Beispiele der Sanftmut des heiligen Franz von Sales
Als der heilige Bischof einst von einem gereizten Bösewicht ins Angesicht beschimpft wurde, bewahrte er vollständig die ruhige Milde seines Äußeren und erwiderte kein Wort. Auf die Frage, warum er diesem Hitzkopf nicht nachdrücklich zurecht gewiesen haben, gab er die lehrreiche Antwort: „Ich hatte bemerkt, daß mir die Galle aufstieg. Nun habe ich schon längst dem lieben Gott versprochen, kein einziges Wort zu sprechen, so oft ich eine Aufregung meines Gemütes fühle; denn das beste Mittel wider die Versuchungen zum Zorn, zur Ungeduld, welches ich kenne, ist gänzliches Stillschweigen und ein Seufzer des Herzens zu Gott um Gnade für mich und den Beleidiger. So wenige Worte man auch redet, es schleicht sich doch die Eigenliebe ein, und es entschlüpfen uns Dinge, die vierundzwanzig Stunden lang unser Herz mit Bitterkeit erfüllen; wenn man aber kein Wort redet und ein Ave Maria betet, so geht der Sturm vorüber, der Zorn und die Ungeduld ist entwaffnet, und man verkostet eine reine, dauerhafte Freude.“
Ein Vertrauter tadelte einst den heiligen Bischof, daß er gegen Feinde eine zu große Milde und Nachsicht walten lasse. Dieser antwortete: „Wenn es etwas Besseres gäbe, als die Sanftmut, so hätte uns Jesus dasselbe sicher gelehrt; aber Er empfiehlt uns nur zwei Dinge: sanftmütig und demütig von Herzen zu sein. Wollen Sie mich hindern, dieses Gebot Gottes zu beobachten und jene Tugend nach Möglichkeit nachzuahmen, der Er einen so hohen Wert beilegt, und in der Er selbst uns das Beispiel gegeben hat? Ich will lieber meinen Nächsten durch Milde ins Fegefeuer schicken, als durch Strenge in die Hölle; und ich bin überzeugt, daß man mit einem Löffel voll Honig mehr Fliegen fangen kann als mit dem größten Faß voll Essig. Ich weiß nicht, was mir die Tugend der Schlangen-Klugheit zu Leide getan; aber es kostet mich Mühe, sie zu lieben, und wenn ich sie liebe, so geschieht es nur aus Notwendigkeit, weil sie das Salz des Lebens ist. Die Schönheit der Herzenseinfalt entzückt mich mehr, und ich würde immer gern hundert Schlangen für eine Taube geben.“ –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 73
Ein Edelmann hatte ohne Ursache einen großen Haß auf den Heiligen geworden. Um sich nun zu rächen, verbreitete er alle Arten von Verleumdungen und boshaften Beschuldigungen über ihn. Der heilige Bischof aber blieb ganz ruhig und bezeigte nicht die geringste Erbitterung. Darüber noch mehr erbost, zog der Edelmann mehrere Nächte hindurch mit Hunden, Waldhörnern und einem Haufen von Jägern vor die Wohnung des Heiligen und machte einen schrecklichen Lärm. Darüber aufgebracht, wollten die Diener des Heiligen hinaus und die Ruhestörer züchtigen; er aber untersagte es ihnen streng, so daß sie es nicht wagten, ungehorsam zu sein. Da nun der Edelmann auf solche Weise den Heiligen nicht erzürnen konnte, so ließ er ihm durch seine Leute die schändlichsten Schmachreden sagen und alle Fenster des bischöflichen Hauses mit Steinen einwerfen. Als diese ruchlose Tat bekannt wurde, kamen die Freunde des Heiligen und forderten ihn auf, den Edelmann zu verklagen. Er aber antwortete ihnen mit aller Ruhe: „Ich werde mich wohl hüten, dieses zu tun; denn dadurch würde ich den Edelmann ins Verderben stürzen, ich aber will ihn gewinnen.“ Als nun der Edelmann diese Antwort des Heiligen vernahm, wurde er tief beschämt und gerührt. Einige Tage danach begegnete der heilige Bischof dem Edelmann in der Stadt. Was tat er? Er redete seinen Feind mit großer Höflichkeit an, bat ihn um seine Freundschaft und umarmte ihn mit aller Herzlichkeit. Sprachlos vor Erstaunen über diese wunderbare Sanftmut des Heiligen bat ihn der Edelmann um Verzeihung, wollte ihm alle Genugtuung leisten und war von dieser Zeit an einer seiner eifrigsten Freunde.
Das Buch „Philothea“ oder „gottliebende Seele“ genannt, welches der Heilige verfaßte und in dem er den Weltleuten eine heilsame Anleitung zu einem frommen Leben gibt, wurde überall mit Freuden aufgenommen und in alle Sprachen übersetzt. Nach der heiligen Schrift und der Nachfolge Christi ist auch wirklich kein Buch so voll des Geistes als dieses Buch. Nun eben dieses Buch gefiel einem strengen Ordensmann nicht; er predigte dagegen, tadelte mehrere Stellen darin und verbrannte es sogar öffentlich auf der Kanzel. – Man hinterbrachte diese Beschimpfung dem Heiligen und drang in ihn, daß er diesen Menschen, der es gewagt, das Buch eines Bischofs zu verbrennen, bei seinen Oberen verklage. Der Heilige aber ging nicht darauf ein, entschuldigte sogar die Tat dieses zornmütigen Eiferers und verzieh ihm von Herzen.
Die Frömmigkeit achtete der heilige Franz sehr hoch, und preis diejenigen glückselig, die durch ihr gutes Beispiel den Wohlgeruch dieser Tugend in der Welt verbreiteten. „Es ist kein Zweifel“, sagt er, „daß jene, die mit dem Wohlgeruch ihres guten Beispiels die Welt erfüllen, und dadurch anderen den Weg der Gerechtigkeit zeigen, einst gleich den leuchtenden Sternen am Firmament glänzen werden. Wenn derjenige, welcher nicht lügen kann, den Fluch über alle jene aussprach, durch welche Ärgernis kommt: wie groß wird dann der Segen solcher sein, die durch ihr musterhaftes Leben und durch den Wohlgeruch ihrer Tugenden andere zur Nachahmung ziehen!“ –
aus: Georg Ott, Legende von den lieben Heiligen Gottes, 1853, S. 157/160