf ewig zu trennen. Lebt wohl ihr Gerechten, leben wohl o Kreuz, o Himmel lebt wohl ihr meine Eltern, meine Kinder! lebt wohl! denn, ach, nie werde ich einen von euch wieder sehen; lebe auch du wohl, o Gottesgebärerin. (S. Ephrem de serm. Inf.) Dann wird sich ein Abgrund mitten im Tal öffnen, die unglückseligen Verdammten werden hineingestürzt, und sie selbst hören es, wie sich diese Pforte über sie verschließt, um sich in Ewigkeit nicht wieder zu öffnen. O verfluchte Sünde! Zu welchem elenden Ende führest du eines Tages so viele Seelen, die doch durch das Blut Jesu Christi erlöst sind. –
O ihr unglückseligen Seelen, denen ein so beweinenswertes Ende bevorsteht! – Habt indes Mut, meine Christen! Erfreuet euch, denn Jesus ist noch nicht unser Richter; Er ist noch unser gütiger Vater, der bereit ist, dem, der seine Sünden bereut, zu verzeihen. Bitten wir also Gott um Verzeihung.
(Hier lässt man das Volk die Akte von Reue und Vorsatz erwecken, nebst einem Gebet zu Jesus und Maria um Beharrlichkeit. – Dasselbe muss man am Schluss einer jeden Predigt tun.) –
aus: Alphons Maria von Liguori, Gesammelte Predigten, 1842, Erster Teil, S. 27 – S. 33