Alfons von Liguori Gewissheit des Todes
Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten
„Es ist dem Menschen bestimmt, einmal zu sterben.“ (Hebr. 9, 27)
Erster Punkt.
Das Todesurteil ist schon für alle Menschen geschrieben: Du bist ein Mensch, folglich musst du sterben. „Unser übriges Wohl und Wehe“, sagt der heilige Augustin, „ist ungewiss; der Tod allein ist gewiss.“ Ob dieses Kind, welches geboren wird, arm oder reich sein, ob es eine gute oder eine schlechte Gesundheit haben, ob es jung oder alt sterben werde, das alles ist ungewiss; aber das ist gewiss, dass es einst sterben wird. Jeder vornehme, ja jeder regierende Herr wird einmal vom Tode hinweggenommen werden.
Und wenn der Tod kommt, dann gibt es keine Macht, die ihm widerstehen könnte. Man widersteht dem Feuer, dem Wasser, dem Eisen; man widersteht der Gewalt der Fürsten: aber wer widerstünde dem Tode, sagt der heilige Augustin. Vinzenz von Beauvais erzählt, einer der französischen Könige habe bei seinem Tod gesagt: „Seht, mit all meiner Macht kann ich es nicht erlangen, dass der Tod auch nur eine Stunde länger auf mich wartet.“
Wenn das Ende des Lebens gekommen ist, so lässt es sich auch keinen Augenblick mehr verschieben: Du hast sein Ziel gesetzt, welches man nicht überschreiten kann. (Job 14, 5)
Wenn dir auch, mein Leser, alle Lebensjahre, auf die du hoffst, zu Teil werden, so wird dennoch ein Tag, und an diesem Tag eine Stunde kommen, die für dich die letzte sein wird. Für mich, der ich dies schreibe, und für dich, der du dieses liest, ist bereits der Tag und der Augenblick bestimmt, da ich nicht mehr schreiben werde und du nicht mehr lesen wirst: Wo ist der Mensch, der da lebt und schaut den Tod nicht?“ (Ps. 88, 49)
Das Urteil ist schon gefällt. Es hat wohl nie einen so törichten Menschen gegeben, der sich geschmeichelt hätte, dass er niemals sterben werde. Was deinen Vorfahren geschehen ist, das wird auch dir geschehen. Siehe, von den vielen Menschen, die im Anfang des vorigen Jahrhunderts in deinem Vaterland lebten, ist kein einziger mehr am Leben. Selbst die Fürsten, die Könige dieser Welt haben ihren Aufenthalt gewechselt, und es ist nichts von ihnen übrig geblieben als ein marmornes Grabmal mit einer schönen Inschrift, die uns jetzt zur Lehre dient, dass auch von den Großen der Welt nichts übrig bleibt als eine Handvoll Staub, die zwischen Steine eingeschlossen ist.
Deshalb fragt der heilige Bernhard: „Sage mir doch, wo sind die Freunde der Welt?“ und er antwortet: „Nichts ist von ihnen übrig geblieben als Asche und Würmer.“
Wir müssen also Sorge tragen, dass wir uns nicht etwa bloß jenes Glück erwerben, das so bald ein Ende nimmt, sondern jenes, das ewig dauert, gleichwie unsere Seelen ewig sind. Was würde es dir nützen, hier auf Erden glücklich zu sein (wenn es je eine Glückseligkeit für eine Seele geben könnte, die ohne Gott lebt), wenn du hierauf die ganze Ewigkeit hindurch unglückselig sein müsstest? Du hast dieses Haus zu deiner Zufriedenheit hergerichtet; bedenke indes, dass du es bald verlassen musst, um in einer Grube zu verfaulen. Du hast jene Würde erlangt, die dich über andere erhebt; aber es wird der Tod kommen, der dich dem geringsten Bauern auf Erden gleich machen wird.
Zweiter Punkt.
Statutum est, es ist bestimmt, es ist also gewiss, dass wir alle zum Tode verurteilt sind. Wir alle, sagt der heilige Cyprian, werden mit dem Strick am Hals geboren, und mit jedem Schritte kommen wir dem Tode näher. Gleichwie du, mein Christ, eines Tages ins Taufbuch eingetragen worden bist, so wirst du einst auch ins Totenbuch eingetragen werden. Gleichwie du jetzt, wenn du von deinen Vorfahren redest, sagst: „mein Vater, mein Bruder, mein Oheim seligen Andenkens“, so werden deine Nachkommen dereinst dasselbe von dir sagen. Gleichwie du häufig für andere die Sterbeglocke hast läuten hören, so werden andere sie auch für dich läuten hören.
Was würdest du wohl sagen, wenn du einen zum Tode Verurteilten erblickst, der auf dem Weg zum Richtplatz scherzend und lachend einherginge, der sich nach allen Seiten umschaute und nur an Schauspiele, Feste und Vergnügungen dächte? Aber gehst nicht auch du bereits dem Tode entgegen? Und an was denkst du?
Blicke doch in die Gräber deiner Freunde, deiner Verwandten, an denen das Urteil bereits vollzogen ist. Ach, welchen Schrecken flößt es den Verurteilten ein, wenn sie ihre Mitverbrecher am Galgen tot hängen sehen! Blicke also jene Leichname an, von jeder dir zuruft: Gestern mir, heute dir! (Eccli. 38, 23) Dasselbe sagen dir auch die Bildnisse deiner verstorbenen Verwandten, ihr Erinnerungs-Bücher, die von ihnen hinterlassenen Häuser, Betten und Kleidungsstücke.
Gibt es eine größere Torheit, als bei der Gewissheit, dass man sterben muss, dass uns nach dem Tode eine Ewigkeit voll Freuden oder eine Ewigkeit voll Peinen zu Teil wird, und dass von jenem Augenblick unser ewiges Glück oder unser ewiges Unglück abhängt; gibt es, sage ich, eine größere Torheit, als des ungeachtet nicht daran zu denken, seine Rechnung mit Gott in Ordnung zu bringen und alle Mittel zu ergreifen, um eines guten Todes zu sterben?
Wir haben Mitleid mit denjenigen, die eines jähen Todes sterben und sich nicht zum Tod vorbereitet haben; aber warum sind wir dann nicht darauf bedacht, uns vorzubereiten, da uns ja leicht ein Gleiches widerfahren kann? Aber früher oder später, erwartet oder unerwartet, wir mögen daran denken oder nicht, werden wir jedenfalls sterben müssen, und mit jeder Stunde, mit jedem Augenblick kommen wir unserem Richtplatz näher, der da keine letzte Krankheit sein wird, die uns aus dieser Welt hinwegnimmt.
In jedem Jahrhundert werden die Häuser, die Plätze, die Städte mit neuen Menschen erfüllt, indes die früheren Bewohner in Gräber eingeschlossen werden; und gleichwie für jene die Lebenstage ein Ende genommen haben, so wird auch eine Zeit kommen, da weder ich, noch du, noch irgendjemand von denen, die jetzt leben, hier auf Erden sein wird. Die Tage werden bestimmt und niemand ist mehr da. (Ps. 138, 16)
Wir werden dann alle in der Ewigkeit sein, welche für uns entweder ein ewiger Tag der Wonne oder eine ewige Nacht der Quallen sein wird. Da gibt es kein Drittes; es ist gewiss, ja es ist eine Glaubenswahrheit, dass uns das eine oder das andere Los treffen wird.
Dritter Punkt.
Der Tod ist gewiss. Aber, o Gott! Die Christen wissen und glauben dies, ja sehen es mit eigenen Augen, und dennoch leben so viele dahin, ohne auch nur an den Tod zu denken, als ob sie niemals sterben müssten. Wenn es nach diesem Leben weder eine Hölle noch ein Paradies gäbe, könnten sie wohl weniger daran denken, als sie es jetzt tun? Deshalb führen sie auch einen so schlechten Lebenswandel.
O mein Christ, wenn du gut leben willst, so sei darauf bedacht, die noch übrigen Tage deines Lebens im Angesicht des Todes zuzubringen. O Tod! Gut ist dein Urteilsspruch. (Ekkl. 41,3) O wie richtig beurteilt derjenige die Dinge, wie weise richtet derjenige seine Handlungen ein, der sie im Angesicht des Todes beurteilt und ordnet!
Der Gedanke an den Tod macht, dass man die Anhänglichkeit an die Dinge dieser Welt verliert. „Man betrachte das Ende seines Lebens“, sagt der heilige Laurentius Justiniani „und man wird in dieser Welt nichts finden, was man lieben möchte.“ Alles, was in der Welt ist, das ist Begierlichkeit des Fleisches, Begierlichkeit der Augen und Hoffart des Lebens (1.Joh. 2,16). Alle Güter dieser Welt lassen sich auf sinnliche Freuden, auf Geld und Ehre zurückführen; aber das alles verachtet derjenige, welcher bedenkt, dass er nach Kurzem zu Staub werden und dass man ihn unter die Erde begraben wird, den Würmern zur Speise.
Weil die Heiligen immer den Tod vor Augen hatten, so haben sie alle Güter dieser Welt verachtet. Der heilige Karl Borromäus hatte auf seinem Schreibtisch einen Totenkopf, um denselben beständig zu betrachten. Der Kardinal Baronius trug auf seinem Ring die Worte eingeschrieben: Memento mori, denke an den Tod! Der ehrwürdige Juvenal Ancina, Bischof von Saluzzo, hatte auf einen Totenkopf die Worte geschrieben: „ Wie du bist, war auch ich, und wie ich bin, wirst auch du einst sein.“ Als man einen heiligen Einsiedler bei seinem Tode fragte, warum er so fröhlich sei, antwortete er: „Ich habe mir oft den Tod vor Augen gehalten, und deshalb sehe ich jetzt, da er gekommen ist, nichts Neues.“
Welche Torheit wäre es nicht, wenn ein Reisender nur darauf dächte, sich in einem fremden Land, welches er bloß durchreist, großes Ansehen zu erwerben, sich aber nicht darum kümmert, dass er dafür in dem Land, wo er sein ganzes Leben zubringen muss, elend sein werde! Ist es aber nicht eine weit größere Torheit, nur darauf bedacht zu sein, in dieser Welt ein glückliches Leben zu führen, wo man nur wenige Tage bleibt, und sich dadurch der Gefahr auszusetzen, in der andern Welt, wo man ewig bleibt, unglückselig zu werden. Wer fremdes Gut entlehnt hat, hat keine große Anhänglichkeit daran, weil er immer daran denkt, dass er es nach Kurzem wieder zurückgeben muss.
Aber alle Güter dieser Welt sind uns nur geliehen, und es wäre eine Torheit, wenn wir unser Herz daran hängen wollten, da wir doch so bald dieselben verlassen müssen. Der Tod wird uns aller Dinge berauben.
Alles, was wir in dieser Welt erworben, alles irdische Glück endet mit dem letzten Öffnen des Mundes, worauf das Leichenbegängnis und das Begräbnis folgt. Das von dir erbaute Haus wirst du nach Kurzem einem andern überlassen müssen; das Grab wird bis zum Tage des Gerichts die Wohnstätte deines Leibes sein, von wo aus derselbe entweder in den Himmel oder in die Hölle eingeht, wohin ihm die Seele schon vorangegangen ist. –
aus: Alphons Maria von Liguori, Vorbereitung zum Tode oder Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten, 1891, S. 28 – S. 36
siehe auch den Beitrag auf katholischglauben.online: