Der Staatsabsolutismus in der Neuzeit

Das öffentliche Leben unter dem Einfluss der modernen Ideen

Der Staatsabsolutismus der Neuzeit

4. Im Abendland waren die Völker vorerst eines solchen Servilismus noch nicht fähig. Selbst Theodosius II. sah sich, als er mit Valentinian III. zusammen einen Erlass von Ravenna aus veröffentlichen ließ, genötigt zu sagen, die kaiserliche Macht steht unter dem Gesetz. Kaum aber lernten die christlichen Fürsten, zunächst die deutschen Kaiser, in Italien das alte römische Staatsrecht von neuem kennen, da fühlten auch sie sich rasch von dem geist der absoluten Gewalt berauscht, der es überall durchdringt. Das war schon lange vor der allgemeinen Wiedereinführung des römischen Rechtes. Man tut diesem unrecht, wenn man alles Unheil der Neuzeit ohne weiteres ihm zur Last legt. Seine gewaltsame, plötzliche Aufnötigung hat ja gewiß im Privatrecht große Übelstände zur Folge gehabt, dafür hat es aber dort auch viele sehr wohltätige Wirkungen geübt. Das Gebiet aber, auf dem es schon längst zuvor arges Unheil angerichtet hatte und immer anrichtet, ist das des öffentlichen Rechtes.

Nach dieser Seite hin müssen wir die sog. Römerzüge als ein wahres Verhängnis betrachten. Indes die italienischen Städte den kaiserlichen Despotismus bekämpften, nährten ihn die italienischen Legisten bei jedem Besuch aufs neue. Sie nahmen keinen Anstand, den Kaiser Herrn der ganzen Erde, Gott auf Erden, den gegenwärtigen, verkörperten Gott zu nennen, dem man Verehrung und Anbetung wie Gott im Himmel schulde, und das in einer Zeit, wo man aus Ehrfurcht vor Gott selbst den Papst nicht Dominus, sondern Domnus nannte. Die staufischen Kaiser zeigten sich diesen Lehren ganz besonders zugänglich. Daher, nicht vom Fanatismus der Päpste, nicht von der Anmaßung des Klerus, nicht von den Übergriffen der Kirche, stammen jene furchtbaren Kämpfe, die schließlich zum Untergang des Reiches führten.

Noch weiter gingen seit dem Ausgang des Mittelalters die furchtbaren Tyrannen in Italien, deren längst in der Tat geübte Grundsätze zuletzt Macchiavelli zu seinem klassischen Lehrgebäude der Politik für die neue Zeit umarbeitete. Mit welchem Erfolg, ist bekannt. Die Reformation kam gerade recht, um ein Versuchsfeld für die Durchführung seiner Staatslehre zu schaffen. Sicher wäre die Kirchenspaltung nicht in diesem Umfang gelungen und hätte sich nicht so lang erhalten, wenn nicht der Staatsabsolutismus in ihr ein so erwünschtes Mittel entdeckt hätte, um seine Absichten zu verwirklichen. Damals bildete sich in der Übung und in den Geistern jene Theorie vom absoluten Staat aus, die dann Hobbes zu einem geschlossenen System verarbeitete. Danach ist der Staat alles, außer ihm ist nichts, kein Recht, keine irdische Aufgabe, kein Interesse. Er ist die Quelle alles Rechtes, er der Inbegriff des Rechtes, er die Schranke alles Rechtes. Eine Rücksicht auf etwas über ihm gibt es für ihn nicht, seine einzige Norm ists ein Interesse. So der Mann, der die politischen Ideen der Reformationszeit wohl am schärfsten ausgeprägt hat.

5. Damit soll nicht gesagt sein, daß die katholischen Fürsten diesem System weniger gehuldigt hätten. Vielmehr waren es gerade sie, welche, getrieben von dem Verlangen, aus ihrer Stellung als Verteidiger der Kirche den gleichen Nutzen zu ziehen wie ihre protestantischen Amtsbrüder aus deren Unterdrückung, die katholischen Machthaber, sagen wir, waren es, die der absoluten Staatslehre die feine Ausbildung verliehen, zu der sie sich heute erschwungen hat. Für Spanien war Philipp II. bahnbrechend. In Italien erreichte diese Kunst ihren Höhepunkt durch Viktor Amadeus II., von dem man nicht ohne Grund sagte, sein herz sei ebenso reich an Schluchten und Abgründen wie sein Stammland Savoyen. Den ersten Rang auf diesem Feld erwarb sich indes Frankreich. Mit beispielloser Beharrlichkeit arbeiteten die französischen Fürsten schon seit Philipp dem Schönen auf das Ziel los, die ganze byzantinisch-römische Überhebung der Fürstenmacht auch in der Christenheit wieder zur Geltung zu bringen. Was Philipp mit einziger Rücksichtslosigkeit begonnen hatte, das setzte Ludwig XI. mit unnachahmlicher Gewissenlosigkeit fort, und Ludwig XIV. Vollendete es mit wunderbarem Glück und feinem Geist. Der Staat wurde eine bureaukratische Maschine, die Bürger wurden Untertanen, die adeligen Hoschranzen, die Ständeverfassung ein Chaos von unselbständigen Trümmern ohne Zusammenhang und Kraft, jedes Amt, jedes Gewerbe, ein käufliches Monopol der Korne. Die Kirche, die sich um ihrer Pflicht willen einem solchen System entgegen stellen musste, unterlag wie überall, wo die, für welche sie die Freiheit verteidigt, sie am ersten selber preisgeben, und das um so mehr, als sich im Schoß des französischen Klerus genug derer fanden, die im Streben, sich der höchsten kirchlichen Autorität zu entziehen, aus verkehrtem Nationalstolz und oftmals auch aus eigennützigen persönlichen Rücksichten die maßlosesten Übergriffe des Staates unterstützten. Ludwig XIV. wußte recht gut, warum er seine Ziele unter dem Mantel des Gallikanismus verbarg; ein Appell an den Patriotismus läßt den Franzosen alles andere vergessen. So gab man sich willig, ja triumphierend in die Sklaverei und nannte das dann gallikanische Freiheit.

Dank dem Einfluss, den Ludwig XIV. dem französischen Geist verschafft hatte, fand seine Schöpfung überall Eingang, wenn auch mit manchen Veränderungen, welche die Verschiedenheit der Völker mit sich brachte: in Preußen unter der Gestalt des militärischen Profosentums, in Österreich als großmütterlicher Josephinismus, in Kleindeutschland als Staatskirchentum mit der Wahl zwischen Tintenfaß oder Hundepeitsche. Gerade hier fand der Absolutismus den empfänglichsten Boden bei der Unzahl der kleinen fürstlichen und bürgerlichen Despoten, die ihre Bedeutungslosigkeit schon längst schmerzlich empfanden. So wuchs jene Giftpflanze empor, die einer der größten Schandflecke und das wahre Unglück Deutschlands ist, die gewaltsame Kleinregiererei, oder was dasselbe ist, das Spießbürgertum, ebenso sehr Folge als Ursache der allgemeinen Zersplitterung. Je armseliger das Ländchen, je kleiner das Städtchen, um so maßloser die Ansprüche auf Allmacht und Herrschaft, um so empörender das Anlehnen ans Ausland, wo man im großen das Vorbild für die eigenen Zwangsgelüste fand. Diesem Geist war schon die Reformation im Bund mit dem fremden Recht und dem Humanismus entgegen gekommen. Sie schaffte das Bollwerk der Freiheit, eine unabhängige Kirchengewalt, hinweg. Sie eröffnete die Allgewalt dieser Duodez-Tyrannen sogar das Gebiet der Religion als Tummelplatz. Sie führte die Blütezeit der Folter und der gräßlichsten Strafrechts-Pflege herbei. Jetzt kam dazu die französische Feinheit und Gewandtheit, mit der sich mehr erreichen läßt als mit roher Landsknechtsfaust. So ist aus der künstlichen Aufpfropfung eines fremden Rechtes, aus französischem und welschem Despotismus, aus der Reformation, dem Humanismus und der Kleinstaaterei, aus fünf gleich unseligen Quellen, schließlich das zusammen geflossen, was man den modernen Staatsgedanken oder – der deutsche Geist hat zu seiner Ehre dafür nicht einmal ein Wort – den Staatsabsolutismus zu nennen pflegt. –
aus: Albert Maria Weiß, Apologetik, Bd. IV. 1., Soziale Frage und Soziale Ordnung oder Handbuch der Gesellschaftslehre, Erster Teil, 1904, S. 38 – S. 42

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